Interview: Die Heilige Familie

Unsere Vorständlerin und Geschlechterforscherin Ulrike Klöppel über queere Wünsche, Handlungsspielräume und Kritik an Reproduktionstechnologien in der aktuellen analyse & kritik

Vor einigen Wochen gab es in Berlin zum ersten Mal eine »Kinderwunschmesse«. Hier wurde auch mit Angeboten geworben, die sich explizit an lesbische und schwule Eltern richteten. Wie hast du die Berichterstattung dazu wahrgenommen?

Ulrike Klöppel: Hängen geblieben ist mir ein kritischer Beitrag in der taz, der sich sehr deutlich zu der Diskrepanz äußerte zwischen einer Werbung, die das Ganze als rein informativ dargestellt wissen wollte und einer Veranstaltung, bei der sich im Grunde ausschließlich Firmen präsentieren, die zum größten Teil in Deutschland nicht legale Praktiken zu erheblichem finanziellen Aufwand anbieten, um Menschen ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Der Artikel beschrieb sehr gut, wie der Kinderwunsch zu einer Art geschäftlichen Verhandlung wurde. In dem queeren Berliner Stadtmagazin Siegessäule hingegen wurde die Veranstaltung vollkommen unkritisch angekündigt. Das hat mich doch sehr verwundert.

Es gibt nicht »die« queere Perspektive auf Reproduktionstechnologien?

Nein, im Gegenteil, soweit ich sehe, fehlt es an kritischen queeren Auseinandersetzungen damit, zumindest in Deutschland. Ich würde zunächst eine individuelle und eine strukturelle Perspektive unterscheiden. Auf der individuellen Ebene eröffnen Reproduktionstechnologien Handlungsspielräume für LSBTIQ, mit Kindern zu leben. Nach wie vor besteht eine rechtliche Benachteiligung gegenüber heterosexuell lebenden Menschen, zum Beispiel im Hinblick auf Adoption. Homosexuelle Paare, eingetragene Lebenspartnerschaft oder nicht, können in Deutschland gemeinsam kein »fremdes« Kind adoptieren. Du kannst allein adoptieren und dann kann eine andere Person eine sogenannte Stiefkind-Adoption durchführen. Sich alleine auf eine Adoption zu bewerben, bedeutet schlechtere Chancen bei der Vermittlung, weil Paare bevorzugt werden. Es gibt zudem eine rechtliche Benachteiligung gleichgeschlechtlicher Eltern bei Geburt eines biologischen Kindes, denn es gibt keine automatische Anerkennung als Eltern und damit kein gemeinsames vollumfängliches Sorgerecht.

Also stehen Benachteiligung und Reproduktionstechnologien in einem sehr engen Verhältnis?

Es ist historisch und auch aktuell so, dass Homo-Rechte immer wieder kassiert wurden und werden. Biologische Elternschaft verspricht mehr Sicherheit. Nicht zuletzt deswegen gibt es den Wunsch, sich über eine biologische Beziehung zum Kind gegen mögliche rechtliche Ungleichbehandlungen abzusichern. Das finde ich einen legitimen Wunsch, aber auch biologische Elternschaft garantiert kein ehernes »Recht am Kind«. Der Staat kann einem trotzdem das Kind wegnehmen, das kann man an der sogenannten Inobhutnahme sehen, wenn die Jugendämter zu dem Schluss kommen, dass das Kindeswohl bei den »leiblichen« Eltern gefährdet ist oder wenn sie umgekehrt der Meinung sind, dass ein Pflegekind wieder zu den »leiblichen« Eltern zurückkehren sollte. Vor allem Schwule Paare haben wenig Chancen, als Väter im rechtlichen Sinne in Erscheinung treten zu können, wenn sie sich nicht mit befreundeten Frauen oder Lesben in eine Aushandlung begeben. Das erscheint vielen zu schwierig und um sich diese Elternschaft zu ermöglichen, kommen - neben Adoptionen im Ausland - Leihmutterschaften ins Spiel. Dies ist keinesfalls weniger aufwändig, natürlich auch sehr kostspielig, aber trägt individualisierten Lebensweisen Rechnung.

Wenn dies so mühsam ist, ist dann die individuelle Entscheidung nicht umso verständlicher?

Aus der individuellen Perspektive ist das alles nachvollziehbar. Aber man muss die strukturellen Gründe für diese Entscheidungen aus queerer Perspektive kritisieren. Aus feministischer Perspektive sowieso, aber auch aus queerer Sicht. Die heterosexuelle Norm, die sich durch die Reproduktionstechnologien verstärkt, ist die, dass ein Lebenslauf immer auf »Familie« zuläuft und meint: eine »Kernfamilie« aus Paar, im Normalfall heterosexuellem Paar und Kind. Diese familialistische, heteronormative Zukunft gilt als das Modell für ein gelungenes, glückliches Leben. Reproduktionstechnologien ermöglichen, dieses Modell trotz biologischer Widrigkeiten zu erfüllen - und auch ohne heterosexuelle Beziehung. Durch die Art, wie Reproduktionstechnologien hierzulande überwiegend einseitig als »Chance« verhandelt werden, wächst auch der subtile Druck, sich auf die familialistische Norm einzuschwingen. Früher war es für die Eltern von Menschen, die in einer lesbischen oder schwulen Beziehung lebten, doch automatisch klar: Das ist der Verzicht auf die Enkelkinder! Jetzt gibt es die Möglichkeit und auch den Druck, trotz allem, entgegen von Sexualität oder Zufällen, ein Kind zu bekommen. Das queere Elternpaar ist zwar immer noch ein Alien, aber immerhin gibt es ein Enkelkind. So leisten auch die Queers endlich einen »wertvollen Beitrag zur Gesellschaft«.

Ist diese Entwicklung ein Rückfall hinter Errungenschaften, die queere Kämpfe schon hervorgebracht haben?

Aus feministischer Perspektive gab es hier schon einen weitaus kreativeren Umgang. Die Idee, Vaterschaft ablehnen zu können, um sich des patriarchalen Bestimmungsmoments zu entledigen, verweist zum Beispiel auf eine antipatriarchale Utopie. Aber aktuell geraten nicht nur solche Diskussionen in Vergessenheit, sondern auch, dass die Reproduktionstechnologien nur in einem gesellschaftlichen Rahmen zum Tragen kommen und der ist diskursiv, sowie rechtlich und institutionell spezifisch geregelt. Insofern ist es kein Rückfall, es ist eher eine große Verschiebung mit neuen Problemen.

Diese fällt aber nicht nur zufällig mit einem Aufschwung des konservativen Familienbilds zusammen?

Das ist kein Zufall. Aber viele Queers haben sich ja über sehr lange Zeit geradezu »anti-familiär« verstanden, nach dem Motto »Raus aus dem Familien- und Kinderwahnsinn!« Auf der Theorieebene gab es Kritik, aber allgemein in der Szene war es doch verpönt, Kinder zu haben. Jetzt ist eher andersherum. Rückschrittlich ist das nicht, weil es ja auch nicht an und für sich fortschrittlich ist, ohne Kinder zu leben. Da Familie aber so deutlich heteronormativ besetzt ist, bringt es eine Normalisierung von lesbischen, schwulen und trans-Lebensweisen mit sich - irgendwann vielleicht auch von Inter*, aber da sind wir gesellschaftlich noch lange nicht. Aber ich würde das nicht einfach als Backlash bezeichnen. Das ist ein wichtiger Punkt: Warum werden die Queers, je nachdem, wie weit sie sich assimilieren, immer zum Gradmesser eines allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritts oder Backlashs gemacht? Warum werden sie permanent als Besonderheit verhandelt? Sie machen einfach nur das, was andere auch machen. Queers sind Menschen, die wie andere auch von unauflösbaren Beziehungen und Verbindungen träumen, mit genauso banalen ödipalen Wünschen wie andere.

Was lässt sich noch über die soziale Dimension von Reproduktionstechnologien sagen?

Da nur heterosexuelle Paare finanzielle Zuschüsse zur medizinischen »Samenbehandlung« erhalten, können sich diese nur Menschen mit einem gewissen Einkommen leisten. Das gilt erst recht für die Leihmutterschaft. Es ist also auch eine Klassenfrage, zudem mit einer bevölkerungspolitischen Dimension: Fortpflanzen können sich auf diesem Weg nur bestimmte Schichten der Gesellschaft - diejenigen, die in unserer Gesellschaft sowieso schon vom Staat hofiert werden. Dazu kommt, dass Reproduktionstechnologien die Herangehensweise bestärken, dass Kinder Planungsgut sind, dass es richtig ist, ein Kind intentional zu zeugen und nur unter kontrollierten Voraussetzungen in die Welt zu setzen. Denn das Kind soll - Repro- und Selektionstechniken gehen ja Hand in Hand - auch noch gesund sein. Planbar und gesund.

Stichwort Leihmutterschaft. Wie siehst du dieses Verfahren?

Ich finde das Verfahren der Leihmutterschaft besonders zu kritisieren. Es wird vielfach mit einer Idee von Selbstbestimmung verknüpft, die in meinen Augen eine Reduzierung auf die Perspektive derjenigen bedeutet, die das Kind »in Auftrag« geben. Das gesamte Gefüge wird nicht betrachtet. Es gibt diese Phantasie, dass die Auftragnehmerin die Aufgabe aus altruistischen Gründen angenommen habe oder weil sie selbstbestimmt Geld verdienen möchte. Das mag alles möglich sein, aber auch dabei ist die Gesamtkonstellation zu betrachten, das ökonomische Gefälle zwischen den Auftraggebenden und den Auftragnehmerinnen, das erhöhte gesundheitliche Risiko, was damit einhergeht. Und: Noch einmal die verstärkte Fixierung auf ein gesundes Kind, während die kranken oder behinderten Kinder nicht übernommen werden, die Rechtsunsicherheit, die damit für die Ausführenden einhergeht. Die Ausbeutungsverhältnisse, die daran geknüpft sind, treten sehr deutlich hervor. Dazu kommt, dass Leihmutterschaft eine ganz andere Verfügbarkeit über den Körper der Frau bedeutet, es handelt sich einfach um eine sehr lange Zeitspanne der »Dienstleistung« - im Vergleich zu Sexarbeit, die an diesem Punkt als Vergleich gerne ins Spiel gebracht wird. Das Verbot der Leihmutterschaft, wie wir es in Deutschland haben, ist daher in meinen Augen angemessen.

Was bedeutet die gesamte Entwicklung für andere Konzepte von Elternschaft?

Aus der Diskussion verschwinden Modelle enger Beziehungen mit Erwachsenen jenseits von rechtlicher Elternschaft, die für Kinder sehr wichtige Bezugspersonen sind und Konstellationen, in denen es dann auch z.B. mehr erwachsene Bezugspersonen als nur zwei Eltern gibt. Da sie nicht rechtlich geregelt sind, bedeuten solche Konstellationen einen hohen Grad sozialer Aushandlungsprozesse: Wer kommt finanziell für das Kind mit auf, wer ist da, wenn das Kind krank ist, wer verbringt Zeit mit ihm, wer ist verantwortlich? Und auch: Was passiert, wenn sich aus diesem Gefüge rund um das Kind Personen verabschieden, verabschieden müssen, wenn es z.B. Konflikte gibt? Wie kann ein Care-Netzwerk um ein Kind überhaupt bestehen, das nicht von vorneherein nur der Idee eines Paars mit Kind entspricht? Ich finde, dies ist ein sehr wichtiger Moment für das Leben mit Kindern, der bei der Fixierung auf eine biologisch und rechtlich eindeutige Beziehung zum Kind auf der Strecke bleibt. All das klammert aus, was für eine Bereicherung diese Art sozialer Beziehungen sein kann. Umgekehrt ist an die gesellschaftlich dominierende Vorstellung biologischer Elternschaft die Erwartung geknüpft, dass diese automatisch eine intensive emotionale Beziehung zum Kind mit sich bringe. Doch es gibt ja auch die Eltern, die davon berichten, dass es ihnen nach der Geburt des Kindes nur allmählich gelungen ist, eine Beziehung zu diesem aufzubauen. Aber die Fiktion des Biologischen ist stark. Eine hormonell bedingte Depression wird in solchen Fällen bei den Müttern dann als Begründung ins Spiel gebracht, oder es heißt: »Wenn du erstmal anfängst zu stillen, gibt sich das schon.« Bei Adoptionen oder Pflegekindern gibt es diesen angeblichen biologischen Affekt-Automatismus nicht und wie sich dann die Beziehung zum Kind herstellt, da klafft dann eine diskursive Lücke auf - was ja immerhin Platz lässt für kreative Ideen. Die soziale Beziehung zum Kind wird in unserer Gesellschaft im Vergleich zur biologischen Beziehung nach wie vor als zweitrangig gesehen. Das sollte eine queere Perspektive auf Reproduktionstechnologien immer systematisch reflektieren.

8. Mai 2017

Gen-ethisches Netzwerk e.V.

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