Politischer Einkaufskorb
Den Prozess um die Bezeichnung der Erzeugnisse des Müller-Konzerns hat Greenpeace verloren. Am 23.06.04 entschied das Kölner Landgericht, die Umweltschutzorganisation dürfe Ausdrücke wie "Gen-Milch" in Bezug auf die Produkte der Unternehmensgruppe Theo Müller GmbH nicht mehr gebrauchen.
Der Unterlassungsklage von Müller gegen Greenpeace wegen "geschäftsschädigender Äußerungen" war eine bundesweite Aktion der Umweltschutzorganisation im Mai vorausgegangen, bei der Aktivisten in Supermärkten Milchprodukte von Müller mit Aufklebern versahen, die die Aufschrift "Gen-Milch: Hände weg!" trugen. Darüber hinaus macht Greenpeace auch im Internet Stimmung gegen den Konzern: Auf der Website mit dem provokanten Namen www.muell-milch.de fordert die Organisation den Milchproduzenten auf, eine gentechnikfreie Fütterung der Müller-Milchkühe zu garantieren. Grund für die Anti-Müller-Kampagne von Greenpeace ist die Tatsache, dass der Lebensmittelproduzent seine Milchkühe unter anderem mit gentechnisch verändertem (gv) Soja füttert.
Kein Geheimnis
Die Unternehmensgruppe Müller macht zwar kein Geheimnis aus der Ernährung ihrer Kühe mit gentechnisch veränderten Futtermitteln, verweist auf ihrer Internetseite aber darauf, dass "die Molkereien ihre Produkte entsprechend den rechtlichen Vorgaben kennzeichnen." Die Forderung von Greenpeace, die Tiere gentechnikfrei zu füttern, sei "falls überhaupt möglich, auf Nischen beschränkt".(1) Greenpeace hält dagegen, der Verzicht auf gentechnisch veränderte Futtermittel sei nur unwesentlich teurer und für die Verbraucher im Endpreis nicht spürbar.(2) Noch im April hatte Müller-Milch der Umweltschutz-Organisation mitgeteilt, "dass die Firma beim Futter für Kühe keine Gen-Pflanzen verwenden will."(3) Am 21. Juni veröffentlichte die NGO zur Untermauerung ihrer These, die DNA gentechnisch veränderter Futtermittel sei in den Produkten der Tiere nachweisbar, eine Presseerklärung, in der sie von einer Studie berichtet, die das "Forschungszentrum für Milch und Lebensmittel" in Weihenstephan, Bayern, bereits im Dezember 2000 durchgeführt, aber nie veröffentlicht habe. Dieser Studie zufolge haben Wissenschaftler in der Milch von Kühen, deren Futter über einen Zeitraum von mehreren Jahren gv Soja und gv Mais enthielt, Spuren der Erbsubstanz dieser Pflanzen gefunden. Professor Dr. Ralf Einspanier, Mitwirkender an der Milch-Studie, widersprach der Folgerung der Umweltschützer, auf Grund der Forschungsergebnisse davon auszugehen, dass sich die DNA genmanipulierter Futtermittel auf die Produkte der Tiere übertrage. Die gentechnische Verunreinigung könne ebensogut durch Staub in der Luft in die Milch gelangt sein; darüber hinaus seien die Proben nicht Teil einer wissenschaftlichen Studie gewesen, sondern dem Institut von einem privaten Auftraggeber zugesandt worden.(4) Die Behauptungen der Umweltschutzorganisation haben demzufolge in rein wissenschaftlicher Hinsicht kein festes Fundament, auch wenn die WissenschaftlerInnen aus Weihenstephan einräumen mussten, dass später getestete Kühe, in deren Milch keine DNA-Rückstände gefunden wurden, nur etwa einen Monat lang gentechnisch verändertes Futter erhalten hatten. Nichtsdestotrotz ist die Angst der Bevölkerung vor den möglichen gesundheitlichen Folgen genmanipulierter Lebensmittel durchaus real, und darauf setzt Greenpeace. Mit Erfolg: Am 2. Juli 04 übergaben 20 Aktivisten der Organisation der Müllermilch-Zentrale circa 14.000 Postkarten, mit denen Verbraucher gegen die Verfütterung genmanipulierter Futtermittel an die Müller-Milchkühe protestierten.(5)
Wenig zimperlich
Greenpeace sieht seine Aufgabe darin, die Bevölkerung auf Missstände aufmerksam zu machen und geht dabei nicht gerade zimperlich vor. Demzufolge müssen sich die Umweltschützer besonders seit Beginn der Genmilch-Kampagne zum Teil massive Kritik an ihren Methoden gefallen lassen: Nicht nur der Müller-Konzern wirft ihnen geschäftsschädigende Praktiken vor, mittlerweile fordern Politker unterschiedlichster Fraktionen, dem Verein die Gemeinnützigkeit abzuerkennen und verschiedene Stimmen, unter anderem von prominenten WissenschaftlerInnen wie der österreichischen Mikrobiologin Renee Schroeder, beschuldigen Greenpeace, "Angst erzeugende Taktiken" anzuwenden, um "letztlich Spendengelder einzustreichen".(6) Christoph Then, Gentechnik-Experte von Greenpeace, betonte in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Welt", dass Greenpeace sich nicht einschüchtern lasse und zudem auf einen starken Rückhalt in der Bevölkerung bauen könne. Im Übrigen gehe es der Umweltschuzt-Organisation primär nicht um eventuelle gesundheitliche Folgen von Genfood, für die es bisher noch keine handfesten Beweise, wenn auch zahlreiche besorgniserregende Hinweise gibt. Vielmehr soll der Anbau von GVO generell verhindert werden, wegen des erhöhten Pestizid-Einsatzes und den daraus resultierenden Folgen für die Umwelt.(7) Das Müller-Unternehmen hat in diesem Fall die Justiz auf seiner Seite. Das Gericht entschied auf Grund zweier wissenschaftlicher Stellungnahmen der Bundesforschungsanstalten für Ernährung und der für Landwirtschaft, dass die Behauptung der Umweltschützer, die Milch von Kühen, die gentechnisch verändertes Futter erhalten, sei anders zusammengesetzt als die von anderen Kühen, "evident falsch" sei.(8) Die Bedeutung der Auseinandersetzung reicht jedoch weiter: Der Rechtsstreit zwischen Greenpeace und dem Lebensmittelkonzern offenbart eine Lücke der im April 2004 in Kraft getretenen Europäischen Kennzeichnungsverordnung. Dieser zufolge müssen Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Zusätze enthalten, gekennzeichnet werden. Dies gilt jedoch nicht für Fleisch- und Milchprodukte sowie Eier, die von Tieren stammen, die mit gv Futtermitteln ernährt wurden, da diese nicht direkt "aus" gentechnisch veränderten Bestandteilen bestehen.
Lücke im Gesetz
In sich durchaus stringent, bedeutet die derzeitige Gesetzeslage für den Verbraucher aber, dass es nach wie vor unmöglich ist, sich zwischen tatsächlich gentechnikfreien Produkten und solchen, die eventuell veränderte DNA enthalten, entscheiden zu können. Solange der Gesetzgeber diese Lücke nicht schließt und ein Gesetz zur Kennzeichnung auch solcher tierischer Produkte verabschiedet, die nicht direkt gentechnisch verunreinigt sind, wird es wohl weiterhin heißen: Einkaufen auf gut Glück und ohne den heute für viele wichtigen politischen Aspekt.
Fußnoten:
- www.muellermilch.de, "Unser Unternehmen und Gentechnik"
- www.stern.de, "Warnaufkleber für ‘Gen-Milch’ von Müller", 15.05.04
- http://www.greenpeace.org/deutschland/?page=/deut… gentechnik/muell-milch/der-fall-mueller-gegen-greenpeace
- taz, "Gentech in der Milch", 22.06.04
- PM Greenpeace, "Greenpeace übergibt 14.000 Postkarten gegen Genfutter", 02.07.04
- kurier.at, "Panikmache und Volksverblödung", 28.07.04
- Die Welt, "Auf fremden Äckern", 28.06.04
- www.wdr.de, "Müller Milch ist keine ‘Gen-Milch’", 23.06.04
Nele Jensch absolviert seit August 2003 ein Freiwilliges Ökologisches Jahr beim Gen-ethischen Netzwerk.
Gentechnikfreie Regionen - ein Update
Baden-Württemberg
- Der Gemeinderat der Stadt Weissach hat sich einstimmig gegen die Nutzung gentechnisch veränderter (gv) Pflanzen im Gemeindegebiet ausgesprochen. Landwirte und Verpächter wurden aufgefordert, auf den Einsatz von gv Saatgut zu verzichten; wer den Aufruf befolgt, soll durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit von der Gemeinde unterstützt werden. www.bkz-online.de, 10.07.04
- Einer Entscheidung der Ortschaftsräte von Mösbach zufolge dürfen auf Gemeindegrundstücken keine gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut werden. www.baden-online.de, 23.07.04
- Nach Angaben von Walter Vohl, Vorsitzender der Kreisbauern aus Esslingen, wollen sich die Esslinger Landwirte der bundesweit größten geplanten gentechnikfreien Region anschließen, die von 3600 Bauern auf einer Ackerfläche von 80 000 Hektar in der Region Neckar-Alb geschaffen werden soll. Esslinger Zeitung, 28.07.04
Bayern
- Die Obleute des Bayrischen Bauernverbandes haben bei einer Versammlung die Einrichtung einer gentechnikfreien Anbauzone im Berchtesgadener Land beschlossen. Südostbayrische Rundschau, 10.07.04- 78 Landwirte aus 23 Orten haben sich zu einer 1900 Hektar umfassenden gentechnikfreien Region zusammengeschlossen. Initiator war der Biobauer Hans Klischewski, der sowohl ökologisch als auch konventionell wirtschaftende Kollegen im Nürnberger Land mobilisierte und damit zur Schaffung der größten gentechnikfreien Region in Mittelfranken beitrug. Nürnberger Nachrichten, 16.07.04
- Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bemüht sich in der Oberpfalz gemeinsam mit Biolandwirten und den christlichen Kirchen um die Errichtung gentechnikfreier Regionen, um sowohl den Erhalt der Biodiversität als auch die Existenzgrundlage von Biobauern zu gewährleisten. www.oberpfalznet.de/zeitung, 16.07.04
Hessen
- Der neu gewählte Gebietsagrarausschuss in Reichelsheim hat in einem gemeinsamen Beschluss die Empfehlung an die Landwirte im Odenwald ausgesprochen, freiwillig auf den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zu verzichten. www.echo-online.de, 14.07.04 Mecklenburg-Vorpommern
- Umweltminister Wolfgang Methling hat bei einer Veranstaltung des Biopark e.V. in Walkendorf erneut seine Unterstützung für die Schaffung gentechnikfreier Regionen zugesichert und ihre Wichtigkeit betont. Außerdem stellten bei der Veranstaltung zwei Landwirte aus dem Kreis Güstrow ihre Projekte vor, die eine im Dezember 2003 von 16 Bauern gegründete gentechnikfreie Region auf einer Fläche von 11 00 Hektar beinhalten. www.svz.de, 04.08.04
Nordrhein-Westfalen
- Bochum hat beschlossen, seine 1000 Hektar landwirtschaftlich nutzbares Gelände bei Neuverpachtung und Verlängerung bestehender Pachtverträge nur an Landwirte zu verpachten, die sich vertraglich verpflichtet haben, keine gentechnisch veränderten Pflanzen anzubauen. taz Ruhr, 24.07.04
- Landwirte aus Hamm, Dortmund und dem Kreis Unna engagieren sich unter dem Motto "Wahlfreiheit erhalten – gentechnikfreie Qualität sicherstellen" gegen den Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen in der Landwirtschaft. Initiiert wurde das Projekt von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). www.waz.de, 03.08.04
- Der Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Ortsverbandes Bergkamen, Heinz-Dieter Kortenbruck, hat sich erfreut über die Entscheidung des Kreistages im Juli geäußert, auf kreiseigenen Flächen keine gentechnisch veränderten Pflanzen anzubauen. Kortenbruck sagte, für die Bergkamener Landwirte sei die Grüne Gentechnik "kein Thema", mit der Entscheidung könne man "gut leben". www.hellwegeranzeiger.de, ohne Datumsangabe
Rheinland-Pfalz
- Der Gemeinderat der Stadt Sinzing hat einen Beschluss gefasst, der sich gegen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in der Gemeinde richtet. Der Entscheidung vorausgegangen war ein diesbezüglicher Antrag der Ortsgruppe des Bund Naturschutz. www.donau.de, 05.08.04
Gentechnikfreie Regionen Deutschlandweit
Baden-Württemberg: Faurndau, Gutenzell-Hürbel, Überlingen
Bayern: Bad-Tölz-Wolfratshausen, Blindlach, Erlangen-Hüttendorf, Fischbach/Sehirndorf, Freisinger Moos, Hohenkemnath, Kammeltal, Miesbach, München, Neumarkt, Roßbach-Untergrafendorf, Schwebheim, Thalmässing/Offenbau, Unterpleichfeld, Vorderhaslach, Wasserburg, Wolferstadt/Hagau
Brandenburg: Märkisch-Oderland, Salzwedel-Arendsee, Schorfheide-Chorin
Hessen: Baumbach
Mecklenburg-Vorpommern: Im Stettiner Haff, Nebel/Krakow am See, Warbel-Recknitz
Niedersachsen: Seeburg
Nordrhein-Westfalen: Velbert
Rheinland-Pfalz: Böblingen
Sachsen-Anhalt: Halle, Rätzlingen
(Nele Jensch)
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