Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs?

In einer großen Marketingkampagne zu dem neuen, gentechnisch hergestellten Impfstoff Gardasil verspricht der herstellende Pharmakonzern Sanofi Pasteur MSD Schutz vor Gebärmutterhalskrebs. Die Hoffnungen sind groß. Unabhängige Informationen dazu sind hingegen trotz einer Flut von Artikeln ebenso rar wie evidenzbasierte Daten über die Langzeitwirkung der neuen Impfung.

Zurzeit werden Frauen auf die Impfung gegen Humane Papilloma Viren (HP-Viren oder HPV) aufmerksam gemacht. Viele versprechen sich einen wirklichen Fortschritt von dieser Möglichkeit, dem Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom) vorzubeugen. Auf Fakten beruhende, unabhängige Information ist für Patientinnen und Patienten hilfreich und notwendig, über die neue Impfung gibt es jedoch bisher keine evidenzbasierten Daten. Die folgenden Informationen beruhen in weiten Teilen auf den Informationen, die von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMEA) als Grundlage der Zulassung angegeben werden.(1)

HPV und Gebärmutterhalskrebs

Gebärmutterhalskrebs ist eine sexuell übertragbare Erkrankung. Das ist seit 1973 bekannt. 95 Prozent der Gebärmutterhalskrebserkrankungen werden mit Humanen Papilloma Viren in Verbindung gebracht. Über 70 Prozent aller Frauen infizieren sich im Laufe ihres Lebens mit diesen HP-Viren. 80 Prozent der Infektionen bleiben unauffällig und heilen meist ohne Therapie ab. Von 60 infizierten Frauen haben 59 die Infektion nach einem Jahr besiegt.(2) Andere Quellen geben an, dass 60 bis 90 Prozent der HPV-Infektionen nach einem Jahr nicht mehr nachweisbar sind. Nur 1 Prozent der mit diesen Viren infizierten Frauen erkrankt an Gebärmutterhalskrebs.(3) Eine bleibende (persistierende) Infektion mit bestimmten Stämmen der HPV, insbesondere den Typen 16,18,31,33,35,45,52 und 58, kann zu Veränderungen der Schleimhautzellen des Gebärmutterhalses führen. Mit einer Latenz von 10 bis 15 Jahren können solche veränderten Zellen sich zu Vorstadien eines Gebärmutterhalskrebses entwickeln und letztendlich zu Gebärmutterhalskrebs führen (4). Bleibende Infektionen sind eher bei Frauen zu beobachten, die das 30. Lebensjahr überschritten haben. Raucherinnen sind besonders gefährdet.(5) Kondome sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht HP-Viren durchlässig. Da aber HPV Infektionen im Gegensatz zu anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen nicht nur über die Samenflüssigkeit, sondern auch durch Hautkontakt übertragen werden, schützen Kondome nicht so umfassend vor HPV Infektionen wie etwa vor Gonorrhoe oder Chlamydien (Petry, persönliche Kommunikation 06).

Häufigkeit von Gebärmutterhalskrebs

Das Lebenszeitrisiko - also die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau im Laufe ihres Lebens an Gebärmutterhalskrebs erkrankt – beträgt in den sogenannten Entwicklungsländern 3 Prozent, in den Industrieländern 1,1 Prozent.(6) Auch innerhalb Europas unterscheiden sich das Vorkommen und die Sterblichkeitsrate sehr. Während die altersstandardisierte Rate in Osteuropa bei 14,5 und die Sterblichkeit bei 7,1 auf 100.000 Frauen liegt, beträgt sie in Westeuropa 10,0 und 3,4.(7)

PAP-Abstrich zur Krebsfrüherkennung

Durch einen so genannten PAP-Abstrich können Zellunregelmäßigkeiten in der Schleimhaut des Gebärmutterhalses frühzeitig erkannt und in der Folge behandelt werden. Sozial benachteiligte Frauen werden von diesem Angebot der Vorsorge- und Krebsfrüherkennung jedoch schlecht erreicht. Frauen ohne Zugang zu den medizinischen Einrichtungen - das sind Frauen der bildungsfernen Schichten, häufig auch Migrantinnen - bleiben viele Jahre ohne systematische Krebsfrüherkennung oder nehmen nie eine in Anspruch. Verständliche Information und gezielte gesundheitspolitische Interventionen sind nötig, um auch diese Frauen durch regelmäßige PAP-Abstriche vor Gebärmutterhalskrebs zu schützen.

HPV-Impfung

HP-Viren entwickeln sich (siehe oben) in den meisten Fällen zurück. Sie können aber auch bleibende Zellveränderungen verursachen. Durch einen rechtzeitigen PAP-Abstrich werden diese erkannt und können behandelt werden, bevor sich Gebärmutterhalskrebs entwickelt. Die neue Impfung setzt früher an und verhindert die Infektion mit bestimmten sogenannten high risk Viren. Derzeit ist ein tetravalenter Impfstoff gegen die vier HP-Viren 6, 11, 16, 18 auf dem Markt: Gardasil, von Sanofi Pasteur MSD/Merck. Dieser verhinderte im Phase III Test 100 Prozent der mit den HPV-Typen 16 und 18 in Zusammenhang gebrachten Vorstadien des Gebärmutterhalskrebses und der bedrohlichen (invasiven) Frühformen des Gebärmutterhalskrebses (CIN II/III und AIS) sowie 90 Prozent der Genitalwarzen, die durch HPV 6 und 11 übertragen werden.(8). Ein zweiter Impfstoff der Firma GlaxoSmithCline, der gegen die HP-Viren 16 und 18 wirkt, soll im Frühjahr 2007 zugelassen werden.

Kosten, Finanzierung und Marketing-Methoden

Die einzelne Dosis einer HPV-Impfung kostet derzeit in Österreich (November 2006) 208,- Euro. Da die Impfung dreimal verabreicht werden muss, entstehen insgesamt Kosten von 624,- Euro. Wenn der zweite Impfstoff auf dem Markt ist, werden die Kosten nach Meinung der ExpertInnen um 100,- Euro sinken. In den USA kostet die Impfung insgesamt nur 280,- Euro. Es bestehen erhebliche Gewinnspannen (9), wie auch der Gesamtpreis von 465,- Euro in Deutschland zeigt.(10) Ob und wie oft eine Auffrischimpfung erforderlich wird, ist bisher unklar – die weiteren Kosten somit ebenfalls. Die Krankenkassen sind daher vorerst zurückhaltend mit einer Finanzierung dieser Impfung. Dies ist durchaus im Interesse der Konsumentinnen und Konsumenten. Sie wünschen zuverlässige und wirksame Impfstoffe, deren möglicher Nutzen einen möglichen Schaden überwiegt. Die HPV-Impfung ist erst relativ kurz auf dem Markt. Evidenzbasierte Daten sowie Langzeitstudien fehlen noch. ExpertInnen trauen dem Mittel Spitzenumsätze von 1,57 Milliarden Euro zu.(11) Die in den Medien sehr intensiv propagierten Informationen zum Impfstoff beruhen auf einseitigen Angaben des Herstellers. LeserInnenbriefe mit dem Tenor: "Wir verzichten auf Weihnachtsgeschenke, um uns die Impfung der Tochter leisten zu können", könnten auch auf Marketing-Methoden der Pharmaindustrie beruhen. Dies war in anderen, ähnlichen Fällen nachweisbar.

Datengrundlagen für eine Impfung

Die bisherigen vier Studien, auf denen die Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMEA) beruht, beziehen sich auf 20.541 Frauen in einem Zeitraum von maximal vier Jahren. Wie lange der Impfschutz anhält, ist noch völlig ungewiss. Langzeitstudien zu diesem gentechnisch hergestellten Impfstoff aus inaktiven Zellen fehlen noch. Aufgrund der kurzen Zeit, die dieser Impfstoff in Verwendung ist, kann noch nicht abgeschätzt werden, welche Folgewirkungen er hat. Sollte es eine relativ sichere Impfung sein – was zu hoffen ist - dann wird mit einem Impfzwischenfall bei 10.000 Verabreichungen gerechnet. MedDra (Medical Dictionary for Regulatory Activities) stuft dies als "sehr selten" ein. Die Impfung selbst war unmittelbar gut verträglich. Es kam aber in den vier Jahren zu einzelnen Fällen unspezifischer Arthritis in der geimpften Gruppe. Es kann nicht vorhergesehen werden, ob sich durch eine Durchimpfung der weiblichen Bevölkerung mit dem tetravalenten Impfstoff (vier inaktive Stämme der HPV werden geimpft), die Aggressivität der anderen Humanpapilloma Viren (Virulenz) verändert. Diese bisher ungefährlichen Viren-Stämme könnten dann eine Krebserkrankung anregen.(12)

Wirksamkeit

Insgesamt wirkt der Impfstoff nur bei 70 Prozent der Virenstämme, die Gebärmutterhalskrebs verursachen, bei 30 Prozent dieser Viren wirkt er nicht. Gegen die HP-Viren-Typen 16 und 18 wirkt die Impfung bis zu 100 Prozent, nur machen 16 und 18 eben nur 70 Prozent der Gebärmutterhalskrebs verursachenden Viren aus.

Zeitpunkt und Zielgruppen der Impfung

Die erste Impfung sollte vor einer HPV Infektion erfolgen, also vor Aufnahme des Geschlechtsverkehrs, etwa im Alter von 12 bis 13 Jahren. Laut der Europäischen Arzneimittelbehörde (13) wirkt der Impfstoff nicht bei Frauen, die schon infiziert sind. Das sind allerdings 60 Prozent der Frauen fünf Jahre nach dem ersten Geschlechtsverkehr. Die durchgeführten Studien beziehen sich auf Frauen im Alter zwischen 16 und 26 Jahren. Aus dieser Studienpopulation wird auf die Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Kindern und Jugendlichen geschlossen. Darin liegt ein Problem. In den letzten Jahren wird von ExpertInnen immer öfter darauf hingewiesen, dass an Kindern zu wenige Arzneimittelstudien erfolgen, um die Arzneimittelsicherheit in dieser Altersgruppe zu gewährleisten. Ein weiteres Problem besteht darin: In den durchgeführten Studien waren die Studienteilnehmerinnen in einem Alter, in dem die HPV-Infektion noch häufig ohne Therapie ausheilt, also eine Selbstheilungstendenz aufweist. Damit wäre bei vielen dieser Frauen auch ohne Impfung das Virus nach einem kurzen Zeitraum nicht mehr nachzuweisen – und zwar sowohl bei der geimpften wie auch der nicht geimpften Gruppe. Diese Wirkung würde dem natürlichen Verlauf der HPV Infektion entsprechen, sich in den meisten Fällen zurückzubilden. Wäre diese Annahme zutreffend, spräche dies eben nur zum Teil für die Wirksamkeit des Impfstoffs. Auch in der natürlichen, langsamen Entwicklung der Infektion liegt ein Problem: Bisher wurde nicht überprüft, ob die geimpften Frauen tatsächlich keinen Krebs bekommen. Denn dazu müssten die Studien jahrzehntelang durchgeführt werden. Die jetzigen Studien haben nur das Vorkommen von Viren und Zellveränderungen überprüft, also die Wirksamkeit anhand eines sogenannten Surrogat Parameters getestet. HPV-Infektionen können Zellveränderungen verursachen, die zu Gebärmutterhalskrebs führen, müssen aber nicht, da sie sich, wie gesagt, in den meisten Fällen zurückentwickeln. Die neue Impfung hat das Potenzial, das HPV-spezifische Vorkommen von Gebärmutterhalskrebs bedeutsam zu senken. Die Durchimpfungsrate muss nach derzeitiger Meinung von ExpertInnen zumindest 66 Prozent betragen. Aus der Sicht der Frauengesundheit bleibt offen, warum sich die Impfung gegen diese sexuell übertragbare Erkrankung alleine auf Mädchen und Frauen konzentriert. Die Immunogenität (Fähigkeit zur Auslösung einer Immunantwort) wurde auch an jungen Männern nachgewiesen, der Impfstoff ist auch für diese zugelassen. HP-Viren werden von beiden Geschlechtern übertragen. Es bleibt offen, warum die Medien fast ausschließlich auf die Impfung von Mädchen und Frauen fokussieren.
Vorliegender Artikel ist eine gekürzte Version der Stellungnahme des Frauengesundheitszentrums, Graz, Österreich zur HPV-Impfung. Der Originaltitel lautet: "Neue HPV-Impfung beugt Gebärmutterhalskrebs vor. Können wir uns freuen?". Der vollständige Text ist abzurufen auf den Internetseiten des Frauengesundheitszentrums unter www.fgz.co.at. Das Frauengesundheitszentrum ist ein unabhängiger gemeinnütziger Verein, der sich durch Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, Projekte| und Kampagnen für verbesserte Gesundheitschancen von Frauen einsetzt.

  1. Europäische Arzneimittelbehörde (EMEA), www.emea.europa.eu/humandocs/Humans/EPAR/gardasil…
  2. Kaufmann Andreas, Charité Berlin, zit. nach Tages Anzeiger, 15. März 2006, S.36: Junge Mädchen gegen Krebs impfen
  3. Gissmann Lutz, Leiter der Abteilung Genomveränderungen und Carcinogenese am Deutschen Krebsforschungszentrum zit. in: Der erste Impfstoff gegen Krebs. Deutsches Ärzteblatt 103, 31-32, 7. August 2006, S. 1741-1743
  4. Roden Richard. How will HPV vaccines affect cervical cancer? Nature Reviews Cancer 6, 753-763, Oktober 2006, S. 753-763
  5. Gunnell Anthony S.: Synergy between Cigarette Smoking and Human Papillomavirus Type 16 in Cervical Cancer In situ Development Cancer Epidemiology Biomarkers & Prevention Vol. 15, 2141-2147, November 2006 (http://cebp.aacrjournals.org/cgi/content/abstract…)
  6. Parkin D.M., Pisani P., Ferlay J.: Global cancer statistics, CA Cancer J. Clin 1999; 49: 33-64
  7. Die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken ist in höherem Alter größer als in jungen Jahren, daher käme es in einer Bevölkerung, in der es einen hohen Anteil an jungen Menschen gibt gegenüber einer Bevölkerung mit einem hohen Anteil an älteren Menschen, zu einer Unterschätzung der Krebshäufigkeiten. Daher muss altersstandardisiert werden, was rechnerisch diese Unterschiede ausgleicht.
  8. Villa Luisa L.: Immunologic responses following administration of vaccine targeting human papillomavirus Types 6,11,16, und 18. Vaccine 24, 2006, S. 5571-5583
  9. British Medical Journal (BMJ) 333, 15.Juli 2006, S. 114: CDC recommends expensive vaccine for girls aged 11-12
  10. Kleine Zeitung 18. 11.2006, S. 16: Apotheker fürchten jetzt Patienten-Tourismus
  11. Der Standard, 28.9.06
  12. Roden Richard: How will HPV vaccines affect cervical cancer? Nature Reviews Cancer 6, 753-763, Oktober 2006, S. 753-763
  13. Vgl. Fußnote (1)
Erschienen in
GID-Ausgabe
179
vom Dezember 2006
Seite 18 - 20

Sylvia Groth ist Medizinsoziologin und Geschäftsführerin des Frauengesundheitszentrums in Graz, Österreich. Seit vielen Jahren arbeitet sie als womens´ health advocate zur gesundheitlichen Interessenvertretung von Frauen, Wechseljahren und Screening.

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