Politische Bildungsarbeit in Mexiko

Auf Initiative des GeN und der mexikanischen Organisation Grupo de Estudios Ambientales (GEA) bot das ASA-Programm (1) im vergangenen Jahr zwei Stipendienplätze in Mexiko, bei denen Einblicke in die dortige Debatte um den Erhalt und die Nutzung gentechnikfreien Saatguts genommen werden konnten. In dem folgenden Erfahrungsbericht schildert die Stipendiatin Silke Höfs ihre Begegnungen mit den Kleinbauern und ihren Anbausystemen im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero.

Der Mais ist mein Fleisch, ist mein Blut, ist mein Leben", schwärmt Don Olivario, ein Kleinbauer aus der Gemeinde Zitlala, die im bergigen und dünn besiedelten Hinterland des Bundesstaates Guerrero liegt. Die Region ist schon immer eng mit dem Mais, dem Hauptnahrungsmittel und Kulturgut Mexikos verbunden. Weshalb auch an einem Ort wie diesem die eindringlichen und archaisch anmutenden Worte des Don Olivario wahrhaftig wirken. Auf der Milpa (2), der gepflegten Parzelle Don Olivarios wachsen außer dem "heiligen Gemüse" Mais auch noch Kürbis, Erdnuss, Strauch- und Kidneybohnen. Seit Generationen baut die Familie des Kleinbauern hier blaue, weiße, rote und gelbe Maiskulturen in verschiedensten Formen an. Während eine der Sorten sich aufgrund ihrer großen Körner mit einer festen Konsistenz besonders gut zur Zubereitung der Pozóle, einem Mais-Fleisch-Gemüse-Eintopf eignet, werden andere weiße und gelbe Maissorten zur Herstellung von Maismehl für die beliebten hellen Tortillas verwendet. In Mexiko sind staatliche Versicherungssysteme so gut wie unbekannt. Der Maisanbau für die Susistenz ist deshalb in dieser armen, von Landflucht und Arbeitslosigkeit betroffenen Region so etwas wie eine "Überlebensversicherung". Damit kann die eigene Familie versorgt und im besten Falle sogar ein kleiner Teil der Ernte verkauft werden. Der Zusammenhang zwischen internationalem Handel, Agrarsubventionen in Nordamerika und Europa und Dumpingpreisen sowie Landflucht und Armut in ländlichen Gebieten des Südens, der uns als Stipentiatinnen aus Europa theoretisch bekannt ist, bekam bei dem Aufenthalt in der Maisregion in Guerrero eine sehr persönliche Dimension: Fast alle Familien, die wir hier trafen, haben Söhne oder Töchter, die – legal oder illegal – zum Arbeiten in die USA gegangen sind und nun aus der Ferne monatlich Geld überweisen. Der Maisverkauf auf dem regionalen Markt in der Kleinstadt Chilapa wird den Bauern immer schwerer gemacht, weil minderwertige Billigimporte in Form von Körnermais oder Maismehl aus den USA den mexikanischen Markt überschwemmen und die Preise der mexikanischen Produzenten derart drücken, dass diese durch den Verkauf kaum noch ihre Produktionskosten decken können.

Vom Kulturgut zum Industriekleister

"Der internationale Maishandel nimmt keine Rücksicht auf die kulturelle Bedeutung des Mais in Mexiko und Mittelamerika", sagt Manuel Alavez, Mitarbeiter bei GEA. "In den Sagen prähispanischer mittelamerikanischer Kulturen nahm und nimmt der Mais eine fast göttliche Stellung ein: Er ist der Ursprung allen Lebens und sichert das Überleben in der Zukunft", erklärt der studierte Agrarwissenschaftler. "Seine enge Beziehung zum Menschen und seine tiefe Verwurzelung im täglichen Leben drückt sich in Gesängen, Tänzen, Gedichten und Mythen aber auch ganz grundsätzlich bei der täglichen Nahrungsaufnahme aus. Kurzum: Mais ist für das kulturelle Selbstverständnis der Mexikaner von ganz elementarer Bedeutung." Auf den internationalen Märkten hingegen wurde Mais aufgrund seiner vielfältigen Eigenschaften zum Industriegut degradiert – ob nun als billiges Viehfutter für Rinder und Schweine, unter anderem um das fleischhungrige Europa zu versorgen oder weiter verarbeitet als Sirup, Soßenbinder, Industriekleister und Biosprit. Ein großer Teil davon stammt aus hochgradig subventionierten, US-amerikanischen Monokulturen mit transgenem Mais. Diese monokulturellen Anbausysteme beeinträchtigen nicht nur die biologische Artenvielfalt vor Ort, sondern gefährden ebenso durch Pollenflug im näheren Umfeld oder durch beipielsweise illegal nach Mexiko importiertes Saatgut auch international die Biovielfalt des Mais. Allein in Mexiko, einer der Ursprungsregionen des Mais, gibt es heute noch über 60 verschiedene Maisvarietäten mit Hunderten von Landsorten, die in Generationen übergreifender Arbeit perfekt an die jeweiligen klimatischen Bedingungen, regionalen Böden und persönlichen Vorlieben der Erzeuger und Verbraucher angepasst wurden. Bisher ist der kommerzielle Anbau gentechnisch manipulierter Maiskulturen in Mexiko verboten. Sollte es den internationalen Saatgutkonzernen wie Monsanto, Syngenta und anderen gelingen, die mexikanische Regierung dazu zu bewegen, den Markt für deren Produkte zu öffnen und somit den kommerziellen Anbau von gentechnisch manipuliertem Mais voranzutreiben, könnte es mit der Sortenvielfalt des Mais in Mexiko schon sehr bald vorbei sein. Wie bereits in anderen Ländern geschehen, so würden sich vermutlich auch dort viele Bauern von den falschen Versprechen der Saatgutkonzerne überlisten lassen und so den Untergang der mexikanischen Maiskultur aktiv mit voran treiben.

Das Projekt: Von der Planung zum Einsatz vor Ort

Angesichts dieses Bedrohungsszenarios steht bei zahlreichen Umweltorganisationen in Mexiko vor allem eines auf der Agenda: Präventionsarbeit, um die Kleinbauern über die falschen Versprechen der Agroindustrie und über das Gefahrenpotenzial der grünen Gentechnik aufzuklären. In diesem Zusammenhang war auch das kleine Projekt angesiedelt, mit dessen Planung wir das erste Drittel unseres Aufenthalts in Mexiko beschäftigt waren. Die ersten beiden Wochen verbrachten wir in der Organisationszentrale von GEA in Mexiko-Stadt, um uns dort in die komplexe Thematik rund um den Mais und die grüne Gentechnik sowie deren soziale, kulturelle, politische und wirtschaftliche Auswirkungen einzuarbeiten. Wir wälzten Studien, lasen Zeitungsartikel, schauten uns die Bildungsvideos von GEA an und diskutierten über mögliche Ansätze für ein eigenes Projekt. Schließlich nahmen wir uns vor, mit zwei Zielgruppen zu arbeiten: mit den gegenwärtig Mais anbauenden Kleinbauern, und mit Jugendlichen auf dem Land, den Kleinbauern der Zukunft. Während wir bei der Arbeit mit den Bauern den Fokus auf Konservierungsmethoden von Saatgut legen wollten, ging es uns bei den Jugendlichen um die Vermittlung von biologischen Grundlagen sowie von Kenntnissen über die grüne Gentechnik und deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. In beiden Fällen entschieden wir uns als didaktische Methode für partizipative Workshops. Dies sollte eine möglichst intensive Auseinandersetzung der Teilnehmenden mit der Thematik gewährleisten. Dabei konnten wir uns einerseits auf die langjährigen Erfahrungen von GEA mit Workshops in der Bildungsarbeit stützen, ebenso wie vor Ort im Bundesstaat Guerrero auf die Strukturen von Sanzekan Tinemi, der dortigen Partnerorganisation von GEA.

Konservierungsmethoden für Mais

Um in unserer Einsatzregion einen Eindruck von der Lebenswelt der Menschen in den ländlichen Gemeinden und von der Bedeutung des Mais zu bekommen, betrieben wir in den darauffolgenden Wochen im Sinne des Wortes "Feldforschung": täglich im Morgengrauen nahmen uns die beiden GEA-MitarbeiterInnen, die Agronomen Marion Poinssot und Manuel Alavez und Don Alvaro Flores, Mitarbeiter bei Sanzekan Tinemi, von der Stadt Chilapa aus mit in die kleinen, abgelegenen Gemeinden. Dort vermaßen wir Anbauflächen, sammelten gemeinsam mit einigen Kleinbauern Bodenproben, Maispflanzen und Insekten, um sie zu identifizieren und zu katalogisieren. Diesen in der Regel schweißtreibenden Aktivitäten folgte fast überall eine Einladung zu Tortilla und Mole – eine spezielle Sauce – im Kreise der jeweiligen Familien. Nachmittags widmeten wir uns dann der Vorbereitung des ersten Workshops, der sich mit Konservierungsmethoden des Mais gegen Schädlinge befassen sollte, denn besonders der Maisbohrer und die Maismotte verursachen dort immer wieder Schäden, sowohl auf dem Maisfeld selbst, als auch beim eingelagerten Saatgut. So untersuchten wir gemeinsam mit Manuel Alavez und Don Alvaro Flores über 200 der regionalen, mit unterschiedlichen Pflanzen und Mineralien versetzten Saatgutproben und diskutierten über die Wirksamkeit unterschiedlicher natürliche Stoffe – darunter Kalk, Asche und Oregano – in der Schädlingsabwehr. Die Ergebnisse wurden in ein Statistikprogramm übertragen und graphisch aufgearbeitet, so dass die Bauern die "Performance" ihrer gewählten Konservierungsmethode erkennen konnten.

Die Workshops mit Bäuerinnen und Bauern und mit Jugendlichen

An dem eintägigen Workshops nahmen dann etwa 30 Bauern und Bäuerinnen und das gesamte GEA-Team teil. Dabei wurden unter anderem die Reproduktionszyklen von Schadinsekten und mögliche Konservierungsmethoden des Saatguts besprochen. Hintergrund dessen war die Annahme, dass die Bauern, wenn sie funktionierende natürliche Methoden zur Konservierung ihres Saatguts zur Verfügung haben, weniger aufgeschlossen für die falschen Versprechungen der Unternehmen der Saatgutindustrie sein würden. Denn gesundes, gut angepasstes Saatgut führt unter günstigen Anbauverhältnissen zu guten Ernten und macht den Einsatz von Hybriden oder von gentechnisch manipulierten Saaten in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft überflüssig. So war es das Ziel, in diesem Workshop diesen grundsätzlichen Zusammenhang gemeinsam mit den Bauern herauszuarbeiten und gleichzeitig dabei über die Gefahren der Gentechnik aufzuklären. Die Bauern konnten währenddessen ihr vielfältiges Wissen über Konservierungsmethoden und Techniken der Schädlingsbekämpfung austauschen. Unsere zweite Zielgruppe, Jugendliche aus der Region, erreichten wir in einer sogenannten Secundaria, eine Schule für Kinder im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren. Dazu hatten wir zuvor – vermittelt durch die Organisation Sanzekan Tenimi – Kontakt zu dem Schulleiter aufgenommen, um ihm unser Vorhaben zu erörtern. In einer Art "Bewährungsrunde" hatten wir dann vor dem gesamten Lehrerkollegium die Inhalte des geplanten Workshops, unsere Motive und Ziele offenzulegen. Da es sich um die Vermittlung fremden Stoffes durch Personen, die nicht zum Lehrpersonal gehörten handelte, waren einige Lehrer zunächst etwas skeptisch. Doch ließen auch sie sich dann auf das Experiment ein und nahmen uns insgesamt sehr herzlich auf. In Gruppenarbeit mit Cati Marielle, Manuel Alavez, Marion Poinssot und Chalyeitotli Xocoxoyoztli von GEA konzipierten wir innerhalb von drei Wochen einen sechsstündigen Workshop. Dafür wurden Bildtafeln gemalt, Videos zusammen geschnitten, didaktische Methoden erarbeitet, partizipative Spiele entwickelt und ausgearbeitet. Komplexe biologische, soziale und wirtschaftliche Zusammenhänge mussten in eine "jugendgerechte" Sprache übersetzt werden, und zu guterletzt wurde noch ein kleines, unterhaltsames Theaterstück zur Gentechnik-Thematik eingeübt. Die Workshops selbst fanden dann an drei aufeinander folgenden Tagen mit einer Schulklasse statt, wobei jedes Teammitglied für ein bis zwei Themen die Moderation und die inhaltliche Gestaltung übernahm. Dabei entwickelte sich eine sehr positive Dynamik zwischen unserem Team und den Jugendlichen, die ganz phantastisch mitgearbeitet haben. Aufmerksam verfolgten sie auch die mitunter recht theoretischen Ausführungen zur Evolutionstheorie und zur natürlichen Anpassung, ebenso wie die Erläuterungen zu den von der Gentechnik ausgehenden Gefahren, oder zu den ökonomischen Zusammenhängen zwischen internationalem Handel, Dumpingpreisen und dem Wirken der Agroindustrie. Nach dem Workshop schlugen zu unserer Begeisterung einige der Beteiligten sogar vor, Lern- und Arbeitsgemeinschaften zu den behandelten Themen zu gründen. Und das Lehrerkollegium bat GEA schließlich darum, eine Publikation zu den behandelten Themen herauszubringen, die der Schule als Arbeitsgrundlage für weitere Seminare dienen sollte. Drei Monate Aufenthalt in einem Land sind sicherlich zu kurz, um Welten zu bewegen. Dennoch: Uns hat der Arbeitsaufenthalt persönlich und inhaltlich sehr viel gebracht. Wir konnten erste wertvolle Einblicke in die praktische Entwicklungszusammenarbeit gewinnen, und lernten, uns arbeitsteilig in einem größeren Team zu agieren und auch, dabei unsere eigenen Kenntnisse mit einzubringen. Als besonders bereichernd und lehrreich werden uns die vielen Treffen und Gespräche mit den Kleinbauern, Jugendlichen und Lehrern und dem gesamten GEA-Team in Erinnerung bleiben, die uns durch ihr Interesse und ihre herzliche Gastfreundschaft diese schönen Erfahrungen erst ermöglichten und die uns in unseren Vorhaben, weiterhin im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit tätig zu sein, bestärkt haben.
Die mexikanische Organisation Grupo de Estudios Ambientales (GEA - www.laneta.apc.org/gea/inicio.htm), bei der die ASA-Stipendiatinnen 2006 ihren Einsatz hatten, befasst sich schwerpunktmäßig mit der Bildungsarbeit mit Kleinbauern in verschiedenen mexikanischen Bundesstaaten. GEA hat dazu zahlreiche Medien (u.a. Radioprogramme, Videos) erstellt und vermittelt unter Einsatz partizipativer Methoden vor Ort neue Praktiken und Technologien zur Sicherung der Ernährung und zur Stärkung der Rechte von Erzeugern und Verbrauchern.

  1. Das ASA-Programm vermittelt alljährlich Arbeits- und Studienaufenthalte für junge Erwachsene in Afrika, Asien, Lateinamerika und Südosteuropa: www.asa-programm.de
  2. Eine Milpa ist eine kleinbäuerliches Anbausystem, bei dem verschiedenste Kulturen – etwa Mais, Tomaten und Bohnen – nebeneinander auf einem Feld wachsen.
Erschienen in
GID-Ausgabe
180
vom Januar 2007
Seite 48 - 50

Silke Höfs ist eine der beiden ASA-Stipendiatinnen, die sich im vergangenen Jahr im Rahmen des Kooperationsprojektes von GeN und GEA in Mexiko aufhielten. Sie ist Dipl.-Medienwirtin und zur Zeit Praktikantin in der Europäischen Kommission.

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