Manchmal ist gemein auch nützlich
Eine demokratische Zivilgesellschaft muss nicht brav sein
Drucksache 20/15035 – eine unscheinbare Vorgangsnummer für ein Dokument, das Ende Februar für einen kleinen Aufschrei gesorgt hat und das erhebliche Zweifel am Demokratieverständnis einer der jetzigen Regierungsparteien weckt.

"Wir sind die Brandmauer" - Proteste im Februar 2025. Foto: Stefan Müller via wikicommons.
Dahinter verbirgt sich die kleine Anfrage der CDU/CSU Fraktion vom 24. Februar 2025 mit dem Titel „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“. Darin heißt es: „Die Frage nach der politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen sorgt aktuell zunehmend für Debatten. Hintergrund sind Proteste gegen die CDU Deutschlands, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden“. Ganze 551 Fragen enthält die Anfrage – und arbeitet sich da bei an Vereinen, Organisationen und Initiativen von OMAS GEGEN RECHTS über Foodwatch bis zur Deutschen Umwelthilfe ab, darunter vor allem Akteur*innen, die nach der gemeinsamen Abstimmung des Migrationsantrags der CDU/CSU mit der AfD im Bundestag am 29. Januar vor der Erosion der Brandmauer und einer weiteren Normalisierung der extremen Rechten gewarnt und zu Protesten aufgerufen hatten.
Allein der Titel ist tendenziös: er suggeriert, Vereine seien zu politischer Neutralität verpflichtet, um einen Gemeinnützigkeitsstatus zu erhalten – aber das ist Unsinn: während sie selbst nicht zu Wahlen antreten dürfen, müssen sie weder politisch ohne Haltung sein, noch zu aktueller Politik schweigen. Der Fragenkatalog fährt in ähnlicher Manier fort, so steht dort etwa: „Inwiefern beeinflusst die Deutsche Umwelthilfe e. V. politische Entscheidungsprozesse oder Gesetzesvorhaben nach Einschätzung der Bundesregierung?“ – auch das ist gemeinnützigen Vereinen nicht untersagt. Einfluss im Sinne ihrer satzungsgemäßen Ziele und Zwecke zu nehmen, ist selbstverständlicher Teil der Arbeit von Vereinen, sie müssen dies lediglich transparent machen. Dafür gibt es das Lobbyregister. Hier müssen Vereine anmelden, wieviel Zeit sie etwa auf aktive Kontaktaufnahmen mit Abgeordneten oder ihren Büros verwendet haben. Viele Fragen der CDU/CSU zielen auf die Finanzierung der Vereine durch Bundesprogramme wie „Demokratie leben!“. Solche Programme fördern in der Regel bestimmte Projekte, nicht den Trägerverein als ganzes. Über die Mittelverwendung sind die Vereine wie bei jeder Projektförderung rechenschaftspflichtig, die verschiedenen Posten sind klar zugeordnet, Gelder können bei nicht zweckgemäßer Verwendung zurückgefordert werden. Einige der in der Anfrage genannten Initiativen sind ohnehin gar nicht gemeinnützig, die meisten Punkte nicht im Entferntesten geeignet, den Gemeinnützigkeitsstatus tatsächlich in Frage zu stellen.
Warum ist die Anfrage trotzdem gefährlich?
Die Anfrage ist auf mehreren Ebenen hoch problematisch. Zum einen ist die Methode, unliebsame Organisationen nach Demonstrationen gegen die eigene Migrationspolitik und das Abstimmungsverhalten durch eine Drohgebärde abstrafen zu wollen – zumal kurz vor einer eigenen Regierungsbeteiligung – ein fatales Signal an die Zivilgesellschaft. Gleichzeitig bedient man sich Methoden der Rechten – Anfragen dieser Art stellten die AfD-Fraktionen in Landtagen, auf Kommunal- und Kreisebene in der Vergangenheit immer wieder, um vermeintlich „linke“ Vereine in Misskredit zu bringen. Im sachsen-anhaltinischen Salzwedel wurden gar bereits bewilligte Fördermittel des Bundes für Demokratieprogramme in Höhe von 700.000 Euro wieder zurückgegeben – mit zusätzlichen Stimmen von der CDU und den Freien Wählern. Die Anfrage spielt zusätzlich mit dem Feuer, indem sie das verschwörungsideologische Bild eines vermeintlichen Schattenstaates aufruft: „Manche Stimmen sehen in den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eine Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt.“ Besonders links geprägte Vereine würden so Stimmungsmache betreiben.
Demokratie besteht aus mehr als Wahlen!
Andererseits offenbart sich in der Anfrage auch ein zutiefst defizitäres Demokratieverständnis, wenn Formulierung fallen wie die, der BUND würde sich in „politische Debatten einmischen“. Eine Demokratie besteht nicht nur aus der Möglichkeit, alle vier Jahre seine Stimme bei Wahlen abzugeben. Das Grundgesetz, das in Deutschland die Verfassung darstellt, wurde vor dem Hintergrund der Verbrechen des Nationalsozialismus geschrieben und enthält im Sinne einer wehrhaften Demokratie nicht nur Mittel und Wege für den Staat, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu unterbinden (etwa durch Parteiverbote), sondern auch Möglichkeiten der demokratischen Kontrolle von Staats- und Regierungshandeln. Neben einer unabhängigen Presse kommt auch der Zivilgesellschaft eine Kontrollfunktion zu – sie muss und kann das Handeln politischer Organe beobachten, kommentieren und durchaus auch kritisieren. Und zwar nicht nur alle vier Jahre bei den Bundestagswahlen, sondern durchgängig. Zu diesen Möglichkeiten gehört das Demonstrationsrecht ebenso wie die Organisierung in Vereinen und Verbänden. Zu Demonstrationen aufrufen dürfen letztere übrigens ebenso wie natürliche Personen.
Mit der Anfrage weckt die CDU/CSU Misstrauen gegenüber Vereinen, dabei nutzt sie Unwissen beziehungsweise Missverständnisse im öffentlichen Wissen über das Konzept der Gemeinnützigkeit aus. In Deutschland gibt es laut Bundesverband der Vereine und des Ehrenamtes über 620.000 Vereine – diese stellen den größten Teil der gemeinnützigen Organisationen in Deutschland dar. Gemeinnützigkeit wird zwar in erster Linie über das Steuerrecht bzw. die Abgabenordnung geregelt – dennoch wird der Gemeinnützigkeitsstatus von vielen als Siegel der Vertrauenswürdigkeit einer Organisation verstanden – diese in Frage zu stellen ist daher eine gezielte Diskreditierung. Gemeinnützig heißt dabei nicht, dass die Vereinsziele allen gleichermaßen dienen müssen – dafür ist in einer pluralistischen Gesellschaft viel zu umstritten, was dem Wohl der Allgemeinheit dient. In Vereinen und Verbänden organisieren sich vielmehr Partikularinteressen – oft auch konträr zueinander. Die Abgabenordnung definiert unter §52 Gemeinnützige Zwecke: von der Förderung von Wissenschaft und Forschung über Denkmal- und Naturschutz, über die Förderung des demokratischen Staatswesens Gleichberechtigung bis hin zu Sport oder Friedhofspflege, insgesamt sind es 27 Punkte, die teils mehrere Unterpunkte und Spezifikationen enthalten.
Politische Zwecke sind zwar laut Abgabenordnung von der Gemeinnützigkeit ausgenommen – allerdings ist in der juristischen Auslegung ein sehr enges Politikverständnis gemeint, ein politischer Zweck wäre demnach „der Versuch, Macht in staatlichen Gremien (Parlament, Regierung) durch Wahlen zu erhalten“ (Diefenbach-Trommer 2018:9). Gemeinnützige Vereine dürfen also nicht zu Wahlen antreten – ansonsten sind sie aber in der Wahl der Mittel, mit denen sie ihre Vereinszwecke verfolgen, relativ frei (solange sie sich im gesetzlichen Rahmen bewegen). Dazu gehört auch, sich für oder gegen die Wahl bestimmter Parteien auszusprechen. Alles andere würde auch keinen Sinn ergeben und die Vereinsziele unglaubwürdig erscheinen lassen. Warum sollte etwa ein Umweltverband einer Partei, die beispielsweise den Pestizideinsatz weniger streng regulieren will, neutral gegenüberstehen? Oder ein Behindertenverband einer Partei unkritisch begegnen, die Inklusion als Ideologieprojekt abtut? Dass Vereine Parteipolitik kommentieren, ist völlig normal. Eine weitverbreitete Praxis ist etwa die Herausgabe von Wahlprüfsteinen, in denen die Wahlprogramme mit den eigenen Forderungen bzw. Vereinszielen abgeglichen werden.
Das GeN: Gemeinnützig. Kritisch. Interdisziplinär. Und natürlich: politisch!
Das GeN wurde 1986 als Reaktion auf die rasante Entwicklung in der biotechnologischen Forschung von kritischen Wissenschaftler*innen, Journalist*innen, Politiker*innen und anderen an der Gentechnik interessierten Menschen gegründet – und kommt somit direkt aus der Gentechnik-kritischen Bewegung. Und bewegungsnah sind wir bis heute geblieben – unsere Recherchen stellen wir immer wieder im Kontext emanzipatorischer Bewegungen zur Verfügung, wir halten Redebeiträge auf Demonstrationen genauso wie wir als Sachverständige vor Gremien referieren. Für die Verfolgung unserer Vereinszwecke (entsprechend der Abgabenordnung sind das: die Förderung von Wissenschaft und Forschung; die Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsbildung einschließlich der Studentenhilfe; die Förderung des Natur- und Umweltschutzes; die Förderung der Hilfe für Menschen mit Behinderung; die Förderung von Verbraucherschutz und die Förderung der Gleichberechtigung) treten wir auch in Kontakt mit Abgeordneten. Darüber legen wir über das Lobbyregister Rechenschaft ab. Und während wir für unsere Artikel wissenschaftliche Studien lesen, Quellen mehrfach prüfen und Sachverhalte ausgewogen darstellen, gehört es ebenso zu unserer Arbeit, gesellschaftliche und politische Zusammenhänge aufzuzeigen, Gesetzesvorhaben und Beschlüsse zu kritisieren. Wissenschaft selbst ist nicht unpolitisch: zu was geforscht wird, wer Gelder erhält, wer publiziert wird – all das ist nicht neutral, sondern hart umkämpft. Das sehen wir aktuell sehr plastisch in den USA, wo die Regierung durch angedrohte Kürzungen massiv in die Freiheit von Forschung und Lehre eingreift.
Wir verstehen unsere Wissenschaftskommunikation als eine Ermöglichungsstruktur demokratischer Zivilgesellschaft: wir stellen Wissen bereit, auf dessen Grundlage Forderungen und Argumente formuliert werden können, mit denen Menschen für eine bessere Zukunft eintreten. Dazu gehört auch, Angriffe gegen die demokratische Zivilgesellschaft, als deren Teil wir uns verstehen, entschieden zurückzuweisen – egal, ob sie von der AfD oder der CDU
Jonte Lindemann ist Mitarbeiter*in des GeN und Redakteur*in des GiD.