Debatte über Bluttest?

Der pränatale Bluttest auf Trisomie 21 soll im Bundestag diskutiert werden – endlich!

Abgeordnete aller Parteien (außer der AfD) wollen eine parlamentarische und gesellschaftliche Debatte über den pränatalen Bluttest auf Trisomie 21 als Kassenleistung anstoßen. Das bekräftigten sie auf einer Pressekonferenz Mitte Oktober.

„Wir wollen ein Signal in die Gesellschaft senden, dass Behinderung und Normabweichung nicht mit Leid verbunden sind!“1 Mit diesen Worten machte die Abgeordnete der Linkspartei Kathrin Vogler sehr deutlich, dass es bei der Initiative der Abgeordneten nicht nur um den Bluttest geht, sondern um die gesellschaftliche Wahrnehmung von Behinderung.

Die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt nutzte die Pressekonferenz um zu betonen, dass Menschen mit Trisomie 21 nicht glücklicher oder unglücklicher seien als andere Menschen. Sie litten nicht unter ihrer Behinderung, sondern darunter, nicht angemessen und respektvoll behandelt zu werden. Die nötige Debatte könne zwar im Bundestag angestoßen werden, müsse aber auch breit in der Gesellschaft geführt werden.

Die Grünen-Abgeordnete und behindertenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, Corinna Rüffer, ging auf den Aspekt der Selbstbestimmung ein: „Schwangere Frauen sollen immer selbst entscheiden können, ob sie ein Kind bekommen möchten. Das Selbstbestimmungsrecht Schwangerer wird aber nicht durch immer mehr Tests gestärkt, sondern wenn sie in dem Gefühl bestätigt werden, dass ihr Kind vorbehaltlos willkommen ist und sie Unterstützung erhalten, sollte das notwendig sein. Die Tests erreichen das Gegenteil: Es wird nach Auffälligkeiten gesucht, für die es keine Behandlungsoptionen gibt. Der Test hat keinen medizinischen Mehrwert. Statt durch immer mehr Tests den Anschein zu erwecken, man habe unter Kontrolle, was für ein Kind man bekommt, müssen wir den Wert der Vielfalt unserer Gesellschaft verteidigen.“

Auch Sebastian Urbanski, ein Schauspieler, der mit Trisomie 21 lebt, nahm an der Pressekonferenz der Abgeordneten teil. Er betonte den Wert der Vielfalt für die Gesellschaft und dass jedes Kind Hilfe von anderen bräuchte, um seinen Platz im Leben zu finden, nicht nur Menschen mit Behinderung.

Schon im August hatten die Abgeordneten in einem interfraktionellen Papier eine gesellschaftliche und parlamentarische Diskussion gefordert.2 Mit der Pressekonferenz legten sie nun nach. Eine sogenannte Orientierungsdebatte soll, voraussichtlich Anfang des kommenden Jahres, im Bundestag geführt werden. Ihr Inhalt ist relativ offen. Zur Sprache kommen kann die volle Breite des Themas: Mit Sicherheit wird es um die Kassenerstattung von nicht-invasiven Bluttests zur Früherkennung von genetischen Auffälligkeiten gehen. Aber auch eine Änderung am Gendiagnostikgesetz, das die Beratungspflicht vor genetischen Tests regelt, könnte auf die Agenda kommen. Denkbar ist ebenso eine Einbeziehung des Sozialgesetzbuch V, in dem die Kompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) festgelegt sind.3 Vielfach war in der Vergangenheit kritisiert worden, dass der G-BA diese ethisch heiklen Fragen nur auf der Sachebene verhandle, da das Verfahren eigentlich für medizinische Produkte entwickelt wurde. Außerdem könnte die momentane normalisierte Praxis der Pränataldiagnostik und das Konzept der Risikoschwangerschaft auf den Prüfstand gesetzt werden. Ein weiterer Aspekt könnten ethische Bedingungen für die Forschungsförderung sein. Die Abgeordneten hatten kritisiert, dass die Anbieter der Tests unter anderem Gelder aus der Mittelstandsförderung des Bundes erhalten hatten.4

Nach der Orientierungsdebatte könnten sich interfraktionelle Gruppen bilden, um Gesetzentwürfe auszuarbeiten und einzubringen. Ethische Themen werden im Bundestag normalerweise vom Fraktionszwang befreit.

Der Bluttest auf Trisomien und Abweichungen der Geschlechterchromosome wurde 2012 auf dem deutschen Markt eingeführt. Der Preis für die Tests ist seitdem rapide gefallen, das genetische Wissen über Trisomie 21 und Geschlecht des werdenden Kindes ist mittlerweile für 200 Euro zu haben. Zurzeit ist er eine Selbstzahler*innenleistung (IGeL), viele Krankenkassen übernehmen die Kosten jedoch bereits auf Antrag. Der G-BA will bis zum Sommer nächsten Jahres entscheiden, ob die Tests auf Trisomien von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden sollen. Der im Juni 2018 veröffentlichte Endbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), der die Entscheidungsgrundlage für den G-BA bildet, legt nahe, dass die Datenlage bei den Trisomien 13 und 18 zu schlecht ist, um als Entscheidungsgrundlage zu dienen. Da das IQWiG in Bezug auf die Trisomie 21 zu dem Schluss kommt, dass „nicht notwendigerweise von einer Verringerung der invasiven Untersuchungen im Vergleich zum Status quo ausgegangen werden“ könne5, entfällt eines der zentralen Argumente der Befürworter*innen der Kassenfinanzierung.6 Zwar ist es dennoch nicht ausgeschlossen, dass der G-BA die Kostenübernahme befürwortet, allerdings gibt es Gerüchte, dass die Entscheidung hinausgezögert werden soll, um den parlamentarischen Prozess abzuwarten.

Das wäre eine sinnvolle Entscheidung, befürchten doch die Abgeordneten eine Türöffnerfunktion: Demnach gäbe es – nach dem aktuell gültigen Verfahren – keinen Grund, Tests auf andere genetische Normabweichungen, deren Spezifität und Sensitivität ausreichend seien, nicht auch in die Krankenkassenversorgung aufzunehmen. Die Zivilgesellschaft kritisiert schon lange, dass die Tests kein medizinisch sinnvolles Wissen produzieren: Weder die Gesundheit der Schwangeren noch die des werdenden Kindes könne dadurch verbessert werden.

Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, warf den Abgeordneten noch vor der Pressekonferenz via Redaktionsnetzwerk Deutschland vor, eine „Empörungsdebatte“ zu führen, die niemandem helfe, „auch Menschen mit Behinderung nicht.“7 Vor allem auf Twitter wurde daraufhin betont, dass Dabrock damit nicht die Meinung des Ethikrates wiedergegeben habe.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery bezeichnete gegenüber der Deutschen Presse-­Agentur die geplante parlamentarische Debatte dagegen als „ausgesprochen wichtig“: „Da man mit diesen Tests potenziell ein weites Spektrum an genetischen Erkrankungen abprüfen kann, muss man sich fragen: Was darf man machen, was soll die Kasse bezahlen?“8

Diese und weitere Fragen zu stellen und breit zu diskutieren, dafür wird es höchste Zeit!

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
247
vom November 2018
Seite 35 - 36

Kirsten Achtelik arbeitet als freie Autorin und Journalistin zu behinderten- und geschlechterpolitischen Themen.

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Petition gegen den Bluttest als Kassenleistung

Von Kirsten Achtelik

Eltern von Kindern mit Trisomie 21 befürchten, dass der Test auf Down-Syndrom in der Schwangerschaft zur Regel würde, wenn der Bluttest in die Krankenkassenversorgung aufgenommen wird. Sie schließen sich der Kritik der Bundestagsabgeordneten an und haben eine Petition an die Kassenärztliche Vereinigung, die Ärztekammer, den G-BA und den Bundestag initiiert. Darin fordern sie, den Bluttest nicht zur Kassenleistung zu machen, eine gute und objektive Beratung vor und nach pränataler Diagnostik, die Förderung von schulischer und gesellschaftlicher Inklusion und eine politische Debatte über ethische, moralische und rechtliche Aspekte der Pränataldiagnostik unter Einbindung betroffener Menschen.
Wir empfehlen die Unterzeichnung der Petition auf change.org1, auch wenn die Sprache der Initiative teilweise schwierig ist und tendenziell Föten und geborene Kinder gleichsetzt (zum Beispiel von „getöteten Kindern“ spricht, wenn Abtreibungen gemeint sind). Auch der Name der Initiative („Für das Recht auf Leben“) erweckt Assoziationen an die reaktionäre „Lebensschutz“-Bewegung. Doch die Initiator*innen versicherten auf Nachfrage, nicht gegen Schwangerschaftsabbrüche an sich zu sein und nichts mit der Bewegung christlich-fundamentalistischer Abtreibungsgegner*innen zu tun zu haben. Hinsichtlich der Kritik an der Wortwahl zeigten sie sich interessiert und aufgeschlossen. Wir unterstützen ihr Anliegen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sie als Familien mit Kindern mit Down-Syndrom ein glückliches Leben leben, das mit dem defizit-orientierten Blick auf Trisomie 21 wenig zu tun hat. Damit bringen sie als Betroffene eine wichtige Perspektive in die Debatte über die Normalisierung des Bluttests.