Begehrte DNA
Weiterhin unethische Forschung an unterdrückten Minderheiten
Seit einigen Jahren werden regelmäßig massive Menschenrechtsverletzungen an chinesischen Uigur*innen bekannt, einer überwiegend muslimischen Minderheit. Auch genetische Forschung, unter reger Beteiligung westlicher Wissenschaftler*innen, spielt dabei eine Rolle.

Die Stadt Kaxgar im südlichen Teil der autonomen Region Xinjiang ist vorwiegend uigurisch geprägt. Foto: Gert-Jan Peddemors (CC BY 2.0 Deed)
Uigur*innen sind vor allem in der autonomen Region Xinjiang ansässig, in der die chinesische Regierung seit 1949 eine aggressive Siedlungspolitik betreibt. Der Prozentsatz der Han-Chines*innen in der Region erhöhte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von fünf auf vierzig Prozent. Seit 2014 ist der Umgang mit den Uigur*innen von Verfolgung und Umerziehung geprägt – es wurde an verschiedenen Stellen geschätzt, dass unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung inzwischen mindestens eine Million Uigur*innen in „Umerziehungslagern“ interniert wurden. Menschenrechtsorganisationen machen immer wieder auf Zwangsarbeit, Zwangssterilisation zur Geburtenbegrenzung und Einschränkungen der Religionsfreiheit aufmerksam.
Der Westen ist jedoch nicht nur durch die Nutzung der Zwangsarbeit durch globale Konzerne wie Nike oder VW in die Unterdrückung der Uigur*innen verstrickt. Das US-amerikanische Unternehmen Thermo Fisher Scientific wurde für die Belieferung von chinesischen Sicherheitsbehörden mit Technologien für DNA-basierte Überwachung kritisiert. Im Januar gab das Unternehmen bekannt, keine DNA-Identifikationskits mehr in Tibet verkaufen zu wollen, wo die Technologie ebenfalls zur Überwachung eingesetzt wird.1 In den vergangenen sechs Jahren hatte China 900.000 bis 1,2 Millionen DNA-Proben von tibetischen Erwachsenen und Kindern gesammelt – rund ein Drittel der Bevölkerung der Region. In anderen Regionen beliefert Thermo Fisher Scientific die chinesischen Sicherheitsbehörden jedoch weiterhin mit Sequenzierungsgeräten und DNA-Kits.
Unethische Kooperation
Staatlich gesammelte genetische Daten von Uigur*innen werden immer wieder für akademische Forschungsprojekte genutzt, die in renommierten Zeitschriften und international genutzten Datenbanken veröffentlicht werden. Wie die New York Times berichtete, arbeiteten chinesische Wissenschaftler*innen und Mitarbeitende von Sicherheitsbehörden mit Mitgliedern der europäischen Wissenschaftscommunity im Bereich DNA-Phänotypisierung zusammen.2 Diese Technologie gibt Hinweise auf äußerliche Merkmale von Unbekannten anhand von DNA-Spuren. In einer Studie von 2019 wurden genetische und biometrische Daten von Uigur*innen beispielsweise verwendet, um Genvarianten zu finden, die mit Gesichtsformen zusammenhängen. Erstautor*innen sind Ziyi Xiong und Gabriela Dankova, beide angebunden an die Erasmus-Universität in Rotterdam (NL), Xiong war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung zudem am Beijing Institute of Genomics tätig. Ebenfalls Co-Autor ist der deutsche Genetiker Manfred Kayser, einer der führenden Entwickler der DNA-Phänotypisierungstechnologie und Professor an der Erasmus-Universität in Rotterdam.3 Von 858 Personen aus der „Xinjiang Uyghur Study“ ist die Rede, deren Teilnehmende alle „written consent“, also eine schriftliche Einwilligung, gegeben haben sollen. An der Studie sind, neben weiteren Forscher*innen aus China, Wissenschaftler*innen aus Europa, den USA, Australien und Südamerika beteiligt. Laut Berichten von Betroffenen vor Ort sind die Behauptungen von informierter Einwilligung der Beforschten zweifelhaft, denn für viele Menschen sei es nicht möglich, der Probenentnahme im Rahmen von obligatorischen „Gesundheitsuntersuchungen“ zu widersprechen. Abduweli Ayup, ein uigurischer Linguist, der 2013 über ein Jahr in einem Lager im westlichen Xinjiang eingesperrt wurde, berichtete gegenüber der Fachzeitschrift Nature von solchen Zwangsuntersuchen, bei denen er unterschrieben habe, er würde freiwillig an der Blutentnahme teilnehmen. „Niemand sagt ‚Nein‘“, so Ayup, selbst außerhalb des Gefängnisses, weil die Menschen Angst hätten, verhaftet zu werden._a
Kritik an wissenschaftlichen Fachzeitschriften
Ein unermüdlicher Kritiker des unethischen Umgangs mit DNA-Proben von chinesischen Minderheiten ist der belgische Informatikprofessor Yves Moreau von der Universität Leuven.5 Nachdem er 2016 mitbekam, dass in Xinjiang DNA-Profile als Teil des regulären Passregistrierungsverfahrens erstellt wurden, bot er dem chinesischen Zweig von Human Rights Watch seine Expertise an. Seitdem macht er die Redaktionen von genetischen Fachzeitschriften darauf aufmerksam, dass den Angaben zu Ethik nicht zu trauen sei, wenn chinesische Sicherheitsbehörden in die Forschung involviert sind und identifiziert entsprechende Studien. Wenn die Erfassung biometrischer Daten, einschließlich DNA- und Gesichtsscans, Teil eines Repressionssystems sei, sollten wissenschaftliche Verlage sich nicht daran beteiligen, so Moreau.
Wie Nature berichtete, fiel ihm 2022 beispielsweise eine neue Studie im Journal PLOS One zur Genetik von Tibeter*innen auf._b Ein Hinweis, dass chinesische Sicherheitskräfte an der Arbeit beteiligt gewesen sein könnten, hätte sich für Moreau unter anderem daraus ergeben, dass die im Artikel beschriebene Sammlung und Aufbewahrung von Blutproben der Proband*innen auf Referenzkarten eine verbreitete Methode bei Polizeibehörden ist. Zudem fiel ihm auf, dass der Co-Autor Atif Adnan, der zuvor in China tätig war, nun an der Naif Arab University of Security Sciences angebunden ist. Moreau forderte die in den USA ansässige Redaktion auf, die Studie zu überprüfen. Drei Monate später zog PLOS die Studie mit dem Hinweis zurück, dass die Redaktion Bedenken bezüglich der Einwilligungserklärung und der ethischen Bewilligungsverfahren hätte.6 Bis Januar 2024 waren jedoch nur 12 der 96 von Moreau kritisierten Artikel zurückgezogen worden, im Februar kamen 18 weitere hinzu.7 In den meisten Fällen steht die Entscheidung der Redaktionen noch aus – in einigen Fällen seit mehr als drei Jahren. Er habe zudem hunderte weitere Artikel gefunden, bei denen er noch aktiv werden müsste, so Moreau.
Problematische Datensätze
Neben wissenschaftlichen Fachzeitschriften steht auch die öffentliche DNA-Datenbank YHRD, die von Mitarbeitenden der Universitätsklinik Charité Berlin entwickelt wurde und die DNA-Marker auf dem Y-Chromosom für die Anwendung in der Forensik sammelt, in der Kritik. Die Datenbank wird von Ermittlungsbehörden weltweit genutzt, u.a. um die vermeintliche biogeografische Herkunft von unbekannten Verdächtigen aus DNA-Spuren zu bestimmen. Die Datenbank enthält inzwischen die genetischen Profile von rund 350.000 Menschen die 37 „Metapopulationen“ zugeordnet wurden, also Gruppen von Menschen bestimmter geografischer oder ethnischer Abstammung. Für die Unterdatenbank „China“ sind momentan Daten aus 33 veröffentlichten populationsgenetischen Studien sowie 62 Direkteingaben über die Webseite verfügbar. Unter den genannten Referenzen befinden sich auch umstrittene genetische Studien über Uigur*innen und Tibeter*innen. Bis vor kurzem lag die YHRD auf dem Server der Charité, die jedoch die Verantwortung von sich wies, denn sie würde die Datenbank zwar hosten, sie aber nicht besitzen oder betreiben.8 Im März dieses Jahres verkündeten die Betreiber der Webseite, die ehemaligen Charité-Mitarbeiter Sascha Willuweit und Lutz Roewer, den Wechsel zu einem neuen Server an, der laut den Nutzungsbedingungen der Webseite in Chicago (USA) liegt.9 Hier lässt sich auch nachlesen, dass für alle Daten, die ab Februar 2022 erhoben werden, „eine informierte Zustimmung und/oder eine spezielle Genehmigung einer anerkannten Ethikkommission“ erforderlich ist. Für ältere Daten gilt dies also nicht. Zudem löst diese Bedingung nicht das Problem der fehlenden Glaubwürdigkeit von Dokumenten von Ethikinstitutionen bei Zusammenarbeit mit chinesischen Sicherheitsbehörden.
Wenn westliche Forschende es wirklich ernst meinen mit den ethischen Standards ihrer Institutionen und den Menschenrechten, sollten sie also ganz genau hinschauen, bevor sie Datensätze von anderen verwenden und zitieren.
- 1Gonzalez, B. (10.01.2024): Thermo Fisher will no longer sell DNA kits in Tibet. In: Biometric Update. Online: www.kurzelinks.de/gid269-ba [letzter Zugriff: 02.04.24].
- 2Wee S.-L./ Mozur, P. (03.12.2019): China Uses DNA to Map Faces, With Help From the West. In: The New York Times. Online: www.kurzelinks.de/gid269-bb [letzter Zugriff: 02.04.24].
- 3Xiong, Z. et al. (2019): Novel genetic loci affecting facial shape variation in humans. In: eLife, www.doi.org/10.7554/eLife.49898.
- _aLewis, D. (24.01.2024): Unethical studies on Chinese minority groups are being retracted — but not fast enough, critics say. In: Nature 625, S.650-654, www.doi.org/10.1038/d41586-024-00170-0.
- 5Webseite von Yves Moreau: www.yvesmoreau.net [letzter Zugriff: 02.04.24].
- _bLewis, D. (24.01.2024): Unethical studies on Chinese minority groups are being retracted — but not fast enough, critics say. In: Nature 625, S.650-654, www.doi.org/10.1038/d41586-024-00170-0.
- 6Li, X. (2022): Genetic characterization of the highlander Tibetan population from Qinghai-Tibet Plateau revealed by X chromosomal STRs. In: PLOS ONE, 17(8), www.doi.org/10.1371/journal.pone.0271769.
- 7Hawkins, A. (15.02.2024): Genetics journal retracts 18 papers from China due to human rights concerns. In: The Guardian. Online: www.kurzelinks.de/gid269-bc [letzter Zugriff: 02.04.24].
- 8Schiermeier, Q. (19.07.2021): Ethisch bedenkliche Forensik-Datenbanken. In: Spektrum. Online: www.kurzelinks.de/gid269-bd [letzter Zugriff: 02.04.24].
- 9YHRD Terms, § 1.1) Description of service. Online: https://yhrd.org/pages/disclaimer [letzter Zugriff: 02.04.24].
Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.