„Wir befürchten ein Gremium für die Interessen der Forschungslobby“

Berlin/Essen: Am 11.4.2008 hält der neue Deutsche Ethikrat (DER) seine konstituierende Sitzung ab. Unabhängige Initiativen und Organisationen, die seit Jahren biopolitische Vorhaben kritisch begleiten, kritisieren die Einrichtung des Gremiums. Sie plädieren dafür, eine breite gesellschaftliche Diskussion über Biomedizin und -technologien kontinuierlich zu ermöglichen.

Pressemitteilung Gen-ethisches Netzwerk e.V. und BioSkop e.V. zur konstituierenden Sitzung des Deutschen Ethikrates (DER)

„Es ist skandalös, dass wichtige Zukunftsfragen 21 Experten und 5 Expertinnen, den obersten Bundesethikern, überlassen werden“, so Susanne Schultz vom Gen-ethischen Netzwerk. „Wir befürchten, dass das Gremium in erster Linie Interessen der Forschungslobby bedienen wird.“
„Der neue Ethikrat betreibt vor allem Politik. Er wird machbare und bezahlbare Lösungen formulieren, die weder wichtigen Interessengruppen noch internationaler Konkurrenzfähigkeit im Wege stehen“, kommentiert Erika Feyerabend, bürgerschaftlich engagiert im Bioskop-Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften. „Ethik, die Grenzen zieht und moralischen Überzeugungen folgt, ist das nicht.“

Im Einzelnen kritisieren wir:

1. Eine breite gesellschaftliche Diskussion von so schwerwiegenden Themen wie Patientenverfügungen, Sterbehilfe, Gendiagnostik oder Transplantationsmedizin rückt mit dem neu geschaffenen Gremium in weite Ferne. Der DER kann Voten und Stellungnahmen unter Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit beraten und erstellen. ParlamentarierInnen sind weder in die Beratungen des DER eingebunden noch haben sie Einfluss auf dessen Tagesordnung.
2. Die Einrichtung des DER gibt ein verheerendes Signal für die demokratische Kultur hierzulande, denn der neue Ethikrat ist de facto eine Regierungsorganisation. Regierung und federführende Ministerien berufen grundsätzlich die Hälfte der Mitglieder. Insgesamt stellt die Regierungskoalition 23 von 26 und die Opposition ganze drei Mitglieder des Rates. Der zusätzlich geschaffene, kompetenzlose „Parlamentarische Beirat zu Fragen der Ethik“ degradiert die ParlamentarierInnen zu bloßen ÜbermittlerInnen der Beschlüsse des DER.
3. Es steht zu befürchten, dass der neue Ethikrat vor allem die Interessen der Forschungslobby vertreten wird. Seit Jahren beanspruchen Forschungsorganisationen wie die DFG immer aggressiver unmittelbaren politischen Einfluss. Ihre Lobbyarbeit ist effektiv, das zeigen sowohl Einrichtung als auch personelle Besetzung des DER. Unter den Mitgliedern dominieren juristische und wissenschaftliche Experten, die gleichzeitig und seit vielen Jahren als Berater von Forschungs- und berufsständischen Organisationen tätig sind. Wir befürchten, dass sich die Funktion der wenigen kritischen Stimmen im DER auf die Legitimierung der Mehrheitsethik beschränken wird.
4. Durch die Einrichtung von Ethik-Gremien auf Regierungsebene wird nur der Schein einer demokratischen und transparenten Politikberatung gewahrt. Eine kontroverse, öffentliche Auseinandersetzung über brisante Themen ist nicht gewollt. Schon der Vorgänger des DER, der Nationale Ethikrat, war vom damaligen Bundeskanzler Schröder im Jahre 2001 eingerichtet worden, um die an ökonomischen Interessen orientierte Forschungspolitik ethisch abzufedern und als öffentlichkeitswirksame Konkurrenz zur damaligen Enquetekommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" zu positionieren – ein Vorgehen, das damals von einer breiten Öffentlichkeit kritisiert wurde. Mit dem DER wird dieser Versuch der Akzeptanzbeschaffung nachträglich gesetzlich abgesegnet und institutionalisiert.

Fazit:

Wir lehnen den DER ab, weil er nicht mit, sondern stellvertretend für die Gesellschaft hochbrisante Probleme der modernen Biomedizin und des technischen Fortschritts beraten wird. Die Einrichtung von Ethikgremien ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass Politik an der Zivilgesellschaft vorbei gemacht werden soll. Auch die Besetzung des DER mit LobbyistInnen einer als Wirtschaftsförderung verstandenen Forschungspolitik macht deutlich: Ethikräte werden eingesetzt, um Bioethik für die Durchsetzung einseitiger Forschungs- und Wirtschaftsinteressen zu institutionalisieren und zu effektivieren.
Wir werden weiter für eine kontroverse politische Debatte eintreten und uns dafür einsetzen, dass kritische Stimmen zur Biomedizin gehört werden, seien es feministische, behindertenpolitische, datenschutzrechtliche oder technologiekritische Positionen. Die Fragen, die biomedizinische Forschungen und mit ihnen verbundene Veränderungen in Wissenschaft und Gesellschaft aufwerfen, betreffen alle. Sie sind zu wichtig, um ihre Beantwortung einem kleinen Kreis sogenannter ExpertInnen zu überlassen.

Kontakt und weitere Informationen:

Gen-ethisches Netzwerk: Susanne Schultz, Tel. (030) 4401 7254, susanne.schultz@gen-ethisches-netzwerk.de
BioSkop: Erika Feyerabend, Tel. (0201) 5366706, info@bioskop-forum.de
Das Gen-ethische Netzwerk e.V. (GeN) ist seit mehr als zwanzig Jahren kritischer Begleiter von Gen-, Bio- und Reproduktionstechnologien. Internet: www.gen-ethisches-netzwerk.de
BioSkop e.V. mischt sich seit über zehn Jahren mit unabhängigen Recherchen und Analysen in die Auseinandersetzung um Biomedizin und Biopolitik ein. Internet: www.bioskop-forum.de

10. April 2008