EFSA: Spielwiese der Gen-Industrie

Interessenskonflikte in der Europäischen Lebensmittelbehörde

Die Industrie beeinflusst die Standards für die Risikoprüfung gentechnisch veränderter Pflanzen.

2002 schuf die EU eine neue Europäische Lebensmittelbehörde: die EFSA. Eine ihrer Aufgaben ist die Prüfung der Risiken von gentechnisch veränderten Pflanzen. Diese Prüfungen basieren auf EU-Vorschriften, die gemäß dem Vorsorgeprinzip ein hohes Maß an Sicherheit für Umwelt und Verbraucher vorsehen (Richtlinie 2001/18, Verordnung 1829/2003). Die Aufgabe der EFSA ist es, diese gesetzlichen Vorgaben bei der Prüfung von Marktzulassungen von gentechnisch veränderten Pflanzen umzusetzen. Zu diesem Zwecke wurde bei der EFSA eine Gentechnik-Abteilung mit einem GMO Panel (Gentechnik-Expertengruppe) eingerichtet, das 2003 seine Arbeit aufnahm. Die organisatorische Leitung der Abteilung übernahm Suzy Renckens, Harry Kuiper (ursprünglich RIKILT Institute an der Universität von Wageningen, Niederlande) übernahm die Führung der Expertengruppe. Diese Position hat er noch heute inne. Das GMO Panel gab sich erstmals im Jahr 2004 eigene Richtlinien. Seitdem wurden weitere Dokumente veröffentlicht, die sich mit verschiedenen Aspekten der Risikoprüfung befassen. Unter anderem sind dies die Prüfung von Umweltrisiken, von möglichen Allergenen, die Durchführung von Fütterungsversuchen und die Auflagen für das Monitoring. Die Arbeit der EFSA geriet immer wieder in die Kritik, weil sie nicht den Anforderungen der EU genügten. Das kritisierte zum Beispiel auch die EU-Kommission im Jahr 2006.1 Nicht zuletzt deshalb fanden die Prüfberichte der EFSA bei den Abstimmungen der Mitgliedsländer keine ausreichenden Mehrheiten.

Schwerwiegende Interessenskonflikte

Wie eine Recherche von Testbiotech vom Dezember 2010 zeigt 2 , gibt es in der Gentechnik-Abteilung der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA schwerwiegende Interessenskonflikte. Dabei spielt die Organisation International Life Sciences Institut (ILSI) eine zentrale Rolle. Die Arbeit von ILSI ist allerdings schon seit Jahren umstritten, ihre Arbeit für die Tabakindustrie wurde ausdrücklich durch die WHO gerügt.3 . In jüngster Zeit geriet ILSI in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass Diána Bánáti, die im Verwaltungsrat der EFSA sitzt, auch für ILSI tätig ist. Frau Bánáti legte nach der Veröffentlichung ihre Position bei ILSI nieder.4 Nach Recherchen deutscher Medien beeinflusste ILSI die Arbeit der EFSA auch bei der Bewertung von Stoffen wie Bisphenol A.5 ILSI befasst sich spätestens seit 1996 mit der Agro-Gentechnik. Zu diesem Zeitpunkt startete der kommerzielle Anbau von gentechnisch veränderten Sojabohnen der Firma Monsanto. Damals standen die Agro-Gentechnikkonzerne unter anderem vor der Aufgabe, den besonders schwierigen europäischen Markt für die neuen Produkte aus den USA zu öffnen. 1997 gründete ILSI eine europäische Arbeitsgruppe, die sich mit Novel Food (neuartigen Lebensmitteln wie zum Beispiel Lebensmitteln aus gentechnisch veränderten Pflanzen) befasste.6 Der langjährige Leiter der Expertengruppe Harry Kuiper hat unmittelbar vor seinem Amtsantritt für eine Task Force des ILSI gearbeitet. Diese wird von einem Mitarbeiter der Firma Monsanto geleitet und ist ausschließlich mit Vertretern der großen Agrar-Konzerne wie BASF, Bayer CropScience, Dow AgroSciences, Monsanto, Pioneer HiBred/Dupont und Syngenta besetzt. Harry Kuiper ist sogar bis heute für ILSI tätig, ohne dass dies bei der EFSA jemand zu stören scheint. Parallel zu seiner Tätigkeit bei ILSI arbeitete Harry Kuiper auch als Leiter des Projektes ENTRANSFOOD, das von der EU-Kommission und der Industrie gefördert wurde und sich ebenfalls mit Anforderungen an die Risikoprüfung von gentechnisch veränderten Pflanzen befasste. Harry Kuiper wurde dadurch in diesem Bereich zu einem der einflussreichsten Experten in Europa.

Risikobewertung á la Kuiper

In dem Zeitraum, in dem Kuiper als Experte für die Arbeitsgruppe des ILSI arbeitete, veröffentlichte er mehrere Publikationen zur Risikobewertung von gentechnisch veränderten Pflanzen, in denen er auch auf die Konzepte von ILSI Bezug nimmt. Zentral ist dabei das Konzept der Vergleichenden Prüfung (Comparative Assessment), das in der EU die wichtigste Grundlage und Ausgangspunkt der Risikoprüfung gentechnisch veränderter Pflanzen bildet. Dieses Konzept sieht einen Vergleich gentechnisch veränderter Pflanzen mit Pflanzen aus konventioneller Zucht vor. Sie gelten als gleichwertig, wenn bei einer Überprüfung der wichtigsten Inhaltsstoffe keine wesentlichen Unterschiede festgestellt werden. Kurz gesagt wird mit dem Konzept der Vergleichenden Prüfung die Risikoprüfung insgesamt wesentlich vereinfacht und eine umfassendere Prüfung gentechnisch veränderter Pflanzen vermieden. Eine wesentlich genauere Prüfung wäre dagegen notwendig, wenn gentechnisch veränderte Pflanzen als neuartige Produkte betrachtet würden, die sich aufgrund ihrer Herstellung grundlegend von den Pflanzen aus konventioneller Zucht unterscheiden, was aus wissenschaftlicher Sicht wesentlich plausibler ist (siehe Übersicht bei Then & Potthof, 2009). Das Konzept des Comparative Assessment beruht ursprünglich auf dem Konzept der Substantial Equivalence (Wesentliche Gleichwertigkeit), das 1993 von der Industrie und der OECD entwickelt (OECD,1993) und von vielen Experten als unzureichend kritisiert wurde. Wie Kok und Kuiper (2003), die für die Task Force von ISLI arbeiteten, im Jahr 2003 erklärten, sollte das Konzept der Substantial Equivalence deswegen in Comparative Assessment umbenannt werden, ohne dabei aber den Kern zu ändern. Es sollte so zum vermeintlich neuen Ausgangspunkt der Prüfung gentechnisch veränderter Organismen gemacht werden (Kok & Kuiper, 2003): „Although the Principle of Substantial Equivalence has received comments from all types of stakeholders (producers, regulators, consumers, evaluators, etc.), the basic idea behind the principle remains untouched. When evaluating a new or GM crop variety, comparison with available data on the nearest comparator, as well as with similar varieties on the market, should form the initial part of the assessment procedure.“ Dadurch dass Kuiper und seine Kollegen verschiedenen Institutionen (wie ILSI, EFSA, FAO/WHO und ENTRANSFD) gleichzeitig angehörten und dort als Autoren verschiedener wissenschaftlicher Publikationen tätig waren, konnte der Eindruck erweckt werden, dass das Comparative Assessment auf einem breiten wissenschaftlichen Konsens beruht. Bei näherem Hinsehen scheint das Konzept und seine Entstehung aber ganz wesentlich auf das Netzwerk um Harry Kuiper zurückzugehen.

EFSA und ILSI sind sich einig

Die Kollaboration zwischen ILSI und den Experten der Gentechnik-Abteilung der EFSA hinterließ deutliche Spuren: ILSI selbst gibt an, dass die Arbeit der Task Force die Prüfrichtlinien der EFSA für die Risikoabschätzung gentechnisch veränderter Pflanzen beeinflusste. Einen deutlichen Hinweis hierfür gibt es beispielsweise bei den Anforderungen an Fütterungsversuche. EFSA verlangt in der Regel keine Fütterungsversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen, um diese auf gesundheitliche Risiken zu untersuchen. Das Dokument, das die EFSA zu dieser Frage verfasst hat und das begründet, warum auf Fütterungsversuche verzichtet werden kann (EFSA 2007), wurde zum Teil wortwörtlich aus einem Papier von ILSI (ISLI 2004) übernommen (siehe Tabelle). Bei einer Überprüfung fanden sich gleich ein Dutzend Absätze, die als Plagiat zu erkennen sind. Der vorliegende Bericht von Testbiotech beschreibt wohl nur die Spitze des Eisberges. Ende 2009 hatte Testbiotech bereits darauf aufmerksam gemacht, dass die Leiterin der Gentechnikabteilung, Frau Suzy Renckens, direkt von der Behörde zur Gentechnikindustrie gewechselt war - ohne irgendwelche Auflagen. Frau Renckens leitete von 2003 bis 2008 die Arbeit der Abteilung, während Kuiper Vorsitzender des Expertenpanels war - eine perfekte Zusammenarbeit. Während ihrer gemeinsamen Zeit bei EFSA wurden nicht nur diverse Beurteilungen verschiedener gentechnisch veränderter Pflanzen veröffentlicht, sondern auch die Basisrichtlinien für die Risikobewertung erstellt. Nach Recherchen der Grünen im Europäischen Parlament, der Organisation Corporate Observatory Europe sowie der Süddeutschen Zeitung 7 sitzen bei der EFSA mindestens fünf weitere Personen mit Verbindungen zu ILSI - vom Managementboard bis zur Leiterin der Abteilung für diätische Produkte. ILSI wird unter anderem von BASF, Bayer, Monsanto, Coca Cola, Nestlé und McDonalds finanziert. Die Unbedenklichkeit, die die EFSA im Umgang mit der ILSI zeigt, ist alarmierend und stellt die Arbeit der Behörde insgesamt in Frage. Testbiotech empfiehlt eine grundlegende Reorganisation der EFSA, bei der auch Vertreter von Verbänden aus dem Bereich von Umwelt- und Verbraucherschutz beteiligt werden. Als erste Maßnahme sollten alle Experten, Mitarbeiter oder Mitglieder des Managements der Behörde, die gleichzeitig für ILSI tätig sind, von ihren Aufgaben bei der EFSA entbunden werden.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
205
vom Mai 2011
Seite 12 - 14

Christoph Then ist Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Testbiotech und Sprecher des internationalen Bündnisses No Patents on Seeds (Keine Patente auf Saatgut), www.no-patents-on-seeds.org.

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ILSI, 2004

In the case of GM crops with improved nutritional characteristics, livestock feeding studies with target species should be conducted on a case-by-case basis to establish the nutritional benefits that might be expected.
In addition, livestock feeding studies with target species are sometimes conducted to establish the effect of the new feed resource on animal perfor-mance with endpoint measurements such as feed intake, level of animal performance, feed conver- sion efficiency, animal health and welfare, efficacy, and acceptability of the new feed ingredient.
In the case where nutritional components are to be deposited in the consumed tissue of the animal, specific tests for content should be conducted.
The extent and type of livestock feeding studies conducted will depend on the type of feed resource developed, and their need should be determined on a case-by-case basis.
Once compositional equivalence, which is a cornerstone in nutritional assessment, has been demonstrated, work then focuses, if necessary, on livestock feeding studies to confirm nutritional equivalence (see Appendix 5-1) and on assessing the safety of any newly expressed components (proteins or nutrients).

EFSA, 2007

In the case of GM crops with improved nutritional characteristics, livestock feeding studies with target species should be conducted on a case-by-case basis to establish the nutritional benefits that might be expected.
Livestock feeding studies with target species are sometimes conducted to establish the effect of a new feed material on animal performance with endpoint measurements such as feed intake, animal performance, feed conversion efficiency, animal health and welfare, efficacy, and acceptability of the new feed material.
In cases where GM plants have been fed to livestock with the intention of modifying the nutritional components to be deposited in the consumed tissue of the animal, specific tests for content should be conducted.
The extent and type of livestock feeding studies conducted will depend on the type of feed material developed, and their need should be determined on a case-by-case basis.
Once compositional equivalence of the GM plant has been demonstrated, work may then be focused, where necessary, on livestock feeding studies to confirm nutritional equivalence, and to obtain further information on the safety.

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