Prüfverfahren ohne Methode
Das Problem, die Abwesenheit artfremder DNA in genomeditierten Pflanzen nachzuweisen
Die EU-Kommission will genomeditierte Pflanzen deregulieren, die frei von artfremder DNA sind. Doch ob sich die Abwesenheit von Fremd-DNA zuverlässig prüfen lässt, ist unklar. Eine standardisierte und breit akzeptierte Methode gibt es nicht. Zeit, einen Blick auf das Konstrukt „Fremd-DNA-freie genomeditierte Pflanze“ zu werfen.
Bild: gemeinfrei auf Wikimedia.
Der Artikel erschien zuerst online unter: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4603. Dort finden Sie auch alle Referenzen mit vollumfänglichen Angaben.
Artfremde DNA von außen in Zellen einführen – was gemeinhin als Merkmal für die Pflanzenzüchtung mit alter Gentechnik gilt, ist auch bei der Genomeditierung gang und gäbe. Denn noch fehlt eine breit anwendbare Methode, mit der Züchtende Schneideenzyme wie CRISPR-Cas9 oder TALEN in Pflanzenzellen einschleusen können, ohne dabei DNA hineinzubringen – sei es beabsichtigt oder unbeabsichtigt als technisch kaum vermeidbare Verunreinigung. Im Vergleich zur alten Gentechnik ist bei der Genomeditierung aber neu, dass Züchtende Pflanzen herstellen können, deren Erbgut frei von der eingeführten DNA ist. Wie das geht? Laut dem gängigen Narrativ der Genomeditierungsfirmen ganz einfach: Fremd-DNA, die sich während des Herstellungsprozesses ins Erbgut einbaut, kann am Ende durch schlichte Kreuzung – Segregation im Fachjargon – wieder entfernt werden. Was dann im Genom der editierten Pflanze zurückbleibt, sind allein veränderte pflanzeneigene Gene. Doch was in den Botschaften der Firmen einfach klingt, ist in der Praxis komplex. Das zeigt ein Blick in die wissenschaftliche Literatur.
Dort sind zum einen Fälle beschrieben, in denen die Segregation kaum oder gar nicht gelingt: Bei vegetativ, d.h. ohne Kreuzung, vermehrten Pflanzen wie Maniok, Kartoffel oder Zuckerrohr zum Beispiel ist sie biologisch nicht machbar. Bei mehrjährigen Pflanzen wie Rebe, Apfel oder Zitrone verhindert die lange Zeit bis zur Geschlechtsreife ihre einfache Anwendung. Und bei mehrfacheditierten Pflanzen wiederum ist sie schwierig, weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass nicht nur die Fremd-DNA sondern auch eines der absichtlich editierten Pflanzengene aus dem Erbgut verschwindet.
Zum anderen ist in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben, wie schwierig es ist, einen Nachweis zu erbringen, dass eine Pflanze nach der Segregation tatsächlich frei von Fremd-DNA ist. So fehlt nicht nur eine allgemein anerkannte Methode zum Aufspüren von Fremd-DNA. Es finden sich auch mehrere Fälle von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen, in denen Forschende unerwartet artfremde DNA entdeckten, die bei der Segregation – je nach gewähltem Nachweisverfahren – übersehen werden könnte.
Fehlende Standardverfahren und übersehbare Fremd-DNA – beides ist brisant, deregulieren doch weltweit immer mehr Länder genomeditierte Pflanzen, wenn diese als Fremd-DNA-frei eingestuft sind. Auch in der EU könnte es bald soweit kommen.
Unklares Prüfverfahren
Im Juli hat die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf zur Regulierung neuer genomischer Techniken (NGT) vorgelegt, mit dem sie genomeditierte Pflanzen vom Gentechnikrecht ausnehmen will, sofern diese die folgenden beiden Bedingungen erfüllen: Die Pflanzen müssen frei von artfremder DNA sein und sie müssen gleichwertig mit herkömmlichen Pflanzen sein. Sind beide Bedingungen erfüllt, sollen die Pflanzen rechtlich als „NGT1“ gelten und nahezu gänzlich von den Auflagen für gv-Pflanzen befreit sein.
Während die EU-Kommission in ihrem Entwurf näher erläutert, nach welchen Kriterien eine NGT1-Pflanze als gleichwertig mit herkömmlichen Pflanzen einzustufen ist, umschreibt sie die Kriterien für Fremd-DNA-frei kaum. Klar ist hierzu nur, dass ein Verfahren zur Prüfung des NGT1-Status vorgesehen ist, bei dem Firmen vor Freisetzungen und dem Inverkehrbringen gegenüber den zuständigen Behörden nachweisen müssen, dass ihre Pflanzen „kein genetisches Material von außerhalb des Genpools des Züchters enthalten“. Weitere Konkretisierungen zum Prüfverfahren fehlen. Damit bleibt nicht nur offen, mit welcher Methode Firmen die Abwesenheit von Fremd-DNA nachweisen sollen und ob sie dabei auch Fremd-DNA berücksichtigen müssen, die während der Genomeditierung als technisch kaum vermeidbare Verunreinigung in Pflanzenzellen gelangen kann. Offen bleibt damit auch, wie in der EU regulatorisch verhindert werden soll, dass Behörden Fremd-DNA-haltige Pflanzen fälschlicherweise als NGT1 einstufen. Dies müsste aber dringend vorab geklärt werden. Denn auch wenn der Gesetzesentwurf der EU-Kommission kaum unverändert durch Rat und Parlament gehen dürfte, ist davon auszugehen, dass es für Fremd-DNA-frei genomeditierte Pflanzen irgendeine neue Art von Regulierung geben wird.
Unzuverlässige Nachweisverfahren
Zu klären ist vor allem, ob es denn bereits eine Nachweismethode gibt, mit der sich der Fremd-DNA-frei-Status ausreichend sicher und zuverlässig prüfen lässt. Klar ist hier, dass die beiden klassischen Methoden PCR und Southern Blotting, die heute routinemäßig bei der Analyse von gv-Pflanzen zum Einsatz kommen, nicht genügen. Zu unsicher sind die Ergebnisse, die sie liefern, lassen sie doch bestimmte Fremd-DNA-Elemente unentdeckt. Nicht genügen dürften auch Verfahren mit zielgerichteter Sequenzierung, wie sie zum Beispiel die Firmen Syngenta, Corteva und Pairwise einsetzen. Diese schnellen und kostengünstigen Verfahren liefern zwar genauere Daten als PCR und Southern Blotting, aber nur für ausgewählte Orte des Genoms. Sie zielen nämlich auf die Stellen, die von den eingebrachten Genscheren entzweigeschnitten werden und die als Hot Spots für den Einbau vom Fremd-DNA gelten. Da aber nicht alle Schnittstellen zuverlässig vorhersehbar sind und Brüche im Erbgut auch spontan auftreten, bringt auch die zielgerichtete Sequenzierung unsichere Ergebnisse.
Lückenhafte Sequenzen
Was bleibt sind die teuren und aufwendigen Verfahren, die das gesamte Erbgut einer editierten Pflanze sequenzieren. Hier gibt es heute mit Illumina, PacBio und Oxford Nanopore nicht nur mehrere Gerätearten zur Generierung der Sequenzdaten, hier sind auch verschiedene bioinformatische Tools verfügbar, um die Daten zu analysieren. Jüngst sind mehrere Systeme entstanden, um mittels Ganzgenomsequenzierung Fremd-DNA aufzuspüren – so etwa CTREP-Finder, INSIDER, FED und die K-MER-Methode. Ob die Systeme zuverlässig sind, ist zu prüfen. FED und CTREP-Finder zum Beispiel dürften nicht in allen Fällen passen, da sie Programme sind, die ein Referenzgenom voraussetzen – etwas, das bei vielen Pflanzenarten erst unvollständig und ungenau vorliegt. Und dann gibt es noch das grundsätzlichere Problem, dass Verfahren zur Ganzgenomsequenzierung unsequenzierte Bereiche hinterlassen können. Als Forschende aus Japan kürzlich ihre Analyse des Erbguts einer editierten Reispflanze veröffentlichten, schrieben sie am Schluss ihres Artikels: „Sicherlich deckt die Ganzgenomsequenzierung nicht das ‚ganze Genom‘ vollständig ab, und wir können die absolute Abwesenheit von Transgenen nicht beweisen.“
Genomische Hitchhiker als DNA-Rückstände
Welches Verfahren auch als Standard gewählt wird, für die amtliche Prüfung des Fremd-DNA-frei-Status ist zudem festzulegen, welche Fremd-DNA die bioinformatische Suche abdecken muss. Unbestritten ist, dass sie die absichtlich in die Pflanzenzellen eingebrachte DNA zu berücksichtigen hat. Meistens betrifft das kleine, ringförmige DNA-Stücke, sogenannte Plasmide, die die Anleitung für die Bildung der Editierungsreagenzien enthält. Doch wie ist es mit der Fremd-DNA, die als technische Verunreinigung der Editierungsreagenzien in die Zellen gelangt und dort ins Erbgut eingebaut werden kann? Ist sie auch zu berücksichtigen? In den Diskussionen spielt sie bisher kaum eine Rolle. Dabei sind mehrere Fälle von DNA-Rückständen bekannt, deren Relevanz es zu diskutieren gälte. Absichtlich eingebrachte Plasmid-DNA zum Beispiel kann als Verunreinigung „genomische Hitchhiker“ enthalten – das ist DNA aus dem Erbgut der Bakterien, die die Plasmide herstellen. Brisant ist, dass DNA-Rückstände auch bei Arbeitsabläufen auftreten können, die eigentlich als DNA-frei ausgelobt werden. Eines dieser Prozedere ist, das Schneideenzym Cas9 und das Botenmolekül gRNA nicht in Form von DNA, sondern in Form eines Komplexes namens Ribonukleoprotein in Zellen einzuführen. Doch dieser Komplex kann unbeabsichtigt DNA-Rückstände enthalten: Einerseits DNA aus dem Erbgut des Bakteriums, das Cas9 produziert, und andererseits DNA, die bei der enzymatischen Herstellung der gRNA als Vorlage dient.
Zweifelsfrei oder gut begründet?
Nachweisverfahren wählen und Umgang mit DNA-Rückständen klären – beides bleibt zu tun, wenn es in der EU eine neue Art von Regulierung für Fremd-DNA-freie genomeditierte Pflanzen geben soll. Die EU-Kommission will beides ohne das Parlament machen. Geht es nämlich nach ihren Plänen, sollen erst die in Aussicht gestellte Durchführungsverordnung und eine Leitlinie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Klarheit darüber bringen, wie in der EU das Prüfverfahren für den Fremd-DNA-freie-Status gestaltet ist. Damit will die EU-Kommission eine Frage in die Amtsstuben verlegen, die eine parlamentarische Diskussion durchaus verdient: Was ist denn der neue Regelungsgegenstand „Fremd-DNA-freie genomeditierte Pflanzen“ überhaupt? Ist es eine Pflanze, von der man zweifelsfrei weiß, dass sie frei von artfremder DNA ist? Oder ist es eine Pflanze, von der man gut begründet annimmt, dass sie frei von artfremder DNA ist? Ein gewichtiger Unterschied, nimmt man doch im zweiten Fall bewusst in Kauf, dass Behörden Pflanzen fälschlicherweise als frei von Fremd-DNA einstufen.
Benno Vogel ist freischaffender Biologie in Winterthur und in Berlin. Mehr zu seinen Tätigkeiten erfahren Sie unter www.bennovogel.eu.