Überblick
Es ist ungewöhnlich, dass der GID einem medizinischen Produkt einen ganzen Schwerpunkt widmet. Doch die aktuelle Debatte um zwei neue Gentech-Impfstoffe zur Vorbeugung von Gebärmutterhalskrebs hat unserer Meinung nach für die Diskussionen um Gentechnik, Vorsorge und Forschungsethik einen hohen Stellenwert. Es lohnt sich, einzelne Aspekte genauer zu betrachten.
Seit Oktober letzten Jahres ist in europäischen Apotheken ein gentechnisch hergestellter Impfstoff mit dem Markennamen "Gardasil" zu haben. Er wurde vom europäischen Impfstoffhersteller Sanofi Pasteur MSD/Merck entwickelt und schützt vor Infektionen mit vier verschiedenen humanen Papilloma-Viren (HPV) (den Typen 6,11,16 und 18). Diese gelten als Verursacher von rund 70 Prozent aller Tumore am Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinome) sowie von 90 Prozent aller Genitalwarzen. Zeitgleich hat die Firma GlaxoSmithKline ebenfalls einen ähnlichen Impfstoff entwickelt. Die US-amerikanische Zulassungsbehörde wird noch in diesem Jahr über eine Genehmigung des Produkts mit dem Namen "Cervarix" beraten.
Immun gegen Krebs?
Kaum war das erste der beiden Produkte zugelassen, eilte der Ruf von einem medizinischen Wunder durch die Medienrepublik: "Immun gegen Krebs" titelte die Süddeutsche Zeitung, "in der Apotheke wird ein Traum wahr" schwärmt die sonst eher nüchterne Frankfurter Allgemeine Zeitung und kündigt den "Beginn einer neuen Epoche im bisher doch eher erbarmungswürdigen Kampf gegen Krebs an." Und auch die Taz wird geradezu pathetisch: "Drei Piekser für die Ewigkeit" liest man, sie "bewahren vor Schmerzen und Tod." Dabei ist auffallend, dass in den Artikeln immer wieder bestimmte Aussagen verknüpft werden: „Impfen gegen Krebs“ - wobei nicht zwischen verschiedenen Krebsarten differenziert wird; „sexuell aktive Frauen sind besonders gefährdet“; „Vorsorge ist sinnvoll“; und „Die Gentechnik hat ein Erfolgsprodukt“. Tatsächlich verspricht der Impfstoff das Ende eines der "übelsten Frauenleiden"(die Zeit). Gebärmutterhalskrebs ist – nach Brustkrebs – der häufigste Tumor bei Frauen. Doch hinsichtlich der Wirkung des neuen Medikaments sind noch viele Fragen offen: Unklar ist vor allem die Langzeitwirkung. Martin Hirte hat die medizinischen Aspekte einer kritischen Beurteilung unterzogen (Seite 4). Obwohl eine Stellungnahme der Impfkommission (STIKO) in Deutschland noch erwartet wird, fordern einige Fachleute, Politiker und Journalisten bereits eine Impfung aller jungen Frauen. "Idealerweise werden Mädchen vor dem ersten Sex geimpft", heißt es dazu in der Taz und die Ärzte Zeitung fordert: "Erst die Impfung gegen HPV, dann der Sex." Der GID hat eine Frauenärztin zu den Auswirkungen solcher Forderungen auf die Körperwahrnehmung befragt (Seite 7). Warum werden bei den Diskussionen um die Impfung nur die Frauen in den Blick genommen? Übertragen werden die krebserregenden Papilloma-Viren jedenfalls (auch) von Männern. Die Soziologin Katja Sabisch geht den historischen Ursprüngen der "imaginierten Durchseuchung des Frauenkörpers" auf den Grund (Seite 9). Solche Fragen von Schuld und Verantwortung bekommen einen eigenen Stellenwert in der Gesundheitspolitik: Ein neues Gesetz sieht vor, dass PatientInnen, die bestimmte Vorsorgeuntersuchungen in der Vergangenheit nicht wahrgenommen haben, künftig einen höheren finanziellen Anteil an den anfallenden Behandlungskosten selber tragen (Seite 16).
Fragwürdige Testbedingungen
Während in Deutschland bereits die Übernahme der Impfkosten durch die großen gesetzlichen Krankenkassen geregelt wird, bleibt unklar, ob das Medikament auch jene Gruppen erreicht, an denen es getestet wurde. Beide Impfstoffe (Gardasil und Cervarix) wurden jeweils an 20.000 bzw. 30.000 Frauen getestet – weltweit. Auch in Costa Rica werden seit Jahrzehnten Experimente an jungen Frauen durchgeführt – und das unter fragwürdigen Bedingungen.
Monika Feuerlein ist freie Journalistin und arbeitete mehrere Jahre lang als Redakteurin für den Gen-ethischen Informationsdienst (GID).