Rezension: Bevölkerungspolitik

Mit der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 verstummte die politische Kritik an internationaler Bevölkerungspolitik nahezu vollständig. Viele feministische Nicht-regierungsorganisationen feierten es damals als Erfolg, dass die unterzeichnenden Regierungen erstmals reproduktive Rechte verbrieften; die Frauengesundheitsbewegung ging ein Bündnis mit jenen staatlichen und privaten bevölkerungspolitischen Institutionen ein, gegen die sie bislang gekämpft hatte. Diesen Prozess und seine Folgen untersucht Susanne Schultz in ihrer umfassenden politikwissenschaftlichen Studie. Sie zeigt, dass der "Konsens von Kairo" an der Konstruktion einer zu schnell wachsenden Bevölkerung als Ursache gesellschaftlicher Krisen festhielt. Das alte bevöl-kerungspolitische Ziel einer Absenkung der Geburtenrate wird aber heute, anders als vor Kairo, mit dem Kampf um mehr Selbstbestimmung für Frauen vermittelt, so ihre These. Schultz zeichnet detailliert den Bei-trag feministischer NGO an Kontinuitäten bevölkerungspolitischer Konzepte nach. Ihre Analyse des Müttersterblichkeitsdiskurses zeigt, wie demografische Ziele heute über die Ebene individueller reproduktiver Gesundheit und Medikalisierung reformuliert werden. Schultz kritisiert vehement die damit verbundene Entpolitisierung: Wie die Regulierung von Bevölkerungen mit dem Versprechen individueller Gesundheit versöhnt wird, sei nicht mehr Gegenstand der Analyse Fazit: Endlich einmal eine klar und verständlich geschriebene Arbeit, die komplexe internationale Machtverhältnisse mit den ihnen eingeschriebenen Paradoxien analysiert, ohne zugleich den Bankrott der politischen Kritik - an der rassistischen und menschenökonomischen Regulierung von Bevölkerungsgruppen - zu verkünden!

Susanne Schultz: Hegemonie - Gouvernementalität - Biomacht. Reproduktive Risiken und die Transformation internationaler Bevölkerungspolitik, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2006, 388 Seiten, 34,90 Euro, ISBN 3-89691-636-X

Erschienen in
GID-Ausgabe
182
vom Juni 2007
Seite 63

Fabian Kröger ist Kulturwissenschaftler und Journalist in Paris.

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