Ohne Bezahlung?
Kalifornien: Forschung mit Eizellen
Eizellen für die Forschung? Die politische Diskussion darum ist eingeschlafen - schließlich ist es der Klonforschung immer noch nicht gelungen, Stammzelllinien zu produzieren. Doch Achtung: Im Windschatten der internationalen Aufmerksamkeit für die iPS entstehen derzeit im kleinen Rahmen problematische Modelle, wie die Forschung an die begehrte Ressource kommt.
Für Aufsehen sorgte im Juni 2009 das Empire State Stem Cell Board. Diese Behörde ist für die Vergabe öffentlicher Mittel für Stammzellforschung im US-Bundesstaat New York zuständig. Das Board entschied, es von nun an zu erlauben, Frauen mit einer Summe bis zu 10.000 US-Dollar pro Eizellen-Extraktion zu bezahlen. Dies ist als Reaktion auf die Erfahrung zu werten, dass Frauen generell nicht bereit sind, ohne Entgelt die belastende und riskante Prozedur zugunsten der Forschung über sich ergehen zu lassen.1 Die offene Politik der Kommerzialisierung widerspricht aber bisherigen forschungspolitischen Standards in den USA. Insbesondere bei der Gründung des mit Abstand größten Fördertopfs in den USA, der kalifornischen Stammzellinitiative, war 2004 gesetzlich festgelegt worden, dass eine Bezahlung von Eizellen aus den kalifornischen öffentlichen Forschungsmitteln nicht erlaubt ist. Seit 2006 ist die Nichtbezahlungs-Regel in Kalifornien zudem auch Gesetz für alle nicht aus diesem Topf geförderten Forschungen.2 Was New York angeht, so ist es heute noch zu früh zu analysieren, wie sich die Forschung auf die Zulassung des kommerziellen Eizellenkaufs einstellen wird. Im Folgenden soll aber gezeigt werden, dass auch unter den kalifornischen Bedingungen Strategien entstanden sind und weiter entstehen, um de facto das Gesetz zu unterlaufen und auch hier Frauen für ihre Eizellen zu bezahlen. Zwei sehr unterschiedliche Modelle seien vorgestellt, die im Rahmen einer Forschungsreise im Sommer 2009 für das EU-Projekt REMEDiE recherchiert wurden.
Klonen + Repro: Ein „nahtloser Übergang“
Ein Modell, um an die Eizellen zu kommen, ist eine weitgehende unternehmerische, personelle und räumliche Integration von Repro-Industrie und Forschung. Schließlich ist der Zugang zur Repromedizin eine notwendige Bedingung für die Eizellengewinnung. Geradezu exemplarisch geschieht dies im südkalifornischen La Jolla (bei San Diego). Räumlichkeiten in einem Bürokomplex beherbergen dort gleichzeitig die Reproduktionsklinik Reproductive Sciences Center, die Eizell-Agentur Select Surrogate und das Biotech-Unternehmen Stemagen.3 Es handelt sich um ein Modell der Personal- und Unternehmensunion: Fortpflanzungs-Mediziner Samuel Wood, Gründer und medizinischer Leiter sowohl der Reproklinik als auch der Eizell-Agentur, baute auch die Klonforschungs-Firma Stemagen auf und ist deren Geschäftsführer. Stemagen zählt zu den international erfolgreichsten in der Klonforschung. Anfang 2008 publizierte Wood mit seinem wissenschaftlichen Team im Wissenschaftsjournal Stem Cells, dass es gelungen sei, erstmals mindestens einen geklonten Embryonen bis zum Blastozysten-Stadium zu entwickeln, also dem Stadium, aus dem Stammzelllinien abgeleitet werden können (Letzteres gelang allerdings nicht) (French u.a. 2008). Wood erklärt, entscheidend für diesen Erfolg sei ein „nahtloser Übergang zwischen dem Fruchtbarkeitszentrum und dem Stammzelllabor“ (Wood 2009). Denn: „Wir wissen, dass wir die Eizellen sofort bekommen müssen - wir müssen das Klonverfahren innerhalb von zwei Stunden nach Beginn der Eizell-Entnahme starten“. Der „nahtlose Übergang“ begünstigt aber nicht nur die schnelle zeitliche Abfolge, sondern ermöglicht auch die Behauptung, dass „die Eizellen für diese Forschung ohne Entschädigung gespendet wurden“ - so der Forschungsbericht auf der Website von Stemagen. Dies ist aber sehr um die Ecke gedacht, beziehungsweise besser gesagt: dreist gelogen. Denn die Eizellen, mit denen Stemagen Klonforschung betreibt, stammen von sogenannten Eizell-„Spenderinnen“, die ihre Eizellen für 5.000 bis 10.000 US-Dollar pro Extraktion verkaufen. Der Trick des Dreiecks-Unternehmens: Offiziell verkaufen die von Select Surrogate angeworbenen Frauen ihre Eizellen an eine in der IVF-Einheit nebenan wartende Klientin von Reproductive Sciences Center, also zu Fortpflanzungszwecken (und dies ist ja in Kalifornien gang und gäbe und nicht verboten). Sie erklären sich aber darüber hinaus damit einverstanden, bei mehr als 12 entnommenen Eizellen einige ihrer Eizellen auch - ohne dafür noch zusätzlich bezahlt zu werden - an die Forschung abzugeben.4 Problematisch ist an diesem Modell nicht nur, dass junge Frauen sich aus finanziellen Motiven der riskanten Prozedur der Hormonbehandlung und der Operation zur Eizellentnahme unterwerfen.5 Die NGO Center for Genetics and Society hat darüber hinaus bereits auf das Problem eines möglichen Interessenkonflikts im Stemagen-Modell hingewiesen, das sich nun in der Recherche bestätigte. Es sind tatsächlich dieselben Personen, die die Klonforschung betreiben, die auch die Hormonbehandlung überwachen und die Eizellen entnehmen: Die Eizellagentur Select Surrogate wirbt gar damit, dass die Eizell-„Spenderin“ persönlich von dem erfahrenen Doktor Wood behandelt wird. Diese Personalunion birgt die Gefahr, dass in der Hormonbehandlung der Schutz der Gesundheit vernachlässigt wird. Schließlich müssen die Hormongaben ausreichen, um nicht nur die - im Übrigen auch schon einen „Interessenskonflikt“ implizierenden - Ansprüche der zahlenden Kundschaft in der Repro-Klinik zu befriedigen. Sie müssen darüber hinaus auch noch dem Interesse der Forschung an möglichst vielen Eizellen entsprechen. Dies ist gefährlich, denn: Je höher die Hormongaben, desto mehr Eizellen für die diversen Anwendungen werden freigesetzt, aber auch desto größer die Gefahr eines Hyperstimulationssyndroms (siehe Fußnote 1).
Outsourcing an Insider der Repromedizin
Eizellen sind auch für eine weitere Version der Stammzellforschung vonnöten, die allerdings derzeit ebenso wie die Klonforschung nur von wenigen Firmen betrieben wird - die Parthenogenese (siehe Kasten). Die Biotech-Firma International Stem Cell Corporation (ISCO) - ebenfalls mit Sitz in Südkalifornien - hat bereits mindestens vier parthenogenetische Stammzellinien entwickelt und verbreitet diese derzeit an verschiedene Forschungsinstitute (Janus 2009). Ziel ist es, an diverse Immuntypen angepasste Gewebe zu produzieren - auf der Grundlage einer Stammzellbank, die ein möglichst breites Spektrum von Immuntypen mit parthenogenetischen Linien abdecken soll (ISCO 2010). Die Eizellen für die ersten Linien stammten von IVF-Patientinnen einer Moskauer Klinik (Revazova u.a. 2008). Um weiter expandieren zu können, verlegt sich die ISCO nun aber auf die Gewinnung von Eizellen in Kalifornien. Das innovative Modell ist die Kooperation mit einer extra auf „Forschungs-Spenderinnen“ ausgerichteten Eizell-Agentur namens Stem Cell Options. Teri Royal, die diese Agentur derzeit aufbaut, betrieb bereits lange Jahre eine repromedizinische Eizell-Agentur.6 Nach einem Skandal im Jahre 2003, als von ihr vermittelte Eizellen vielfach in Reproduktionskliniken veruntreut worden waren, hatte sie ihre alte Firma aufgelöst (Sforza 2007). Teri Royal setzt dennoch wieder auf die alten Kontakte, also auf „engagierte“ Frauen, die sich ihr zufolge schon bereit erklärt haben, gratis zu spenden. Gerade Frauen, die eine Krankheit in der Familie oder unter Freunden erlebt hätten, seien so motiviert, dass sie „etwas tun wollen, um der Forschung dabei zu helfen, sich schneller zu entwickeln als bisher“. Auch Royal verlässt sich aber nicht darauf, viele Frauen zur „altruistischen“ Spende für die Forschung überzeugen zu können. Sie plant eine zweite Variante, wie Stem Cell Options den Zugriff auf Eizellen für ihren Auftraggeber ISCO organisieren soll. Sie hat private Repro-Kliniken für die Kooperation gewonnen, die nahe bei den Forschungslaboren von ISCO liegen. Deren IVF-Patientinnen sollen einen Teil ihrer Behandlung von ISCO bezahlt bekommen, wenn sie der Firma einige ihrer Eizellen zur Verfügung stellen.7 Dieses Modell ist international auch als „egg sharing“ bekannt. Im Unterschied zu der Stemagen-Variante lebt dieses Modell somit von der bezahlten Zusammenarbeit - dem kommerziellen Outsourcing des Eizellen-Zugriffes. Ausgemacht ist, dass Stem Cell Options von ISCO für jede erfolgreich vermittelte Eizell-Transaktion 3.500 US-Dollar Vermittlungsgebühr erhält. Wenn alles so läuft, wie geplant, wird somit auch ISCO die kalifornische Gesetzgebung de facto unterlaufen. Denn „egg sharing“ bedeutet, dass IVF-Patientinnen eine ökonomische Gegenleistung erhalten, also bezahlt werden - wenn auch nicht in cash, sondern in der Form medizinischer Dienstleistungen.
Präzendenzfälle schaffen
Ob Klon/Repro-Union oder Outsourcing: Deutlich wurde in den Recherchen allemal, dass diejenigen im Run auf die Eizellen die Nase vorn haben, die erstens beste Kontakte zur Reproduktions-Industrie pflegen und zweitens in Richtung der Kommerzialisierung von Körperressourcen drängen - und dafür auch den gesetzlichen Schutz von Frauen als „Rohstofflieferantinnen“ unterlaufen. Die Forschungspolitik in New York legitimiert solche Bestrebungen in anderen Landesteilen und auch international - und wird zudem wahrscheinlich bald zum El Dorado derjenigen, die Parthenogenese und Klonforschung noch nicht aufgegeben haben. Stemagen auf jeden Fall hat bereits die Eröffnung von Dependancen und Forschungsanträge in New York angekündigt (Wood 2009).
Literatur: Byrne, J.A. u.a. (2007): Producing primate embryonic stem cells by somatic cell nuclear transfer, Nature 450, 497-502 French, A. J., S. H. Wood u.a. (2008): Development of Human cloned Blastocyst Following Somatic Cell Nuclear Transfer (SCNT) with Adult Fibroblasts in: Stem Cells, 26, S. 485–493 ISCO (International Stem Cell Corporation) 2010: PM vom 25.01.10, online (Zugriff 26.01.10): www.internationalstemcell.com. Janus, J. (2009): Interview der Autorin mit Vize-Chef von ISCO, Jeffrey Janus, im August 2009 Revazova E. S. , J. D. Janus u.a. (2008): HLA homozygous stem cell lines derived from human parthenogenetic blastocysts, Cloning & Stem Cells, 10 (1):11-24. Reynolds, J. (2008): The New Push for Eggs for Stem Cell Research in California, 27.07.08, Biopolitical Times, Online (Zugriff 21.01.10): www.biopoliticaltimes.org/article.php?id=4149 Royal, T. (2009): Interviews und Email-Kommunikation der Autorin mit Teri Royal, Aug./Nov. 2009. Schindele, E. (2007): Rohstoff für das Mutterglück, DIE ZEIT, 18.01.07 Sforza, T. (2007): Thousands of human eggs may be missing. Bankrupt egg-donor registry says fertility doctors may have transferred eggs without permission, The Orange County Register, 23.07.07 Wood, S. (2009): Interview der Autorin mit Samuel Wood, August 2009
- 1Neben den üblichen Risiken einer Operation unter Vollnarkose ist das bekannteste Risiko der Eizellgewinnung das Hyperstimulationsyndrom, das laut WHO bei 1 bis 2 Prozent der Frauen nach der hormonellen Stimulation auftritt: Wasser bildet sich in Bauchraum und Lunge, die Blutzusammensetzung ändert sich, die Durchlässigkeit der Gefäße nimmt zu. Mögliche Folgen: Nierenversagen, Lungenembolien und Schlaganfälle. Es gab auch vereinzelt Todesfälle. Studien haben gezeigt, dass junge Frauen stärker gefährdet sind als ältere (vgl. Schindele 2007).
- 2Erlaubt ist in beiden Fällen nur die Erstattung belegter Unkosten.
- 3Vgl. www.fertile.com; www.selectsurrogate.com; www.stemagen.com. Select Surrogate heißt so, weil die Agentur nicht nur Eizellen-Geberinnen, sondern auch Leihmütter vermittelt.
- 4Einen dritten Pluspunkt des „nahtlosen Übergangs“ sieht Wood zudem darin, dass die Reproduktionsmedizin ihm eine Vorauswahl der besten SpenderInnen ermöglicht. Er erklät, dass er für die Klonforschung diejenigen Frauen bevorzugt, deren Eizellen sich bereits in der Reproklinik in der Produktion von Nachwuchs als besonders erfolgreich erwiesen haben (Wood 2009).
- 5Stemagen benutzt für die Klonversuchen Eizellen von unter 25-jährigen Frauen (Wood 2009).
- 6Diese und alle weiteren Aussagen zu Stem Cell Options: Royal 2009.
- 7Welche Kliniken dies sind, gab ISCO Ende kurz vor Redaktionsschluss bekannt: Das California Center for Reproductive Medicine und das Acacio Fertility Center. Dass es Vergünstigungen für die Eizell-Geberinnen geben soll, darüber gibt die Pressemitteilung allerdings keine Auskunft (ISCO 2010).
Susanne Schultz lehrt Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt a. M., forscht zu Demografiepolitik, ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Rosa Luxemburg Stiftung und promovierte zum Thema Frauengesundheitsbewegungen.
Die große, weiterhin aber völlig uneingelöste Vision der sogenannten „regenerativen Medizin“ ist es, „maßgeschneiderte“ Therapien aus Zellen zu entwickeln, die dem Gewebe einer/s individuellen PatientIn gleichen und somit das Problem der Immunabwehr umgehen. Dieses Ziel legitimiert derzeit folgende wichtigste Verfahren:
iPS (Induzierte pluripotente Stammzellen): Das von dem japanischen Forscher Shinya Yamanaka 2006 eingeführte Verfahren besteht darin, Körperzellen, beispielsweise der Haut, mit Hilfe von eingeschleusten Viren in iPS „rückzuprogrammieren“, die als pluripotente und damit den menschlichen Stammzellen ähnliche Zellen gelten. Ziel ist es, aus den iPS wiederum verschiedene „patientenspezifische“ Zelltypen herstellen und daraus Therapien entwickeln zu können. Geworben wird damit, dass keine Eizellen oder Embryonen für die Herstellung der iPS gebraucht werden. Aber es gibt viele Fragezeichen - die wichtigsten: Wie stark gleichen die iPS tatsächlich natürlichen Stammzellen? Und: wie groß ist das Risiko, dass sie Krebs auslösen können?
Klonen: Das auch „somatischer Zellkerntransfer“ genannte Verfahren besteht darin, in eine vorher entkernte Eizelle eine Körperzelle einzusetzen, und diese Zelle anschließend zur Zellteilung zu aktivieren, um aus dem so gewonnenen geklonten Embryo eine Stammzellline abzuleiten. Letzteres ist bisher beim Menschen noch nicht gelungen, wohl aber bei Säugetieren und 2007 in Oregon auch bei Affen (Byrne u.a. 2007).
Parthenogenese (wörtlich „Jungfernzeugung“): Damit ist das Verfahren gemeint, eine unbefruchtete Eizelle zur Zellteilung zu „aktivieren“. Die so entstandenen Parthenotes gelten als nicht entwicklungsfähige Embryonen. Die International Stem Cell Corporation hat daraus Stammzelllinien entwickelt, die ihren Angaben zufolge den häufigsten Immuntypen innerhalb der als „kaukasisch“ beschriebenen Bevölkerung angepasst sind - Stammzelllinien für andere „ethnische Gruppen“ sollen aber folgen (Revazova u.a. 2008; ISCO 2010).
(Susanne Schultz)
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