"Innovation: Gentechnikfrei!"
Anfang November trafen sich achtzig Aktive aus den gentechnikfreien Regionen Deutschlands in Magdeburg mit Gästen aus Frankreich, Österreich und den USA. Auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), von Bioland und Greenpeace wurden Erfahrungen ausgetauscht und neue Strategien diskutiert.
Inzwischen haben wir in Kalifornien bereits in drei Kreisen Beschlüsse, in der Landwirtschaft gentechnikfrei zu bleiben. Die gentechnischen Kartoffeln und Zuckerrüben werden nicht mehr angebaut, da Ketten wie McDonald´s oder der Schokoladenhersteller Hershey´s sie als Rohstoffe nicht akzeptierten", erzählt Renate Brillinger, Koordinatorin von California for a GE-free Agriculture. Da klapperten keine Kaffeelöffel mehr, in manch einen Mundwinkel schlich sich ein kleines Lächeln. Denn ausgerechnet aus dem Mutterland der Gentechnik, den USA, erwartet kaum jemand kritische Stimmen zur Agro-Gentechnik. Drei gentechnikfreie Kreise, eine staatenübergreifende Vernetzung der Initiativen - davon ist in den deutschen Medien nichts zu lesen. Nach der erfolgreichen Kampagne von Weizenfarmern und -exporteuren gegen den gentechnisch veränderten Weizen, mobilisieren in Kalifornien nun Farmer und Verbraucher gemeinsam gegen den Anbau einer gentechnisch veränderten Reissorte. Die Aktivistin hatte aufmerksame ZuhörerInnen. Für zwei Tage waren Anfang November gut 80 Multiplikatoren aus ganz Deutschland nach Magdeburg gereist, um sich schlau zu machen, aber eben auch, um Mut für die Auseinandersetzungen der nächsten Monate zu schöpfen. Auf der Tagung "Innovation: Gentechnikfrei – wir wachsen natürlich" bekamen die Teilnehmer Hintergrundinformationen zum Gen-Mais, zum Maiswurzelbohrer und zur Machbarkeit von gentechnikfreier Fütterung. Außerdem wurden juristische Hintergründe des Gentechnikgesetzes und der gentechnikfreien Regionen beleuchtet. Gut zu wissen, dass zum Beispiel in Kalifornien nur auf zwei Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden.
Koexistenz von legal und radikal in Frankreich
Neue Einblicke in den Widerstand der französischen Nachbarn gegen den Einzug der Gentechnik auf ihren Äckern gab Philippe Bedel, Bauer und Bürgermeister der südfranzösischen Gemeinde Bax. In seiner Region haben sich Bauern, Bürgermeister und Abgeordnete zusammengeschlossen, die mit unterschiedlichen Ansätzen versuchen, Gentechnik auf den Feldern zu verhindern. Neben der radikalen Schnitterbewegung, die Gen-Felder mal heimlich, mal öffentlich angekündigt abmäht, suchen die Bürgermeister andere Wege. In Bax ist auf der gesamten Fläche der Gemeinde der Anbau von Gen-Saaten verboten. Um alle schützenswerten Flächen wird im Umkreis von drei Kilometern die Aussaat gentechnisch veränderter Samen untersagt, dazu sind die französischen Bürgermeister berechtigt. Seit drei Jahren versuchen sie, für die Verbote Formulierungen zu finden, die auch vor Gericht bestehen. Doch auch gegen den Erlass von Philippe Bedel klagte der französische Staat. Nach dem Sieg Bedels in zweiter Instanz geht der Staat nun vor dem höchsten französischen Gericht in Revision.
Take a break und balanciere Teller
Mit Tellern in der einen Hand und Presseberichten über die eigenen Aktionen in der anderen nutzen die TeilnehmerInnen den Markt der Möglichkeiten, um endlich mal zu erfahren, wie es dazu kommt, dass in Baden eine Raiffeisengenossenschaft den Gen-Mais klar ablehnt oder wo die neuen Gentechnik-kritischen Postkarten des "Bündnis für eine gentechnikfreie Landwirtschaft in Niedersachsen, Bremen und Hamburg" zu beziehen sind und - für Strategieplanung - wie mit den Ergebnissen des Erprobungsanbaus umgegangen wird. Der Tagungsort Magdeburg war bewusst gewählt: Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Bioland und Greenpeace luden nach Magdeburg ein, um am Ausgangsort des Erprobungsanbaus der Gentechnkindustrie ein Zeichen für die gentechnikfreie Landwirtschaft zu setzen. Wem es gelingt - wie den Aktiven aus Überlingen am Bodensee - 70 Bauern unter einen Hut beziehungsweise zur Unterschrift unter eine Selbstverpflichtungserklärung zu bringen, kann auch im Gedränge vor Wandzeitungen neben dem Essen diskutieren.
Neu auf der Bühne
Während in den letzten zehn Jahren vor allem Politiker, Wissenschaftler und Verbandsvertreter über Gentechnik in der Landwirtschaft diskutierten, mischen seit einem Jahr vermehrt die Bauern selbst mit. Über ihre Köpfe wird nicht mehr hinweg geredet, sondern sie diskutieren über die Chancen der gentechnikfreien Erzeugung und die für jeden Praktiker auf der Hand liegende Einsicht, dass das Nebeneinander von herkömmlicher und Gentechnik-Landwirtschaft kaum funktioniert. Über 50 gentechnikfreie Regionen werden vor allem von Bauern organisiert, die Bauern rufen auch ihre Futtermittelwerke solange an, bis diese dann teilweise doch Ware liefern, die nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet ist. Genossenschaften in Südbayern und auch ein privates Futtermittelwerk in Nordwürttemberg haben inzwischen ein umfangreiches "gentechnikfreies" Mischfutterangebot im Programm.(1) So ist seit einem Jahr eine von niemand erwartete Basisbewegung unter den Bauern in Deutschland gewachsen. Unterstützung in ihrem Unmut, der Skepsis und der klaren Ablehnung gegenüber der Agrogentechnik bekommen die Bauern von Verbänden wie AbL, Bioland oder dem BUND. Auch in Magdeburg meldeten diese sich zu Wort. Und auch aus den heiligen Hallen der europäischen Politik kamen Aktive nach Magdeburg: Gerald Lonauer arbeitet als Koordinator des "Netzwerks gentechnikfreier Regionen in Europa" in Brüssel. Aus dem Netzwerk haben sich zwölf Regionen zu einer Initiative zusammengeschlossen, die die gentechnikfreie Landwirtschaft unterstützen will (Frankreich: Aquitaine und Limousin, Spanien: Baskenland, Österreich: Burgenland, Oberösterreich und Salzburg, Griechenland: Trace-Rodopi, Deutschland: Schleswig-Holstein, Italien: Toskana und Marche, Großbritannien: Schottland und Wales).
Gentechnikgesetz sichert die Haftung nur teilweise
In die Tiefen des Gentechnikgesetzes führte Henning Strodthoff von Greenpeace. Er zog eine positive Bilanz bezüglich der jetzt im Gentechnikgesetz festgelegten Haftungsregelungen. Sie ermöglichen Bauern, Haftung einzufordern, wenn es zu einem monetären Schaden durch Verunreinigungen ihrer Ernte mit gentechnisch verändertem Material gekommen ist. Dieser Anspruch muss nicht durch einen absoluten Nachweis des Versursachers untermauert werden, da es praktisch nicht möglich ist, Pollen auf ihrem Weg von einem Feld zum anderen zu verfolgen. Im Falle einer Verunreinigung kann der geschädigte Landwirt das öffentliche Anbauregister einsehen, um herauszufinden, ob einer seiner Nachbarn entsprechende gentechnisch veränderte Sorten angebaut hat. Ist dies der Fall und der Geschädigte kann zum Beispiel nachweisen, dass er selbst gentechnikfreies Saatgut eingesetzt hat, so wird angenommen, dass besagter Nachbar mit seinen Saaten den Schaden verursacht hat. Im Juni hatte der Bundestag wenige Tage vor der entscheidenden Abstimmung noch eine kleine, aber wesentliche Veränderung des Paragrafen vorgenommen. Die Aufzählung möglicher Schadensfälle, die auf den europäischen Kennzeichnungsregeln aufbauen, wurde durch das Wort "insbesondere" eingeleitet, wodurch diese Liste als prinzipiell erweiterbar definiert wurde. So kann jetzt möglicherweise auch auf Ausgleich geklagt werden, wenn es sich zum Beispiel um eine Verunreinigung unterhalb des Grenzwerts von 0,9 Prozent handelt. Neulandbauern (2) beispielsweise, die nach den privaten Richtlinien ihres Verbandes ganz auf Gentechnik verzichten müssen, hätten so die Möglichkeit, schon bei einer geringfügigeren Kontaminierung ihrer Ernte Schadensersatz zu fordern. Was in der Bewegung sehr begrüßt wurde, sorgte bei den Anwälten Matthias Miersch und Jochen Gebauer für Stirnrunzeln. Denn beide verwiesen darauf, dass Richter bei ihrer Urteilsfindung nicht nur das Gesetz selbst berücksichtigen, sondern auch in den Protokollen der Gesetzesdebatten blättern. In einem Vorentwurf des Gentechnikgesetzes war auch für privatwirtschaftliche Vereinbarungen zwischen Bauern und ihren Abnehmern eine Entschädigung vorgesehen, wenn in den Verträgen niedrigere Grenzwerte als 0,9 Prozent festgelegt worden sind. Doch besorgt über einen angeblichen Missbrauch gewitzter Bauern wurde dieser Passus wieder herausgestrichen. Was einmal gestrichen sei, so die Anwälte, könne also nicht Absicht des Gesetzgebers sein, also bräuchten Bauern, deren Ernten eine Verunreinigung unterhalb der Kennzeichnungsschwelle aufweisen, nicht auf einen Ausgleich zu hoffen - entscheiden werden aber am Ende die Richter. Staubtrockene, aber notwendige und am Ende gar interessante Exkurse in die Tiefen des Rechtssystems, die sich stellenweise eben auch als Untiefen erweisen können...
Fazit
Mit der Gewissheit, auf der ganzen Welt Gleichgesinnte und Unterstützer zu kennen, ließ die Müdigkeit der Teilnehmer nach einem Jahr überwiegend ehrenamtlicher Arbeit etwas nach. Nur mit viel Druck können Bauern ungekennzeichnete Futtermittel kaufen und die entsprechende Nachfrage organisieren. Selbst Markenprogramme, die in der Schweinehaltung bereits auf Gen-Soja verzichten, werben gar nicht oder nur gut versteckt mit ihrer besonderen Qualität. In vielen Regionalmarken hat die Debatte über ein Verbot von Gentechnik im Anbau und der Fütterung erst begonnen. An vielen Baustellen muss weiter gewirkt werden: Nicht überall sind gentechnikfreie Regionen machbar, denn einzelne Bauern wollen nicht unterschreiben. Wie reagiert die Bewegung auf die nach wie vor fehlende Garantie für gentechnikfreies Saatgut? Wie soll mit den Rundschreiben des Bauernverbandes umgegangen werden, der seine Mitglieder impft: Ein scharfes Gentechnikgesetz mache die gentechnikfreien Regionen überflüssig und da kein Landwirt gentechnisches Saatgut ausbringe, bräuchte man die Selbstverpflichtungen gar nicht mehr...? So lautete das Fazit der Tagung: es gilt, die Strategien zu verfeinern und die Argumente weiter zu schärfen, denn im Netzwerk kommt es auf jeden einzelnen Knoten an.
Fußnoten:
- Die Liste der Futtermittelwerke, die gentechnikfreies Futter anbieten, wird momentan vom Netzwerk gentechnikfreie Landwirtschaft aktualisiert. Siehe zu diesem Thema auch den Artikel der Autorin im Gen-ethischen Informationsdienst (GID) Nr. 165, August/September 2004.
- Neuland ist ein bäuerliches Qualitätsprogramm für tiergerechte, umweltschonende und gerechte Tierhaltung (zum Beispiel: kein Importfuttermittel).
Mute Schimpf war Vorstandsmitglied des GeN und ist Food Campaigner bei Friends of the Earth Europe.