Wem gehört das Bier?
Unklarheiten trotz Einschränkung eines Patents
Im Oktober dieses Jahres hat das Europäische Patentamt ein klärendes Urteil gefällt. Ein Patent auf Gerste und Bier wurde eingeschränkt. Kritik und Unklarheiten bleiben jedoch bestehen.
Auf dem Weg zum Oktoberfest. Aktion von Kein Patent auf Saatgut am 2. Oktober an der Hackerbrücke in München. (c) Falk Heller / argum
Patente sind der Puls des technologischen Fortschritts, das Herz der innovativen Technikunternehmen und somit von enormer wirtschaftlicher Bedeutung, schreibt das Deutsche Patent- und Markenamt. Hinter den großen Worten steckt aber vor allem das Interesse von Unternehmen ihre Erfindungen als exklusives, geistiges Eigentum zu schützen und damit Gewinn zu machen. Denn die Verwendung von Prozessen und Produkten, die unter ein Patent fallen, müssen finanziell beglichen werden und können von den Patentehalter*innen auch ganz verwehrt werden. Um diesen Schutz zugesprochen zu bekommen, muss eine Erfindung in Europa „neu sein, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sein.“1
Mit dem Aufkommen von gentechnischen Verfahren in den 1980er-Jahren wurden gentechnisch veränderte Organismen, durch einen zielgerichteten technischen Eingriff in das Genom, zu einer reproduzierbaren Erfindung. In der Folge stieg die Anzahl an Patenten auf Pflanzen und Tiere stark an. Vor diesen technischen Möglichkeiten war die Patentierung von Pflanzen und Tieren nur ein Randphänomen.
Auf Grund der breiten Ablehnung von gentechnisch veränderten Organismen in Europa ist deren Patentierung für Unternehmen auf dem europäischen Markt bisher wirtschaftlich wenig interessant. Zu beobachten ist allerdings, dass in den vergangenen 10 bis 15 Jahren die Patentanmeldungen und -vergaben auf Pflanzen und Tiere aus konventioneller Züchtung zugenommen haben. Ermöglicht wurde diese Zunahme durch die Auslegung des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) durch das ausführende Europäische Patentamt (EPA). Es kann durchaus angenommen werden, dass das EPA ein Interesse am Zustandekommen möglichst vieler Patente hat. Denn die Europäische Patentorganisation (EPO) und somit das EPA (siehe Kasten) finanzieren sich durch die Gebühren für Patentverfahren und die Jahresgebühren für bestehende Patente.
Diese Nutzungszunahme sowie die Patentierbarkeit von Saatgut aus konventioneller Züchtung wird von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen und bäuerlichen Interessengemeinschaften kritisiert. Sie vertreten die Meinung, dass Patente die Marktkonzentration in der Landwirtschaft befördern, den züchterischen Innovationsprozess behindern und die Biodiversität verringern.
Ein Fortschritt im Patentrecht?
Durch zivilgesellschaftlichen Druck und Kritik von Seiten der EU-Kommission beschloss der Verwaltungsrat der EPO 2017 die Ausführungsordnung des EPA zu konkretisieren und formulierte zwei Regeln um.2 Vor allem die veränderte Regel 28 sollte die Auslegungspraxis des EPA näher an das Europäische Patentübereinkommen bringen. Nach dieser Regel ist nun auch in der Ausführungsordnung festgehalten, dass „ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnene Pflanzen oder Tiere“ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind.3
Diese neue Regelung nutzte im selben Jahr ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis Kein Patent auf Saatgut, in dem sich unter anderem die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Arche-Noah e.V. und das Gen-ethische Netzwerk e.V. zusammengeschlossen haben, um gegen drei Patente auf Gerste und Bier Einspruch zu erheben, die von Carlsberg und Heineken gehalten werden.
Carlsberg und Heineken, zwei große europäische Brauereikonzerne mit globaler Marktmacht, besitzen seit 2016 drei Patente auf eine Gerste aus konventioneller Züchtung, das passende Brauverfahren und das produzierte Bier. Durch eine induzierte aber zufällige Mutation unterscheidet sich die Gerste von anderen durch den Verlust der Funktionalität bestimmter Enzyme. Hierdurch soll der Brauprozess energieeffizienter werden und das Bier länger frisch schmecken. Über die beide Patente EP2384110 und EP2373154 wurde im Oktober dieses Jahres im EPA in München verhandelt. Für ein drittes Patent EP2575433, welches die Kreuzung und Selektion der Gerste betrifft, steht der Verhandlungstermin noch aus.
Die Kritik- und Einspruchspunkte des Bündnisses gegen das erste der oben genannten Patente beziehen sich auf das Produktionsverfahren der patentierten Gerste.4 Diese sei durch einen biologischen Prozess entstanden, der der konventionellen Züchtung zuzurechnen sei und widerspräche damit ausdrücklich der neuformulierten Regel 28. Zudem wäre der Patentanspruch in seiner bisherigen Form auch für Gerste anwendbar, die auf anderem Wege dieselbe Eigenschaft erworben habe. Des Weiteren handele es sich bei der Entstehung der Gerste nicht um einen erfinderischen Prozess, sondern um einen Zufall. Die Einspruchsabteilung des EPA ergänzte die strittigen Punkte von sich aus um die Frage nach der deutlichen und verständlichen Beschreibung des Patents auf die besagte Gerste. Diese müsse im Detail nachvollziehbar formuliert und die Gerste somit für eine Fachperson reproduzierbar sein.
Die Verhandlung in München
Zu der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung in München am 2. Oktober zum Patent EP2384110 waren Vertreter*innen des Bündnisses sowie von Carlsberg und Heineken anwesend.
Die Vertreter*innen des Bündnisses erläuterten in der Verhandlung, warum die Entstehung der Gerste im Grunde auf biologischen Prozessen beruhe. Die Mutation in dieser Gerste ist in einem chemischen Mutagenese-Verfahren entstanden. Das bedeutet, dass Samen oder Keimlinge mit chemischen Stoffen behandelt wurden, die die Mutationswahrscheinlichkeit in den Zellen erhöhen. Eine Mutagenese steigert nur die Wahrscheinlichkeit, dass Mutationen auftreten, haben aber keine „richtungweisende“ Wirkung auf diese. Welche Mutationen entstehen, wie sie von den zelleigenen Reparaturmechanismen behandelt werden und was ihre Folgen sind, hängt vom Zufall und der Biologie des Organismus ab. Die Existenz von Mutationen im Genom einzelner Individuen kann zu verschiedenen Eigenschaften der Individuen führen. Die hieraus resultierende Diversität ist eine grundlegende Voraussetzung für die natürliche Evolution. Somit ist die chemische Mutagenese im eigentlichen Sinne nur eine Beschleunigung von biologischen Prozessen.
Die Einspruchsabteilung folgte der Argumentation der Kläger*innen nicht. Sie definierte die chemische Mutagenese als ein Verfahren, welches ausschließlich auf technischen Prozessen beruhe und damit patentierbar sei. Jedoch entsprach sie dem Argument des Bündnisses, dass das Patent zu weit gefasst sei. Denn Gerste aus – für die Einspruchsabteilung im Wesentlichen – biologischen Verfahren, wie Selektion und Kreuzung oder Gerste, die durch Zufall ohne menschliches Zutun entstehen könnte, würde auch unter das Patent fallen. Nach der neu formulierten Regel 28 muss dies verhindert werden. Aus dieser Argumentation heraus wurde eine genaue Beschreibung der Vorgänge und Veränderungen im Genom der Pflanze gefordert. Die Vertreter*innen von Carlsberg und Heineken mussten beschreiben, auf welcher Position im Genom welcher Basentausch stattfinden muss. Durch die Einarbeitung dieser Beschreibung und einer Verzichtserklärung auf Gerste, die durch im Wesentlichen biologische Verfahren entsteht, wurde das Patent auf Gerste von Carlsberg und Heineken eingeschränkt.5
Einem weiteren Argument des Bündnisses, dass es sich bei der Entstehung der Gerste nicht um einen erfinderischen Prozess handle, sondern um Zufall, folgte die Einspruchsabteilung ebenfalls nicht.
Nur ein Teilerfolg
Für das Bündnis Kein Patent auf Saatgut ist dies nur ein Teilerfolg. Die Veränderungen in der Patentbeschreibung heben den vorher bestehenden Anspruch auf zufällig entstehende Gerste auf. Das bedeutet, dass Gerste, die ohne menschliches Zutun entsteht oder in Züchtung die rein auf Kreuzung oder Selektion beruht, aus dem Patent ausgeschlossen ist. Dies ist begrüßenswert und klärt Unsicherheiten für kleine Züchter*innen. Wie allerdings eine Beweisführung aussehen könnte, wenn tatsächlich eine identische Mutation entsteht, bleibt offen. Denn in welchem Moment eine Mutation entstanden ist und welchen Auslöser es dafür gab, das kann man ihr nicht ansehen.
Auch wenn die jetzige Auslegung des EPÜ durch die Regel 28 in der Ausführungsordnung ein wenig näher an den Forderungen der Zivilgesellschaft und konventionellen Züchtung liegt, hat sie den eigentlichen Kritikpunkt umgangen. Das Bündnis hält daran fest, dass Prozesse, die im Zellkern passieren, „im Wesentlichen biologische Prozesse“ und eben keine technischen sind, die durch äußere Einflüsse nur ausgelöst, aber eben nicht im Ergebnis beeinflusst werden können. Dieses Verständnis möchte das EPA weiterhin nicht teilen.
Mutagenese durch UV-Strahlung, chemische Stoffe oder radioaktive Bestrahlung sind Verfahren, die seit Jahrzehnten in der konventionellen Züchtung angewendet werden. Für die moderne konventionelle Züchtung, die in hohem Maß von diesen Verfahren abhängig ist, um mit ihren Sorten konkurrenzfähig zu sein, bleiben Einschränkungen bestehen. Der wirtschaftlich interessante und relevante Teil der Pflanzenzucht ist und bleibt patentierbar.
Einer fortlaufenden Marktkonzentration in der europäischen Landwirtschaft wurde der Weg freigehalten. Die großen Saatgut- und Biotech-Konzerne können angesichts ihrer finanziellen Möglichkeiten eine Vielzahl an Versuchen und Durchgängen in der Pflanzenzucht durchführen. Entstehen marktrelevante Eigenschaften in einer Pflanze, können diese weiterhin durch Patente abgesichert werden – wer zufällig etwas findet darf es behalten. Hierdurch wird der Zugang zu Saatgut und Pflanzensorten beschränkt. Rechtliche Unsicherheiten und finanzielle Hürden können andere Unternehmen davon abhalten an neuen Pflanzensorten und Lebensmitteln zu arbeiten.
Wie das Beispiel der Patente auf Gerste und Bier zeigt, betrifft diese Privatisierung nicht nur das Saatgut, sondern ebenso die Verarbeitungsprozesse und Endprodukte. Die Diversität auf den Feldern, in den Verarbeitungsverfahren, im Laden und am Ende auch die Vielfalt unserer täglichen Nahrung ist gefährdet. Der Widerstand gegen Patente auf Saatgut – im Gerichtssaal, auf der Straße und auf den Feldern – ist somit vor allem ein Kampf für Vielfalt und Allgemeingut.
- 1Vgl. Artikel 52 (1) Europäisches Patentübereinkommen.
- 2Beschluss des Verwaltungsrats vom 29.06.17 zur Änderung der Regeln 27 und 28 der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen (CA/D 6/17) sowie Pressemitteilung vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 29.06.17, www.kurzlink.de/gid247_3.
- 3Regel 28 (2) der Ausführungsordnung.
- 4Widerspruchsdokument vom 19.01.17 (Opposition against European Patent EP 2 384 110 B1). Alle Dokumente, die das Patent betreffen, sind bei der EPA zu finden: www.kurzlink.de/gid247_4.
- 5Urteil und Änderungen zum Patent vom 05.10.18 (Original: Information about the result of oral proceedings). Alle Dokumente, die das Patent betreffen, sind bei der EPA zu finden: www.kurzlink.de/gid247_4.
Judith Düesberg ist Ökologin und Mitarbeiterin des GeN.
Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ):
Ist ein Internationaler Vertrag der seit 1973 die Vergabe von Patenten im Europäischen Raum regelt und vereinheitlicht. 1973 wurde der Vertrag von 16 Staaten unterzeichnet, inzwischen haben ihn 38 Staaten ratifiziert: Die 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) und 10 weitere angrenzende Staaten. Die letzte Grundlegende Überarbeitung des EPÜ fand im Jahr 2000 statt. Dieser Vertrag ist die rechtliche Basis und Grundlage für das Bestehen der Europäischen Patentorganisation.
Europäischen Patentorganisation (EPO):
Die EPO ist eine zwischenstaatliche Einrichtung, die auf Grundlage des EPÜ besteht. Sie ist jedoch keine EU-Institution und fällt damit nicht in die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs. Die EPO besteht aus zwei Organen, dem Europäischen Patentamt (exekutiv) und dem Verwaltungsrat (legislativ) und finanziert sich durch Verfahrensgebühren und jährliche Patentgebühren.
Europäisches Patentamt (EPA):
Das EPA prüft Patentanmeldungen, erteilt europäische Patente und stellt Informationen zu den Patenten bereit.
Der Verwaltungsrat: Der Verwaltungsrat ist ein Aufsichtsorgan und soll das Europäische Patentamt überwachen. Er ist besetzt mit Vertreter*innen der Vertragsstaaten, die oft hohe Positionen in den nationalen Patentämtern innehaben. Der Verwaltungsrat ist zuständig für die Interpretation der EPÜ und deren einheitlicher Auslegung. Dafür kann er die sogenannte Ausführungsordnung ändern.
Ausführungsordnung (AO):
Die Ausführungsordnung zum EPÜ soll detailliert festschreiben, wie die Artikel des EPÜ von dem EPA anzuwenden sind. Die AO ist in Regeln gegliedert.
Beschwerdekammern:
Entscheidungen des EPA können vor den Beschwerdekammern angefochten werden. Die Kammern sind integriert im EPA, sollen jedoch unabhängig sein und sich an die Artikel der EPÜ halten. Die EPO hat drei Ebenen auf denen über Patente entschieden wird:
1) Die Einspruchsabteilung entscheidet über Patente und Einsprüche in der ersten Instanz.
2) Die Technischen Beschwerdekammern, insgesamt 28 Kammern, übernehmen Fälle, die in der ersten Instanz nicht geklärt werden konnten.
3) Die Große Beschwerdekammer ist die höchste Instanz. Sie ist für generelle Rechtsfragen und die einheitliche Anwendung der EPÜ zuständig.
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