Ein Roggen, der uns allen gehört

Gemeinsam die freie ökologische Züchtung stärken

Die Entwicklung neuer Nutzpflanzensorten ist für viele kleine Betriebe schwierig zu finanzieren. OpenSourceSeeds hat ausprobiert, ob sich die Entwicklung einer neuen Sorte mit einer Crowdfunding-Kampagne finanzieren lässt. Mit Erfolg: die erste Ernte ist 2023 zu erwarten.

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Foto: gemeinfrei auf pixabay.com (7128823)

Für viele von uns ist klar, dass Nutzpflanzenvielfalt der Schlüssel zur Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel ist, und somit existenziell, um die Ernährung der Menschheit langfristig sicherzustellen. Vielfalt fördern – dazu gehört das Bewahren und Schützen von alten Sorten, aber auch das Züchten von neuen Varianten, die z. B. besser mit Umweltveränderungen zurechtkommen. Im Öko-Bereich gibt es viele Züchter*innen, die bei ihrer Arbeit auf vielfältige und robuste Sorten setzen. Von der ersten Kreuzung bis zur fertigen Sorte vergehen oft viele Jahre, und gerade für kleine Betriebe wird die Planung dadurch erschwert, dass die Finanzierung durch Spenden oder Fördergelder immer nur für einen Teil des Zuchtprogramms reicht.

Bei OpenSourceSeeds beschäftigen wir uns schon lange mit der Frage, wie die Gesellschaft niedrigschwellig zur
Finanzierung neuer freier Sorten beitragen kann. Wir konnten bereits zeigen, dass viele Menschen durchaus bereit sind, die ökologische Züchtung aktiv zu unterstützen. So gaben in einer Umfrage 92 Prozent der Befragten an, dass sie im Laden einen Aufpreis bezahlen würden, wenn dadurch neue Sorten finanziert werden können – die dann als Gemeingut für alle nutzbar sind. Hapert es am Ende also nur an der Umsetzung?

Vor wenigen Monaten kam uns die Idee, erstmals eine freie Sorte über eine Crowdfunding-Kampagne zu finanzieren. Als wir dies den Züchter*innen vom ökologischen Züchtungsbetrieb Dottenfelderhof vortrugen, waren sie begeistert. Sie wollten gerne versuchen, ihre Arbeit mit Hilfe einer großen Gruppe von Interessierten zu finanzieren und gleichzeitig das Bewusstsein für die Bedeutung der Pflanzenzüchtung zu stärken. Und sie hatten auch gleich die passende Pflanze parat: einen Roggen.  
Wir starteten über die Plattform Startnext eine Crowd-funding-Kampagne mit dem Titel „Ein Roggen, der uns allen gehört“. Von Mai bis Juni 2022 sammelten wir einen Monat lang Spenden, um gemeinsam mit vielen Menschen, erstmalig eine Open Source-Sorte zu finanzieren.

Am Ende zitterten wir: Würden wir womöglich kurz vor dem Ziel scheitern? Die Erleichterung war groß, als wir ein paar Tage vor Ende der Kampagne doch die Zielsumme von 30.000 Euro erreichten, die benötigt wird, um eine neue Roggenpopulation zu züchten und als Gemeingut zu lizenzieren. Am Ende kam sogar mehr als diese Summe zusammen: unser Experiment war geglückt. Nicht nur hatten wir die Open Source-Lizenzierung einer neuen Sorte ermöglicht, während der Kampagne war auch die Community für Saatgut als Gemeingut merklich gewachsen. Viele Interessierte hatten sich direkt bei uns gemeldet, mit Fragen oder Ideen für neue Projekte.
Neben den Konsument*innen ist es uns natürlich ein Anliegen, weitere Züchter*innen für die Idee von Saatgut als Gemeingut zu begeistern.

In der Getreidezüchtung ist es oft noch eine Selbstverständlichkeit, Züchtungen mit Sortenschutz zu belegen, auch wenn einige Züchter*innen zumindest keine Nachbaugebühren von den Landwirt*innen einfordern.1 Zwar machen die Erlöse aus Sortenschutzgebühren in der ökologischen Pflanzenzüchtung nur einen kleinen Teil der Finanzierung aus. Dennoch zögern viele Züchter*innen, bei einer insgesamt unsicheren finanziellen Lage darauf zu verzichten. Diese Sorge können wir bei OpenSourceSeeds nachvollziehen, weshalb wir, wie oben bereits angedeutet, schon seit längerem zu zukunftsfähigen Finanzierungsmodellen der Ökozüchtung forschen. Dazu haben wir 2021 ein Diskussionspapier mit dem Titel „Vielfalt ermöglichen“ veröffentlicht, das fünf neue Konzepte vorstellt.2 Der Knackpunkt: Um wirksam zu werden, erfordern diese Modelle den Aufbau neuer Strukturen, an denen sich viele Akteur*innen beteiligen, z.B. aus Stiftungen und Öko-Verbänden, Züchtung, Landwirtschaft und Handel. Sie alle an einen Tisch zu bekommen und dann gemeinsam praxistaugliche Lösungen zu entwickeln, ist durchaus eine Herausforderung.

Neben dem beschriebenen Pilotprojekt zu Crowdfunding haben wir erste positive Erfahrungen mit dem Konzept gemacht, die Wertschöpfungskette zur Züchtungsfinanzierung zu nutzen. Unser Projekt „Ein Brot für freies Saatgut“, das seit 2019 läuft, ist vor diesem Hintergrund entstanden.3

Populationssorten – wie gemacht für die Open Source Strategie

Der Roggen aus der Kampagne soll dieses Projekt rund um Open Source-Brot weiter stärken. Wie beim dafür bereits etablierten Open Source-Weizen Convento C gehört auch der Roggen zur Gruppe der Populationssorten, die in der EU seit 2022 für den Saatgutverkehr zugelassen sind.4 Mit ihrer genetischen Vielfalt bieten sie viel Potenzial für eine ökologische Landwirtschaft, die aktuell auf rasche Umweltveränderungen reagieren muss.5

Ein weiterer Aspekt: Populationssorten können nicht mit Sortenschutz belegt werden. Denn durch ihre Vielfältigkeit erfüllen sie das dafür notwendige Kriterium der Einheitlichkeit nicht. Die Sortenschutz-Option fällt für Züchter*innen also automatisch weg, was einen Umstieg auf das Open Source-Modell noch attraktiver macht.6 Nach einem eingeschränkten Versuchszeitraum sind inzwischen Populationssorten vieler verschiedener Nutzpflanzen für den Handel zugelassen: Neben Getreide auch Gemüse sowie Zierpflanzen.7 Wir sind daher sehr gespannt, welche Populationssorten wir in Zukunft noch mit der Open Source-Saatgut-Lizenz werden schützen können.

Ein paar Tage nach Ende der Kampagne tauschten wir uns erneut mit dem Züchter*innenteam vom Dottenfelderhof aus. Inzwischen hatten sie die neue Roggen-Sorte fertig gezüchtet und unter dem Namen „Baldachin“ beim Bundessortenamt angemeldet. Der Open Source-Lizenzierung stand nichts mehr im Wege. Die Vermehrung war bereits angelaufen und für die Herbstaussaat 2022 würden sie schon Saatgut liefern können, größere Mengen dann ab 2023.

Der neue Open Source-Roggen ist jetzt auf unserer Sortenliste zu finden, inklusive Fotos, ausführlicher Beschreibung und Kontaktadresse.8 Wir sind gespannt, in welche Regionen es die neue Sorte verschlägt. Im Vorfeld hatten bereits mehrere Bäckereien aus dem Berliner Raum Interesse angemeldet. Hier sind die Voraussetzungen für einen regionalen Anbau ausgezeichnet, da Roggen gut auf den sandigen Böden Brandenburgs gedeiht. Insbesondere im Bio-Bereich ist das Getreide mit seinen vielen Ballaststoffen und Vitaminen sehr beliebt. Roggen macht länger satt, gilt als krebsvorbeugend und soll den Cholesterinspiegel senken. Er enthält zudem deutlich weniger Gluten als Weizen.9

Ein bisschen Geduld müssen „Baldachin“-Fans aber noch haben: Die erste Ernte für den Verbrauch ist 2023 zu erwarten. Wer unbedingt so bald wie möglich Open Source-Roggenbrot probieren will, kann auch selbst aktiv werden und einen eigenen Ableger des Projekts „Ein Brot für freies Saatgut“ in seiner Region organisieren. Wir freuen uns über jede Idee in diese Richtung und unterstützen nach Kräften alle, die neue Wertschöpfungsketten bei sich vor Ort aufbauen wollen.

  • 1Sortenschutz: Mit einem Sortenschutz können Züchter*innen beim Bundessortenamt einen rechtlich gesicherten Eigentumsanspruch auf eine Sorte geltend machen. Damit behalten sie die Kontrolle über das Vermehrungsmaterial der Sorte wie z.B. Saatgut. Sie können anderen verbieten, dieses zu vermehren, weiterzugeben oder aufzubewahren bzw. dafür Gebühren verlangen.
  • 2AGRECOL (07.02.20): Vielfalt ermöglichen. Wege zur Finanzierung der ökologischen Pflanzenzüchtung. Online: www.kurzelinks.de/gid262-ph [letzter Zugriff: 11.07.22].
  • 3OpenSourceSeeds (17.05.21): Ein Brot für freies Saatgut. Online: www.kurzelinks.de/gid262-pb [letzter Zugriff: 11.07.22].
  • 4Populationssorten: Das in der EU seit kurzem zugelassene ökologisch heterogene Material umfasst u.a. sog. Populationen, die über eine höhere genetische Vielfalt verfügen als klassische Sorten. Das Äquivalent zur klassischen Pflanzensorte ist eine Tierrasse, beide grenzen sich durch homogene Ausprägungen z.B. der Größe und Farbe von anderen Sorten und Rassen ab.
  • 5OpenSourceSeeds (17.08.21): Durchbruch bei der Liberalisierung des Saatgutmarktes – neue Regeln, neue Chancen. Online: www.kurzelinks.de/gid262-pc [letzter Zugriff: 11.07.22].
  • 6Arche Noah (03.22): Neue Regelungen betreffend Bio-Saatgut und Gruppenzertifizierungen in der neuen EU-Bio-Verordnung – eine Einführung. Online: www.kurzelinks.de/gid262-pd [Letzter Zugriff: 26.07.22].
  • 7Seeds4all (o.D.): Ökologisches Heterogenes Material: Neue Vermarktungsregeln für vielfältiges Saatgut. Online: www.kurzelinks.de/gid262-pe [letzter Zugriff: 11.07.22].
  • 8OpenSourceSeeds (o.D.): Roggen „Baldachin“. Online: www.kurzelinks.de/gid262-pg [letzter Zugriff: 11.07.22].
  • 9Kompetenzzentrum für Ernährung (o.D.): Gluten in Getreide und Getreideerzeugnissen. Online www.kurzelinks.de/gid262-pf. [letzter Zugriff: 11.07.22].
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
262
vom August 2022
Seite 23 - 26

Bella Aberle, Mitarbeiterin bei OpenSourceSeeds / Agrecol.

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