Stickstofffixierung im Visier der Agrarkonzerne
Kommen bald gentechnisch veränderte Mikroben auf die Felder?
Noch spielen Produkte mit gentechnisch veränderten Mikroben in der Landwirtschaft kaum eine Rolle. Doch immer mehr Firmen setzen Gentechnik und Genomeditierung ein, um mikrobielle Dünger und Pflanzenschutzmittel zu entwickeln. Zeit, einen Blick auf die Entwicklungen zu werfen.
Selten ist so viel Geld in ein Start-up der Agrarforschung geflossen wie in Pivot Bio: 600 Millionen Dollar hat die US-Firma in den letzten fünf Jahren erhalten – unter anderem von Microsoft-Gründer Bill Gates und Amazon-Chef Jeff Bezos. Dass das Interesse der Investoren so groß ist, liegt an Proven und Return, den beiden Produkten, die Pivot Bio bis jetzt in den USA auf den Markt gebracht hat. Beide Produkte sind Dünger für Getreide – Proven für Mais, Return für Hirse und Weizen. Und beide Produkte bestehen aus Bodenbakterien, die Stickstoff aus der Luft fixieren und an die Pflanzen weitergeben. Das Besondere daran? Bisher waren Dünger aus stickstofffixierenden Bakterien weitgehend auf Gemüse wie Soja, Erbsen und Bohnen beschränkt. Bei Getreide hingegen sind sie ein Novum. Damit öffnet sich ein riesiger Markt, auf dem die Düngung bislang mit chemisch erzeugtem Stickstoff erfolgt. Eine weitere Besonderheit von Proven und Return: Die Bakterien, die sie enthalten, sind gentechnisch verändert.
Marktpotenzial für gv-Mikroben steigt
Noch sind Produkte mit gentechnisch veränderten (gv) Mikroben in der Landwirtschaft eine Rarität; weltweit sind nur eine Handvoll davon auf dem Markt. Doch bald dürfte sich das ändern. Denn neben Pivot Bio hat eine ganze Reihe von Firmen begonnen, gv-Mikroorganismen für die Landwirtschaft zu entwickeln.
Weshalb das Interesse an gv-Mikroben steigt, liegt vor allem an drei Gründen: Erstens ist die Entwicklung neuer Mikrobenstämme dank technischer Fortschritte so leicht und kostengünstig wie noch nie. Zweitens haben in den letzten Jahren etliche Länder entschieden, neue Verfahren wie die Genomeditierung nicht mehr als Gentechnik zu regulieren. Damit ist etwa die Zulassung von gv-Mikroben, die keine artfremden Gene besitzen, ebenfalls so leicht und kostengünstig geworden wie nie zuvor. Die in Proven und Return enthaltenen Bakterien beispielsweise konnten in den USA ohne gentechnikrechtliche Zulassung auf den Markt kommen.
Der dritte und vielleicht wichtigste Grund: Der potenzielle Markt für gv-Mikroben wächst stetig. Bisher war er klein, weil Dünger und Pestizide, die aus Pilzen, Viren oder Bakterien bestehen, vor allem im Biolandbau zum Einsatz kamen und dort gv-Organismen generell verboten sind. Jetzt wächst er, weil Politik und Gesellschaft verstärkt die Abkehr von Kunstdüngern und chemisch-synthetischen Pestiziden fordern und mikrobielle Produkte nun als Alternative zunehmend auch in der konventionellen Landwirtschaft Verwendung finden.
Wie groß das Interesse an der Entwicklung von gv-Mikroben ist, zeigt sich bei Düngern. Hier sind neben Pivot Bio nicht nur Start-ups wie BioConsortia, Switch Bioworks oder Quorum Bio aktiv, auch mehrere Konzerne mischen hier mit. Einer davon ist Novozymes. Das dänische Unternehmen, das mit der Herstellung von Enzymen groß geworden ist, forscht seit einigen Jahren auch an mikrobiellen Agrarprodukten. In einem seiner Projekte setzt der Konzern dabei Gentechnik ein, um stickstofffixierende Bakterien zu entwickeln.
Auch Bayer hat die Stickstofffixierung im Visier. In Kooperation mit Pivot Bio arbeitet der deutsche Multi an gv-Stämmen von Bradyrhizobium. Bakterien dieser Art leben in Wurzelknöllchen der Sojabohne und versorgen die Pflanze mit Stickstoff aus der Luft. Mit Gingko Bioworks wiederum, einem führenden Unternehmen der Synthetischen Biologie, will Bayer gv-Bakterien für die Stickstoff-Düngung bei Getreide kreieren. Die Zusammenarbeit begann 2018 mit einem Startkapital von 100 Millionen US-Dollar.
2020 ist auch der zweitgrößte Düngerhersteller der Welt, Mosaic Company, in die Entwicklung stickstofffixierender Bakterien eingestiegen. Der US-Konzern unterstützt seither das Start-up BioConsortia, das mit Genomeditierung Bakterien für die Düngung von Mais und Weizen herstellt. Erste Produkte der Partnerschaft sind für 2024 geplant. Eines der Zielländer ist Brasilien. Dort hat die zuständige Behörde dem Konzern bereits bescheinigt, dass er zwei Präparate mit Fremd-DNA-freien gv-Paenibacillus-Bakterien ohne gentechnikrechtliche Zulassung vermarkten kann.
Der zweite Bereich, in dem das Interesse an der Entwicklung von gv-Mikroben wächst, ist der Pflanzenschutz. Vier Produkte sind schon auf dem Markt. Bereits seit mehr als dreißig Jahren erhältlich ist Nogall von Bio-Care Technology. Das Mittel besteht aus gv-Rhizobien, wirkt gegen Wurzelhalsgallenkrebs bei Steinobst und ist in Australien, der Türkei und den USA zugelassen. Da die gv-Rhizobien in Nogall keine Fremd-DNA enthalten, fällt das Mittel in keinem der drei Länder unter die Gentechnikgesetzgebung.
Ebenfalls auf dem Markt sind Crymax und Lepinox WDG von Certis, die im Obst- und Gemüsebau der USA seit den Nullerjahren zum Einsatz kommen, und Jinweijun von Wuhan Kernel Biotech, das 2017 in China die Zulassung erhielt. Die drei Produkte haben gemeinsam, dass sie Bacillus thuringiensis enthalten, ein Bodenbakterium, das natürlicherweise Insektengifte bildet. Indem die Firmen Giftgene unterschiedlicher Bacillus-Stämme in einem einzelnen Stamm vereint haben, haben sie jeweils Produkte erzeugt, die mehrere Gifte bilden und deshalb stärker wirken oder ein breiteres Wirtsspektrum haben.
Tod oder lebendig: dsRNA bildende gv-Mikroben
Die Zahl der Produkte mit gv-Mikroben, die gegen Insekten wirken, dürfte bald steigen, arbeiten doch mehrere Firmen an solchen Mitteln. Eine davon ist Pebble Labs. Für die Entwicklung ihrer Directed Biotics genannten Mittel setzt das US-Start-up auf ein Konzept, das derzeit viel Beachtung findet: Die Verwendung von gv-Mikroorganismen, die doppelsträngige RNA – kurz dsRNA – bilden. Dieser Stoff löst in Zellen den RNAi-Prozess aus, was sich nutzen lässt, um in Schädlingen gezielt lebenswichtige Gene stillzulegen. Pebble Labs bereitet derzeit erste Freisetzungsversuche vor.
Während Pebble Labs auf den Einsatz lebender gv-Mikroben setzt, arbeiten Firmen wie Ajinomoto, TransAlgae oder Renaissance Bioscience mit abgetöteten Organismen. Sie hoffen, ihre Produkte damit leichter durch die Zulassungsverfahren zu bringen, fallen inaktivierte gv-Mikroben doch in vielen Ländern nicht unter die strengen Gentechnikgesetze. Das israelische Start-Up TransAlgae etwa erzeugt dsRNA-bildende Mikroalgen und inaktiviert sie dann im Gefriertrockner, bevor sie sie als Pulver aufs Feld bringt. Die kanadische Firma Renaissance Bioscience wiederum stellt dsRNA-bildende Bierhefe her, die sie vor dem Ausbringen mit Alkohol abtöten will.
Einige Firmen haben auch gv-Mikroben zur Bekämpfung pflanzenpathogener Bakterien in der Pipeline. Das US-Start-Up Robigo zum Beispiel will harmlose Bakterien mit Synthetischer Biologie so umbauen, dass sie als „molekulare Bürgerwehr“ gegen pathogene Bakterien einsetzbar werden. Cytophage und Auxergen arbeiten an Präparaten mit gv-Phagen – das sind Viren, die Bakterien befallen. Ein besonderes Vorgehen verfolgt die britische Firma Flourish. Sie will mit ihrer Guided Biotics genannten Technik ein Mittel gegen die Fleckenkrankheit bei Tomaten entwickeln und stattet dazu harmlose Mikroben mit ringförmigen DNA-Stücken, sogenannten Plasmiden aus, auf denen sich die Gene für die Bildung der CRISPR-Reagenzien befinden. Einmal auf befallene Tomaten versprüht, sollen die gv-Mikroben dort ihre Plasmide auf die pathogenen Bakterien übertragen, wo das CRISPR-Schneideenzym dann deren Chromosom an den vorbestimmten Stellen durchtrennt und sie dadurch abtötet.
Neben Düngern und Pflanzenschutzmittel gehören auch Biostimulanzien zu den Betriebsmitteln, für die gv-Mikroben entwickelt werden. Aktiv ist hier neben US-Firmen wie Gingko Bioworks und Elemental Enzymes auch BASF. Der deutsche Konzern hat bereits ein Präparat auf dem US-Markt. In seinem Mais-Saatgutbehandlungsmittel Poncho Votivo 2.0 sind gv-Bacillus thuringiensis enthalten, die im Wurzelbereich organische Substanzen abbauen und den Pflanzen dadurch Nährstoffe verfügbar machen.
Lobbying für Deregulierung läuft
Während gv-Mikroben in der US-Landwirtschaft bereits zum Einsatz kommen, sind die Felder in Europa noch frei von ihnen. Bisher ist in der EU erst ein Antrag zum Inverkehrbringen eingegangen. 2005 wollte Bio-Care Technology Nogall auf den Markt bringen, zog dann aber den Zulassungsantrag zurück – zu umfangreich waren der Firma die Nachforderungen, die die Behörden aufgrund der damaligen pestizid- und gentechnikrechtlichen Vorgaben stellten.
Ob die hiesigen Felder frei von gv-Mikroben bleiben werden? Klar ist, dass im Zuge des europäischen Green Deals, der in der Landwirtschaft eine Reduktion synthetischer Mittel mit sich bringt, der EU-Markt für mikrobielle Dünger, Biostimulanzien und Pestizide wachsen wird. Klar ist auch, dass sich Firmen mit gv-Mikroben diesen Markt nicht entgehen lassen wollen und deshalb an einem leichteren Zugang arbeiten. Auf produktrechtlicher Seite sind erste Hürden bereits gefallen: Nach der Revision der Düngeverordnung ist seit 2020 eine EU-weite Vermarktung von mikrobiellen Düngern und Biostimulanzien möglich und im Pestizidrecht sind 2022 die Zulassungsanforderungen für Produkte mit Mikroorganismen erleichtert worden. Was in den Augen der Firmen noch zu lockern bleibt, ist das Gentechnikrecht. Das Lobbying dazu ist im Gange. Pivot Bio zum Beispiel hat sich 2022 ins EU-Transparenzregister eintragen lassen. Aktiv ist auch EuropaBio, eine Lobbyorganisation der Gentechnik-Branche. Sie will vor allem für gv-Mikroben ohne Fremd-DNA eine Deregulierung erreichen und arbeitet darauf hin, dass die EU-Kommission 2024 einen Vorschlag dazu unterbreitet.
Wie die Haltung der EU-Kommission ist, ist offen. Sie hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) beauftragt, ihr bis Ende Juni 2024 Grundlagen für einen Regulierungsvorschlag zu liefern. Dass die Kommission offen für Lockerungen sein könnte, zeigt ihr aktueller Vorschlag zur Deregulierung neuer genomischer Techniken bei Pflanzen.
FOE fordern Moratorium für Guided Biotics
Noch spielen Mikroben in der europäischen Debatte über das Für und Wider von Gentechnik in der Landwirtschaft kaum eine Rolle. Damit bleiben auch wichtige Fragen zu diskutieren. Welche Risiken bergen gv-Mikroben? Gibt es Wissenslücken, die vor der Markteinführung zu schließen sind? Sind gv-Mikroben ein weiterer Technofix, der die industrielle Landwirtschaft aufrechterhält?
In den USA haben Friends of the Earth (FOE) kürzlich vor einer breiten Anwendung von gv-Mikroben gewarnt. Anlass zur Sorge geben der Naturschutzorganisation vor allem die bestehenden Wissenslücken und die Leichtigkeit, mit der Mikroben Gene untereinander austauschen. Als ähnlich besorgniserregend wie Gene Drives stufen FOE dabei die Guided Biotics-Technik ein. Sie fordern deshalb, deren Anwendung unter ein Moratorium zu stellen.
Benno Vogel ist freischaffender Biologie in Winterthur und in Berlin. Mehr zu seinen Tätigkeiten erfahren Sie unter www.bennovogel.eu.