Ärger aus Brüssel
Die Novellierung des Gentechnikgesetzes entwickelt sich zu einer nicht-enden-wollenden Geschichte. Das vorerst letzte Kapitel schrieb die EU-Kommission mit der Androhung eines Mahnverfahrens für den Fall, dass die Bundesregierung nicht verschiedene Änderungen an ihrer Vorlage vornimmt.
Eigentlich sollte sich in Brüssel derzeit nichts weltbewegendes ereignen - Urlaubszeit - die EU-Bürokratie hat auf lebenserhaltende Maßnahmen umgestellt. Doch mit dem Datum vom 26.7.04 legte der Generalsekretär der Kommission der Europäischen Union, der Ire David O'Sullivan, einen Kommentar zu der geplanten Neuregelung des deutschen Gentechnikgesetzes vor. Medienberichten zufolge hält es die EU-Kommission unter anderem für nicht akzeptabel, wenn ein Landwirt auch dann schadensersatzpflichtig sein soll, obwohl er die gute fachliche Praxis eingehalten hat. Dies führe, so heißt es weiter, "generell zu einem hohen und nicht vorhersehbaren wirtschaftlichen Risiko für GVO-Landwirte". Wie schon die Opposition im Bundestag und die Mehrheit der Bundesländer im Bundesrat, hat es also auch die EU-Kommission auf die Haftungsregelung abgesehen. An verschiedener Stelle soll, so heißt es in den Berichten weiter, die Freisetzungsrichtlinie 2001-18 der EU nicht korrekt umgesetzt worden sein. Interessanterweise bemängelt die Kommission auch die Ausführungen zur so genannten Koexistenz in der deutschen Gesetzesvorlage. Grundsätzlich ist der Kommentar der Kommission ein ganz normaler Vorgang: Die Kommission überwacht die Einhaltung der Europäischen Verträge und dazu gehört auch, dass sie prüft, ob, wann und wie die Mitgliedsstaaten das EU-Recht umsetzen. Mögliche Reaktionen der Bundesregierung sind: der eilige Gehorsam oder eine abwartende Haltung; Mahnverfahren der Kommission sind keine Seltenheit. Die Ausführungen in den Medien sind im Übrigen unklar, so wird zum Beispiel auf www.biosicherheit.de (1) als erster Punkt unter Koexistenzregeln die Haftungsverpflichtung aufgezählt, nach der ein Schaden nicht erst bei einer Verunreinigung über dem Grenzwert von 0,9 Prozent eintritt. Vielmehr will die Koalition in Berlin Schäden in die Haftungsregeln aufnehmen, die unterhalb der europäischen Kennzeichnungsregeln entstehen. Spricht ein Landwirt mit dem Abnehmer seiner Produkte zum Beispiel eine Obergrenze von 0,5 Prozent für die Verunreinigung mit gentechnischem Material ab, und wird dieser Wert durch die Aukreuzung von einem Nachbarfeld überschritten, kann der Nachbar auf Schadensersatz verklagt werden. Offensichtlich handelt es sich in diesem Punkt nicht um eine Koexistenzregel, sondern eine Regel, die eintritt wenn die Koexistenz nicht funktioniert. Was genau die Kommission bereits an den spärlichen Koexistenzregeln des bisher vorliegenden Gesetzestextes auszusetzen hat, bleibt also abzuwarten. Von zentraler Bedeutung bleibt allerdings, dass die noch zu verabschiedenden Koexistenzregeln Hand und Fuß haben. Von ihnen hängt ab, ob es auch in Zukunft eine gentechnikfreie Landwirtschaft geben wird. Die Kommission der EU selbst hatte es in der Vergangenheit fahrlässig versäumt in diesem so wichtigen Punkt für Klarheit zu sorgen. Im vergangenen Jahr schrieb sie nämlich keine rechtlich bindende Regeln für den gesamten europäischen Wirtschaftsram fest, sondern glaubte sich mit vagen Leitlinien aus der Affäre ziehen zu können. An die Kommission gerichtet kann es nur heißen: hop oder top, entweder sie erlässt die Europa-weit gültigen Regeln zur Koexistenz, oder sie lässt die Mitgliedsstaaten diesen Job machen. Bei all dem Wirbel um die Stellungnahme aus Brüssel geht leider unter, dass es nach wie vor keine wirklichen Koexistenzregeln gibt. Der Gesetzestext gibt nur vage Vorgaben, die aber von einer Regelung im Sinne einer guten fachlichen Praxis weit entfernt sind. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Beobachtung der in den Verkehr gebrachten, das heißt kommerzialisierten GVO (Monitoring). Diese soll der Tatsache genüge tun, dass es sich bei der Gentechnologie um eine neue - noch in weiten Teilen unbekannte - Größe handelt, bei der zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit hinreichender Sicherheit gesagt werden kann, welche Folgen sich aus ihrer Anwendung ergeben. So ergibt sich, dass es für das federführende Verbraucherministerium noch wichtige Entscheidungen zu treffen sind. Man darf gespannt sein.
Fußnote:
Quellen:
- www.biosicherheit.de/aktuell/299.doku.html
- Die Welt, 2.8.04
- Bayerisches Staatsministerium für Umwelt (www.pressrelations.de/i.cfm?r =163317)
Der aktuell diskutierte und vom Bundestag in zweiter und dritter Lesung verabschiedete Gesetzestext findet sich im Netz unter: http://www.keine-gentechnik.de/bibliothek/gentges… Dort auch aktuell die nächsten Schritte des Verfahrens.
Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.