Ein Jahr HPV-Impfung
Eine kritische Bestandsaufnahme
Vor einem Jahr beschäftigte sich ein Schwerpunkt des GID 180 mit den neuen Impfstoffen gegen zwei Typen von Humanen Papillom-Viren (HPV), die als Verursacher von Gebärmutterhalskrebs gelten. Just im selben Monat verabschiedete die Ständige Impfkommission (StIKo) in Deutschland ihre Empfehlung an die Krankenkassen, die HPV-Impfung als generelle Reihenimpfung zu etablieren. Ein Jahr später haben bereits 700.000 Mädchen mindestens eine der drei Impfdosen hinter sich.(1) Jedoch: Der Nutzen der Impfung kann bis heute nicht zweifelsfrei belegt werden. Zwei Todesfälle mit unklarer Ursache sorgten in diesem Zusammenhang für zusätzliche Irritation.
Die Einführung der HPV-Impfung hätte für die Hersteller des Impfstoffs nicht besser laufen können. Die Informations- und Lobbystrategie ist aufgegangen, denn schon lange erhofft man sich einen Impfstoff gegen das HP-Virus, um die mit diesem Virus assoziierten Krebserkrankungen zu verhindern. Nach ungewöhnlich kurzer Zeit und trotz vieler offener Fragen, wurde die Impfung in vielen Ländern zugelassen und in Deutschland von der Ständigen Impfkommission (StiKo) des Robert Koch Instituts im Februar 2007 für alle Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren empfohlen.(2) Nur kurz danach legte der Gemeinsame Bundesausschuss die Schutzimpfungs-Richtlinie vor, die den Anspruch der gesetzlich Versicherten auf empfohlene Schutzimpfungen als Pflichtleistung der Kassen festlegt. Viele Medien haben sich der euphorischen Berichterstattung der Hersteller angeschlossen. Sie übernehmen Herstelleraussagen oft ungeprüft, sprechen vereinfachend von der „Impfung gegen Krebs“ und rufen, statt neutral zu informieren, zur Impfung auf. Die Impfung der Töchter erscheint so als „Muss“ für die Eltern, um verantwortlich zu handeln. Die kritischen Stimmen wurden bisher in den meisten Medien eher weniger zur Kenntnis genommen und offene Fragen bleiben bis heute unbeantwortet. Da sich die Impfung an alle Mädchen in der Altersgruppe von 12 bis 17 Jahren richtet (ein Jahrgang entspricht in etwa 400.000 Mädchen), handelt es sich um eine Reihenimpfung. Dafür sollten die gleichen Qualitätskriterien gelten, die im Allgemeinen für Früherkennungs- beziehungsweise Screeningprogramme gefordert werden, das heißt an Planung, Entwicklung und Umsetzung der Programme müssten qualitativ hohe Anforderungen gestellt werden. Die Impfung sollte wissenschaftlich evaluiert werden, um den Nutzen und die Risiken in der breiten Anwendung zu erfassen, Ergebnisse regelmäßig veröffentlicht werden.
Übereilte Einführung?
Ebenso wichtig ist die umfassende, neutrale, verständliche und korrekte Information der Nutzerinnen. Beide Forderungen sind bisher nicht befriedigend umgesetzt. Kritiker halten deshalb die Einführung für übereilt, ohne ausreichende Diskussion von Nutzen und Risiken.(3) Auch die fehlende begleitende Forschung nach der Zulassung wird kritisiert.(4) Aktuell wirft die Meldung von mehreren Todesfällen in den USA und je einen Todesfall in Deutschland und Österreich im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung einen weiteren Schatten auf die Impfung. Nach bisherigen Untersuchungen konnte ein ursächlicher Zusammenhang nicht nachgewiesen werden. Das Paul-Ehrlich-Institut, die in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen zuständige Behörde, hält einen Zusammenhang zwischen den Todesfällen und der Impfung für sehr unwahrscheinlich. Es verweist darauf, dass es auch sonst bei jungen Menschen zu Todesfällen mit ungeklärter Ursache kommt. 2006 seien 22 Mädchen zwischen 15 und 20 Jahren aus ungeklärter Ursache gestorben. Das Arznei-Telegramm weist jedoch darauf hin, dass dies keine plötzlichen Todesfälle mit ungeklärter Ursache seien, sondern überwiegend Fälle, in denen klare Angaben zur Todesursache fehlen.(5) Aufgrund der Unklarheiten über mögliche Risiken der Impfung raten einige ExpertInnen dazu, nicht mehr weiter zu impfen, bis es mehr Daten dazu gibt. Das Paul-Ehrlich-Institut und die Europäische Arzneimittelbehörde EMEA sehen jedoch keinen Grund, die Impfung auszusetzen und bezeichnen sie weiter als sicher.
Keine Daten über tatsächlichen Nutzen
Die möglichen Risiken der Impfung müssen um so schwerwiegender angesehen werden, als es weiterhin keine veröffentlichen Daten über den tatsächlichen Nutzen der Impfung gibt. Die überall aufgeführte Zahl von 70 Prozent, um die die Erkrankungsrate an Gebärmutterhalskrebs gesenkt werden soll, ist spekulativ. Zwar können bei Gebärmutterhalskrebs in etwa 70 Prozent der Fälle im Tumorgewebe die HPV-Typen 16 und 18 nachgewiesen werden, gegen die die Impfung (zumindest für fünf Jahre) einen sehr guten Schutz bietet. Wie viele Fälle von Krebs jedoch durch die Impfung tatsächlich verhindert werden, ist unklar. Die Beobachtungsdauer in den bisherigen Studien ist zu kurz. Auch wird es schwierig sein, genaue Zahlen zu erhalten, da es sich verbietet, die Entwicklung von Krebs abzuwarten, ohne die vorher auftretenden Vorstufen zu behandeln. In den vorliegenden Studien wurde nur das Auftreten von Zellveränderungen (Dysplasie, Intraepitheliale Cervikale Neoplasie, CIN) untersucht. In diesen Krebsvorstufen werden die HPV-Typen 16 und 18 deutlich seltener nachgewiesen (in circa 20 Prozent der geringgradigen Veränderungen, in circa 55 Prozent der hochgradigen Veränderungen.(6) Wie viele dieser Zellveränderungen durch die Impfung verhindert werden können, ist nicht bekannt. Bei der Gesamtzahl der Studienteilnehmerinnen, von denen einige schon vor der Impfung eine HPV-Infektion hatten, reduzierte die Impfung die Zahl der CIN nur um etwa 17 Prozent.(7) Die entsprechende Zahl für die Studienteilnehmerinnen, die vor der Impfung keine HPV-Infektion hatten, wurde bisher nicht veröffentlicht. Dies wären die entscheidenden Daten, um den Nutzen der Impfung für Mädchen beurteilen zu können, die vor der Impfung noch keine HPV-Infektion hatten. Schätzungen gehen von einer Reduktion der Zellveränderungen um etwa 30 Prozent aus.(8)
Viele Fragen ungeklärt
Das Fazit aus den vorliegenden Daten ist, dass viele Fragen zur HPV-Impfung noch ungeklärt sind. Massive Informationskampagnen, die suggerieren, dass Gebärmutterhalskrebs eine häufige Erkrankung ist und die Impfung dringend notwendig, um eine Frau dauerhaft davor zu schützen, sind nicht haltbar. Problematisch ist auch der Eindruck, der in vielen Broschüren erweckt wird, dass durch die Impfung ein hundertprozentiger und lang andauernder Schutz vor einer Erkrankung an Gebärmutterhalskrebs besteht. Stattdessen muss die Information stärker in den Vordergrund gestellt werden, dass die HPV-Impfung keinesfalls die Früherkennungsuntersuchungen durch Pap-Abstrich überflüssig macht, und dass es wichtig ist, dass Frauen weiter daran teilnehmen. Zu befürchten ist, dass die enthusiastischen und reduzierten Aussagen über die Möglichkeiten der Impfung einen negativen Effekt auf die Nutzung der Krebsfrüherkennungsuntersuchungen haben. Mädchen und Eltern müssen auch darüber informiert werden, dass auf der Basis der bisherigen Daten nicht abgeschätzt werden kann, welchen Schutz die Impfung vor Gebärmutterhalskrebs und seinen Vorstufen bietet, und wie lange der Impfschutz anhält. Auch fehlen Langzeiterfahrungen zu den Risiken der Impfung. Die HPV-Impfung ist mit 465 Euro für die drei Impfungen innerhalb von sechs Monaten teuer. Es entstehen dadurch Kosten, die sich jährlich im Rahmen von dreistelligen Millionen- bis einstelligen Milliardenbeträgen bewegen. Auch deshalb wird eine Kosten-Nutzen-Analyse auf der Grundlage von gesicherten Erkenntnissen gefordert. Für Jugendliche selbst bleibt die Aufklärung über sinnvolle Vorsorgemaßnahmen vor sexuell übertragbare Erkrankungen unverändert wichtig.
Der Artikel wurde zuerst veröffentlicht im Profamilia magazin, 01/08, S. 8-9.
- Nach Angaben des Heidelberger Krebsexperten Harald zur Hausen auf dem Deutschen Krebskongress in Berlin (Der Standard, 21.2.08).
- „Auf Grund des großen öffentlichen Interesses“ werde diese Empfehlung „ausnahmsweise vorab veröffentlicht“, so die Mitteilung der StiKO über diese unerwartet schnelle Entscheidung („Impfung gegen humane Papillomaviren für Mädchen von 12 bis 17 Jahren – Empfehlung und Begründung“, Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch Instituts, Nr. 12, 23.3.07).
- Vgl. Ruth Ney: HPV-Impfung: Zwischen der Hoffnung auf Krebsschutz und der Sorge um die Gesundheit; Ärztezeitung 28.2.2008; „Es gibt enormen Druck, sich impfen zu lassen“, Interview mit Frauenärztin Claudia Schumann über die HPV-Impfung, in Laborjornal 11/07, S. 68-69; Erklärung des AKF (Aktionskreis Frauengesundheit), in GID 183, S.39, s.a. www.akf-info.de; „Sex ist blöd, davon kriegt man Krebs“, taz, 7.8.07.
- Vgl. Deutschlandradio Kultur 3.2.08. 11.09 Uhr: Tod durch Impfung? Wie gefährlich ist der Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs, Interview mit dem Bremer Arzneimittelforscher Gerd Glaeske
- Todesfälle in Verbindung mit HPV-Impfstoff: Kritik „entkräftet“?, Arznei-Telegramm Nr. 2/08
- Harper D.: Auswirkungen der HPV-Impfung auf das Zervixkarzinom-Screening. Frauenarzt 2007; 48:847-52
- The FUTURE II Study Group: Quadrivalent Vaccine against Human Papillomavirus to prevent high-grade cervical lesions. The New England Journal of Medicine 2007, 356:1915-27
- Harper D., a.a.O.
Helga Seyler arbeitet als Frauenärztin beim Familienplanungszentrum Hamburg.
Dr. Ines Thonke ist Ärztin beim pro familia-Bundesverband und Referentin für sexuelle und reproduktive Gesundheit
Die HPV-Impfung
In Deutschland beträgt das Risiko, im Laufe des Lebens an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, ein Prozent (Brustkrebs 10 Prozent), das Risiko, daran zu sterben 0,3 Prozent. Seit der Einführung des jährlichen Früherkennungsangebots für Frauen ab dem 20. Lebensjahr sind die Erkrankungszahlen und die Sterblichkeitsrate um etwa 70 Prozent gesunken. Public Health Experten gehen davon aus, dass diese Zahlen noch deutlich gesenkt werden könnten, wenn alle Frauen zu der Früherkennungsuntersuchung eingeladen würden und die Untersuchung mit gesicherter Qualität durchgeführt würde wie zum Beispiel in Schweden oder Großbritannien. In Deutschland nehmen etwa 50 bis 60 Prozent der Frauen das Angebot der Früherkennungsuntersuchung in Anspruch. (pro familia Magazin: 01/08, S. 8)
Die ehrenamtlichen Kommissionsmitglieder der Ständigen Impfkommission (StIKo) gerieten im Zusammenhang mit ihrer Empfehlung für die HPV-Reihenimpfung in den Verdacht, „geimpfte ExpertInnen“ (BioSkop) zu sein, also unter dem Einfluss der Hersteller des Impfstoffes zu stehen. Insbesondere fiel auf, dass der StIKo-Vorsitzende Heinz-Josef Schmitt im Juni 2006 den mit 10.000 Euro dotierten Helmut Stickl Preis erhielt – für „sein besonderes Engagement zur Förderung des Impfgedankens“. Stifter des Preises war der Hersteller des HPV-Impfstoffes Gardasil, Sanofi Pas-teur MSD. Im September 2007 legte Schmitt den StIKo-Vorstitz nieder mit der Begründung, nun für den Impfstoffhersteller Novartis Vaccines und Diagnostics tätig zu werden. Das Arznei-Telegramm forderte angesichts von „Verquickungen mit der Industrie“ eine Offenlegung der Tätigkeiten der StIKo-Mitglieder. Inzwischen finden sich auf der Homepage des Robert Koch Institutes Selbstauskünfte der Kommissionsmitglieder (BioSkop Nr. 40, Dez. 07, S. 14-15; Taz, 16.11.07; Die Welt, 15.2.08; arznei-telegramm 2007, Jg.38, Nr. 4: 33-34).
Die StIKo-Empfehlung wurde wenige Tage vor Inkrafttreten des neuen „GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes“ veröffentlicht. Seitdem müssen die Krankenkassen alle Impfungen bezahlen, die die StIKo empfiehlt. Nach Angaben des Arzneimittelforschers Gerd Glaeske machte Sanofi Pas-teur MSD seitdem mit dem Impfstoff Gardasil einen Umsatz von monatlich 25 Millionen Euro. Damit sei Gardasil derzeit das umsatzstärkste Arzneimittel auf dem deutschen Markt (Glaeske, Gerd: Umstrittene Krebs-Impfung in: Dr. med Mabuse 172, März/April 2008).
Seit September 2007 ist nun auch ein zweiter HPV-Impfstoff auf dem Markt, Cervarix von dem Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline. Interessanterweise ist er genau zum selben Preis wie Gardasil erhältlich, nämlich für 465 Euro à drei Impfungen (In den USA kostet der Impfstoff 360 Dollar). Cervarix schützt im Gegensatz zu Gardasil nur vor den HPV-Typen 16 und 18, die mit Gebärmutterhalskrebs in Verbindung gebracht werden, nicht aber vor den Typen 6 und 11, die Genitalwarzen auslösen können. Die Datenlage ist dem arznei-telegramm zufolge „noch unbefriedigender als für Gardasil“ (arznei-telegramm 2007, Jg. 38, Nr. 11: 101-103).
Aktuellen Studien zufolge gibt es folgende Nebenwirkungen beim Impfstoff Gardasil: lokale Reaktionen wie Schmerz, Rötungen, Schwellungen und Juckreiz bei 80 Prozent der Geimpften, Fieber bei 14 Prozent. In den Studien traten bei der Versuchsgruppe saisonale Allergien etwas häufiger als bei der Plazebo-Gruppe auf (2,2 Prozent gegenüber 0,4 Prozent) (The Future II Study Group, s. Fußnote 6; arznei-telegramm, 2007, Jg. 38, Nr. 6: 57-59).
In einer Phase zunehmender öffentlicher Verunsicherung über den Nutzen und die Risiken der HPV-Impfungen verbreiteten Medienberichte im März 2008, dass HP-Viren nun auch Mundhöhlenkrebs auslösten. „Oralsex kann Krebs verursachen“, titelte die Bildzeitung. Grundlage für die Medienberichte ist eine im Journal of Clinical Oncology veröffentlichte Studie von US-ForscherInnen der John Hopkins Medical Institutions. Die ForscherInnen wiesen bei 17.500 Fällen von Mundhöhlenkarzinomen eine HPV-Infektion nach, bei 28.000 Fällen jedoch nicht. Seit den 70er Jahren sei der Anteil der Fälle, die mit HPV in Verbindung gebracht werden, gestiegen, während die anderen Fälle stagnierten. Dies sei „vielleicht das Ergebnis veränderter sexueller Verhaltensweisen“, so der Forschungsbericht (Bild, 21.3.2008; Journal of Clinical Oncology, 2008; 26(4): 612-619). (Susanne Schultz)