Neues aus Belgien

Ein Jahr nach dem Großen Kartoffelaustausch

Ein Gerichtsverfahren gegen elf Kartoffel-AktivistInnen, Versuche mit gentechnisch veränderten Kartoffeln und Riesenmais, die Inspektion eines Biotechnologieparks sowie Diskussionen um „Slow Science“ - Zeit für ein paar Neuigkeiten aus Belgien!

Am 4. Mai 2011 schaute ich mir in Wetteren (Belgien) an, wie die bis heute stark umstrittenen gentechnisch veränderten (gv) Kartoffeln in einer öffentlichen Aktion für einen Feldversuch angepflanzt wurden. Ich war als besorgte Bürgerin daran interessiert, mehr zu erfahren und mein Wissen mit anderen zu teilen. Damals konnte ich noch nicht wissen, dass mein Besuch später als Einschüchterungsversuch von Forschern und Forscherinnen interpretiert werden würde. Als Aktivisten einige Wochen später einen Teil der gv-Kartoffeln ausrissen, um sie durch Kartoffeln aus biologischem Anbau zu ersetzen, erklärte ich mich im nationalen Fernsehen mit ihnen solidarisch. Drei Tage später entließ mich die Universität Leuven aus meiner Post-Doc-Stelle als Forscherin. „Vertrauensbruch“ war die offizielle Begründung. Die Direktoren der Universität waren der Meinung, dass man unmöglich Forscherin sein und gleichzeitig derartige kontroverse - oder, wie sie es auffassten: gewalttätige - Aktionen unterstützen könnte. Am 8. Mai dieses Jahres wurde das Verfahren gegen elf Kartoffel-AktivistInnen eröffnet - ich bin eine von ihnen. Wir werden nicht nur beschuldigt, Kartoffeln ausgerissen, sondern auch eine kriminelle Bande gebildet zu haben. Mittlerweile habe ich an unzähligen Debatten über die Rolle von gv-Pflanzen in der Landwirtschaft und an Diskussionen über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft teilgenommen. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass es sehr gut möglich ist, an politischen Aktivitäten zu partizipieren und gleichzeitig Forscherin zu sein. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn politische Aktivitäten mit wissenschaftlichen Kontroversen verbunden sind.

Um was es eigentlich geht

Am 29. Mai des vergangenen Jahres hatten sich etwa 500 Menschen zu einem Aktionstag gegen ein Freisetzungsexperiment mit gv-Kartoffeln versammelt. Verantwortlich für das Experiment waren die BASF und vier öffentlich geförderte flämische Forschungsinstitute 1; 108 Kartoffeln mit einer Resistenz gegen Kraut- und Knollenfäule wurden angebaut. Teile des Aktionstages waren ein Bauern- und Informationsmarkt, eine Diskussionsrunde zu bäuerlicher Landwirtschaft, eine Demo und eine Aktion zivilen Ungehorsams. Einige Menschen schafften es, das schwerbewachte Kartoffelfeld zu betreten und ungefähr 25 gv-Kartoffeln durch ökologisch hergestellte Kartoffeln zu ersetzen. Damit haben sie das Gesetz übertreten - in vollem Bewusstsein, öffentlich und auf nicht gewalttätigem Wege. In diesem Jahr wird der Feldversuch mit gv-Kartoffeln fortgesetzt. Neben der Frage, ob diese Versuche sozial erwünscht sind, bleibt wie schon letztes Jahr die wissenschaftliche Relevanz der Feldversuche zweifelhaft. Eine ähnliche Problemlage besteht in diesem Jahr bei einem neuen, bereits genehmigten Feldversuch mit gentechnisch verändertem Mais, bei dem die Wachstumseigenschaften verändert wurden, so dass er einen längeren Stengel ausbildet. Dieser Mais wird ebenfalls vom flämischen Institut für Biotechnologie (VIB) getestet. Wir erwarten sehnsüchtig die ersten wissenschaftlichen Publikationen aus den belgischen Feldversuchen!

Öffentliche Debatte durch Feldversuche

Durch die Feldversuche mit Kartoffeln konnte in der Öffentlichkeit die Debatte über ein komplexes politisches Thema - die Nutzung von gv-Pflanzen in Landwirtschaft und Nahrungsmitteln - entfacht werden. Das hat ziemlich gut funktioniert. Nur ein paar Stunden nach dem Großen Kartoffelaustausch im vergangenen Mai gab der flämische Ministerpräsident Peeters öffentlich bekannt, dass er die Aktivisten als eine „kriminelle Bande“ verfolgen würde. Eine sozialistische Abgeordnete spricht von einem „schwarzen Tag für die Wissenschaft“. Ohne parlamentarische Zustimmung übergab die flämische Ministerin für Wissenschaft und Innovation einen Scheck in Höhe von 250.000 Euro an das Konsortium, das die Feldversuche durchgeführt hatte. Das Geld sei zur Kompensation potentieller Verluste durch die Proteste gedacht. Am Anfang lag der Hauptfokus der öffentlichen Debatte auf der Gewalt (gegen die Kartoffeln). Mit moralischem Unterton wurden die Aktivisten zu einfachen Maschinenstürmern reduziert. Das war eine Strategie, um sicherzustellen, dass die Aktion nur als gewalttätiger Akt aufgefasst wurde und nicht den Status einer politischen Aktion erhielt. Diese Strategie der De-Politisierung verlor teilweise ihre Glaubwürdigkeit; zunächst durch meine Entlassung, dann aber vor allem deshalb, weil die Staatsanwaltschaft die Aktivisten tatsächlich als „kriminelle Bande“ verklagt. Die Aktion war weder spektakulär noch einzigartig: Seit es GVO-Freisetzungen gibt, haben weltweit zahlreiche Feldbefreiungen stattgefunden. Damit wird deutlich, dass das Innovationsmodell, das technische „Erfindungen“ den Menschen einfach aufzwingt, versagt hat. Heutzutage wollen die Bürger an der Formulierung von Forschungsfragen partizipieren, und in vielen Fällen erheben sie sogar den Anspruch, das Forschungsdesign zu entwerfen. Wissenschaftler sind längst nicht mehr die einzigen Akteure.

Slow Science

In Flandern löste die Kontroverse über die gv-Kartoffeln eine öffentliche Debatte über die Rolle der Universitäten in der Gesellschaft aus. In Frage gestellt wurden die Konsequenzen von Public-Private-Partnerships in der Forschung, die Kriterien der Forschungsförderung in Bezug auf verschiedene wissenschaftliche Disziplinen und Paradigmen und die Tatsache, dass mit öffentlichen Geldern die Forschung multinationaler Chemie- und Saatgutunternehmen finanziert wird. Die Kontroverse um meine Entlassung und die Argumente, die diese rechtfertigen sollten, machten klar, dass es in dieser Affäre um weit mehr geht, als nur um den Rausschmiss einer Universitätsmitarbeiterin. Vielmehr steht im Zentrum der Auseinandersetzung die weit verbreitete Unzufriedenheit über die Umstrukturierung der Universitäten und ihre Umwandlung in Wissenschaftsunternehmen. Dieser Wandel führt zu anderen Forschungsprioritäten und einer Prekarisierung der Arbeitsbedingungen der jetzigen und der zukünftigen Generation von Wissenschaftlern. Die Diskussion wird unter dem Schlagwort „Langsame Wissenschaft“ („Slow Science“) geführt. Ähnlich wie „Slow Food“ die Qualität von Nahrungsmitteln gegenüber Fast Food verteidigt, fordert die Slow-Science-Bewegung, das gegenwärtige akademische Klima zu überdenken. Die Bewegung wendet sich sowohl gegen den dominanten und einseitigen Fokus auf „Output“ als auch dagegen, dass akademische Autoritäten zu repressiven Business-Managern gemacht werden. Die Feldbefreier setzen ihren Kampf gegen GVO im freien Feld und für mehr Transparenz in der Verwendung öffentlicher Forschungsgelder fort. Am 9. Mai organisierten sie - bewaffnet mit einer Vielzahl unbequemer Fragen - eine Bürger-Inspektion zur Beobachtung von GVO („gene-spotting“) im Wissenschaftspark der Universität von Gent. Das Flämische Institut für Biotechnologie ist im Herzen des Parks beheimatet und sprichwörtlich umrundet von so genannten Spin-offs, also aus öffentlichen Wissenschaftsinstitutionen ausgegründeten Firmen, die systematisch durch die Giganten der Agro-Industrie aufgekauft wurden. Crop Design gehört nun BASF, Plant Genetic System ist nun Teil von Bayer CropScience, und der jüngste Spin-off Devgen ließ stolz seine Kooperation mit Monsanto bekanntgeben. Der Rundgang verdeutlichte physisch, wie öffentliche Investitionen in Forschungsinstitutionen eher zur Weiterentwicklung der Agro-Industrie als der Landwirtschaft führen.
Übersetzung: Birgit Peuker
Weitere Informationen: Der Große Kartoffelaustausch (2011): Videofragmente und Informationen: http://fieldliberation.wordpress.com/toolbox/vide…. Diskussionen zum Verhältnis von Gesellschaft, Universität und Slow Science: http://threerottenpotatoes.wordpress.com/.

  • 1Das Konsortium besteht aus der Universität von Gent, dem Flämischen Institut für Biotechnologie (VIB), dem Flämischen Forschungszentrum der Regierung für Forschung in Landwirtschaft und Fischerei (ILVO) und der Hochschule von Gent.
Erschienen in
GID-Ausgabe
212
vom Juni 2012
Seite 27 - 28

Barbara van Dyck war bis zu ihrer Entlassung im Anschluss an die Feldbefreiung am 29. Mai 2011 im belgischen Wetteren Wissenschaftlerin an der Katholischen Universität von Leuven. Sie ist Agronomin, hat in angewandter Ökonomie promoviert und arbeitet zu Fragen von Planungspolitik und sozialem Wandel. Sie lebt in Brüssel.

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Freiwillig vor Gericht erscheinen?

Die Feldbefreier suchen Menschen, die freiwillig vor Gericht erscheinen und sich auf diesem Weg mit den elf Angeklagten solidarisieren. Die „freiwillig Erschienenen“ behaupten, Teil der „Gang“ der Kartoffel-Aktivisten zu sein und enthüllen dadurch die Absurdität der Beschuldigung. Weitere Informationen: http://fieldliberation.files.wordpress.com/2012/0….)