Infektionsherd Frau

Kommentar von Katja Sabisch Warum richtet sich der öffentliche Diskurs über die neu entwickelte Impfung gegen Humane Papilloma-Viren fast ausschließlich an Frauen? Die Soziologin Katja Sabisch analysiert die Ursprünge der imaginierten Durchseuchung des weiblichen Geschlechts aus kulturhistorischer Sicht.

Dass die neue Impfung gegen Papilloma-Viren nur Frauen empfohlen wird, obwohl die Krankheit von beiden Geschlechtern übertragen wird, wundert selbst den Erforscher des HP-Virus Harald zur Hausen. Auf die Frage, ob er sich auch für klinische Studien an Männern ausspreche, antwortete er in einem Interview: "Ja, aber auch dafür, Männer ohne Studien zu impfen". US-Amerikanische Forscher bezweifeln zwar die Wirksamkeit der Impfung bei Männern, da Männer andere Schleimhautverhältnisse als Frauen aufweisen sollen. Zur Hausen hält dies jedoch für ein Scheinargument: "Männer haben zwar keine Gebärmutter, aber die Haut des Penis dürfte sich kaum unterscheiden von jener des äußeren weiblichen Genitales, der Vulva". Daher erkenne er keinen Grund, warum man Männer nicht auch impfen sollte.(1)

Ein kurzer Blick in die Geschichte

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum der Diskurs über die HPV-Impfung ausschließlich Frauen, oder besser: ausschließlich Frauen mit "häufig wechselnden Geschlechtspartnern" (Ärzte-Zeitung, 31.01.2007) in die Pflicht nimmt. Ein kurzer Blick in die Geschichte der Infektionskrankheiten gibt hierüber Aufschluss. Denn spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts steht nämlich fest, wer eine "vorwurfsfreie Schleimhaut" besitzt – und wer eben nicht. Derjenige, der als Erster ausführlich über Schleimhautverhältnisse räsonierte, war der französische Forscher Phillippe Ricord (1800-1889). 1851 verfasste er eine viel beachtete Abhandlung über Geschlechtskrankheiten, in der er nicht nur die neusten Forschungsergebnisse, sondern auch die Herkunft des syphilitischen Übels zu präsentieren wusste. Denn das venerische Gift verberge sich "an den Geschlechtstheilen des Weibes, äusserlich, wie in den tiefsten Schlupfwinkeln derselben". Mit dem Spekulum in der Hand begab sich Ricord also in das tiefe Dunkel der Frauen, um ihre Infektiosität zu ergründen. Dabei kam er zu einem erstaunlichen, äußerst beunruhigenden Ergebnis: Frauen stecken an - und zwar auch dann, wenn sie nicht krank sind. Als Beweis führte er die Leidensgeschichte eines jungen Kollegen an, der ein allzu tugendhaftes Frauenzimmer liebte. Da der Widerstand des Mädchens nicht zu besiegen war, befand sich der Arzt in "unaufhörlicher Aufregung" und wies nach ein paar Tagen einen "sehr heftigen und schmerzhaften Tripper" auf, der dazu noch biblische 40 Tage dauern sollte. Ricord folgerte daraus, dass Frauen den Tripper oft geben würden, ohne ihn selbst zu haben und stellte folgende Rechnung auf: "Ich sage nicht zuviel, wenn ich behaupte, auf zwanzig Tripper, welche die Frauen austheilen, erhalten sie nur einen wieder".(2) Ricord sollte nun keineswegs der Einzige bleiben, der "Frauen als Infectionsherde" fürchtete. Nach ihm waren es medizinische Größen wie der Berliner Arzt Felix von Bärensprung (1822-1864) und der Breslauer Dermatologe Albert Neisser (1855-1916), die das Weib als Wirtin von Geschlechtskrankheiten identifizierten. Ihre ganze Sorge galt dabei den Männern, die sich jung und unerfahren bei leicht zugänglichen Frauenspersonen syphilitische Geschwüre einhandelten - und nicht nur die, wie Bärensprung 1860 fassungslos berichtete. Denn er konnte sich während seines Dienstes in der Berliner Charité erneut davon überzeugen, "wie ein und dasselbe Frauenzimmer verschiedenen sie besuchenden Personen bald Tripper, bald Schanker austheilen" konnte und dazu noch Herpes in sich trug. Angesichts dieser mannigfachen Gefahren wundert es also nicht, dass sich die experimentelle Erforschung der Syphilis, Gonorrhö oder des Ulcus molle vornehmlich auf die Schleimhäute von Frauen konzentrierte. (3) Warum die HPV-Impfung von Männern im öffentlichen Diskurs nicht ernsthaft in Betracht gezogen wird, lässt sich demzufolge kulturhistorisch begründen. Denn wenn es um sexuell übertragbare Krankheiten geht, sind es zuallererst die Frauen, die diese zu verantworten haben und einer Medikalisierung bedürfen. Die projektierte Durchimpfung der weiblichen Bevölkerung zu Beginn des 21. Jahrhundert gründet daher nicht zuletzt auf der imaginierten Durchseuchung des weiblichen Geschlechts, die Mitte des 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm.

  1. Die Zeit 26.10. 2006
  2. Phillippe Ricord (1851): Briefe über Syphilis an Herrn Amédée Latour, Berlin, S. 10-18.
  3. Felix W. von Bärensprung (1860): Mittheilungen aus der Abtheilung und Klinik für syphilitisch Kranke, in: Annalen des Charité- Krankenhauses zu Berlin, Band 9, S. 110-208.
Erschienen in
GID-Ausgabe
180
vom Januar 2007
Seite 9

Dr. des. Katja Sabisch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Emmy Noether-Forschungsgruppe 'Kulturgeschichte des Menschenversuchs' an der Universität Bonn. Sie veröffentlichte u.a. zur Geschichte des medizinischen Menschenexperiments und zur Pathogenisierung des Frauenkörpers im 19. Jahrhundert.

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