Irgendwie gewonnen - 2:0

Gerichte urteilen über Agro-Gentechnik

Auch in Deutschland wird die Auseinandersetzung um die Agro-Gentechnik mehr und mehr eine Sache der Gerichte.

Verurteilt, gewonnen und verloren

In Aschersleben wurde über eine Feldbefreiung am Institut für Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben zu Gericht gesessen: Sechs AktivistInnen hatten 2008 einen Freisetzungsversuch mit gentechnisch verändertem (gv) Weizen auf dem Institutsgelände zerstört.1 Nach der Tat stellten sie sich der Polizei. Konsequenterweise stehen sie jetzt vor Gericht. Wieder und wieder haben die AktivistInnen versucht, deutlich zu machen, dass der Versuch nicht hätte genehmigt werden dürfen.2 Die Bestände der Genbank in Gatersleben, die in unmittelbarer Nähe auf dem gleichen Institutsgelände im Erhaltungsanbau gepflegt und konserviert werden, wurden durch mögliche Kontaminationen gefährdet. Vor Gericht plädierten sie auf den „rechtfertigenden Notstand“. Wäre die Richterin dieser Einschätzung gefolgt, dann hätte sie Mirjam Anschütz, Patricia Dickreuter, Lea Hinze, Susanne Mähne, Axel Meyer und C.3 freisprechen müssen - ist sie aber nicht. Nichtsdes­totrotz ist das jetzt vorliegende Urteil fast so gut wie ein Freispruch: Die Verurteilten bekamen mit 30 Tagessätzen eine Strafe am unteren Ende des Möglichen. Zum Teil wurde Härteausgleich von fünf beziehungsweise zehn Tagessätzen gewährt. Der Härte­ausgleich ist so etwas Ähnliches wie „Mengenrabatt”, eine etwas skurril erscheinende Besonderheit des Rechtssystems, die wirksam wird, wenn jemand für das gleiche - nicht das selbe - Vergehen zweimal verurteilt wird und die zweite Tat in den Zeitraum fällt, der noch vor dem ers­ten rechtskräftigen Urteil liegt. Die Staatsanwältin hatte vier Monate Haft auf Bewährung gefordert. Die Richterin des Amtsgerichts gab sich alle Mühe, das Verfahren „loszuwerden”. Ihr Versuch, es direkt an die nächste Instanz weiterzugeben, wurde vom Landgericht mit der Vergrößerung des Gerichts auf ein so genanntes erweitertes Schöffengericht - mit einem beziehungsweise einer zweiten RichterIn und zwei SchöffInnen - quittiert. Der Versuch, das Verfahren einzustellen, scheiterte an der Staatsanwältin. Nach Einschätzung des Verteidigers Wolfram Leyrer wäre dies eine Einstellung wegen „geringer Schuld“ gewesen. Auch wenn die Richterin dies nicht explizit gesagt hat, weist auch das spätere Urteil klar in diese Richtung.

Wendepunkt?

Und dann gab es diese merkwürdige Situation am vorletzten Verhandlungstag: Wieder einmal hatte die Richterin eine Frage der Verteidigung nicht zugelassen. Im konkreten Fall war die ehemalige Versuchsleiterin des Versuches mit dem gv-Weizen gefragt worden, ob sie selbst der Meinung sei, dass der Versuch auf dem Gelände der Genbank für die alten Sorten, die dort im Erhaltungsanbau angepflanzt werden, eine Gefahr darstellt. Die Staatsanwältin schritt sofort mit der Begründung ein, in einem Gerichtsverfahren seien Meinungen nicht relevant. Das stimmt, denn es soll um Fakten gehen. Es ist sogar möglich, diesen Grundsatz im vorliegenden Fall auf die Versuchsleiterin des Versuches anzuwenden, über dessen Zerstörung hier verhandelt wird. Die Richterin folgte der Einschätzung der Staatsanwältin und wies die Frage zurück. Das wiederum wollte sich der Verteidiger der Feldbefreier nicht bieten lassen; eine endlose Reihe von Fragen und Beweisanträgen war an diesem Tag schon abgewiesen worden. Viele davon betrafen die Frage, ob der Versuch zu Recht genehmigt worden war, oder nicht. Der Anwalt der Verteidigung machte von der Möglichkeit Gebrauch, im Falle der Zurückweisung einer seiner Fragen diese Ablehnung durch die Richterin durch einen Beschluss des ganzen Gerichtes bestätigen zu lassen - wozu sich dieses zur Beratung in einen anderen Raum begibt. Ihrer Sache ganz sicher bedeutete die Richterin den Anwesenden im Saal, man möge in demselben verbleiben: „Wir sind in zwei Minuten wieder da.“ Aber dann passierte erst einmal gar nichts und - spätestens ab der zehnten Minute - entstand langsam Unruhe im Saal. Irgendetwas war geschehen, aber was? Darüber ließ sich trefflich spekulieren. Verteidiger Leyrer betont in diesem Zusammenhang einen der Knackpunkte im Verfahren: „Die Feldbefreiung richtete sich gegen den Versuch an sich und gegen die von ihm ausgehenden Gefahren. Wenn aber alle Beweisanträge und Fragen, die auf diese von dem Versuch ausgehenden Gefahren zielen, abgewiesen werden, dann beißt sich die Katze in den Schwanz.“ Nach einer gefühlten halben Stunde kam das Gericht zurück und die Richterin ließ die Frage zu. Auch andere Fragen wurden plötzlich zugelassen. Ob das die letzte Wende war, auch darüber lässt sich im Moment nur spekulieren. Was aber schon jetzt klar ist: Die nun Verurteilten haben trotz dieses Erfolges Rechtsmittel eingelegt. Die Staatsanwältin auch.4

Gentechnikgesetz ist ok

Auch das Bundesverfassungsgericht hatte im November ein Urteil in Sachen Gentechnik zu fällen. Gegenstand war die 2004 von der damals rot-grünen Regierung in wesentlichen Teilen verabschiedete Novellierung des Gentechnikgesetzes. Im Rahmen eines so genannten Normenkontrollverfahrens musste das Gericht die Verfassungsmäßigkeit insbesondere der so genannten „verschuldensunabhängigen gemeinschaftlichen Haftung“ und des Standortregisters prüfen. Beide Regulierungen wurden bestätigt.5 Die Prüfung sollte deutlich machen, ob die genannten Regulierungen zum Beispiel in ungerechtfertigter Weise gegen das im Grundgesetz verankerte Recht auf Freiheit der Berufsausübung verstoßen. Dies ist nach Einschätzung des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht der Fall. Die Vertreter des Landes Sachsen-Anhalt - das Land hatte die Normenkontrollklage bereits 2005 eingereicht - waren der Ansicht, dass das Gentechnikgesetz die Rechte der Bauern einschränke, die die Gentechnik nutzen wollen. In einer mündlichen Verhandlung im Juni dieses Jahres hatte sich zum Beispiel der Deutsche Bauernverband im Sinne des Landes Sachsen-Anhalt geäußert.

Schavan unbeeindruckt

Umweltorganisationen, die Verbände der ökologischen Landwirtschaft und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) begrüßten das Urteil. Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Bundesvorsitzender der AbL: „Eine klare Abfuhr hat nicht nur die Landesregierung Sachsen-Anhalts bekommen, die die fortschrittlicheren Punkte des Gentechnikgesetzes kippen wollte. Die Klatsche trifft die Gentechnik-Industrie und deren Interessenvertreter bis hinein in die Bundesregierung wie etwa Bundesforschungs­ministerin Annette Schavan.“ Annette Schavan zeigte sich jedoch unbeeindruckt. Das Urteil schaffe „Rechts­­sicher­heit“ und damit „verlässliche Rahmenbedingungen“, wie die Bundesforschungsministerin dem Spiegel sagte. Schavan weiter: „Ich bin überzeugt, dass die Welternährung ohne Pflanzenbiotechnologie nicht zu sichern ist.“ Der umweltpolitische Sprecher Matthias Miersch gab zu Protokoll, die Richter hätten „besondere Sorgfaltspflicht beim Umgang mit der Agrogentechnik und die Verantwortung des Gesetzgebers für die künftigen Generationen und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ betont. Die Richter schreiben: Die gentechnisch veränderten Organismen könnten sich in der Umwelt „fortpflanzen und ausbreiten. Diese Auswirkungen können unumkehrbar sein.“

  • 1Der GID berichtete mehrfach, zum Beispiel: Christiana Schuler: „Kein kurzer Prozess“, GID 192, Februar 2009, sowie „Gv-Weizen in der Kritik“, Interview mit Andreas Bauer, GID 178, Oktober 2006 (alle Texte online unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid).
  • 2Natürlich wurde versucht, die Unrechtmäßigkeit der Genehmigung innerhalb des Verfahrens darzustellen, aber insbesondere für die Öffentlichkeit wurden die Details der Genehmigung des Freisetzungsversuches in der Broschüre „Risiko und Nebenwirkungen - die Genbank Gatersleben und die Freisetzung von gentechnisch verändertem Weizen“ beschrieben (im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de).
  • 3Name auf Wunsch der Person nachträglich von der Redaktion gelöscht.
  • 4In dem parallel zum hier beschriebenen Strafprozess laufenden Zivilverfahren haben die Beklagten Beschwerde eingelegt. Ihnen sei vor dem Oberlandesgericht Naumburg „in wichtigen Fragen (...) kein Gehör gewährt“ worden. Sie erwarten nun eine „Grundsatzentscheidung“, die nach ihrer Einschätzung „Auswirkungen auf die Auseinandersetzungen um weitere Gentechnik-Versuche haben“ könne.
  • 5Das Urteil auf den Internetseiten des Bundesverfassungsgerichtes: www.bundesverfassungsgericht.de (24.11.10).
Erschienen in
GID-Ausgabe
203
vom Dezember 2010
Seite 28 - 29

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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Auch dabei: Das Forum Grüne Vernunft

„Missmutig machen sie Dienst nach Vorschrift. Sie sind während ihrer Arbeitszeit abgestellt, um [den die FeldbefreierInnen unterstützenden Demonstranten] Contra zu geben“, so hat der Spiegel-Autor Hilmar Schmundt eine Gruppe der neuen Gentech-Lobbygruppe Forum Grüne Vernunft beschrieben. Sie stand mit ihren Plakaten vor dem Amtsgericht.
Zum Forum Grüne Vernunft siehe auch unter www.gen-ethisches-netzwerk.de > Lexikon Gentechniknetz. Der Spiegel 48/2010.
(Christof Potthof)