Rezension: Wissenschaftskritik – Warum die Community wenig Vertrauen in „Autismus-Forschung“ hat
Selling Out the Spectrum. How Science Lost the Trust of Autistic People, and How It Can Win It Back.

In „Selling Out the Spectrum“ zeichnet der britische Journalist Liam O`Dell detailreich nach, wie die klassische Autismus-Forschung das Vertrauen autistischer Communities und Einzelpersonen verspielt hat. Dabei vollzieht O`Dell, der selbst autistisch ist, detailreich nach, wie namhafte Vertreter des Fachgebiets Jahrzehnte lang schädliche Vorurteile reproduzierten und wie wenig die Belange autistischer Menschen in diese Forschung eingeflossen sind. Im Fokus seiner Kritik steht die britische Spectrum 10K Studie, die DNA und Gesundheitsdaten von 10.000 autistischen Menschen sammeln wollte. Anhand der öffentlichen Kommunikation sowie von Mailwechseln und Presseanfragen belegt O`Dell, dass der Studie eine zutiefst fragwürdige Forschungsethik zu Grunde liegt. Ein weiterer Kritikpunkt, den das Buch aufwirft, ist die mangelnde Intersektionalität der Autismusforschung und -diagnostik: Frauen, trans Personen, Schwarze Menschen und People of Colour, arme Menschen und andere mehrfach marginalisierte Autist*innen seien unterdiagnostiziert und unterversorgt, die Forschung an cis-männlichen Personen ausgerichtet und dadurch verzerrt. O`Dells Buch weist eine hohe Informationsdichte auf und führt Belege recht minutiös – wer sich also tatsächlich dafür interessiert, welche Fehler Forschende in diesem Bereich machen und wie die Strukturen in diesem Feld sich verändern müssten, findet hier Antworten.
O`Dell, L. (2024): Selling Out the Spectrum. How Science Lost the Trust of Autistic People, and How It Can Win It Back. Jessica Kingsley Publishers, 240 Seiten, 17,45 Euro, ISBN: 978-1-83997-626-1.
Jonte Lindemann ist Mitarbeiter*in des GeN und Redakteur*in des GiD.