Die (gen)editierte Natur?
Grenzen der Risikobewertung und gesellschaftliche Verantwortung
Gene Drives und andere gentechnische Anwendungen werden zunehmend im Zusammenhang mit der Biodiversität und dem Naturschutz diskutiert: Grenzen der Risikobewertung und gesellschaftliche Verantwortung.
Neoformen von ausgestorbenen Arten zum Leben erwecken, geschützte Arten gentechnisch gegen Krankheiten ausrüsten oder invasive Arten mit Hilfe von transgenen Artgenossen ausrotten? Der führende US-amerikanische Molekularbiologe von der Harvard University, George Church, formuliert die aktuellen Pläne der gentechnischen Forschung noch grundsätzlicher:
„Heute stehen wir in Wissenschaft und Technik an dem Punkt, an dem wir Menschen das, was die Natur bereits hervorgebracht hat, zunächst reproduzieren und dann verbessern können. […] Auch wir können genetische Vielfalt schaffen, die zu der erheblichen Summe beiträgt, die die Natur bereits verwirklicht hat.“1
Immer häufiger werden gentechnische Anwendungen in Zusammenhang mit der Biodiversität und dem Naturschutz diskutiert2 und so gilt es, diese Vorschläge einzuordnen und zu bewerten. Seit der ersten Freisetzung eines gentechnisch veränderten Organismus (GVO) vor über 30 Jahren hat der Anteil gentechnisch veränderter Nutzpflanzen in der Landwirtschaft außerhalb Europas beständig zugenommen. Freisetzungen von GVO außerhalb von Agrarökosystemen kommen hingegen bisher nur sehr vereinzelt vor. Wenn nun einzelne Wissenschaftler*innen den aktiven Einsatz von GVO als Instrument im Naturschutz vorschlagen, stellt das für den Naturschutz ein Novum dar und führt gleich auf zwei Ebenen zu grundsätzlichen Herausforderungen: Einerseits stößt eine Umweltrisikoprüfung von GVO außerhalb von landwirtschaftlichen Anwendungen mit dem jetzigen Wissen schon allein durch die Komplexität der aufnehmenden Ökosysteme schnell an ihre Grenzen. Andererseits gilt es gleichzeitig, grundlegende Fragen für den Naturschutz und die Gesellschaft zu klären.
Das Labor im Feld: Gene Drives
Der erste Schritt zur Einordnung, ist eine Abschätzung, wie realistisch die vorgeschlagenen Ansätze sind. Die meisten Vorschläge zum Einsatz von GVO im Bereich Naturschutz befinden sich aktuell in einem rein konzeptionellen Stadium. Allerdings gibt es auch Ansätze, die schon sehr konkret in Laboren erforscht und umgesetzt werden. Allen vorweg sind hier sogenannte Gene Drives zu nennen, mit deren Hilfe Wildpopulationen direkt in der freien Natur gentechnisch verändert werden sollen. Zu diesem Zweck werden GVO hergestellt, denen auch molekulare Instrumente der Gentechnik eingebaut werden. Werden diese GVO freigesetzt, sollen sie sich mit ihren Wildverwandten kreuzen. Mit Hilfe der in den GVO freigesetzten Gentechnikinstrumente würde während der Vererbung dieselbe gentechnische Veränderung (inklusive der Instrumente) auf alle Nachkommen übertragen. Auf diese Weise fänden die gentechnischen Veränderungen direkt im Freiland und nicht mehr unter den kontrollierten Bedingungen des Labors statt. So soll das Labor ins Feld transferiert und die Möglichkeit geschaffen werden, Wildpopulationen – unter Umschiffung der natürlichen Vererbung – in der Natur gentechnisch zu verändern. Dieser „lab in the field“- Ansatz geht somit in seiner Raum-und-Zeit-Wirkung weit über klassische GVO hinaus.3
Auf der einen Seite eröffnen die aktuellen Transitionen in der Gentechnologie, wie das Genome Editing Verfahren CRISPR-Cas, grundlegend neue Möglichkeiten, Organismen zu gestalten. Dadurch ist die Forschung immer weniger an den evolutionären Raum gebunden, sodass zunehmend auch sehr weitreichende Eingriffe in Organismen möglich werden. Auf der anderen Seite stehen aber komplexe Zusammenhänge in den Organismen selber, den Ökosystemen und im Zusammenspiel von Mensch und Natur, die wir nur rudimentär verstehen. Die Gestaltungsmacht, Gene umzuschreiben, neu zu sortieren oder sogar zu erfinden, ist mit den neuen gentechnischen Instrumenten wesentlich größer geworden. Die Abschätzung, was diese Veränderungen auf den unterschiedlichen Ebenen konkret bewirken, bleibt allerdings nach wie vor herausfordernd beziehungsweise wird je nach Eingriff immer schwerer. Diese beiden Pole zwischen den neuen Möglichkeiten, Organismen genetisch neu zu gestalten, und den Grenzen unseres Wissens über die Wirkung und Auswirkungen dieser Veränderung gilt es bei der Bewertung der Neuen Gentechnik und ihres Potenzials immer gleichzeitig im Blick zu behalten.
Grenzen des Wissens
Wie viel müssen wir aber von den komplexen Zusammenhängen verstehen, wenn wir in diese gestaltend eingreifen? Eine primäre Begründung, Auswirkungen gentechnischer Eingriffe abschätzen zu wollen, ist das Bestreben, Risiken für Umwelt und Gesundheit zu begrenzen. Mit dem Gentechnikgesetz ist – auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips – diese konkrete Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) festgeschrieben und wird im Rahmen einer Einzelfallprüfung vorgenommen. Bei den hier diskutierten Anwendungen im Bereich Naturschutz handelt es sich in der Regel um sehr komplexe Veränderungen, für die frühzeitig Methoden für die Risikobewertung angepasst oder neu entwickelt werden müssen. Allerdings stoßen wir bei vielschichtigen Anwendungen auch schnell an die Grenzen des aktuellen Wissens und unserer Fähigkeit, diese zu bewerten. In Bezug auf Gene Drives hat das BfN gemeinsam mit sieben weiteren europäischen Umweltbehörden analysiert, dass für viele risikorelevante Fragen die notwendigen Kenntnisse und Daten für die Umweltverträglichkeitsprüfung noch nicht verfügbar sind und die Methoden nicht ausreichend sind, um die spezifischen Risiken einzuschätzen, die Gene Drive Organismen für die Umwelt und den Naturschutz darstellen können.4 Bei gentechnischer Veränderung von Wildpopulationen stellt sich auch die grundlegende Frage, ob das nötige Wissen in handlungsrelevanten Zeiträumen überhaupt generiert werden kann. Sollte es demnach zu einer Freisetzung kommen, würde es sich voraussichtlich um ein Handeln unter Unwissenheit handeln – oder, wie es Frieß et al. aktuell formuliert haben, um ein exploratives Experiment, bei dem Umwelt, Natur und Gesellschaft zu einem Experimentierfeld werden.( 5) Spätestens hier kommt neben der reinen Risikobewertung die gesellschaftliche Ebene ins Spiel. Neben der gesetzlich vorgeschrieben Risikobewertung ist folglich eine allgemeinere Bewertung nötig.
Grundlegende Fragen für Gesellschaft und Naturschutz
Auf der gesellschaftlichen Ebene kann bereits eine Diskussion über die potenziellen Möglichkeiten von Gentechnik im Bereich Naturschutz Auswirkungen auf unser Naturbild haben. Je weiter das Projekt der Biotechnologie, künstliche Lebewesen zu schaffen, voranschreitet, umso größer wird auch der Einfluss auf unser Konzept der Natur und des Lebens werden. Primär würde es beispielsweise ein mechanistisches Verständnis vom Leben stärken. Wenn George Church über die Wiederherstellung ausgestorbener Arten diskutiert, rüttelt das zudem an dem verbreiteten Bild der Unverfügbarkeit der Natur und der häufig daraus hergeleiteten Schutzwürdigkeit.5 Etwas überspitzt formuliert: wenn wir etwas wieder herstellen können, warum sollen wir es dann überhaupt noch schützen? Neben der Wiederherstellung geht es Church auch um eine Verbesserung der Natur, was einerseits eine gewisse Hybris darstellt und andererseits zu einer zunehmenden Entgrenzung des Natürlichen und Kultürlichen führt. Mit Gene Drives werden beispielsweise Organismen geschaffen, denen Eigenschaften fehlen, die genuin zu natürlichen Lebewesen gehören, da ihre Fähigkeit natürlich zu evolvieren verändert ist.
Der potenzielle Einfluss der Gentechnik auf unsere Konzeption des Lebendigen und der Natur wird in der gesellschaftlichen Debatte häufig unterschätzt. In vielen Diskussionen über die Biotechnologie spiegelt sich ein Unbehagen wider, das Wissenschaftler*innen manchmal als irrational oder naiv aufstößt. In nicht seltenen Fällen stehen aber hinter diesem Unbehagen ernste Argumente, wie eines zu laxen Umgangs mit dem Begriff der Natur und des Lebendigen und ihrer gewachsenen Komplexität, oder die Befürchtung, dass den Forscher*innen Goethes „Hexenmeister“ fehlt, der synthetische Organismen „zur Ordnung rufen“ könnte. In einem problemorientierten Diskurs zu den diskutierten gentechnischen Anwendungen im Naturschutz müssen diese Argumente ernst genommen werden. Methoden der Technikfolgenabschätzung könnten dabei helfen, diese Ebene des Diskurses besser herauszuarbeiten. Für den Naturschutz gibt es darüber hinaus auch ganz konkrete Fragen zu lösen. Ist es beispielsweise überhaupt legitim, eine geschützte Art gentechnisch zu verändern? Und inwieweit hat dies einen Einfluss auf deren Schutzstatus? Oder allgemeiner: ist die (gen)-editierte Version der Natur grundsätzlich schutzwürdig? Die Frage, wie weit und unter welchen Voraussetzungen wir in die Natur gestaltend eingreifen wollen, ist eine Frage, die in die Verantwortung der Gesellschaft und des Naturschutzes fällt. Das Europäische Parlament hat mit seiner Entschließung, dass Gene Drives nicht verfrüht in die Natur freigesetzt werden sollen und das Vorsorgeprinzip gewahrt bleibt muss, bereits einen ersten Schritt zur Wahrnehmung dieser Verantwortung unternommen.6 Weitere sollten folgen.
- 1Church, G. M./ Regis, E. (2012): Regenesis. How synthetic biology will reinvent nature and ourselves. New York: Basic Books. 1. ed., S.12.
- 2Redford, K. H./ Brooks, T. M. et. al. (2019): Genetic frontiers for conservation: an assessment of synthetic biology and biodiversity conservation: technical assessment: IUCN, International Union for Conservation of Nature (70).
- 3Simon, S./ Otto, M./ Engelhard, M. (2018): Synthetic gene drive: between continuity and novelty, EMBO Reports 19 (5):e45760, doi: 10.15252/embr.201845760.
- 4Dolezel, M./ Simon, S./ Otto, M. et al. (2020):Gene Drive Organisms: Implications for the Environment and Nature Conservation. Online: www.kurzlink.de/gid253_p [letzter Zugriff: 16.04.2020].
- 5Frieß, J./ Otto, M. et al. (2020): Umbruch in der Biotechnologie: Sprung aus dem Labor in die Natur. Natur und Landschaft 95(5): S.209-214.
- 6Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Januar 2020 zu der 15. Tagung der Konferenz der Vertragsparteien (COP15) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (2019/2824(RSP)). Online: www.kurzlink.de/gid253_zs [letzter Zugriff: 16.04.2020].
Margret Engelhard ist Leiterin des Fachgebietes zur Bewertung gentechnisch veränderter Organismen/Gentechnikgesetz am Bundesamt für Naturschutz (BfN).