Selektionsmechanismen

Wissenschaft und Medien - eine soziologische Betrachtung

Aktuelle Forschung gerät nur selten ans Licht der Öffentlichkeit. Wenige Forschungsthemen dominieren das Mediengeschehen - vorgefiltert durch die Redaktionen von Zeitschriften wie Nature oder Science. Dies wirkt wiederum darauf zurück, welche Forschung als öffentlich relevant und damit förderungswürdig gilt. Für die Wissenschaftssoziologie sind solche Auswahlverfahren selbst Objekt der Forschung.

Das Verhältnis Wissenschaft und Medien ist Gegenstand zahlreicher Studien aus verschiedenen Disziplinen. Für die soziologische Betrachtung bietet sich der differenzierungstheoretische Ansatz an, der von unterschiedlichen Systemlogiken zweier gesellschaftlicher Teilsysteme ausgeht. Während wissenschaftliche Kommunikation sich gemäß der Luhmannschen Systemtheorie an der Leitdifferenz wahr/unwahr orientiert, unterscheiden die Massenmedien Informationen nach ihrem Nachrichtenwert. Wissensangebote aus der Wissenschaft zirkulieren vorrangig unter den Fachkollegen. Die Massenmedien adressieren dagegen die allgemeine Öffentlichkeit und sorgen so für eine Reichweitenvergrößerung von Informationen aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Beide Systeme beruhen auf Publizität, allerdings mit unterschiedlichem Aktualitätsanspruch und mit unterschiedlichem Publikumsbezug. Je nach Publikum ändern sich die Darstellungsanforderungen. Sie folgen spezifischen Mustern und unterliegen einem besonderen Kommunikationsstil. Wissenschaftliche Kommunikation setzt ein breites Vorwissen voraus, das ein fachspezifisches Theorien- und Methodenverständnis miteinschließt. Insbesondere die Fachsprachenterminologie steht einer Allgemeinverständlichkeit und damit der Inklusion eines breiten Publikums prinzipiell entgegen. Die Darstellung wissenschaftlichen Wissens im öffentlichen Raum erscheint demgegenüber vereinfacht, anschaulich und apodiktisch.1 Hieraus entstehen die bekannten Spannungen zwischen Wissenschaftlern und Journalisten, wenn es darum geht, wissenschaftliche Argumentationen richtig, aber zugleich auch allgemeinverständlich und unterhaltsam einem größeren Publikum zu präsentieren. Die mediale Inszenierungslogik scheint deshalb strukturell unvereinbar mit der wissenschaftlichen Präzisionslogik. In einer funktional differenzierten Gesellschaft kommt den Massenmedien jedoch eine entscheidende Bedeutung in der Prägung des öffentlichen Bewusstseins zu. Mediale Aufmerksamkeit ist für die Wissenschaft, die auf öffentliche Gelder angewiesen ist, legitimationsrelevant. So geht die Medialisierungsforschung davon aus, dass die massenmediale Thematisierung oder Nicht-Thematisierung nicht nur die gesellschaftliche Debatte über Wissenschaft prägt, sondern auch die wissenschaftliche Entwicklung selbst.2

Wissenschaft mit Nachrichtenwert

Die journalistische Themenwahl folgt speziellen Auswahlroutinen, die von Redaktion zu Redaktion, von Tageszeitung zu Wochenzeitung oder von Print zu TV variieren können. Über generelle massenmediale Konstruktionsleistungen informiert die Nachrichtenwerttheorie. Die Nachrichtenwerttheorie besagt: Je mehr Nachrichtenfaktoren (wie zum Beispiel Überraschung, Personalisierung, Kontroverse, Aktualität) zusammenfallen, desto höher der Nachrichtenwert und desto wahrscheinlicher, dass ein Thema auch ausgewählt wird. Medieninhaltsanalysen belegen eine Dominanz biologischer/medizinischer Themen in der Wissenschaftsberichterstattung. Da Gesundheit in der subjektiven Wertehierarchie einen der vordersten Plätze einnimmt, ist mit solchen Themen eine hohe Reichweite gegeben. Das biomedizinische Feld enthält darüber hinaus zahlreiche ethische Implikationen, die gesellschaftlich kontrovers verhandelt werden und mediale Anschlüsse erleichtern. Die biomedizinische Forschung ist aber auch zugleich der Wissenschaftsbereich mit dem größten Output. Gemessen am gesamten Veröffentlichungsvolumen ist es auch hier nur ein Bruchteil an aktuellen Forschungsergebnissen, der Eingang in die Medienberichterstattung findet.3 Badenschier und Wormer 4 haben auf Basis einer mehrgliedrigen empirischen Untersuchung zusätzliche Nachrichtenfaktoren vorgeschlagen, die speziell für den Wissenschaftsjournalismus gelten. Hierzu gehört im Falle der aktuellen Berichterstattung über Forschung unter anderem die wissenschaftliche Relevanz, die über den Reputationswert des betreffenden Journals konstruiert wird.

Science und Nature als Nachrichtenlieferanten

Nicht allein der Inhalt, sondern der Publikationsort wissenschaftlicher Artikel prägt somit journalistische Auswahlprozesse. Damit ist der Wissenschaftsjournalismus in seiner Themenwahl eng an wissenschaftliche Relevanzkriterien gekoppelt. Die akademische Zeitschriftenlandschaft weist in den wettbewerbsorientierten Fächern wie der Medizin oder Biologie eine deutliche Reputationshierarchie auf. Die hochrangigen Zeitschriften operieren besonders restriktiv: Die Ablehnungsquote für wissenschaftliche Manuskripte liegt bei einigen Spitzenzeitschriften bei über 90 Prozent. Wird dieser Filter passiert, wird dies auf die herausragende Qualität der Ergebnisse zurückführt und den Autoren als wissenschaftliche Leistung zugerechnet. Die Qualitätssicherung wissenschaftlicher Zeitschriften wird über das Peer-Review-Verfahren hergestellt. Redakteure beziehungsweise Herausgeber koordinieren den Begutachtungsprozess und entscheiden am Ende, welche Beiträge im Heft erscheinen, beziehungsweise vorab, welche überhaupt in das Begutachtungsverfahren eingehen. Dabei gilt die redaktionelle Entscheidungsprogrammatik als Richtschnur für die Annahme oder Ablehnung von Beiträgen. Einer besonderen Entscheidungslogik folgen hierbei die beiden großen multidisziplinären Zeitschriften Science und Nature. Mehr als zwei Drittel aller Einreichungen werden bereits auf der ersten Beurteilungsstufe abgelehnt. Die Auswahl richtet sich dabei nach hohen wissenschaftlichen Qualitätsstandards und öffentlichen Relevanzkriterien.5 Dies ist an das Versprechen gegenüber Autoren gekoppelt, für eine maximale Verbreitung der Ergebnisse zu sorgen.6 Ihre wöchentliche Erscheinungsweise bedeutet einerseits ein großes Veröffentlichungsvolumen und andererseits eine hohe Aktualität, die sie aus journalistischer Sicht zusätzlich attraktiv macht. Vor allem die mit einer Sperrfirst versehenen redaktionellen Vorabinformationen zur kommenden Ausgabe (Embargoed News) helfen der journalistischen Einordung der Forschungsergebnisse in den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext.7 So gelten Science und Nature nicht nur als die prestigeträchtigsten Journale mit hohem Impact Factor, sondern vielerorts als Nachrichtenlieferanten aus der Wissenschaft.

Professionalisierte Pressearbeit

Im Zuge der allgemeinen Öffnung von Wissenschaft hin zur Öffentlichkeit haben sich auch die Presseaktivitäten wissenschaftlicher Einrichtungen in den letzten Jahren intensiviert und professionalisiert. Die PR-Arbeit der Forschungseinrichtungen hat sich an massenmediale Relevanzkriterien angepasst, um angesichts des Wettbewerbs um begrenzte Fördermittel die öffentliche Aufmerksamkeit auf die wissenschaftlichen Leistungen zu lenken. Dies dient den Legitimationsinteressen der Organisationen, um politische Unterstützung einzufordern und Forschungsgelder einzuwerben.8 Zu unterscheiden sind hier organisationszentrierte und wissenschaftszentrierte PR. Zum häufigsten Anlass für die wissenschaftszentrierte PR von Forschungseinrichtungen im Bereich der Biomedizin gehören aktuelle Publikationen ihrer Mitarbeiter, insbesondere in hochrangigen Journalen wie Science, Nature oder Cell.9 Diese Form von Pressearbeit ist vergleichsweise häufig von Erfolg gekrönt, insbesondere, wenn es um Gesundheitsthemen geht.10 Umgekehrt zeigen Studien, dass die mediale Resonanz auf wissenschaftliche Artikel von den Presseaktivitäten wissenschaftlicher Organisationen abhängt, seien es die Pressemitteilungen von Forschungseinrichtungen 11 oder von den Journalen selbst.12 Embargoed News, so die Meinung einiger Kritiker, befördern den sogenannten Pack Journalism. Damit ist eine international gleichförmige Berichterstattung gemeint, die den Inhalt der Pressemitteilungen der Journale quasi unreflektiert übernimmt.

Die Konzentration von Aufmerksamkeit

Die Konzentration von Aufmerksamkeit auf einige wenige hochrangige Wissenschaftsjournale, allen voran Science und Nature, wird auf vier Ebenen reproduziert: Erstens in der wissenschaftsinternen Kommunikation; zweitens an der Schnittstelle von Wissenschaft und Medien durch PR-Aktivitäten der Journale und die Wissenschafts-PR der Forschungsorganisationen, drittens durch die Massenmedien, denen der Publikationsort als Qualitätsindikator für wissenschaftliche Erstinformationen dient und viertens in der externen Wissenschaftsevaluation, die wissenschaftliche Leistungen unter anderem am Impact Factor eines Journals bemisst. Reputationsgewinne und individuelle Sichtbarkeit sind damit eng an die Entscheidungsprogramme der Spitzenzeitschriften gekoppelt. Auf diese Weise wird Komplexität reduziert. Für den wissenschaftlichen Leser bedeutet ein hochselektives Entscheidungsverfahren, das auf rigider Qualitätsprüfung beruht, einen angenehmen Service, um sich in dem Dickicht an wissenschaftlichen Informationen zurechtzufinden. Für wissenschaftliche Autoren winken bei Erfolg Aufstiegschancen und Leistungszulagen. Das Impact Factor Game, an dem Autoren und Zeitschriftenherausgeber gleichermaßen teilnehmen, wird jedoch zunehmend kritisch hinterfragt. Manch einer kündigte bereits seinen Ausstieg an.13 Missmut macht sich in der Community dann breit, wenn einzelne Forschungsergebnisse eine überdurchschnittlich hohe Aufmerksamkeit erhalten, aber am Ende nicht halten, was sie versprechen. In Zeiten der Medialisierung von Wissenschaft, droht die Inflationierung des Wahrheitsmediums: Eine duale redaktionelle Programmierung an wissenschaftlichen und öffentlichen Interessen birgt die Gefahr, dass Autoren ihre Ergebnisse übertreiben, um einen der begehrten Publikationsplätze zu ergattern. Was als überraschender Durchbruch angekündigt war, stellt sich dann im Nachhinein als Irrtum oder Fälschung heraus. Die Stammzellforschung liefert hierzu einige instruktive Beispiele.14 Ob Ergebnisse tatsächlich wahr oder falsch, nützlich oder unnütz sind, stellt sich immer erst im Anschluss heraus; durch das Gutachtersystem wird nur die Plausibilität der Darstellung geprüft und nicht der Herstellungsprozess selbst. Dies bleibt Anschlussexperimenten vorbehalten. Fachzeitschriften im Unterschied zu anderen Publikationsmedien bieten Wissenschaftlern Raum für neue Thesen, die angenommen oder abgelehnt (oder auch ignoriert) werden können. Mit der Medialisierung von Wissenschaft geht einher, dass die wissenschaftsinterne Kommunikation innerhalb der Fachmedien zunehmend öffentlich beobachtet wird. Der Anteil wissenschaftlicher Themen nimmt in der Medienberichterstattung quantitativ zu 15, aber auch Fehler in der wissenschaftlichen Literatur werden publik gemacht.16 Dies hat natürlich Effekte für die Autoren und ihren Ruf, und ebenso für die betreffenden Forschungseinrichtungen und Zeitschriften. Die öffentliche Thematisierung wissenschaftlichen Fehlverhaltens berührt dabei nicht nur das externe, sondern auch das interne Vertrauen, das für die wissenschaftliche Praxis unerlässlich ist.17

Mediale Resonanzeffekte

In den Fokus publikationsethischer Diskussionen rückt neuerdings die redaktionelle Entscheidungspraxis, das heißt, die Forderung nach Transparenz des Entscheidungsprozesses und Offenlegung von Interessenkonflikten. Die Fälschungsskandale der letzten Jahre stellen akademische Zeitschriftenredaktionen vor die Herausforderung, ihre Entscheidungen stärker zu legitimieren und zukünftigen Skandalen vorzubeugen. Reflektiert wird die redaktionelle Entscheidungspraxis seit kurzem auch von Beobachtungsinstanzen jenseits der Massenmedien. Das Blog Retraction Watch beispielsweise dokumentiert seit 2010 die Widerrufe wissenschaftlicher Artikel und ihre Gründe. Tatsächlich nehmen die Widerrufe in der Forschungsliteratur in letzter Zeit zu.(18) Gemessen am gesamten wissenschaftlichen Veröffentlichungsvolumen kann man hier aber trotzdem nicht von einem weitverbreiteten Problem sprechen. Widerrufe sind im Gegenteil nach wie vor ein seltenes Phänomen. Ob die Zunahme an Widerrufen auf einen Anstieg individuellen Fehlverhaltens, eine verminderte redaktionelle Qualitätssicherung, Änderungen des redaktionspolitischen Umgangs mit Fehlern oder Replikationsproblemen oder generell auf Sichtbarkeitseffekte zurückführbar ist, bleibt noch zu klären. Eines ist jedoch unbestritten: Die Rücknahme steiler Thesen impliziert einen hohen Nachrichtenwert.

  • 1Fleck, Ludwik (1980 [1935]): Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv
  • 2Franzen, Martina; Rödder, Simone & Peter Weingart (2012): Exploring the Impact of Science Communication on Scientific Knowledge Production: An Introduction. In: Rödder, Simone; Franzen, Martina; Weingart, Peter (eds.): The Sciences' Media Connection. Public Communication and Its Repercussions. Dordrecht: Springer, S. 3-14.
  • 3Suleski, Julie; Motomu Ibaraki (2010): Scientists are talking, but mostly to each other: a quantitative analysis of research represented in mass media. Public Understanding of Science 19, S. 115-125.
  • 4Badenschier, Franziska; Wormer, Holger (2012): Issue Selection in Science Journalism: Towards a Special Theory of News Values for Science News? In: Rödder, Simone; Franzen, Martina; Weingart, Peter (eds.): The Sciences' Media Connection. Public Communication and Its Repercussions. Dordrecht: Springer, S. 59-85.
  • 5„They [die ausgewählten Papiere] should merit the recognition by the scientific community and general public provided by publication in Science, beyond that provided by specialty journals.”
  • 6Die Nature Publishing Group, die neben Nature zahlreiche weitere Zeitschriften unterhält, wirbt mit der größtmöglichen Leserschaft und einem professionellen Presseservice,“ensuring that authors receive maximum exposure for their work in the world’s most important newspapers, magazines, radio and television channels” (www.nature.com/authors/author_resources/why_publi…).
  • 7Pahl, Carola (1998): Die Bedeutung von Wissenschaftsjournalen für die Themenauswahl in den Wissenschaftsressorts deutscher Zeitungen am Beispiel medizinischer Themen. Rundfunk und Fernsehen 46, S. 243-253.
  • 8Peters, Hans Peter; Heinrichs, Harald; Jung, Arlena et al. (2008): Medialisierung der Wissenschaft als Voraussetzung ihrer Legitimierung und politischen Relevanz. In: Mayntz, Renate et al. (Hg.): Wissensproduktion und Wissenstransfer: Wissen im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Bielefeld: transcript, S. 269-292.
  • 9Kallfass, Monika (2009): Public Relations von Wissenschaftseinrichtungen - explorative Studie in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. In: Peters, Hans Peter (Hg.): Medienorientierung biomedizinischer Forscher im internationalen Vergleich. Die Schnittstelle von Wissenschaft & Journalismus und ihre politische Relevanz. Jülich: Forschungszentrum Jülich (Schriften des Forschungszentrums Jülich. Reihe Gesundheit/Health, Band 18), S. 101-176.
  • 10Ebd.
  • 11Walters, Lynne M. & T.N. Walters (1996): It Loses Something in the Translation. Syntax and Survival of Key Words in Science and Nonscience Press Releases , Science Communication 18, S.165-180.
  • 12Bartlett, Christopher; Sterne, Jonathan & Matthias Egger (2002): What is newsworthy? Longitudinal study of the reporting of medical research in two British newspapers. BMJ, 325, S. 181-184.
  • 13PLoS Medicine Editors (2006): The Impact Factor Game. PLoS Medicine 3, e291.
  • 14Franzen, Martina (2011): Breaking News: Wissenschaftliche Zeitschriften im Kampf um Aufmerksamkeit. Baden-Baden: Nomos.
  • 15Bauer, Martin (2012): Public Attention to Science 1820-2010 - A `Longue Durée Picture. In: Rödder, Simone; Franzen, Martina; Weingart, Peter (eds.) (2012): The Sciences' Media Connection. Public Communication and Its Repercussions. Sociology of the Sciences Yearbook 28, Dordrecht: Springer, S. 35-58.
  • 16ranzen, Martina; Rödder, Simone & Peter Weingart (2007): Fraud: causes and culprits as perceived by science and the media. Institutional changes, rather than individual motivations, encourage misconduct. EMBO reports 8, S. 3-7.
  • 17Van Noorden, Richard (2011): The Trouble with Retractions. Nature 478, S. 26-28.
Erschienen in
GID-Ausgabe
210
vom Februar 2012
Seite 22 - 24

Martina Franzen ist Soziologin und Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

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