In Kürze: Gendiagnostikgesetz
Über den im Bundesgesundheitsministerium verfassten Diskussionsentwurf für ein "Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG)" vom 15.10.2004 wird derzeit in einer von Ministerien und Regierungsfraktionen gebildeten Arbeitsgruppe beraten. Der Entwurf hat daher den Status eines Arbeitspapiers. Die Vorlage des Beratungsergebnisses, der öffentliche Gesetzentwurf, ist für den laufenden Monat angekündigt. Wir haben die wichtigsten Regelungen des seit Anfang November zirkulierenden Arbeitspapiers zusammen gefasst und - in aller Kürze - einer Kritik unterzogen.
Versicherungen: "Ausgang derzeit nicht bestimmbar"
Der mit Abstand kürzeste Paragraf des Entwurfes be- fasst sich mit Gentests bei Versicherungsabschlüssen (§22). Weder vor noch nach Abschluss eines Vertrages soll die Vornahme eines Tests verlangt werden dürfen. Außerdem wird die Verwendung vorliegender Testergebnisse untersagt. Ausnahme: Lebensversicherungen mit einer Versicherungssumme von mehr als 250.000 Euro und Jahresrenten über 30.000 Euro. Zudem sollen Gentests bei bereits vorliegender Erkrankung für die Risikoberechnung verwendet werden dürfen. Obwohl die vorgesehene Regelung weitgehend dem Inhalt der bis 2011 bestehenden Selbstverpflichtung der Versicherungswirtschaft entspricht, regt sich bereits Widerspruch: Wie die Ärztezeitung in ihrer Online-Ausgabe vom 25.1.05 berichtet, wandte sich der Vorsitzende der Arbeitsgruppe "Genetische Testmethoden" des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, Achim Regenauer, gegen ein gesetzliches Verbot. "Wir stehen erst am Anfang einer faszinierenden Entwicklung, deren Ausgang derzeit nicht bestimmbar ist", so Regenauer, der zugleich Chefarzt des weltweit größten Rückversicherers Münchener Rück ist, gegenüber dem Magazin "Technology Review".
Arbeitswelt: Die Eignung testen
Gentests als Voraussetzung eines Beschäftigungsverhältnisses sollen zwar untersagt sein (§ 23); das Verbot wird aber durch eine Vielzahl von Ausnahmebestimmungen stark eingeschränkt (§§ 24 –25). So sollen Gentests "bei bestimmten gesundheitsgefährdenden Tätigkeiten" verlangt werden dürfen. Auch ist dem Arbeitgeber die Nachfrage ausdrücklich erlaubt, ob bei bereits vorgenommenen genetischen Untersuchungen "die Eignung für die vorgesehene Tätigkeit festgestellt worden ist." Diese Orientierung auf die Eignung von Arbeitnehmern entspricht Tendenzen in der Rechtssprechung: Die hessische Lehrerin, die aufgrund der Erkrankung ihres Vaters an Chorea Huntington nicht in den Schuldienst übernommen werden sollte, konnte auf dem Klageweg zwar ihre Einstellung durchsetzen.(1) Das Gericht hielt es aber für generell zulässig, die genetischen Daten von Verwandten für die Eignungsprüfung heranzuziehen. Die Frau dürfe nur deshalb nicht abgelehnt werden, weil die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung nicht groß genug sei, so die Urteilsbegründung.
Beratung ist das Zauberwort
Diagnostische Gentests bei Vorliegen einer Erkrankung dürfen nur von ÄrztInnen vorgenommen werden (§9). Prädiktive Gentests dürfen von FachärztInnen für Humangenetik oder anderen ÄrztInnen, "die sich im Rahmen des Erwerbs einer Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnung für genetische Untersuchungen qualifiziert haben", vorgenommen werden.(2) Diese etwas schwer zu fassende Gruppe ist es auch, die genetische Beratungen durchführen darf (§ 12). Sie sollen sowohl bei diagnostischen wie bei prädiktiven Tests angeboten werden. Die Beratung soll allgemein verständlich und ergebnisoffen sein, mögliche "medizinische, psychische und soziale Fragen" bezüglich eines Tests beziehungsweise seiner Unterlassung "eingehend" erörtern und "Möglichkeiten zur Unterstützung bei physischen und psychischen Belastungen der betroffenen Person" nennen. Geht es um eine behandel- oder vermeidbare Erkrankung oder Störung, von der Verwandte betroffen sein könnten, "umfasst die genetische Beratung auch die Empfehlung, diesen Verwandten eine genetische Beratung zu empfehlen."
Vorgeburtliche Untersuchungen
Der Paragraf zu pränatalen Untersuchungen macht es kurz (§17): Eine Beratung der werdenden Mutter ist grundsätzlich vorgeschrieben, wenn pränatale Gentests stattfinden sollen. Erlaubt sind die Untersuchungen aber eigentlich immer – auch wenn der Tonfall des Paragrafen impliziert, ihre Zulässigkeit würde auf spezielle Situationen beschränkt: Pränatale Gentests dürfen "nur" zu medizinischen Zwecken vorgenommen werden und "nur", um zu klären, ob genetische Eigenschaften des Fötus’ seine "Gesundheit während der Schwangerschaft oder nach der Geburt beeinträchtigen". Ausdrücklich erlaubt werden außerdem Gentests, wenn eine Behandlung des Fötus’ mit Arzneimitteln vorgesehen ist, deren Wirkung durch genetische Eigenschaften beeinflusst wird.
Genetisches Screening
Genetische Reihenuntersuchungen sollen nur für vermeid- beziehungsweise behandelbare Erkrankungen oder gesundheitliche Störungen zugelassen werden, und zwar von einer zu gründenden Gendiagnostik-Kommission (§18).(3)
Aufklärung und Einwilligung
Voraussetzung für eine genetische Untersuchung ist die schriftliche Einwilligung der Person, die sie vornehmen lässt (§ 10). Diese Einwilligung ist jederzeit widerrufbar, was die Einstellung der Untersuchung, die Vernichtung der daraus gewonnen Daten – so sie der Person nicht bereits bekannt sind – und der Probe selbst zur Folge haben muss. Vor der Einwilligung soll die betreffende Person umfassend aufgeklärt werden und "eine angemessene Bedenkzeit" bekommen (§ 11). Die Regelungen klingen gut – interessant sind wie immer die Ausnahmen und Spezialfälle. Das sind hier vor allem die Bestimmungen, bei denen es um Untersuchungen zu Forschungszwecken geht.
Untersuchungen bei Nicht-Einwilligungsfähigen
Genetische Untersuchungen bei Nicht-Einwilligungsfähigen seien nur zu medizinischen Zwecken erlaubt, heißt es einleitend in Paragraf 16. Das stimmt nicht ganz. Erlaubt sind sie nämlich nicht nur, um eine genetisch bedingte Erkrankung oder gesundheitliche Störung bei dem betreffenden Menschen zu vermeiden oder zu behandeln oder wenn eine Medikamentenbehandlung geplant ist, deren Wirkung von genetischen Eigenschaften beeinflusst wird. Plant beispielsweise ein Verwandter eine Schwangerschaft und kann auf andere Weise nicht klären, ob gesundheitliche Risiken für den Nachwuchs bestehen, ist ein Gentest bei dem Nicht-Einwilligungsfähigen zulässig (§16). Noch eklatanter verstößt Paragraf 33 gegen die behauptete Einschränkung der Zulässigkeit genetischer Tests bei Nicht-Einwilligungsfähigen auf individuelle medizinische Zwecke. Für die wissenschaftliche Forschung sind genetische Untersuchungen nämlich ebenfalls zulässig. Die Fremdnützigkeit solcher Untersuchungen wird mit einem sprachlichen Trick überdeckt: Die erwarteten Forschungsergebnisse müssten "dazu beitragen können, bei dieser Person den Ausbruch einer Erkrankung (...) zu verhindern oder zu behandeln", heißt es im Gesetzentwurf. Die betroffene Person darf zwar in keinem Fall Probenentnahme oder Untersuchung ablehnen, der gesetzliche Vertreter muss bei Gentests an Nicht-Einwilligungsfähigen immer informiert eingewilligt haben und die Untersuchung muss grundsätzlich mit "möglichst wenig Risiken und Belastungen" verbunden sein, aber die vieldiskutierte Fremdnützigkeit von Untersuchungen an Nicht-Einwilligungsfähigen ist mit den vorgesehenen Regelungen wieder auf dem Tisch.
Forschung ohne Grenzen
Der Forschung werden im Entwurf des Gentestgesetzes ohnehin Tür und Tor geöffnet. So müssen zwar genetische Proben und Daten anonymisiert beziehungsweise pseudonomysiert werden. Das bedeutet aber nur, dass die verschiedenen Angaben getrennt gespeichert werden müssen. Wenn es der Forschungszweck erfordert, dürfen die verschiedenen Angaben wieder zusammengeführt werden (§ 28). Diese Regelungen räumen populationsgenetischen Forschungen letzte Hindernisse aus dem Weg. Sogar eine Veröffentlichung von personenbezogenen genetischen Daten ist zulässig: Ist der Aufwand dafür "unverhältnismäßig", kann überdies auf eine Einwilligung der betreffenden Personen verzichtet werden (§ 32). Auch die Bestimmungen zur Einwilligung kommen Biobankern sehr entgegen. Zwar muss eine Person in die Verwendung ihrer genetischen Proben und Daten informiert eingewilligt haben und kann diese Einwilligung auch jederzeit zurückziehen. Erstmals soll aber eine Art Blankovollmacht, eine Einwilligung "allgemein zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung" gesetzlich eingeführt werden. Einwilligungen müssen außerdem nicht schriftlich erfolgen, wenn nicht näher bezeichnete "besondere Umstände" vorliegen. Doch damit nicht genug: Forscher können auf eine Zustimmung zur Verwendung bereits vorhandener genetischer Proben- und Datensammlungen verzichten, wenn deren Einholung "nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand" möglich ist. Umschnörkelt ist dieser Blankoscheck auf die Nutzung der vielen an Kliniken und Universitäten vorhandenen medizinischen Probensammlungen für die Forschung mit dem wissenschaftlichen Interesse, das "das Interesse der betroffenen Person an dem Ausschluss der genetischen Untersuchung (...) erheblich" überwiegen müsse (§ 26). Gar nicht geregelt ist die kommerzielle Nutzung potenzieller Forschungsergebnisse. Im Rahmen der Beratungen zur Umsetzung der Europäischen Patentrichtlinie in deutsches Recht war die Forderung, eine Informations- und Zustimmungsregelung für Probanden bezüglich der kommerziellen Nutzung der mit ihren Körpersubstanzen gewonnen Erkenntnisse im Patentrecht zu verankern, unter Hinweis auf das geplante Gendiagnostik-Gesetz von den Regierungsfraktionen zurückgewiesen worden. Im vorliegenden Entwurf für das Gesetz findet sich nun nicht der geringste Hinweis darauf, dass das ernst gemeint war. Probanden müssen über die ökonomischen Potenziale eines Forschungsprojektes nicht informiert werden, für das sie DNA-Proben zur Verfügung stellen. Schon gar nicht ist ihre Einwilligung in die kommerzielle Verwertung von Forschungsergebnissen vorgesehen.
Fußnoten
- Vgl. Thomas Lemke: Untersuchungen ohne Eigenschaften, in diesem Heft, S.3
- Zu den Qualifikationsproblemen von Ärzten im Zusammenhang mit genetischer Diagnostik vgl. Mechtild Schmedders: Direktive genetische Beratung durch Ärzte? in diesem Heft, S.7
- Vgl. Marina Steindor: Genetische Screenings auf dem Vormarsch? in diesem Heft, S.12
Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.