Ein „Nein“ war nicht geplant
Die Sicht eines Patienten auf den Einwilligungsprozess
Wie frei ist die Einwilligung von Studienteilnehmenden zur „Datenspende“ wirklich? Welche Rolle spielen Aspekte wie Solidarität mit anderen Patient*innen oder das Machtgefälle zwischen Ärzt*in und Patient*in? Der Erfahrungsbericht eines Krebspatienten zeigt, wie schwierig es sein kann, „Nein“ zu sagen.

Die Möglichkeit eines „Neins“ war nicht vorgesehen. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com (6800696)
Ich finde mich in einem Sprechzimmer eines Krankenhauses wieder. Mit mir im Raum sind eine Person, die für die Organisation meiner medizinischen Nachsorge zuständig ist, und der Arzt, der mich vor 32 Jahren behandelt – und gerettet – hat. In diesem Moment bittet der Arzt mich um meine Zustimmung zur Teilnahme an einer Studie, die er mir erklärt: „Ihr Genom wird sequenziert und dann mit dem anderer Menschen mit ähnlicher Krankheitsgeschichte verglichen. So können wir die DNA-Regionen identifizieren, die mit den verschiedenen Langzeitfolgen in Verbindung stehen, die Sie erleben. Auf diese Weise können wir auf eine personalisierte genomische Medizin hinarbeiten“.1 Für ihn ist es eine Formalität: Er bittet mich um meine Einwilligung, weil er das muss, erhält sie sofort und kann seine Studie weiter fortführen. Aber ich willige nicht ein. Diese Verweigerung führt uns beide in unerwartete Sphären, in denen sich unsere Arten, die Welt zu verstehen, nicht mehr überschneiden. Plötzlich ist der Raum mit Emotionen gefüllt, meinen und denen des Arztes, die wir gewöhnlich in diesen kalten Räumen verdrängen oder ignorieren.
Gegenüber Vertreter*innen der medizinischen Institution verhalten sich Menschen oft zurückhaltend, zögerlich oder reagieren sogar mit Unterordnung. Vielleicht schüchtert uns die Begegnung ein und es fällt uns schwer, klar zu denken, präsent und aufmerksam zu sein. Erst wenn wir nach dem Termin die Tür schließen, wird uns bewusst, dass wir gerne diese oder jene Frage gestellt, dieses oder jenes gesagt hätten. Manchmal kommen Wut, Traurigkeit oder Angst erst später zum Vorschein. Ärzt*innen können eine gewisse Kälte ausstrahlen, streng oder zu technisch sein, manchmal herablassend oder autoritär – sie fühlen sich von unseren Fragen oder Zweifeln frustriert. Meistens wird das alles eher unterdrückt, bleibt unsichtbar unter der Oberfläche. An diesem Tag fühle ich mich ängstlich, nervös und kurzatmig, während ich meine Ablehnung verbalisiere und zu erklären versuche. Der Arzt ist – in chronologischer Reihenfolge – schockiert, irritiert, verärgert, dann herablassend und schließlich resigniert. Lassen wir den Moment und die Situation Revue passieren.
Meine (Leidens-)Geschichte
Im Jahr 1989 war ich 11 Jahre alt, als bei mir akute lymphoblastische Leukämie diagnostiziert wurde. Später habe ich es mir so erklärt, dass die Moderne (Kapitalismus und Technokratie) mich erst krank gemacht und dann gerettet hat. Der Südosten Frankreichs war damals eines der Gebiete, in dem die radioaktive Wolke von Tschernobyl drei Jahre lang Luft, Wasser und Boden verseucht hatte – so wie in den meisten europäischen Ländern. Dazu kam das regelmäßige Baden in einem Fluss, der von den Abfällen der örtlichen Industrie gespeist wurde … wer weiß, was meine Leukämie verursacht hat? Sicher scheint jedoch zu sein, dass die von den Ärzt*innen zu meiner Heilung eingesetzte Behandlung mein Leben gerettet hat. Zumindest zu diesem Zeitpunkt. Die schwere Chemotherapie und die anschließende Ganzkörperbestrahlung zur Vorbereitung einer Transplantation mit körpereigenen Knochenmarkszellen hatten vielfältige Folgen für meinen Körper und meine Gesundheit: Gynäkomastie (wenn ein cis Mann 2 Brüste entwickelt, die denen eines sogenannten weiblichen Körpers ähneln), verschiedene Hormonwerte, die nicht den „Normalwerten für Männer“ entsprechen (Testosteron zu niedrig, follikelstimulierendes Hormon zu hoch, Cholesterin und Triglyceride zu hoch, Inhibin B zu niedrig), Unfruchtbarkeit (Azoospermie, d. h. mein Körper produziert so gut wie keine Spermien bzw. mein Sperma ist leer), Katarakt usw. All diese Abweichungen von der Norm waren für mich im Großen und Ganzen nicht so schwer zu ertragen, auch wenn sie meinen verschiedenen Ärzt*innen, je nach Zeit und Ort, große Sorgen bereiteten. Im Gegensatz dazu war mein kürzlich aufgetretener Schilddrüsenkrebs, eine relativ häufige Folge einer Ganzkörperbestrahlung im Kindesalter, schwieriger zu bewältigen. Dieser zweite Krebs hatte etwas Schwindelerregendes an sich: Geheilt durch die Entfernung eines ganzen Organs (der Schilddrüse – die Basis meines Halses ist leer), dann durch eine Behandlung, die selbst krebserregend war (radioaktives Jod), und schließlich durch eine lebenslange Medikation (Thyroxin, Kalzium, Vitamin D) … alles verursacht durch die Schädlichkeit der Behandlung eines früheren Krebses. Ein Mindfuck.
Von Fassungslosigkeit bis Erpressung
Zurück im Sprechzimmer merkt der Arzt, mitten in seiner Erklärung der von ihm vorgestellten Studie, dass ich nicht besonders begeistert bin. Als wir an den Punkt kommen, wo ich „Nein“ sage und es begründe, bin ich wie versteinert und zittrig. Die Atmosphäre hat auch etwas Vertrautes: Als Schuljunge einem Lehrer auf der Straße begegnen oder in einem besetzten Haus auf die Polizei treffen, zu Hause am Küchentisch den Eltern gegenübersitzen, als Arbeitsloser dem Sachbearbeiter des Arbeitsamtes gegenüberstehen … Als ehemaliger Biologe lese und schreibe ich über Genetik und deren politische Aspekte und leite seit mehreren Jahren Workshops zum Thema. Im Allgemeinen habe ich keine Angst vor wissenschaftlichem Jargon, ich kann das Wesentliche eines medizinischen Fachartikels verstehen. Doch mein Herz klopft in meiner Brust, meine Hand ist klamm und zittert leicht, die Worte kommen nicht heraus. Was im Moment der Verweigerung geschieht, ist für den Arzt nicht Teil des Szenarios, wir sind nicht mehr in seiner medizinischen Praxis, in seinem Verständnis von Wohlbefinden und der Beziehung zwischen Behandelnden und Patient*innen. Die Möglichkeit eines „Neins“ war nicht mitgedacht, nicht erwartet, nicht eingeplant. Später, als ich zur Blutabnahme ging, wollte das Krankenhauspersonal zusätzliches Blut abnehmen, um mein Genom zu sequenzieren; ich musste nachkontrollieren und ihnen erneut sagen, dass ich meine Zustimmung nicht gegeben hatte.
Der Arzt ist fassungslos. Ich kann sehen, wie ihm unter seiner medizinischen Maske der Kiefer offensteht, klaffend und stumm. Wenn wir Patient*innen so überrascht sind, dass uns die Worte fehlen, zappeln wir in unseren Sitzen, bewegen unsere Hände unzusammenhängend, beginnen unsere Sätze, beenden sie aber nicht, machen große Augen … Ich möchte so viel sagen, aber ich ertappe mich dabei, dass ich nur über die potenziellen Mängel der öffentlichen Gesundheitsdatenbanken spreche, in denen mein Genom landen würde. Der Arzt erholt sich recht schnell von seinem ersten Schock und geht in einen offensiveren Modus über. Die Erpressung beginnt: „Aber das ist doch schade. Mit dieser Studie werden wir in der Lage sein, Menschen zu helfen, besser zu verstehen … Sie haben ein sehr spezifisches Krankheitsprofil, und wenn nicht genügend Menschen mit Ihrem Profil an der Studie teilnehmen, wird sie statistisch gesehen nicht funktionieren. Wir werden nicht in der Lage sein, die relevanten Bereiche der DNA zu identifizieren“. Der Arzt vermittelt mir: Ich bin sowohl undankbar als auch egoistisch. Ich bin von Wissenschaft und Medizin gerettet worden, zweimal. Und das habe ich zum Teil Menschen zu verdanken, die sich wahrscheinlich bereit erklärt haben, an klinischen Studien teilzunehmen, um die Behandlungen zu entwickeln, die mir dabei geholfen haben am Leben zu bleiben. Wie könnte ich es ablehnen, etwas zurückzugeben?
Sehr unbeholfen versuche ich zum Ausdruck zu bringen, dass ich im Grunde „politische Probleme“ mit der Idee der personalisierten genomischen Medizin habe. Implizit bedeutet es – auch wenn ich es nicht ausformuliere – dass meine Ablehnung nicht auf einen Mangel an Solidarität mit meinen Genoss*innen, die ebenfalls Leukämie im Kindesalter überlebt haben, zurückzuführen ist. Stattdessen kritisiere ich die Entscheidung für eine ganz bestimmte Richtung der medizinischen Forschung und Versorgung, nämlich der des genetischen Reduktionismus 3 und der Technowissenschaft.
Dies ist das Signal, zu anderen Emotionen überzugehen: „Tja, schade … schade. Tja, schade … nun gut. So, jetzt können Sie sich hinlegen, damit ich Sie untersuchen kann. Das heißt, wenn es für Sie kein ‚politisches Problem‘ ist, ja?“. Hier kommt wieder der Vater-Professor-Polizist mit seinem herablassenden Sarkasmus und der gewohnten dumpfen Wut, die er immer in mir ausgelöst hat. Ich weise ihn darauf hin, dass, wenn ein „Nein“ nicht möglich wäre, der Prozess der Einholung einer Informierten Einwilligung nicht viel Sinn hätte. Der Arzt hat kaum eine andere Wahl als zuzustimmen. Vielleicht hatte er nie daran gedacht?
Was hier auf dem Spiel steht, scheint mir, ist eine bestimmte Vorstellung vom Körper, vom Subjekt und vom Extraktivismus. Extraktivismus ist die massive Ausbeutung der Ressourcen der Natur oder der Biosphäre. Es gibt natürlich den globalen, kapitalistischen Extraktivismus von Land für Öl, Mineralien und andere Materialien. Aber wir leben möglicherweise auch in einem Regime des Extraktivismus der Körper.
Dieser Text ist ein übersetzter Ausschnitt aus „Genetic prophecy and subjectification, the doctor’s appointment“ (auch auf spanisch und französisch verfügbar), online: www.network23.org/shrese oder www.kurzlinks.de/gid272-ik. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Isabelle Bartram.
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Laut der Studienwebseite ist das erste Ziel der Untersuchung, „Vorhersagefaktoren für Langzeitfolgen von Chemotherapie- oder Knochenmarktransplantationsbehandlungen bei Kindern mit Leukämie zu ermitteln“. Online: www.cryostem.org/fr/partenariats
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Cis Personen identifizieren sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Das beinhaltet also die Mehrheit der Bevölkerung, für die das (soziale) Geschlecht und das (biologische) Geschlecht übereinstimmen. Der Begriff cis wird im Gegensatz zum Begriff trans verwendet, der sich auf Menschen bezieht, deren Geschlechtsidentität nicht mit ihrem Geburtsgeschlecht übereinstimmt.
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Der genetische Reduktionismus kann auf zwei Arten verstanden werden. Erstens kann er als eine Art der Weltanschauung, d. h. ontologisch, verstanden werden: Alle biologischen Prozesse lassen sich auf eine begrenzte Anzahl von kausalen Einheiten (z. B. Gene oder idealerweise Elementarteilchen) reduzieren. Diese primären kausalen Einheiten werden als die Determinanten für alles andere angesehen. Kurz gesagt, was für die Erklärung von Lebewesen wichtig ist, ist die DNA. Der Rest (der Körper, die Umwelt, ihre Wechselwirkungen usw.) ist von geringer Bedeutung. Zweitens handelt es sich auch um eine wissenschaftliche Methode, die auf der Überzeugung beruht, dass alle Formen des Wissens letztlich auf die Ergebnisse einer grundlegenden Disziplin reduziert werden können. Im Kontext der Biologie wäre dieser erkenntnistheoretische Reduktionismus die Überzeugung, dass sich letztlich alles biologische Wissen auf die Genetik reduzieren oder in genetische Begriffe übersetzen lässt.
Shrese (Pseudonym) ist promovierter Evolutionsbiologe.