Unabhängiger vom Wechselspiel der Politik

Seit einem Jahr setzen Bauern in gentechnikfreien Regionen in Deutschland auf eigene Lösungen. Sie misstrauen der Koexistenz zwischen herkömmlicher Landwirtschaft und einer Landwirtschaft, die Gentechnik einsetzt.

Die Initialzündung ging im November 2003 von 15 Landwirten in Mecklenburg-Vorpommern aus: In Walkendorf nördlich von Teterow (Region Warbel-Recknitz) haben sie die erste gentechnikfreie Region Deutschlands gegründet. Ein Jahr später haben sich 11.600 Landwirte in 50 Regionen gegenseitig dazu verpflichtet, in ihren Betrieben keine gentechnisch veränderten Pflanzen anzubauen. In neun von 15 Bundesländern gibt es mindestens eine gentechnikfreie Region. Alle gentechnikfreien Anbauregionen zusammen umfassen rund 430.000 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche, mit den Wald- und Schutzgebieten ergibt sich die stolze Zahl von fast einer Million Hektar. Die Akteure vor Ort kommen sowohl vom Bauernverband als auch von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) oder den Bioanbauverbänden. Die Idee gentechnikfreier Anbauregionen wird also von konventionell und biologisch wirtschaftenden Landwirten gleichermaßen getragen. Anders als gentechnikfreundliche Politiker und einschlägige Industrielobbyisten gerne glauben machen wollen, betrachten die Landwirte selber gentechnische Verunreinigungen nicht als Nischenproblem einer Minderheit, sondern als das eines ganzen Berufsstands. Dass Landwirte dazu übergegangen sind, gemeinsam mit ihren Nachbarn gentechnikfreie Regionen auszurufen, ist in erster Linie einer als unsicher empfundenen rechtlichen Situation geschuldet. Kaum ein Landwirt ist davon überzeugt, dass das von Gentechnik-Industrie und Politikern beschworene Nebeneinander einer Landwirtschaft mit und ohne Gentechnik tatsächlich funktionieren wird.

Biotech-Regionen

Unterdessen werden wohl die Proponenten der Gentechnik im nächsten Jahr versuchen, ihrer "Sache" Gesichter zu verleihen, die sich für den zu erwartenden Marketing-Feldzug eignen. Mit neidvollen Blicken schaute der Chef-Kommunikator des Erprobungsanbaus, Gerd Spelsberg von der Verbraucher Initiative, auf die Gentechnikfrei-Bewegung. So soll es vielleicht schon im nächsten Jahr Gentechnik-Regionen geben, kündigte Dr. Uwe Schrader von der Innoplanta e.V. bei der Präsentation der Ergebnisse des diesjährigen Erprobungsanbaus Ende November in Berlin an. Sein Verein hatte den Anbau zur Bestätigung der Koexistenzfähigkeit von gentechnisch verändertem Mais veranstaltet. Man darf gespannt sein, ob sich durch diese Bewegungs-Anweisung der Chef-Etage eine vergleichbare Dynamik erzeugen lässt, wie sie die Gentechnikfrei-Bewegung auszeichnet.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Gesetzliche Regelungen, die Agro-Gentechnik aus bestimmten Gebieten fernzuhalten, gibt es nicht. Keine Landesregierung, keine Kommune kann den auf ihrem Territorium ansässigen Landwirten den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen pauschal untersagen. Rechtlich möglich ist jedoch, dass eine Kommune für sich entscheidet, auf ihren Flächen gentechnisch veränderte Organismen auszuschließen und dies in ihren Pachtverträgen entsprechend festzuhalten. Genauso steht es allen Bäuerinnen und Bauern offen, sich freiwillig gegenseitig dazu zu verpflichten, auf den von ihnen bewirtschafteten Flächen kein gentechnisch verändertes Saatgut auszubringen und sich mit ihren Nachbarn auf die Einrichtung gentechnikfreier Regionen zu verständigen. Auch eine gesetzliche Absicherung gentechnikfreier Regionen existiert bisher nicht. Das heißt: Selbst wenn sich die Mehrheit der Landwirte einer Region darauf verständigt hat, keine gentechnisch veränderten Pflanzen anzubauen, eine Minderheit jedoch darauf besteht, transgenes Saatgut auszubringen oder sich wenigstens die Option auf den Anbau offen zu halten, besteht keinerlei Möglichkeit, dagegen rechtlich vorzugehen. Ob und wie eine rechtliche Sicherung erfolgen kann, wird zur Zeit auf verschiedenen Ebenen geprüft.

Offene Fragen

Wie gentechnikfrei ist eine als gentechnikfrei deklarierte Region wirklich? Freunde der Agro-Gentechnik behaupten: Gentechnikfreie Regionen seien eine Illusion, Gentechnik sei schon überall drin, der Einsatz für gentechnikfreie Regionen ein Kampf auf längst verlorenem Posten. Auch wenn klar ist, dass solche Aussagen darauf abzielen, Landwirte zu entmutigen und zu verunsichern, gibt es eine Reihe unbeantworteter Fragen:

  • Der Zugang zu gentechnikfreien Futtermitteln ist beschränkt. Die Futtermittelbranche steht im Verdacht, das Angebot gentechnikfreien Sojas künstlich zu verknappen und zu verteuern. Das Ziel: Ein Markt für gentechnikfreies Soja, auf dem verschiedene Anbieter in Konkurrenz um Qualität und Preis treten können, soll gar nicht erst entstehen, Landwirte sollen gezwungen werden, die gentechnikfreie Fütterung ihrer Tiere aufzugeben.
  • Das Reinheitsgebot für Saatgut ist nicht gesichert. Mit welchen Grenzwerten für eine zulässige, nicht kennzeichnungspflichtige GVO-Verunreinigung die neue EU-Kommission aufwartet, ist zur Zeit Kaffeesatzleserei.
  • Die Verträge der Landwirte unterliegen einer zeitlichen Befristung von zunächst einem Jahr beziehungsweise bis Ende 2004. Die meisten enthalten eine Klausel, nach der sie sich automatisch um ein weiteres Jahr verlängern, wenn sie nicht zuvor – zum Beispiel drei Monate vor Ablauf der Frist – gekündigt worden sind. Am 31. Dezember 2004 laufen viele der vor allem in Bayern getroffenen Selbstverpflichtungen aus, fraglich ist ob sich die Bauern dort auf eine Verlängerung einigen werden.
  • Die Bewegung der gentechnikfreien Regionen könnte an Schwung verlieren. So rät der Bauernverband Landwirten immer wieder davon ab, Selbstverpflichtungserklärungen einzugehen. Begründung: Das Gentechnikgesetz mit seinen strengen Haftungsregelungen mache den Anbau von Gentech-Pflanzen so unattraktiv, dass gentechnikfreie Regionen überflüssig seien.

Eine neue Gründerzeit

Jedoch: Gentechnikfreie Regionen können auch eine neue Gründerzeit erleben. Viel wird abhängen von der endgültigen Ausgestaltung des Gentechnikgesetzes: Wenn die Gute Fachliche Praxis des GVO-Anbaus nicht oder so geregelt wird, dass sie von vornherein als Farce erscheint, wenn Landwirte ihre Nachbarn nicht über den Anbau von Gentech-Pflanzen informieren müssen, wenn die im Gesetz vorgesehenen Haftungsregelungen die voraussehbaren wirtschaftlichen Schäden nicht abdecken – dann werden sich die ersten 50 gentechnikfreien Regionen über regen Zuwachs freuen können. Und ansonsten zeigt das inzwischen anderthalb Jahre währende Hickhack um das Gentechnikgesetz einmal mehr: Landwirte haben sich mit der Gründung gentechnikfreier Regionen bereits richtig entschieden und sind auch in Zukunft gut beraten, wenn sie sich vom Wechselspiel der Politik frei machen.

Erschienen in
GID-Ausgabe
167
vom Dezember 2004
Seite 28 - 29

Heike Moldenhauer arbeitet im Referat Landnutzung des BUND zu den Schwerpunkten Gentechnik und Verbraucherschutz. „Faire Nachbarschaft“ knüpft an die BUND-Aktion „Keine Gentechnik auf Kirchenland/ Keine Gentechnik auf kommunalen Flächen“ an, die ebenfalls auf die Einrichtung Gentechnik-freier Regionen zielt. Weitere Informationen zur „Fairen Nachbarschaft“ auf der Internetseite des BUND: www.faire-nachbarschaft.de.

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Gentechnikfreie Regionen in Deutschland

(Stand November 2004)

Baden-Württemberg:

Überlingen (5.000 ha), Faurndau (400 ha), Gutenzell-Hürbel (1.300 ha), Gochsheim (1.100 ha), Wolfschlugen (343 ha), Treffensbuch (500 ha), Mösbach (60 ha)

Bayern:

Freisinger Moos (2.500 ha), Roßbach-Untergrafendorf, Wolferstadt/Hagau, Thalmässimg-Offenbau, Fischbach-Schirndorf (400 ha), Unterpleichfeld (1.000 ha), Bindlach, Hohenkemnath, Erlangen-Hüttendorf (300 ha), Bad Tölz-Wolfratshausen (zusammen mit Miesbach 200.000 ha), Miesbach, Wasserburg (700 ha) Landkreis München, Vorderhaslach (500 ha), Im Landkreis Neumarkt/ Oberpfalz gibt es insgesamt 15 Regionen in den Gemeinden Neumarkt, Seubersdorf, Mühlhausen, Freystadt, Velburg, Lauterhofen, Breitenbrunn (zusammen etwa 10.000 ha), Kammeltal (4.000 ha), Schwebheim (500 ha), Hartenstein/Schmidtstadt/Happburg (1.900 ha) Landkreis Rottal/Inn

Brandenburg:

Schorfheide-Chorin (20.000 ha), Märkisch-Oderland (16.400 ha)

Hessen:

Baumbach (500 ha), Kassel

Mecklenburg-Vorpommern:

Warbel-Recknitz (10.000 ha), Nebel/Krakow am See (2.000 ha), Am Stettiner Haff (9.600 ha), Müritz Nationalpark (29.300 ha), Schaalsee (2.150 ha), Usedom (5.300 ha)

Niedersachsen:

Seeburg (500 ha), Landolfshausen (650 ha), Waake (350 ha)

Nordrhein-Westfalen:

Niederbergisches Land (1.700 ha), Merzbach-Neukirchen (400 ha)

Rheinland-Pfalz:

Böbingen (400 ha)

Sachsen-Anhalt:

Salzwedel/Arendsee (6.500ha), Rätzlingen (3.000 ha), Halle (1737 ha), Klötze (7.000 ha) Vorharz und Harz (5.000 ha)

Schleswig-Holstein:

Amt Wensin (4.000 ha)
(Heike Moldenhauer)