Das neue Gentechnikgesetz
Die Bundesregierung muss ein neues Gentechnikgesetz schreiben. Europäisches Recht unter anderem die EU-Freisetzungsrichtlinie - wird in deutsches Recht übertragen. An manchen Stellen könnte Rot-Grün Spielräume der EU-Vorgaben nutzen und eigene Vorstellungen in die Novellierung einbringen. Fragen zur Haftung oder zum Monitoring jedoch sind zwischen den Regierungslagern sehr umstritten.
Die Überführung der Freisetzungsrichtlinie der Europäischen Union (EU) in nationales Recht ist der aktuelle Hintergrund für das neue deutsche Gentechnikgesetz, das derzeit in Berlin verhandelt wird. Die Kommission hatte im Sommer schon ein Verfahren wegen Nicht-Umsetzung in die Wege geleitet, weil die Umsetzung in Deutschland und elf anderen Ländern nicht voran ging. Frau Künast, als Verbraucherministerin federführend beim laufenden Prozess, hat erst Ende September bei der Sitzung des EU-Agrarrates in Brüssel noch einmal deutlich gemacht, dass ihr zum Beispiel die Saatgut-Produktion besonders am Herzen liegt und sie sich vorstellen könnte, diese in Zonen zu verlegen, in denen jeglicher Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen verboten sein sollte. Die Ministerin wendet sich damit klar gegen die EU-Kommission, die erst vor Monatsfrist eben dieses Anliegen der Regierung des österreichischen Bundeslandes Oberösterreich abgelehnt hatte. Politisch ist ihre Position in der Koalition und auf Seiten der Biotechnologie-Industrie nicht unumstritten. Das Beispiel zeigt deutlich, wo die Probleme bei der Novellierung des Gentechnikgesetzes liegen: Nicht jeder Landwirt wird in Zukunft nach seinem eigenen Willen problemlos Saatgut-Entwickler oder -Vermehrer sein können, wenn die gentechnisch veränderte Saat erst einmal in großem Stil - kommerziell - angebaut wird.
Forderungen der NGOs
Von Seiten der Nichtregierungsorganisationen aus den Bereichen Umwelt- und Naturschutz sowie KonsumentInnenschutz stehen bei der Novellierung des Gentechnikgesetzes folgende Punkte auf der Prioritätenliste:
- Das Ziel des Gesetzes muss die Sicherstellung der Unversehrtheit von Mensch und Umwelt sein. Ebenso müssen die landwirtschaftlichen Anbauformen, die keine Gentechnik einsetzen, in ihrer Existenz geschützt werden. Dem Vorsorgeprinzip muss dabei weitestgehend gefolgt werden. Im alten Gentechnikgesetz (GenTG) ist die "Förderung der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gentechnik" noch als Ziel formuliert, dieses muss gestrichen werden.
-Transparenz ist von entscheidender Wichtigkeit. Dies gilt insbesondere für die Veröffentlichung der Daten zu den gentechnisch veränderten Organismen, die im Versuch freigesetzt oder kommerziell auf den europäischen Markt gebracht werden sollen. Datenbank-gestützten Internetportalen muss dabei eine zentrale Rolle zukommen. Die Bereitstellung der Daten hat zeitnah und umfassend zu sein, dies muss auch für die Antragsunterlagen derjenigen gentechnisch veränderten Organismen (GVO) gelten, die noch im Verfahren sind. Nur so können Bürgerinnen und Bürger ihren demokratischen Rechten nachkommen. Im Übrigen ist der Tendenz vorzuschützen, die seit mehreren Jahren in den USA immer häufiger zu beobachten ist: Dies ist die Nicht-Veröffentlichung von zentralen Daten der GVO, zum Beispiel ist bei mehr als zwei Dritteln der Freisetzungsveruche in den USA, die im vergangenen Jahr angemeldet wurden, nicht bekannt, welches neue Gen in den Organismus eingeführt wurde. Aus Wettbewerbsgründen werden sie geheim gehalten. Auch in Deutschland genehmigte das Robert Koch Institut in diesem Jahr erstmalig einen Antrag auf Freisetzung, ohne das neue Gen bekannt gemacht zu haben. Neben den Daten, die unmittelbar den Organismus beschreiben, müssen auch Entscheidungen transparent gemacht werden: Welche der beteiligten - deutschen - Institutionen hat in einer Sache welche Ansicht vertreten oder Einschätzung abgegeben. Das Anbauregister, dessen Einrichtung sich aus der neuen Freisetzungsrichtlinie der Europäischen Union ergibt, muss vollständig öffentlich und kostenlos nutzbar sein. Eine Internet-Plattform bietet sich hier an.
- Klare Koexistenzregeln für das Nebeneinander von Gentech-freier und Gentechnik-verwendender Landwirtschaft müssen im Gesetz verankert werden. Nachdem schon auf europäischer Ebene die Gelegenheit verpasst wurde, diese Regeln in einer rechtlich bindenden Form zu verankern, um so eine - auch ökonomisch sinnvolle - einheitliche Regelung in ganz Europa zu gewährleisten, muss es zuverlässige Regelungen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geben. Das Ziel einer harmonisierten Lösung bleibt bestehen und sollte von der Bundesregierung auch in Zukunft verfolgt werden. Als Vorbild für einen gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für den Anbau von GVO könnte die EU-Öko-Verordnung gelten. Vergleichbar detailliert sollten Regeln für die Gentech-Landwirtschaft erlassen werden. Klar sein muss: Die Koexistenzmaßnahmen müssen zu Lasten der VerwenderInnen der Gentech-Sorten gehen. Sie müssen den hundertprozentigen Schutz der Gentech-freien Landwirtschaft gewährleisten, ansonsten darf es in Deutschland nicht zu einem kommerziellen Anbau kommen.
- Die Klärung von Haftungsfragen schließt sich nahtlos an die Einführung von Koexistenzmaßnahmen an: Sollten die vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz der Gentechnik-freien Landwirtschaft nicht greifen, ist von entscheidender Wichtigkeit, dass die betroffenen Bäuerinnen und Bauern ohne großen Aufwand entschädigt werden können. Neben anderen Möglichkeiten, ist auch die Bildung von Ausgleichs-Fonds zu prüfen. In diese müssten VerwenderInnen und AnbieterInnen der gentechnisch veränderten Sorten einzahlen, Geschädigte könnten hier ihren Ausgleich einfordern, Auseinandersetzungen "auf den Dörfern" könnten so weitgehend verhindert werden. Auch die Haftung für Schäden an der Umwelt muss geklärt werden.
- Dem Monitoring kommt in den nächsten Jahren eine entscheidende Rolle zu. Derzeit ist über die Wirkungen der Gentechnologie noch so wenig bekannt, dass eine umfassende Überprüfung ihrer Wirkungen notwendig ist. Eine Beschränkung auf die landwirtschaftlichen Flächen reicht nicht aus, da es - je nach angebauter Sorte - unterschiedliches Potential gibt, mit dem die neuen Sorten auch in der Umgebung wirken können.
- Sowohl bei der Zulassung als auch beim Monitoring muss besonders beachtet werden, dass verschiedene gentechnisch veränderte Organismen miteinander in Wechselwirkung treten (können); darüber ist bisher noch wenig bekannt. Die derzeitige Antragspraxis, in der neben einzelnen Sorten und Linien von GVO gleichzeitig die Kreuzungen beantragt und genehmigt werden, muss revidiert werden. Jeder einzelne GVO muss ein eigenes Anmeldungsverfahren durchlaufen und auf mögliche, nicht gewünschte Wirkungen überprüft werden.
- Es ist von entscheidender Wichtigkeit, dass den Behörden aus dem Bereich Umwelt- und Naturschutz klare und weit reichende Kompetenzen zugeschrieben werden. Das Bundesamt für Naturschutz muss im Zulassungverfahren für neue GVO Einvernehmensbehörde werden und muss die Federführung für das Anbau-begleitende Monitoring übernehmen, nur so kann gewährleistet werden, dass der nötige Sachverstand in die Verfahren und Beurteilungen integriert ist.
Ministerien sind zerstritten
Die Entwicklung eines neuen Gentechnikgesetzes stellt die Bundesregierung vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten: Die qua Amt an der Vorlage eines Entwurfes beteiligten BundesministerInnen Renate Künast (VerbraucherInnen), Wolfgang Clement (Wirtschaft) und Edelgard Bulmahn (Forschung) werden nicht müde, ihre unterschiedlichen Meinungen über die Presse zu verbreiten. Frau Künast hat in dieser Sache die Federführung inne. Frau Bulmahn und Herr Clement (beide SPD) torpedierten in der jüngeren Vergangenheit den ihnen bereits vorliegenden und noch nicht offiziell veröffentlichten Entwurf des Gentechnik-Gesetzes indirekt über die Medien. Dabei führen sie vor allem Wirtschaftsargumente an, die ihrer Meinung nach zu einer möglichst "unbürokratischen" Regelung der Gentechnik führen soll und die Betreiber der Gentechnik finanziell so wenig wie möglich belasten soll. Nach den beiden MinisterInnen und ihren MitarbeiterInnen werden noch andere an der Gesetzgebung beteiligte Kreise Gelegenheit dazu haben, im Rahmen der weiteren Verhandlungen den aktuellen Entwurf in seine Einzelteile aufzulösen und Bestandteile des Verbraucherschutzes herauszuschneiden: Dies sind in ungefährer Reihenfolge: (1) die bereits genannten Bundesministerien für Verbraucherschutz, Wirtschaft und Forschung, (2) das Kabinett, (3) die Fraktionen der Koalition, (4) der Bundestag, (5) gesellschaftliche Verbände im Rahmen einer Anhörung und (6) zu guter Letzt der Bundesrat. Angesichts der Bandbreite der Interessen ist mit heftigen Diskussionen zu rechnen. Es gibt inzwischen nur noch wenig Beteiligte, die mit einer Vorlage des Gentechnik-Gesetzes bis zum Ende dieses Jahres rechnen.