Versprühte Dörfer: Pestizideinsatz in Argentinien
Gesundheitliche Auswirkungen von Glyphosat & Co.
Im Rahmen ihrer Kampagne für den Schutz von Menschen, Tieren und Umwelt vor Glyphosat-haltigen Totalherbiziden lud die Agrar Koordination am 3. November zu einer Veranstaltung nach Berlin. Ein Bericht.
„Meine Damen und Herren, diese Veranstaltung ist lange geplant.“ Mit diesen Worten begrüßt Julia Sievers-Langer von der Agrar Koordination das Publikum im Konferenzraum der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Der Verein mit Sitz in Hamburg hat seine Glyphosat-Kampagne begonnen, bevor das Thema ganz große Wellen geschlagen hat.1 Inzwischen ist das Interesse von Öffentlichkeit und Medien geweckt, der Konferenzraum voll besetzt, und es gelingt mir nicht, ein Interview mit dem Hauptredner Medardo Avila Vazquez zu führen, dessen Terminkalender für heute bereits voll ist.
Medardo Avila Vazquez ist ein Arzt aus Argentinien und derzeit auf Vortragsreise durch Deutschland. Er führt uns das Bild eines Landes vor Augen, das vielleicht wie kein anderes von der massenhaften Ausbringung von Agrarchemikalien betroffen ist. Über 370 Millionen Kilogramm Pestizide werden bis Ende dieses Jahres auf den argentinischen Feldern gelandet sein, davon über 240 Millionen Kilo Glyphosat. Das sind mehr als zehn Kilogramm auf jedem Hektar, auf dem Soja oder Mais angebaut wird. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der durchschnittliche Jahresverbrauch von Glyphosat bei deutlich unter einem Kilogramm pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche. Doch das sind agrarökonomische Kennziffern, so scheint es - warum sollte ein Arzt sich für diese Fragen interessieren?
„Ich habe gesehen, wie die Landwirtschaft bestimmte Erkrankungen verursacht“, sagt Vazquez. Er ist Professor für Kinderheilkunde an der Universität Córdoba und arbeitet als Kinderarzt in der Uniklinik. Auf der Intensivstation behandelt er Neugeborene, die mit Anomalien zur Welt gekommen sind. Sein Vortrag handelt von diesen Kindern - und von Statistiken. Die Zahlen, die er an die Wand wirft, zeigen, dass in landwirtschaftlich geprägten Dörfern und Gebieten überdurchschnittlich viele Säuglinge mit Anomalien auf die Welt kommen. Diese Dörfer - Namen wie Ituzaingo oder Malvinas Argentinas könnten dem ein oder der anderen GID-LeserIn bekannt sein - sind nicht selten umringt von Feldern, auf denen Glyphosat-tolerante gentechnisch veränderte (gv) Soja und Glyphosat-toleranter gv-Mais angebaut werden. Bis zu 18 Mal pro Jahr werden diese Felder mit Pestiziden behandelt, teilweise unter Einsatz von Sprühflugzeugen, die die Chemikalien aus der Luft ausbringen. Zu bestimmten Zeitpunkten im Jahr steigt die Zahl der Fehlbildungen noch weiter an: neun Monate nach dem Zeitraum, in der am meisten Pestizide ausgebracht werden.
Hohe Krebs- und Fehlgeburtsraten
Auch Krebserkrankungen und Fehlgeburten kommen bei den EinwohnerInnen dieser Orte deutlich häufiger vor als im Landesdurchschnitt. Und zwar unabhängig von anderen Variablen wie Wohlstand oder ethnische Zugehörigkeit. Vazquez erzählt von einer Studie, an der er selbst beteiligt war: In der Kleinstadt Monte Maíz, die mitten im Sojaanbaugebiet liegt, kartierten die WissenschaftlerInnen den Gesundheitszustand der Bevölkerung. Statistisch wären dort 11 bis 13 Krebserkrankungen pro Jahr zu erwarten, im Jahr 2014 sind tatsächlich jedoch 35 EinwohnerInnen neu erkrankt. In der Summe mit zahlreichen weiteren Studien kann man eigentlich nur zu einem Schluss kommen: Es muss einen Zusammenhang zwischen dem Ausbringen der Ackergifte und den hohen Krebs- und Fehlgeburtsraten geben.
So wie Vazquez bekommen auch zahlreiche andere Ärzte die fatalen Auswirkungen des Pestizideinsatzes tagtäglich in ihren Praxen und Krankenhäusern vor Augen geführt. Um sich nicht einfach damit abzufinden, gründeten sie das Netzwerk Médicos de Pueblos Fumigados (deutsch: Ärzte der versprühten Dörfer). Sie fordern, dass das Ausbringen von Pestiziden aus der Luft sowie in unmittelbarer Nähe zu bewohnten Gebieten verboten wird und sprechen sich für ein Verbot von Glyphosat und anderen hochgiftigen Pestiziden aus.
Und hierzulande? Von der EU erhofft sich Vazquez, dass die Pestizidrückstände in importierter Ware konsequent gemessen werden. „Dann würden argentinische Landwirte ihre Praxis ändern und weniger Pestizide ausbringen.“ Leider ist am Ende der Vortragsreise diesbezüglich wenig Positives aus Brüssel zu berichten.
- 1Weitere Informationen zur Kampagne und der Veranstaltung unter www.agrarkoordination.de/projekte/roundup-co.
Anne Bundschuh arbeitet beim Forum Umwelt und Entwicklung und koordiniert dort das Netzwerk Gerechter Welthandel. Von 2012 bis 2017 war sie Mitarbeiterin des GeN.
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