Aus der Praxis
Obwohl eine entsprechende Stellungnahme der zuständigen Impfbehörde STIKO bisher aussteht wird der neue HPV-Impfstoff der Firma Merck von den großen Krankenkassen und vielen Fachärzten bereits offensiv beworben. Vor allem Eltern junger Mädchen haben bereits den einen oder anderen Brief bekommen. Um eine kritische Einschätzung baten wir die Hamburger Gynäkologin Silke Koppermann.
Der neue Impfstoff Gardasil schaffte es unmittelbar nach seiner Zulassung auf das Titelblatt der großen Tageszeitungen. Woher kommt dieser Aufruhr um eine Impfung gegen die in der Öffentlichkeit doch eher unbekannten humanen Papilloma-Viren (HPV)?
Es ist natürlich ein Traum, gegen Krebs impfen zu können: Man hofft, eines Tages sei es möglich, dass man eine bestimmte Prophylaxe durchführt und dann die Erkrankungen gar nicht erst auftreten. Gleichzeitig ist die Erkrankung, um die es geht, also der Gebärmutterhalskrebs, zwar im Vergleich zu Brustkrebs gar nicht so häufig. Aber dadurch, dass Frauen regelmäßig zur Vorsorge beim Frauenarzt gehen, ist das Thema Gebärmutterhalskrebs doch sehr präsent. Beim Gebärmutterhalskrebs handelt es sich nun tatsächlich um eine Erkrankung, die durch Viren, die wiederum sexuell übertragen werden, ausgelöst wird. Damit ist das Zervixkarzinom aber neben HIV-verbundenen Krebserkrankungen meines Wissens die bisher einzige Tumorerkrankung, von der man weiß, dass sie in solch einem engen Zusammenhang mit Viren steht. Dadurch gibt es jetzt die Vision, man könnte die Viren ausrotten und damit auch den Krebs verhindern. Das ist aber erstens bisher noch unbewiesen und zweitens einmalig und erstmalig und deshalb noch lange nicht auf alle anderen Krebserkrankungen zu übertragen.
Handelt es sich bei den Artikeln über die Impfung um sachliche Informationen oder um eigentlich unerlaubte Arzneimittelwerbung?
Der Druck durch die Industrie ist natürlich sehr hoch. Indem man diese Impfung indirekt oder direkt empfiehlt, wirbt man ja automatisch für ein Produkt, weil es im Moment nur eine Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs gibt. Der Hersteller, Sanofi Pasteur MSD/Merck ist natürlich sehr hinterher, das Produkt zu verbreiten, weil im Oktober bereits ein Konkurrenzimpfstoff einer anderen Firma auf den Markt kommen soll. Auch der Berufsverband der Frauenärzte wirbt dafür, weil es ein gutes Thema ist, um junge Patientinnen in die Praxen zu bekommen - indem man eine echte Krebsvorsorge verspricht.
Was ist denn überhaupt von dieser Versprechung "schützt gegen Krebs" zu halten? Hundertprozentigen Schutz bietet die Impfung ja meines Wissens nicht...
Nein, die Impferfolge in dem Sinne, dass keine Infektionen auftraten, waren zwar in den Studien sehr hoch. Aber über die langfristige Wirkung weiß man nichts. Und offensichtlich ist eine solche Kontrolle der langfristigen Schutzwirkung auch nicht vorgesehen: In den Impfempfehlungen wird beispielsweise kein einziges Mal die Titerkontrolle (Titer: Konzentrationsangabe für die Messung von Antikörpern, die Red.) erwähnt. Zwar wurde in den klinischen Studien eine Titermessung durchgeführt. Aber es ist völlig unklar, ob man die Impfwirkung auf Dauer kontrollieren kann und welche Titer nötig sind, um einen Schutz zu haben. Es ist also sehr unklar, wie man den Impferfolg testen kann. Das ist natürlich ein generelles Problem bei Impfungen: Es wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass man nach zehn Jahren nachimpfen muss. Dabei wird von Erfahrungswerten ausgegangen. Mit der neuen Impfung gibt es aber noch keine Erfahrungen.
Haben Sie in Ihrer Praxis Informationsbroschüren über die Impfung ausliegen?
Nein, bis jetzt noch nicht, weil die einzigen verfügbaren Broschüren von der Pharmaindustrie kommen. Wir erstellen meistens eigene Flyer. In diesem Fall sind wir noch in der Diskussion, weil wir noch keine endgültige Position gefunden haben wobei letztendlich natürlich die Patientin selbst über die Impfung entscheiden muss.
Dann gab es wohl in Ihrer Praxis auch noch keine Nachfrage?
Unsere Arzthelferinnen berichten, dass wir immer wieder von Eltern angerufen werden: Die großen Krankenkassen, die sich zu einer Übernahme der Kosten entschieden haben, schreiben nämlich ihre Mitglieder an, um ihnen mitzuteilen, dass sie ihre Töchter impfen lassen sollten. In die Praxis selbst sind aber noch nicht so viele mit einer konkreten Nachfrage gekommen und es wurde auch noch keine Frau geimpft.
Welche Bedeutung haben denn zukünftig Krebsfrüherkennungsuntersuchungen wie der Pap-Abstrich?
Die werden weiter notwendig sein. Erstens werden die älteren Frauen, die ja nicht geimpft wurden, sie weiterhin brauchen. Die jungen Mädchen, die nun geimpft werden sollen, kommen ja im Allgemeinen noch gar nicht in unsere Praxis. Außerdem schützt der Impfstoff nur gegen zwei wenn auch die aktivsten karzinogenen Viren. Von daher sollte man nicht auf eine Krebsvorsorge verzichten.
Könnte das auch an den hohen Kosten liegen?
Natürlich. Die Patienten müssen ja die Kosten vorstrecken, auch wenn ihre Kasse die Kosten bereits übernimmt. Eine Spritze kostet um die 155 Euro, insgesamt sind drei Spritzen nötig, die Impfung kostet also 465 Euro. Man bekommt ein privates Rezept und dann muss man damit in die Apotheke gehen und sich das Medikament kaufen. Erst danach kann man die Rechnung bei der Kasse einreichen. Die Impfung wird außerdem nur bis zu einem Alter von maximal 18 Jahren erstattet. Denn wie die Studien ergeben haben, macht die Impfung nur bei Frauen, die sich noch nicht mit Papilloma-Viren infiziert haben, Sinn. Für die Ärzte sind solche Selbstzahlerleistungen immer sehr attraktiv, weil sie außerhalb der Begrenzungen durch ihr Budget liegen.
Eigentlich müssten aber doch auch ältere Menschen, die noch keinen Geschlechtsverkehr hatten, oder sich nicht infiziert haben, die Kosten erstattet bekommen...
Das wäre von der Sache her sinnvoll. Getestet wurde der Impfstoff ja auch bei bis zu 26-jährigen Frauen - im Gegensatz zu den Neunjährigen, für die die Impfung wiederum übernommen wird. Aber die Kassen werben eben lieber mit den Vorsorgeleistungen bei Kindern und Jugendlichen. Je älter die Frauen werden, desto mehr wird diskutiert, ob man überprüfen soll, ob sie sich nicht doch schon infiziert haben, weil eben sehr viele Frauen ab einem gewissen Alter von der Infektion betroffen sind. Je jünger die Mädchen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich noch nicht infiziert haben.
Könnte man nicht einfach einen Test auf Papilloma-Viren durchführen?
Das kann man machen, aber die kosten auch wieder einiges und sind wiederum nur eine Selbstzahlerleistung, wenn es keinen speziellen Grund wie zum Beispiel schwere Veränderungen am Gebärmuterhals gibt. Ein positives Testergebnis wiederum kann unnötige Ängste schüren: nur ein geringer Teil der Infizierten wird auch krank.
Obwohl auch Männer die Infektion mit Papillomaviren übertragen, richten sich die Impfaufforderungen hauptsächlich an die Mädchen. Sollte man nicht auch die Jungen impfen?
Wenn es darum geht, mit Impfungen eine Krankheit zurückzudrängen, dann muss die Durchimpfungsrate sehr hoch sein und man müsste auch die Jungen impfen. Aber es ist eben die Frage, ob das, wenn die Impfung freiwillig ist, funktioniert: Wie viele Jungs würden sich impfen lassen, wenn es um eine Krankheit geht, die sie selber praktisch nicht betrifft? Es gibt zwar auch HPV-ausgelöste Peniskarzinome, aber das ist doch eher selten.
Wie sieht es mit Alternativen aus? Wie sicher ist die Verhütung mit Kondomen?
Das ist kein hundertprozentiger Schutz, da die Viren auch durch die Haut übertragen werden können. Sie können auch Veränderungen an den Schamlippen herbeiführen. Auch lesbische Frauen können Papilloma-Viren bekommen.
Von Fachärzten wird empfohlen, dass schon neunjährige Mädchen geimpft werden. Hat das nicht Auswirkungen auf die Körperwahrnehmung und den Umgang mit Sexualität?
Das ist sicherlich ambivalent: Einerseits werden Kinder ja gegen alles Mögliche geimpft und wissen auch nicht immer wogegen sie geimpft werden. Also kann man natürlich angesichts des großen Ansteckungsrisikos und der Schwere der Krebserkrankung sagen, warum sollten nicht auch Kinder schon gegen HPV geimpft werden. Allerdings weiß man ja noch nicht, welchen Schutz sie dann mit 17 Jahren haben. Außerdem kann man es schon seltsam finden, wenn es zur Sexvorbereitung gehört, erst einmal geimpft zu werden. Aber wenn es "normal" ist, dass beim Sex Krankheiten übertragen werden können, das gilt ja auch für Hepatitis B, dann kann man auch sagen, es ist auch "normal", dagegen Vorkehrung zu treffen. Auf einem anderen Blatt steht natürlich die Frage, welche Vorstellung damit vermittelt wird: Es ist ja eine der ältesten Geschichten der Menschheit, dass die reichen schwachen Frauen Frauenkrankheiten bekommen und die armen Frauen, die sexuell aktiven, sie verbreiten. Obwohl es eigentlich eher die Männer sind, welche die Krankheiten verbreiten, weil sie statistisch gesehen mehr Sexualkontakte haben.
Silke Koppermann ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe in Hamburg. Sie ist Mitglied beim Frauenforum Fortpflanzungsmedizin (Reprokult) und beim Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF).