"Es wurde nie gerecht geteilt"
Der südmexikanische Bundesstaat Chiapas gilt als eines der artenreichsten Gebiete der Welt. Insbesondere der Vielzahl von Heilpflanzen in den chiapanekischen Regen- und Nebelwäldern gilt das Interesse von pharmazeutischen Unternehmen und Forschungsinstituten. Die mexikanische Regierung zeigt sich hier seit Jahren kooperativ; seit 2003 fördert sie zudem die Genomforschung an diversen mexikanischen Ethnien im Rahmen des Hap-Map-Projektes. Gegen die Liberalisierungspolitik organisiert sich seit mehr als zehn Jahren Widerstand in den indigenen Gemeinden. Der GID sprach im Dezember vergangenen Jahres mit Ana Valadez, Sprecherin der Dachorganisation indigener HeilerInnen und Hebammen Compitch, über Patente und Benefit Sharing, über politische Rahmenbedingungen in Mexiko und über die Folgen biotechnologischer Forschung für die auf der Nutzung von Heilpflanzen und traditionellen Heilmethoden basierende Gesundheitsversorgung in den chiapanekischen Gemeinden.
Was ist traditionelle indigene Medizin? Wie wird sie praktiziert und wer hat Zugang zu ihr?
Das ist schwer zu beschreiben. Die traditionelle Medizin befindet sich in einer Krise. Um die Hintergründe zu erklären, muss ich ein bisschen weiter ausholen: Die traditionellen HeilerInnen waren immer und überall wie Aussätzige. Zuerst kam die Conquista, in der sie verbrannt wurden. Auf dem zentralen Platz der Stadt San Cristóbal de las Casas in Chiapas zum Beispiel wurden mehr als 300 traditionelle HeilerInnen gleichzeitig von der Inquisition verbrannt. Sie wurden wegen Hexerei verurteilt, wie so viele Heilerinnen hier in Europa. Nach diesem kolonialen Angriff blieben nicht viele HeilerInnen übrig. Dann kam das System der öffentlichen Gesundheitsversorgung, und wieder hieß es: Diese Medizin darf nicht stattfinden. Sie funktioniert nicht. Wer krank ist, muss sich in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen behandeln lassen. Aber nur die Wenigsten hatten Zugang zu diesen Einrichtungen. Das führte dazu, dass sie die traditionelle Medizin weiter benutzten. In den 80er Jahren des 20.Jahrhunderts entstand dann eine indigenistische Politik, die aber nicht nur positiv zu bewerten ist. In dieser Zeit begann die Einschränkung der öffentlichen Dienstleistungen des Staates. Die multinationalen Banken und die Weltbank machten Druck auf die Regierungen, diese Dienstleistungen zu kürzen. Man begann, nach Möglichkeiten zu suchen, die Kosten der öffentlichen Gesundheitsversorgung zu senken. Und stieß auf die traditionelle indigene Medizin. Jetzt endlich passte sie. In diesem politischen Raum entstand in Mexiko jenes staatlich geförderte indigenistische Programm mit seinen Institutionen, das unter anderem die traditionelle Medizin unterstützt. Selbstverständlich gab und gibt es beispielsweise im Staatlichen Institut für Indigene Angelegenheiten fähige Leute, die gute Arbeit machen. So gut, dass die Organisationen entstehen konnten, aus denen Compitch heute besteht. Die Organisationen sind in dieser Politik gewachsen, zwar unter der Vormundschaft des Staates, aber sie sind gewachsen. Trotz aller Organisierung bleibt aber nicht ohne Folgen, dass die traditionelle indigene Medizin die meiste Zeit klandestin überlebt hat. Weil die HeilerInnen verfolgt wurden, hat diese Heilkunst sich vielerorts in ein Geschäft verwandelt. Oft mussten die HeilerInnen ihre Gemeinden verlassen; dann gingen sie in die Städte, und dort praktizierten sie sehr teuer. Dass sie heute so gefragt sind, ist aber nicht so sehr ihrer Heilkunst geschuldet; die traditionellen HeilerInnen stehen hoch im Kurs, weil sie eine wichtige Brücke zur Biotechnologie verkörpern: Sie ermöglichen den Zugang zu den genetischen Ressourcen.
Und dagegen arbeitet Compitch?
Nicht nur. Eine unserer wichtigsten Aufgaben sehen wir darin, das indigene Gesundheitssystem wieder herzustellen. Daran arbeitet Compitch [siehe Kasten 1: Der Chiapanekische Rat der Organisationen traditioneller indigener HeilerInnen und Hebammen Compitch] seit mehr als zehn Jahren, die Mitgliedsorganisationen als einzelne schon seit mehr als zwanzig Jahren. Heute ist es nicht nur nötig, dieses System wieder aufzubauen, sondern es zu schützen. Deshalb verteidigt Compitch seit drei, vier Jahren ziemlich aktiv die traditionelle Medizin und die natürlichen Ressourcen, die mit diesem System verbunden sind. Zu unserer Arbeit gehört aber auch die Bildung, vor allem in Themenbereichen, die mit der Umweltagenda zu tun haben. Wir machen Bildungsveranstaltungen für Jugendliche, die von unseren Mitgliedsorganisationen benannt werden. Dort werden sie mit dem multilateralen Rahmen vertraut gemacht, beispielsweise mit den Vereinbarungen zum Umweltschutz in der Agenda der WTO und anderen Themen, die mit der Privatisierung von Ressourcen zu tun haben. Dabei geht es auch immer wieder um die genetischen Ressourcen, weil ihre Ausbeutung – zumindest in Mexiko – unmittelbar mit der Umwelt-Gesetzgebung zusammenhängt.
Inwiefern?
Wir haben hier in Mexiko zum Beispiel das Gesetz über die Umweltdienstleistungen, das in diesem Jahr (2004) in Kraft getreten ist. Damit wird neben vielem anderen auch die Bioprospektion gefördert. Das Gesetz verpflichtet die Bauern, der Forschung und der Bioprospektion zu biotechnologischen Zwecken Zugang zu gewähren. Das alles läuft aber unter Umweltschutz und hatte seinen Ausgangspunkt in den Regelungen zum CO2-Ausstoß in der Folge des Protokolls von Kyoto. Damit wurden die Bauern gesetzlich verpflichtet, die Wälder zu erhalten. Sie bekommen ein kleines Entgelt dafür, dass sie den Wald nicht berühren. Das hat den Verlust der Selbstversorgung, der Lebensmittelsouveränität zur Konsequenz. Mais, der so wichtig für die Lebensmittelsouveränität ist, kann nicht mehr angepflanzt werden. Und auch die Möglichkeit, Pflanzen zu medizinischen Zwecken zu benutzen, verschwindet, wenn nichts berührt werden darf.
Aber zum Zweck der Bioprospektion darf der Wald betreten werden?
Ja, seit kurzem ist das so geregelt.
In Brasilien wurde beim Ministerium für Wissenschaft und Technologie ein so genannter nationaler Entwicklungsrat angesiedelt, der für Bioprospektionsprojekte Lizenzen vergibt. Ohne eine Lizenz darf dort kein Unternehmen und keine Universität Forschungsprojekte durchführen, ob nun bei Pflanzen, Tieren oder Menschen. Gibt es etwas Vergleichbares in Mexiko?
Theoretisch wäre das das Sekretariat für Umwelt und natürliche Ressourcen. Sie müssten eigentlich jedes Projekt autorisieren. Weil es aber keine deutliche Formulierung im Gesetz gibt, die das regelt, werden nur selten Genehmigungen für einzelne Bioprospektionsprojekte beantragt beziehungsweise erteilt. Die Autorisierung findet in Mexiko eben über Gesetzgebung und öffentliche Politik statt.
Wie ist denn die Nutzung von genetischen Ressourcen in Mexiko gesetzlich geregelt?
Das ist sehr speziell. Es gibt zwei Gesetzgebungsprojekte: Das eine ist ein Gesetz, das die Interessen transnationaler Unternehmen bedient. Es macht den Weg frei für transgene Pflanzen und wird zurzeit im Senat beraten. Dass es angenommen wird, ist relativ sicher, weil die multinationalen Unternehmen wie Monsanto, Novartis, Astra Zeneca oder Syngenta sehr starken Druck ausgeübt haben. Ein weiterer Gesetzesvorschlag für den Zugang zu genetischen Ressourcen geht von einer einzelnen Partei aus und befindet sich noch im Beratungsprozess. Diese Regelung ist aber im Prinzip gar nicht mehr notwendig, weil es ja bereits das Gesetz über Umweltdienstleistungen gibt.
International, etwa in der UNESCO, wird über das sogenannte "access-and-benefit-sharing" diskutiert. Es gibt zum Beispiel den Vorschlag, einen Fond einzurichten: Wenn eine indigene Gemeinschaft einem Unternehmen zu Forschungszwecken den Zugang zu ihren Territorien erlaubt und das Unternehmen aus einer dort entdeckten Pflanze ein Medikament entwickelt, muss es einen Anteil des Umsatzes in diesen Fond zahlen. Aus dem Fond werden dann zum Beispiel Infrastruktur- oder Gesundheitsmaßnahmen in der betreffenden Gemeinde finanziert. Was sagt Compitch zu solchen Ideen?
Eine Diskussion über die Möglichkeit, für Zugangsrechte oder Ähnliches einen Preis zu verlangen, macht keinen Sinn. Für die indigenen Gemeinden existiert diese Form der monetären Entsprechung nicht. Eine Pflanze hat keinen Preis. Hinter dieser Pflanze stehen ganz andere "Werte": Der Respekt gegenüber ihrem Wachstum, das Bemühen um ihr Gedeihen. Die campesinos wissen, dass die Pflanze ein wichtiges Lebensmittel ist, das sie ernähren wird und das lebt. Und dieses Lebendige lässt sich nicht messen oder verbuchen noch kann es mit irgendeinem Prozentsatz berechnet werden. Deshalb ist diese Diskussion für uns vollkommen steril. Wenn überhaupt, dann führen wir sie in einem anderen Zusammenhang: Nicht als finanzielle Berechnung, sondern im Sinne einer historischen und politischen Rechnung. Wir können eine Liste aufstellen über alles, was multinationale Unternehmen und Forscher sich bis heute bereits angeeignet haben. Und dann werden wir sagen: Das ist das, was ihr uns schuldet. Und genau deshalb werden wir nicht mit euch verhandeln. Denn das ist der Beweis dafür, dass ihr nicht vertrauenswürdig seit. Und bevor diese Bedingungen sich nicht verändern, werden wir auch nicht über Themen wie Zugang oder Benefit Sharing verhandeln. Wenn wir jeden einzelnen Fall von Biopiraterie analysieren, sehen wir ganz schnell, dass nicht eine indigene Gemeinschaft, nicht ein Dorf, nicht eine indigene Organisation in irgendeiner Form an den "Benefits" dieser Aneignungen beteiligt worden ist. Es wurde nie gerecht geteilt. Das ist allen indigenen Völkern der Welt gemeinsam: Sie werden daran gehindert, sich aus sich selbst heraus zu entwickeln und historische Subjekte eines Prozesses zu sein. Niemand stellt den Gemeinden, die den Unternehmen Zugang zu ihren Wäldern erlauben sollen, die notwendige Gesundheitsversorgung zur Verfügung, niemand beschafft ihnen Arbeit. Niemand kümmert sich um Schutz und Pflege der Wälder und Territorien, niemand entwickelt Mechanismen, die allen sauberes Trinkwasser garantieren können – zumindest kann kein Unternehmen für sich in Anspruch nehmen, etwas in dieser Richtung getan zu haben.
In der Diskussion über medizinisch wertvolle Pflanzen und ihre Nutzung wird von Unternehmen, aber auch von der Politik immer wieder das Argument gebracht, dass viele dieser Pflanzen vielleicht bisher unbehandelbare Krankheiten heilen könnten. Ihre Erforschung sei notwendig, um die Wirkstoffe dieser Pflanzen für alle Menschen auf der Welt zugänglich zu machen. Diese Argumentation verdeckt, dass von den in Aussicht gestellten medizinischen Fortschritten nicht alle Menschen gleichermaßen profitieren, sondern dass auch im Norden der Geldbeutel des Einzelnen darüber entscheiden wird. Diskutiert ihr bei Compitch darüber, gemeinsam mit Kritikern des Medizinsystems im Norden argumentative Gegenstrategien zu entwickeln?
Die Pflanzen, um die es geht, sind nützlich, das wissen wir. Das wissen die Dörfer und Gemeinden, das wissen die traditionellen HeilerInnen. Sie sind nützlich, aber deshalb stehen sie noch lange nicht dem unbegrenzten Zugriff offen – nicht, solange der Norden sie in seinen Formen benutzt: Für Kontrollgewinn und für die Errichtung von Monopolen. Wenn die Formen des Austausches in der Zukunft einmal von Prinzipien wie der Solidarität und der Kooperation geleitet werden, stehen die natürlichen Ressourcen unserer Länder selbstverständlich allen Menschen offen, ganz klar. Dann können wir diese Reichtümer teilen und gemeinsam entwickeln. Was die Biotechnologie betrifft, ist die Diskussion in Mexiko noch nicht abgeschlossen. Compitch zum Beispiel ist gegen diese Technologien. Vor dem Hintergrund der Unsicherheiten und Risiken, die der gesamte Bereich mit sich bringt, sagen wir: Nein. Es gibt andere Formen des Heilens, die funktionieren und die die Menschen anwenden. Wir haben aber immer noch keine Form gefunden, dieses Wissen und die dazugehörigen natürlichen Ressourcen zu teilen. Wir kennen keine Wissenschaftler, für die klar ist, dass Forschung von Werten wie Kooperation und Solidarität geleitet sein muss. Hier geht es doch immer wieder nur um den größtmöglichen Profit, das sieht man ja zum Beispiel an den Patentanmeldungen im Bereich der Biotechnologie.
Gibt es Organisationen in Mexiko, die ähnlich wie Greenpeace einzelne Patentanmeldungen überprüfen und ihre Relevanz in der medizinischen oder landwirtschaftlichen Praxis analysieren und öffentlich machen?
Es gibt einen Sitz der ETC Group in Mexiko. Sie helfen uns sehr bei der Recherche von Patenten. Ich weiß nicht, wie sie das machen, aber sie wissen immer ziemlich schnell, wenn es eine neue Patentanmeldung gibt.
Weißt du, wieviele Patente ungefähr in den letzten zwei Jahren auf genetisches Material aus dem Süden von Mexiko beziehungsweise aus Chiapas angemeldet beziehungsweise genehmigt wurden?
Nein. Wir haben die Möglichkeiten nicht, so genau zu recherchieren. Der Punkt ist, dass es unterm Strich unwichtig ist, ob Patente angemeldet werden oder nicht. Patente werden aus der Verwendung von Genen gemacht. Entwicklung und Anwendung von Technologien werden patentiert; die Gene selbst sind nicht so wichtig. Der bekannte nordamerikanische Forscher Craig Venter, der Genomkartierer, war zum Beispiel bei uns und hat am Golf von Mexiko an Bakterien geforscht. Als er nach Chiapas kam, hat er sich doch wirklich hingestellt und behauptet, dass transgene Pflanzen und Hühner mit drei Flügeln den Hunger auf unserem Planeten beenden werden. Lauter so strohdumme Sätze hat er von sich gegeben, ohne die geringste Scham. Er sagte, sie hätten allein am Golf von Mexiko sechstausend Gene gefunden. Weil er weiß, dass das hier ein kontroverses Thema ist, betonte er im gleichen Atemzug, dass er nicht vorhabe, auf ein einziges dieser Gene intellektuelle Eigentumsansprüche zu erheben oder Patente anzumelden. Er wolle die Daten auf seiner Website frei zugänglich machen. Damit ist alles klar: Nur Wissenschaftler können die kommerziellen Möglichkeiten erkennen, die irgendwelche Gene bieten. Wenn du dir die Seite im Internet ansiehst, steht da nur: CGTA.. CCGG.. TGCA... Weißt du, wir sind viel pessimistischer als Greenpeace oder die ETC Group. Wir haben erlebt, wie diese Dinge vonstatten gehen, und deshalb gehen wir davon aus, dass schon seit langem alle interessanten Pflanzen und Wirkstoffe aus den Wäldern herausgeholt und in privaten Zellbanken gesammelt worden sind. Die ethnobotanischen Forschungen in Chiapas zum Beispiel laufen schon seit mindestens dreißig Jahren. Das ist alles heimlich passiert, als stiller Diebstahl. Das einzige, was fehlt, ist ein Akteur, der diesem Prozess nachträglich Legitimität verleiht. In Chiapas zumindest werden sie den aber nicht finden. Da müssen sie mit uns rechnen und mit vielen anderen Organisationen, die gegen Biopiraterie kämpfen. Denn letztendlich zerstört die biotechnologische Forschung die Lebensgrundlage der indigenen Gemeinden. Das traditionelle Getränk der Mayas, der Pozol, ist zum Beispiel seit kurzem patentiert. Er wird aus Mais gemacht und hilft bei Magen-Darm-Beschwerden, denn er reguliert den Säurehaushalt. Pozol ist aber auch die wichtigste Nahrungsquelle der armen campesinos. In Chiapas trinkt man zum Mittag Pozol. Und dieses Getränk ist jetzt patentiert. Das Patent hält eine holländische Firma. Das ist Politik, das sind nicht einfach nur private Projekte, auch wenn hinter dieser Politik die transnationalen Unternehmen warten. Deshalb glauben wir auch, dass es auf diese Weise weitergehen wird. Immer mehr rückt dabei das menschliche Genom in das Blickfeld der Forscher, die Bioprospektion am Menschen. Mit der Gründung des Institutes für Genomische Medizin (Instituto de Medicina Genomica) wurde in Mexiko mit Forschungen am Genom von 60 indigenen Völkern begonnen. Eingebunden ist das in das weltweite Forschungsprojekt zu ethnischen Variationen des menschlichen Genoms, das so genannte Hap-Map-Projekt.
Das ist jetzt geplant?
Es hat schon angefangen.
Aber hat das nicht schon vor einigen Jahren begonnen?
Nein, das ist noch nicht lange her. Die Gründung des Institutes für Genomische Medizin wurde im vergangenen Jahr (2003) im Senat beschlossen. Für dieses Jahr gibt es bereits einen verabschiedeten Haushalt für das Institut. Aufgebaut wurde das Institut zunächst mit Unterstützung der Pharmafirma Merck. Merck stiftete für die Gründung ungefähr 72.000 Dollar. Nachdem diese Summe aufgebraucht war, hatten die Betreiber des Institutes kein Geld mehr, und dann beschloss der Senat dieses Jahr den Haushaltstitel. Das erste Projekt des Institutes ist die Erforschung und Vervollständigung des mexikanischen Genoms – so nennt sich das. Das heißt im Klartext, Bioprospektion des Genoms von 60 indigenen Völkern.
Hat das Institut eine Erlaubnis für dieses Forschungsprojekt?
Das ist offizielle Politik. Die mexikanische Regierung macht das. Klar, dahinter stehen Merck und andere Unternehmen...Craig Venter zum Beispiel und das US-amerikanische Energieministerium. Dahinter stehen viele. Das ist die Realität.
Aber für so ein Projekt braucht man Teilnehmer. Könnte das nicht ein Hindernis sein für diese Forschungen?
Die Leute wissen nicht, wie solche Forschungsprozesse ablaufen. An das Material kommt man hier in Mexiko über die Institutionen der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Den Leuten wird zu diagnostischen Zwecken Blut abgenommen. Oder sie werden um eine Hautprobe gebeten, um einen Test auf Hautkrebs zu machen. Oder auf was auch immer, auf Mangelerscheinungen, auf Krankheiten der Armut. Eine andere Möglichkeit, an DNA-Proben zu kommen, ist zum Beispiel, bei der Geburt eines Kindes die Nabelschnur einzubehalten – schon hat man die Zellen des Neugeborenen. Deshalb meine ich: Die internationalen Verträge, die die informierte Zustimmung der Probanden zwingend erfordern, haben in unserer Realität keine Gültigkeit. Solche Vorgehensweisen haben sich hier in Mexiko als offizielle Politik längst durchgesetzt und niemand muss um eine Lizenz oder Autorisierung bitten. Klar: Wir versuchen, Informationen über alles zu verbreiten, was es auf diesem Gebiet gibt und was gerade vorbereitet oder durchgeführt wird. Zumindest in den Gemeinden, mit denen Compitch zusammen arbeitet, lassen sich die Leute nichts wegnehmen und sich auch nicht ein bisschen von irgendwem untersuchen, weil sie wissen, dass das die Art ist, mit der genetische Informationen gesammelt werden. Anders ist es in Gemeinden, in denen die Leute nicht informiert sind. Compitch ist sehr priviligiert, auch weil die Organisation in das ICGB-Maya-Projekt eingebunden war. Wir verfügen über viele Informationen, aber bei den Leuten, die Compitch nicht angehören, sieht das anders aus. Deshalb arbeiten wir so viel wie möglich mit anderen Organisationen zusammen, um Informationen zu verteilen und zu verbreiten. Auf dass nicht nur wir gegen diese Politik kämpfen, sondern alle. Denn dieses Thema betrifft uns alle.
Interview und Übersetzung aus dem Spanischen: Uta Wagenmann
Ana Valadez ist die Sprecherin der Dachorganisation indigener HeilerInnen und Hebammen Compitch.
Der Chiapanekische Rat der Organisationen traditioneller indigener HeilerInnen und Hebammen Compitch
Compitch (Consejo de Organizaciones de Médicos y Parteras Indígenas Tradicionales de Chiapas) wurde 1994 auf Initiative des staatlichen Nationalen Instituts für Indigene Angelegenheiten (Instituto Público Nacional Indigenista) gegründet. Inzwischen regierungsunabhängig, ist Compitch der Dachverband von 18 Organisationen, in denen ein Großteil der rund 100 000 Indígenas in Chiapas, die sich von Berufs wegen mit Heilpflanzen und traditionellem medizinischen Wissen befassen, organisiert ist. 80 Prozent der Mitglieder bei Compitch sind Frauen, viele von ihnen Hebammen, die gleichzeitig auch als traditionelle Heilerinnen arbeiten. International bekannt wurde Compitch durch seinen Widerstand gegen ein großes Bioprospektionsprojekt der US-amerikanischen International Cooperative Biodiversity Group (ICBG). Im Rahmen des so genannten ICBG-Maya-Projektes sollten in Chiapas Heilpflanzen für die Entwicklung neuer Medikamente gesammelt und beforscht werden. Beteiligt waren die US-amerikanische Universität Georgia, die mexikanische Universität ECOSUR und das britische Unternehmen Molecular Nature. Die indigenen Gemeinden sollten weder an den finanziellen noch an den eventuellen medizinischen Ergebnissen partizipieren. Auch eine Mitbestimmung der Gemeinden fand nicht statt. Compitch gelang es zusammen mit den Nichtregierungs-Organisationen RAFI und Global Exchange, die indigenen HeilerInnen und Hebammen gegen das ICBG-Maya Projekt zu mobilisieren und die Biopiraterie zu politisieren, so dass das Projekt im Herbst 2001 endgültig eingestellt werden musste.