Rosa Sojabohnen und Mais mit Blutgeschmack

Entwicklungen im Bereich Molecular Farming

Weltweit setzen immer mehr Firmen auf Molecular Farming, um Produkte für die Lebensmittelindustrie herzustellen. Dabei wollen sie in Nahrungsmittelpflanzen auch Tierproteine erzeugen, die Allergien auslösen können. In den USA hat die Lebensmittelbehörde die Firmen jetzt vor den Risiken gewarnt.

Sojabohnen in einer Hand

Pflanzen werden zu Produktionsstätten für Tierproteine. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com

Ohne Tiere Käse herstellen, der nicht nur schmilzt und Fäden zieht, sondern auch noch schmeckt wie das aus Milch erzeugte Original – das ist das Ziel von Nobell Foods. Um es zu erreichen, hat das US-Start-up in den letzten fünf Jahren 100 Millionen US-Dollar erhalten – unter anderem von Tech-Milliardären wie Bill Gates, Jeff Bezos und Ben Horowitz. Dass das Interesse von Investor*innen so groß ist, liegt am neuartigen Konzept für veganen Käse: Statt Milchproteine durch pflanzliche Eiweiße aus Soja, Nüssen oder Getreide zu ersetzen, wie das andere Firmen tun, will Nobell Foods veganen Käse mit echten Kuhproteinen herstellen. Wie das geht? Mit Gentechnik: Die Firma hat Soja so verändert, dass sie in ihren Bohnen zwei wichtige Milcheiweiße der Kuh, Kasein und Beta-Laktoglobulin, bildet. Einmal aus den Bohnen isoliert, lassen sich die beiden Eiweiße mit pflanzlichen Fetten und Mineralien zu einem Käse verarbeiten, der in Textur und Geschmack nicht mehr vom Original unterscheidbar sein soll.

Soja mit Schweine- und Erbsen mit Rinderproteinen

Wenn Nobel Foods die Fertigung ihrer Proteine in Pflanzen verlegt und damit eine gentechnische Produktionsform wählt, die sich Molecular Farming (MF) nennt, liegt sie damit voll im Trend. Weltweit lassen sich mehr als ein Dutzend Unternehmen ausmachen, die auf MF setzen, um den Lebensmittelmarkt mit gentechnisch hergestellten Proteinen zu versorgen. Angesagt ist vor allem, Pflanzen als Produktionsstätten für Tierproteine zu nutzen. Mozza zum Beispiel stellt wie Nobell Foods Kasein in Soja her und will das Produkt als „cheesebeans“ auf den US-Markt bringen. Miruku wiederum will seine mit gv-Soja erzeugten tierfreien Molkereiprodukte in Neuseeland vermarkten.

Neben den Milchproteinen sind auch Eiereiweiße und damit ein 20 Milliarden Euro schwerer Weltmarkt im Visier von MF-Firmen. Vor allem Ovalbumin, das mengenmäßig häufigste Protein im Eiklar, das der Lebensmittelindustrie als Emulgator und Bindemittel dient, stößt auf Interesse. Das israelische Start-up PoLoPo etwa will Ovalbumin in Kartoffelknollen produzieren. Die US-Firma Forte Protein wiederum erprobt Grünkohl und Kopfsalat als Produktionsstätten für das Eiereiweiß.

Mehrere Firmen arbeiten zudem daran, Tierproteine für den boomenden Fleischersatzmarkt zu produzieren. Die US-Firmen Kyomei und IngredientWerk zum Beispiel wollen Myoglobin in Pflanzen herstellen – ein Muskelprotein, das Fleisch seine typische Farbe und seinen blutigen Geschmack gibt und deshalb als Zusatzstoff pflanzlichen Burgern ein fleischiges Aroma verleihen kann. IngredientWerk produziert Rinder-Myoglobin in Mais. Kyomei hat ein Patent beantragt, das die Herstellung von Rinder-, Schweine- und Thunfisch-Myoglobin in Tabak, Soja und Lattich umfasst. Auch die britische Firma Moolec Science will den Fleischersatzmarkt erobern. Eines ihrer Produkte heißt „piggy sooy“ und ist eine gentechnisch veränderte (gv) Soja, die Schweineproteine bildet und deshalb rosafarbene Bohnen hat. Ein anderes Produkt ist eine gv-Erbse namens „BEEF+“, die Rinderproteine bildet. Beide sollen in vier bis fünf Jahren auf den Markt kommen und ab dann Textur, Aussehen und Geschmack von pflanzlichen Fleischimitaten verbessern.

Zulieferanten für Zellfleisch- und Süßstoff-Branche

Ein weiterer Bereich, den MF-Firmen mit ihren Produkten beliefern wollen, ist die zelluläre Landwirtschaft. Hier sind die Entwickler- und Herstellerfirmen von Laborfleisch auf tierfrei erzeugte tierische Wachstumsfaktoren angewiesen. Diese Proteine braucht es, damit sich die in Kultur gehaltenen Zellen immer wieder teilen und sich zu Fleisch entwickeln. Mehrere MF-Firmen bieten der Zellfleisch-Branche nun kostengünstig in Pflanzen erzeugte Wachstumsfaktoren an. Tiamat, BioBetter und Brigth Biotech stellen ihre Proteine dazu in Tabakpflanzen her, ORF Genetics in Gerste und Core Biogenesis in Leindotter.

Einige MF-Firmen wollen auch den Markt für Süßstoff-Proteine bedienen. In den USA hat Elo Life Systems jüngst 24 Millionen Dollar gesammelt, um das in der Mönchsfrucht vorkommende Mongrosid in Melonen herzustellen. Greenlab – ebenfalls eine US-Firma – will Brazzein aus Mais gewinnen. Und das deutsche Unternehmen Nomad Bioscience hat Tabak so verändert, dass er Thaumatin bildet – ein Protein aus der Katemfrucht, das bis dreitausendmal süßer sein soll als Zucker.

Von Brustimplantaten bis stonewashed Jeans

Die Idee, gv-Pflanzen für die Herstellung von Proteinen oder anderen Substanzen zu nutzen, gibt es seit Ende der 1980er Jahre. Ursprünglich dafür vorgesehen, Proteine für die Humanmedizin zu fertigen, werden heute Stoffe für diverse Zwecke mit MF erzeugt: Proteine für Forschung und Diagnostik, Futterzusätze und Impfstoffe für Nutztiere, Inhaltsstoffe für Kosmetika, Pheromone für den Pflanzenschutz, Kollagen für Brustimplantate, Enzyme für die Herstellung von mRNA-Impfstoffen und Glucanasen, um Jeans stonewashed zu machen.

Rund 55 Firmen sind weltweit im MF tätig. Die Hälfte davon entstand in den letzten fünf Jahren. Vor allem die in der Lebensmittelindustrie steigende Nachfrage nach günstig hergestellten Proteinen beschert der Branche derzeit einen Boom. Doch mit dem Aufschwung droht nun die bisherige Beschränkung auf Indoor-Anbau ein Ende zu nehmen.

USA: FDA warnt Branche vor Allergierisiken

Um zu verhindern, dass MF-Pflanzen versehentlich in die Lebensmittelkette gelangen und dadurch unter Umständen Menschen gefährden, fand MF bislang fast ausschließlich in Gewächshäusern statt. Jetzt wollen Firmen mit ihren Pflanzen auch auf die Felder. In Kanada etwa erwartet die Behörde für Lebensmittelinspektion CFIA bis 2025 erste Anbauanträge.1 In den USA sind in den letzten zwei Jahren bereits vier MF-Pflanzen zugelassen worden: Eine Färberdistel von Moolec Science, die ein Nahrungsergänzungsmittel produziert, ein Mais von Greenlab, der ein industrielles Enzym bildet, sowie zwei Maissorten von Agrivida, die Futtermittelzusatzstoffe in ihren Körnern haben.

Auch einige der MF-Firmen, die Tierproteine produzieren, haben vor, mit ihren gv-Pflanzen auf die Felder zu gehen. In den USA hat die Lebensmittelbehörde FDA deshalb jüngst Alarm geschlagen. Der Grund: Proteine wie Kasein, Myoglobin und Ovalbumin können Allergien auslösen und für empfindliche Menschen auch in kleinsten Mengen gefährlich sein. „Wir halten es für äußerst wichtig, dass Sie und Ihre Partner in der gesamten Lieferkette zuverlässig Bedingungen schaffen und aufrechterhalten können, unter denen solche neuen Pflanzensorten und eiweißhaltige Materialien aus solchen Pflanzen nicht versehentlich in die Lebensmittelkette gelangen,“ schreibt die FDA in einem offenen Brief an die MF-Firmen.2 Sie ruft die Branche dazu auf, ihre Produktentwicklungspläne zu überdenken, falls nicht alle Maßnahmen getroffen werden könnten, um Menschen mit Lebensmittelallergien vor unerwarteten Allergenen zu schützen.

Wie begründet die Warnung der FDA ist, zeigt ein Blick zurück in die Nullerjahre. Damals erlebte die MF-Branche ebenfalls einen Boom und mehrere neu gegründete Firmen erwogen einen Anbau im Freien. Doch dann führten Vermischungsfälle in den USA zu strengen Regeln und schließlich dazu, dass MF eine Indoor-Sache wurde. Einer dieser Fälle betrifft den „StarLink-Mais“ von Aventis (heute Bayer): Wegen Allergie-Verdacht war dieser gv-Mais in den USA nur als Futtermittel zugelassen worden und Aventis musste sicherstellen, dass er nicht in die menschliche Nahrungskette gelangt. Trotzdem tauchte der Mais zwischen 2000 und 2002 wiederholt dort auf. Auch wenn allergische Reaktionen vermutlich ausblieben, der wirtschaftliche Schaden war hoch: Der Rückruf des „StarLink-Mais“ soll die Lebensmittelindustrie eine Milliarde US-Dollar gekostet haben.3

Zwei weitere Vorfälle: 2002 entwich gv-Mais der MF-Firma Prodigene aus zwei Freisetzungsflächen und verunreinigte dabei am ersten Ort via Durchwuchs eine Soja-Ernte und am zweiten Ort via Pollenflug ein anderes Maisfeld. Die Verunreinigungen wurden zwar noch entdeckt, bevor die Ernten in den Handel kamen, doch mussten rund 12.000 Tonnen Soja und rund 60 Hektar Mais vernichtet werden.4

Der Wink mit dem Zaunpfahl

In ihrem Brief weist die FDA die MF-Branche darauf hin, dass ihr bisher nur ein einziger Fall bekannt sei, in dem ein Unternehmen ein Gen eines wichtigen Allergens in eine Lebensmittelpflanze übertrug. 1996 wollte Pioneer (heute Corteva) eine gv-Soja auf den Futtermittelmarkt bringen, die ein Protein aus der Paranuss bildete.5 Beim Erheben der erforderlichen Zulassungsdaten stellte sich heraus, dass das Paranussprotein ein Allergen ist und die Soja deswegen schwere allergische Symptome bis hin zu lebensbedrohlichen Schockreaktionen auslösen konnte. Pioneer überdachte seine Pläne und stoppte das Inverkehrbringen der Soja. Wie die FDA in ihrem Brief an die MF-Firmen schreibt, war sich der Konzern nicht sicher, ob er die Lebensmittelkette ausreichend vor Einträgen der allergen wirkenden Soja schützen könne, auch wenn diese nur für die Verwendung in Tierfutter vorgesehen war.

  • 1Canadian Food Inspection Agency (CFIA): Plant molecular farming. Online: www.kurzelinks.de/gid266_rl.
  • 2Food and Drug Administration (FDA): Letter to industry on food safety risks when transferring genes for proteins that are food allergens to new plant varieties used for food. Online: www.kurzelinks.de/gid266_rm.
  • 3Macilwain, C. (2005): US launches probe into sales of unapproved transgenic corn. In: Nature, Vol. 434 (7032), S.423-424, www.doi.org/10.1038/nature03570.
  • 4Bratspies, R. M. (2004): Consuming (f)ears of corn: public health and biopharming. In: American Journal of Law & Medicine, Vol. 30 (2-3), S.371-404, www.doi.org/10.1177/009885880403000211.
  • 5Nordlee, J. A. et al. (1996): Identification of a Brazil-nut allergen in transgenic soybeans. In: New England Journal of Medicine, Vol. 334 (11), S.688-692, www.doi.org/10.1056/NEJM199603143341103.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
266
vom August 2023
Seite 24 - 25

Benno Vogel ist freischaffender Biologie in Winterthur und in Berlin. Mehr zu seinen Tätigkeiten erfahren Sie unter www.bennovogel.eu.

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