Kritische Reflexionen statt einfache Positionen

Queere Perspektiven auf Eizelltransfer und Leihschwangerschaft

Derzeit werden oft queere Kinderwünsche als Argument für eine Legalisierung des Eizelltransfers und der Leihschwangerschaft vorgebracht. So einfach ist das allerdings nicht. Anthea Kyere und Constanze Körner sprechen über kritische, skeptische und ambivalente Perspektiven auf ein solches Vorhaben.

Kyere und Körner Potrait

Anthea Kyere (links) und Constanze Körner (rechts). Fotos: © privat

Liebe Anthea Kyere, liebe Constanze Körner, könnt Ihr Euch kurz vorstellen und erklären, inwiefern ihr Euch jeweils mit dem Thema Eizelltransfer und Leihschwangerschaft1 beschäftigt?

Anthea: Ich arbeite wissenschaftlich zu Themen rund um Familie und Elternschaft. Und im Netzwerk Reproduktive Gerechtigkeit befasse ich mich seit 2019 zusammen mit verschiedenen Initiativen und Einzelpersonen mit Unterdrückungsmechanismen, Ausschlüssen und Diskriminierungen im Kontext von Elternschaft, Schwangerschaft und Geburt. Die sogenannte Leihmutterschaft und Eizellspende sind Teil dieser Auseinandersetzung: Denn es geht darum, wer, wie und mit wem Kinder bekommen kann, wer überhaupt reproduktionsmedizinische Leistungen bezahlen kann, aber auch, wer für wen reproduktive Arbeit leistet.

Constanze: Ich selbst arbeite seit über 20 Jahren zum Themenfeld Regenbogenfamilien, habe viele Jahre beim LSVD (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland) Berlin-Brandenburg e.V. gearbeitet und in Schöneberg das erste deutsche Regenbogenfamilienzentrum gegründet. 2018 bin ich aus dem LSVD ausgestiegen und habe den Verein Lesben* Leben Familie e.V. (LesLeFam) gegründet. Ein inhaltlicher Grund war zu dieser Zeit die Verabschiedung des LSVD-Papiers zu Regenbogenfamilien, das aus meiner Sicht intern nicht ausreichend diskutiert worden war.2 Mit Leihschwangerschaft und Eizellspende beschäftige ich mich schon lange und äußere mich auch öffentlich dazu. Zur Einordnung aber vorweg: Weder gibt es in unserem Verein eine einheitliche Meinung zu diesen Themen, noch kann ich selbst sagen, dass ich 100-prozentig für oder gegen eine Legalisierung eintrete. Ich erlebe die Meinungsbildung dazu als einen dynamischen Prozess.

Inwiefern sind Eizelltransfer und Leihgebären denn eigentlich spezifisch „queere“ Themen?

Anthea: Auch ich möchte vorweg etwas klarstellen: Ich bin nicht sehr eingebunden in queere Communities in Berlin, sondern bekomme Diskussionen eher im Austausch in gemeinschaftlichen Projekten zu reproduktiver Gerechtigkeit mit.3 Queere Perspektiven sind für diese Thematik auf jeden Fall ein wichtiges Thema. Schließlich sind queere Communities schon lange immer wieder betroffen von politischen Regelungen, die es ihnen erschweren oder gar verunmöglichen, Kinder zu bekommen. Dennoch gibt es wichtige Fragen zu Abhängigkeits- und Machtverhältnissen, die dagegen sprechen, den Fokus ausschließlich auf den Wunsch queerer Communities nach biologischer Elternschaft zu legen. Es gibt viele weitere Perspektiven, die wir mitdenken müssen und die es herausfordernd machen, gute solidarische Forderungen zu entwickeln.

Constanze: In den aktuellen politischen Diskursen spielt die Debatte um die Legalisierung dieser Verfahren allerdings in den queeren Communities, in denen ich mich bewege, keine große Rolle. In der Bundesinteressengemeinschaft der Regenbogenfamilien, wo sich Fachkräfte austauschen, wurde dieses Thema bisher noch gar nicht diskutiert. Andere Themen brennen viel mehr unter den Nägeln: das Selbstbestimmungsgesetz, die Trans-Elternschaft und ganz besonders die Reform des Abstammungsrechts. Wenn das nicht bis Ende der Legislatur durch ist, steht zu befürchten, dass die rechtliche Absicherung von Kindern lesbischer Paare und queerer Familien wieder für lange Zeit nicht zustande kommt. Interessant ist außerdem, dass queere Communities nur einen Bruchteil der Nachfragenden auf den reproduktionsmedizinischen Märkten ausmachen. Das absolute Übermaß geschieht ja in der Heterowelt. Dennoch bekommen wir permanent Anfragen von TV- und Zeitungsjournalist*innen. Reproduktionsmedizin scheint für die Medien interessanter zu sein, wenn es um gleichgeschlechtliche Paare geht.

Viele Organisationen aus queeren Communities positionieren sich derzeit nicht eindeutig zur Frage der Legalisierung. Wie kam denn dieses Papier des LSVD pro Legalisierung beider Verfahren zustande, das bis heute Verbandsposition ist? Und wie bewertet ihr das?

Constanze: Es gab damals zwar einen gewissen Beteiligungsprozess an der Erarbeitung des Papiers auf Bundesebene. Was mir aber fehlte, war eine breite und öffentliche Diskussion im Verband. Es erschien von Anfang an schon gesetzt, dass die Forderung nach einer altruistischen Leihmutterschaft reinkommen sollte. Hintergrund war eine starke Positionierung des LSVD zugunsten von Väterbewegungen, die dominierten die gesamte Formulierung dieses Regenbogenfamilien-Papiers. Zwar hat sich in den letzten Jahren in dem Verband einiges verändert, etwa zur rechtlichen Absicherung von Kindern in lesbischen Beziehungen. Aber ich nehme den Verband immer noch als einen historisch stark cis-männlich schwul geprägten Verband wahr, auch wenn es dort inzwischen tolle Frauen* sowie Trans-, Inter- und nicht-binäre Personen gibt. Inhaltlich finde ich problematisch, dass das Papier von „altruistischer Leihmutterschaft“ spricht, aber eigentlich gar nicht klärt, was damit gemeint ist: Geht es darum, ein Kind für jemanden auszutragen, der oder die mir nahesteht, oder auch um kommerzielle Arrangements? Schließlich wird das Leihmutterschaftsthema stark von einer kommerziellen Kinderwunsch-Medizin befeuert, die ihre Interessen sehr lautstark vertritt und sehr viel Geld damit verdient.

Anthea: Ich halte das Forderungspapier des LSVD auch für verkürzt. Es wird zum Beispiel gar nicht darauf eingegangen, dass die sogenannten Verfahren der Leihmutterschaft und Eizellspende in globale Märkte eingebunden sind und es hier um eine Kommerzialisierung von Körpersubstanzen oder -prozessen geht, was in der EU verboten ist. Aus einer Perspektive reproduktiver Gerechtigkeit ist zu kritisieren, dass in dem Papier eine sehr privilegierte und individualistische Perspektive eingenommen wird. Es wird nicht mitgedacht, welche Personen da noch involviert sind: Wer leistet die reproduktive Arbeit und wird dadurch vielleicht gesundheitlich gefährdet? Wer gibt im Fall der Leihschwangerschaft für die ganze Dauer einer Schwangerschaft quasi die Rechte über den eigenen Körper an fremde Personen ab? Das reicht in Leihmutterschaftsarrangements ja von Vorschriften zur Ernährung bis zu erzwungenen Schwangerschaftsabbrüchen. Durch das Papier zieht sich eine relativ einseitige Perspektive, die eben nur kritisch auf die Heteronorm schaut. Wir brauchen aber eine intersektionale Analyse, die auch berücksichtigt, wo neokoloniale Mechanismen reproduziert werden. Und es braucht auch eine klassenbewusste Perspektive, die fragt, wer diese Medizin bezahlen kann und wer für sie arbeiten soll. Das fehlt in dem Papier völlig.

Constanze, auch wenn politisch derzeit wichtigere Themen die queeren Communities umtreiben: Inwiefern spielen diese Repro-Verfahren denn in deiner alltäglichen Beratung eine Rolle?

Constanze: Seitdem ich in LesLeFam eher aus einer lesbischen Perspektive berate, spielt Leihschwangerschaft eher keine Rolle mehr. In der Beratungsstelle haben wir aber oft mit Menschen zu tun, die sich eine Eizellspende wünschen oder auch im Ausland bereits gemacht haben. Meistens kommen sie zu uns, wenn das Kind schon unterwegs oder schon geboren ist. Bis vor etwa zehn Jahren hatten wir noch viele Beratungsanfragen dazu, und ich habe mir Kliniken in Europa angeschaut, um zu sehen, wie das funktioniert. Heute informieren sich alle im Internet, das ist ja voll davon. Schwierig ist für uns, dass es verboten ist, mit öffentlichen Geldern zu Eizellspende und Leihschwangerschaft zu beraten. Das ist schon absurd: Gleichzeitig stellen sich ja hierzulande auf den Kinderwunschmessen Firmen aus der ganzen Welt vor, die diese Verfahren bewerben.
Bei lesbischen Paaren geht es öfters um die romantische Idee einer geteilten Mutterschaft, also dass eine die Eizellen gibt und die andere das Kind austrägt. Das hängt allerdings vom sozialen Status ab; viele können sich eine solche Behandlung im Ausland nicht leisten. Mir ist wichtig, dass die Leute gut über die Risiken der Behandlung aufgeklärt werden, dass es nicht so easy ist. Noch wichtiger finde ich aber auch zu vermitteln, dass es am Ende gar nicht auf diese genetische Verbindung ankommt, wenn mensch Familie leben möchte. Für die Rechtslage spielt es sowieso keine Rolle: die gemeinsame Geburtsurkunde gibt es auch unter diesen Umständen bis heute nicht. Dennoch würde ich das auch niemandem absprechen; das hat für mich etwas mit Selbstbestimmung zu tun. Erst recht gilt das, wenn es eine medizinische Problematik gibt und diejenige, die gebären möchte, selbst keine funktionierenden Eizellen hat. Warum sollen die Eizellen dann nicht von der Partnerin kommen?

Werden mit diesen Verfahren nicht problematische Ideen von Biologie und genetischer Vererbung auch in queeren Communities gefördert?

Anthea: Auch wenn ich das nicht so gut aus der Innenperspektive queerer Communities beurteilen kann: Ich nehme schon wahr, dass sich viel an der gesellschaftlichen Norm der heteronormativen Kleinfamilie orientiert wird. Und auch wenn das nicht überall so ist: Alternative Konzepte des Zusammenlebens, die vielleicht vor einigen Jahrzehnten noch stärker in queeren Communities praktiziert wurden, geraten durch diese Orientierung eher in den Hintergrund. Dabei lohnt es sich doch eigentlich zu überlegen: Wie kann Familie jenseits von biologischer oder genetischer Verbindung aussehen? Was sind eigentlich die Ängste, sich davon wegzubewegen, und was können wir gewinnen, wenn wir das doch tun? Wie können wir Adoptionsverfahren erleichtern und Co-Elternschaft rechtlich absichern und ein bisschen wegrücken von dieser Bio-Norm?

Constanze: Vor zwanzig oder auch noch zehn Jahren war das Thema Kinderwunsch in queeren Communities aber auch noch ein viel weniger gesellschaftlich akzeptiertes Thema. Heutzutage ist es schon fast selbstverständlich, ein Kind in der Kernfamilie zu haben. Das Thema spaltet aber auch die Community mehr: Manche Leute wollen mit Kindern leben und andere nicht. In lesbischen Partnerschaften will mal die eine und mal die andere schwanger werden. Oder eine von den beiden sagt: für mich kommt das gar nicht in Frage und die andere will unbedingt. Und für Männer ist es viel schwieriger zu erreichen, wirklich mit einem Kind 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche zusammenzuleben. Immer noch herrschen gesellschaftliche Vorstellungen, dass sie das nicht können. Adoption durch schwule Paare ist erst seit kurzem in Deutschland überhaupt möglich. Und Pflegschaft muss man sich auch zutrauen. In Berlin hat sich da allerdings einiges zum Besseren gewendet: Ich kenne inzwischen viele lesbische und schwule Pflegeeltern, für die das ein guter Weg ist. Und auch für Trans-Eltern öffnet sich etwas, für die ja alles nochmal schwerer ist.

Constanze, du meintest ja schon, dass dir eine Positionierung zur Frage der Legalisierung mit ja oder nein schwerfällt: Was wäre für dich denn eine gute Haltung aus einer Perspektive reproduktiver Gerechtigkeit?

Constanze: Über diese schwierige Frage werde ich vielleicht mein Leben lang nachdenken. Zwar wird immer auf den Altruismus verwiesen, wenn es um Gerechtigkeitsgedanken geht. Wirklich altruistisch funktioniert es aber eben nicht, wenn bei einem Eizelltransfer oder einer Leihschwangerschaft bestimmte medizinische Eingriffe erforderlich sind – wenn sich Frauen auch Gefahren aussetzen und das dann gegebenenfalls für Geld machen. Andererseits geben Leute ihren Körper auch für andere Dienstleistungen gegen Geld her und das sollte auch die selbstbestimmte Entscheidung der Einzelnen sein. Warum aber ist die Person darauf angewiesen, genau mit dieser Dienstleistung ihr Geld zu verdienen? Immer wieder bin ich sehr zerrissen zwischen diesen patriarchalen Ausbeutungsmechanismen und der individuellen Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Außerdem stellt sich immer die Frage, inwiefern diese Verfahren eben nicht von Einzelpersonen entschieden werden, sondern von denen, die davon immens profitieren. Auf jeden Fall möchte ich nicht anderen Menschen sagen, was richtig und was falsch für sie ist. In der Beratung haben wir eine Verantwortung und einen Vertrauensvorschuss. Wir müssen einerseits parteiisch mit den Menschen sein und trotzdem stark und sensibel genug, um ihnen auch Alternativen aufzuzeigen: Vielleicht überdenkst Du den Weg noch mal – denn das und das sind Hintergründe und mögliche Konsequenzen. Politisch bin ich dafür, Regelungen zu finden, die Ausbeutungsmechanismen verhindern und Eizellspenden unter bestimmten Umständen ermöglichen, ohne einen kommerziellen Markt zu eröffnen. Wenn wir das einfach verbieten, nutzen die Leute Angebote, wo Menschen weltweit noch stärker ausgebeutet werden, als das hier mit vernünftigen Regelungen der Fall wäre. Wie das aber genau aussehen könnte, dafür bin ich keine rechtliche Expertin.

Anthea, du kennst ja das Papier der fem*ini gegen reproduktive Ausbeutung4, in dem wir fordern, das Verbot von Eizelltransfer und Leihgebären in Deutschland aufrechtzuerhalten. Was hältst Du von dieser Position?

Anthea: Ich finde das Papier sehr stark und teile viele der kritischen Punkte: So wird darin betont, dass eine altruistische Form nicht zu einer Auflösung von ökonomischen Abhängigkeiten führt, sondern eher zu einer verdeckten Kommerzialisierung. Es ist ja belegt, dass die wenigsten Personen sich aus altruistischen Gründen dafür entscheiden, Eizellen abzugeben oder für andere zu gebären. Meistens führen eine ökonomische Prekarität oder andere Abhängigkeiten dazu, dass Leute diese Verhältnisse eingehen. Eine altruistische Lösung würde also die Nachfrage in Deutschland nicht decken, sondern eher die internationalen Ausbeutungsverhältnisse bestärken. Und auch das Zurückweisen eines fremdnützigen Zugriffs auf den Körper anderer zur Erfüllung eines Kinderwunsches durch sehr privilegierte Menschen finde ich zentral. Ich tendiere manchmal auch zu der starken Forderung nach einem Verbot, bin aber nicht komplett entschieden. Wichtiger als in Deutschland über die Legalisierung zu diskutieren, erscheint mir, eine transnationale Auseinandersetzung darüber zu führen, was globale Lösungen sein könnten. Nationalstaatliche Regelungen lösen diese Verhältnisse sowieso nicht auf und auch EU-Lösungen würden zu kurz greifen. Es braucht global geltende Leitlinien oder Gesetze. Ob das dann ein Verbot sein müsste oder sehr starke Regelungen, die gemeinsam mit reproduktiv Arbeitenden entwickelt werden, dazu bin ich unentschieden. Auch in den Netzwerken zu reproduktiver Gerechtigkeit braucht es dazu noch viele Debatten. Ich komme selbst immer wieder ins Strudeln, wenn ich mal aus der einen, mal aus der anderen Perspektive nachdenke und merke, wie diese Perspektiven kollidieren. Umso spannender fände ich es, sich zwischen verschiedenen Communities auszutauschen und auch jenseits von gesellschaftlicher Positionierung zu überlegen, was für Allianzen wir dazu entwickeln können.

Vielen Dank für das Gespräch.

  • 1Im GID distanzieren wir uns von dem Begriff der „Eizellspende“ durch Anführungsstriche oder verwenden neutralere Begriffe, um deutlich zu machen, dass finanzielle Gegenleistungen hier immer eine wichtige Rolle spielen. Ebenso sprechen wir von Leihgebären oder Leihschwangerschaft, um den Begriff der „Mutter“ in diesem Kontext zu vermeiden. In dem Interview belassen wir die Begriffe aber so, wie sie die Gesprächspartnerinnen verwendet haben.
  • 2LSVD-Positionspapier „Regenbogenfamilien im Recht“, online: www.kurzelinks.de/gid266_rh.
  • 3Vgl. Ediger, G./Kyere, A./Kalender, U./Mazzaferro, V. (2021): Reproduktionstechnologien. Queere Perspektiven und reproduktive Gerechtigkeit. Hirschfeld-Lectures; Bd. 15, Wallstein.
  • 4Siehe online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4290.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
266
vom August 2023
Seite 11 - 13

Anthea Kyere engagiert sich im Netzwerk Reproduktive Gerechtigkeit Berlin.

 

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Constanze Körner ist Gründerin des Vereins Lesben* Leben Familie e.V.

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