Handlungsauftrag und -spielräume für die Politik
Empfehlungen der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin
Kann der Schwangerschaftsabbruch entkriminalisiert werden? Sollen Eizelltransfer und Leihschwangerschaft in Deutschland zukünftig legalisiert und reguliert werden? Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin hat dazu im April eine umfassende Einschätzung veröffentlicht.

Am 15. April 2024 fand die Übergabe des Kommissionsberichts an die Minister*innen Paus, Lauterbach und Buschmann statt. Foto: Video-Screenshot © phoenix vor ort
Neuregelungen im Bereich der reproduktiven Rechte waren eines der Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, die sich die Ampelregierung zum Auftakt der Legislatur im Jahr 2021 auf die Fahnen geschrieben hatte: „Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird.“ (Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“, 2021).
Dass hier drei reproduktive Prozesse in einem Satz genannt werden, als hätten sie ganz selbstverständlich alle miteinander zu tun und könnten nur gemeinsam geprüft und verhandelt werden, ist Teil des Problems: Die Forderungen über die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen wurde an ein liberales Interesse gekoppelt, in Zukunft Eizelltransfer und Leihschwangerschaften in Deutschland legal möglich zu machen. Dabei stellt das Recht auf legale, sichere und kostenlose Schwangerschaftsabbrüche ein feministisches Grundanliegen dar, in dem es um die körperliche Selbstbestimmung von Menschen mit Uterus geht. Bei Eizelltransfer und Leihschwangerschaft wiederum steht im Fokus, die Kinderwünsche für eine vergleichsweise kleine Anzahl von Menschen zu erfüllen. Die Möglichkeit, dafür die reproduktiven Ressourcen von dritten Personen in Anspruch zu nehmen, generiert große Gewinnmargen für all jene, die im Besitz reproduktiver Technologien sind – für Reproduktionskliniken also.1
Als 2023 die Kommission, bestehend aus 18 Expert*innen aus den Bereichen Recht, Medizin, Medizinethik, Psychologie und Gesundheitswissenschaften eingesetzt wurde, war nur einer kleinen kritischen Öffentlichkeit bewusst, dass hier zwei Themen zwar getrennt voneinander verhandelt, politisch aber in einen Verhandlungstopf geworfen wurden. So stand zu befürchten, „dass die Legalisierung der ‚Eizellspende‘ zur bitteren Pille der Feminist*innen innerhalb und außerhalb des Bundestages wird, die den §218 um jeden Preis abschaffen wollen.“2
Handlungsauftrag einerseits – Entscheidungsspielraum andererseits
Ist die bittere Pille schon geschluckt? Noch scheint es zu früh, dies zu beurteilen. Die Kommission hat ihren fast 600-seitigen Bericht zwar bereits im April vorgelegt – auf politische Konsequenzen daraus wartet die Zivilgesellschaft aber bis heute. Denn die Arbeitsgruppe 1 zum Schwangerschaftsabbruch hat – wenig überraschend – eine argumentativ überzeugende Ausarbeitung vorgelegt, aus der sich ein klarer Handlungsauftrag für den Gesetzgeber ableiten lässt: Unter Berücksichtigung völker- und EU-rechtlicher Leitlinien, den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation sowie auf Grundlage der empirisch eindeutigen Ergebnisse der ELSA-Studie, hält die Kommission fest, dass eine grundsätzliche Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen, insbesondere in der Frühphase der Schwangerschaft, rechtlich nicht begründbar ist.3
Für die Ergebnisse aus der Arbeitsgruppe 2 zu den Reproduktionstechnologien sieht das anders aus: Hier ist kein klarer politischer Handlungsauftrag an die Regierung zu erkennen, es werden eher mögliche politische Gestaltungsspielräume skizziert. Die umfassende Einschätzung zu Eizelltransfer und Leihschwangerschaft stellt zwar fest, dass es keinen Grund zur Aufrechthaltung des grundlegenden Verbots von Eizelltransfers gibt. Sie formuliert aber auch sehr klare Auflagen, an denen sich eine mögliche Legalisierung und auch Regulierung von Eizelltransfers durch den Gesetzgeber orientieren müsste. Zur Leihschwangerschaft äußert sich die Kommission zurückhaltend. Die Ausführungen skizzieren einen weiten „Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum, der sowohl das bestehende Verbot als auch eine Legalisierung bestimmter Formen der Leihmutterschaft umfasst.“4
Eizelltransfer – unter bestimmten Voraussetzungen möglich?
Die sogenannte Eizellspende könnte unter engen Voraussetzungen ermöglicht werden, so der Kommissionsbericht. Unterschieden wird zwischen unterschiedlichen Verfahren des Transfers, etwa zwischen der Nutzung von überschüssig produzierten Eizellen, die nicht für die Nutzung durch Dritte hergestellt, aber unter bestimmten Umständen an diese abgetreten werden können, und dem Verfahren der ROPA-Methode (Reception of Oocytes from Partner), bei der innerhalb der Partner*innenschaft eine Eizelle entnommen und dem*der anderen Partner*in eingesetzt wird. Bei beiden Methoden handelt es sich um medizinische Behandlungen, die der Erfüllung eigener Kinderwünsche dienen und die nicht per se darauf angelegt sind, auf die reproduktiven Ressourcen Dritter zurückzugreifen. Die Kommission bezeichnet sie als „nicht rein fremdnützige Eizellspende.“ Diese Form des „Egg Sharings“ entspräche am ehesten dem, was als „altruistische Spende“ zu bezeichnen wäre, da es hier um die freiwillige und selbstbestimmte Einwilligung der informierten Spender*innen und Empfänger*innen geht und keine Kompensationszahlung vorgesehen ist.
Als zweite Option prüft die Kommission die Zulassung von „rein fremdnützigen Spenden“, also der Produktion in und Entnahme von Eizellen aus den Körpern Dritter. In diesem Fall fordert sie, dass bei der ovariellen Stimulation und der In-vitro-Fertilisation (IVF) nur die risikoärmsten Verfahren eingesetzt werden. Zudem soll der*die Eizellgeber*in langfristig gegen mögliche Gesundheitsrisiken versichert werden, ähnlich einer Proband*innenversicherung, und eine angemessene Aufwandsentschädigung für den körperlichen und mentalen Aufwand erhalten. In allen Konstellationen empfiehlt die Kommission eine unabhängige Beratung für Eizellgeber*in und Wunscheltern der Kinderwunschbehandlung sowie die Speicherung der Daten, um das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung zu sichern. Hierbei wäre eine analoge Lösung zum Samenspenderregister denkbar.5
Leihmutterschaft
Bei der Legalisierung der altruistischen Leihmutterschaft ist die Kommission wesentlich vorsichtiger. Es wird eindeutig formuliert, dass „selbst in altruistisch angelegten Modellen ein Potenzial für Umgehungen und Missbrauch“ bestehe. Es liege daher „im Ermessen des Gesetzgebers, aufgrund einer Gesamtabwägung an dem bisherigen Verbot der Leihmutterschaft festzuhalten.“ Denn „das bestehende Verbot der Leihmutterschaft verstößt nicht per se gegen Gleichheitsrechte.“ Beim Festhalten an einem Verbot könne sich aber nicht mehr ohne weiteres auf das Argument des Kindeswohles bezogen werden, da die sogenannte gespaltene Mutterschaft für das Kind zwar mit psychosozialen Belastungen einhergehen könne, jedoch nicht das Ausmaß einer Menschenwürdeverletzung annehmen würde.6
Für den Fall einer Legalisierung, schlägt die Kommission eine nicht kommerzielle und begrenzte Form der Zulassung vor, welche vorwiegend in einem bestehenden Näheverhältnis zwischen der Leihschwangeren und den intendierten Eltern realisiert werden sollte. Hier formuliert die Kommission klare Bedingungen, unter denen eine Leihschwangerschaft angebahnt und realisiert werden sollte. Wichtig sei hier auch das Selbstbestimmungsrecht der Leihschwangeren: Die Einwilligung der Leihschwangeren müsse freiwillig und selbstbestimmt sein, die Behandlung unter Berücksichtigung der Gesundheitsrisiken und Belastungen der Schwangerschaft und assistierten Reproduktion stattfinden. Ein Abbruch der Schwangerschaft müsse innerhalb des gesetzlich möglichen Rahmens möglich sein und dürfe nur der Entscheidung der Leihschwangeren obliegen. Wichtig sei auch, dass der Person, die die Schwangerschaft austrägt, nach der Geburt bis zu einer gewissen Frist das Recht eingeräumt wird, das Kind zu behalten. Die Organisation des Verfahrens und auch die Begleitung und Beratung der beteiligten Parteien solle durch eine „darin spezialisierte gemeinnützige Einrichtung“ gewährleistet werden. Wie genau dies aussehen könnte und auch wie Möglichkeiten der Instrumentalisierung und Profitmaximierung dabei so gering wie möglich gehalten werden können, zu diesen Fragen finden sich im Kommissionsbericht keine Antworten.
Interessant ist der Aspekt, dass der Kommissionsbericht tatsächlich auch als eine Aufforderung an die Politik gelesen werden kann, familiäre Verhältnisse jenseits der Kleinfamilie stärker in den Blick zu nehmen und abzusichern. Wenn es künftig möglich sein soll, dass intendierte Eltern und Leihschwangere eine sogenannte Leihschwangerschaftsvereinbarung unterschreiben, in der sie ein Verhältnis über die Geburt des Kindes hinaus miteinander eingehen, impliziert dies dann nicht eigentlich auch die Forderung, vielfältige Familienformen wie z. B. Co-Parenting und Mehrelternschaft, über die oft nur als Mutter, Vater, Kind verstandene Kernfamilie hinaus, anzuerkennen und abzusichern?
Leerstellen des Berichts
Die Empfehlungen beschränken sich dabei klar auf das Modell der „altruistischen Leihmutterschaft“, in dem für die Person, die die Schwangerschaft austrägt, eine finanzielle Kompensation vorgesehen ist. Diese berücksichtigt die körperlichen und psychischen Belastungen der Leihschwangeren und deckt nicht nur die Kosten des Verfahrens selbst. Insgesamt erkennt der Kommissionsbericht zwar an verschiedenen Stellen sowohl das ökonomische Gefälle zwischen Eizellgeber*innen und Leihschwangeren auf der einen sowie intendierten Eltern auf der anderen Seite als auch die unterschiedlichen Möglichkeiten der (eventuell auch gerichtlichen) Durchsetzung von Rechten an, doch die ökonomischen Aspekte der Legalisierungsfragen und Interessen bleiben unterbeleuchtet. Dies ist insofern relevant, als dass gerade im Bereich der Reproduktionstechnologien Prozesse der Gewinnabschöpfung und -maximierung im Mittelpunkt stehen – vor allem nämlich für Fertilitätskliniken, Versicherungen und Vermittlungsagenturen, deren Rolle im Kommissionsbericht kaum betrachtet wird.7 Nach Lesen des Kommissionsberichts kann durchaus der Eindruck entstehen, eine Legalisierung von Eizelltransfer und Leihschwangerschaft sei juristisch möglich und in einem angemessenen und politisch regulierten Rahmen durchaus denk- und machbar. Wer aber ausblendet, dass die Legalisierung dieser Praktiken nicht nur möglicherweise eine Hilfe für (finanzkräftige) intendierte Eltern sein kann, sondern Reproduktion noch stärker an Marktlogiken und Profitorientierung ausrichtet, verkennt das Potenzial für Ausbeutung, das in Reproduktionsprozessen immer schon angelegt und intersektional stratifiziert ist.
Öffentliche Debatte und politischer Wille
In der breiten Öffentlichkeit – und auch unter politischen Entscheidungsträger*innen – wurden bisher vor allem die Ergebnisse der Arbeitsgruppe zu den Schwangerschaftsabbrüchen wahrgenommen und diskutiert. Dies liegt zum einen daran, dass auch medial die Darstellung der Arbeit der Kommission oft verkürzt und auf die reine Bearbeitung der Fragen zu den Schwangerschaftsabbrüchen zugespitzt wurde. Die Ergebnisse der zweiten Arbeitsgruppe werden entweder gar nicht oder nur sehr nachrangig diskutiert, eine öffentliche Debatte zu Fragen der Legalisierung von Eizelltransfer und Leihschwangerschaft wurde nicht angestoßen.
Auch politisch lässt sich gerade nicht absehen, dass das Thema weiterhin im Rahmen eines Tauschhandels verhandelt wird. So gab und gibt es zwar vereinzelt Versuche von Vertreter*innen der FDP, das Thema Eizelltransfer und Leihschwangerschaft im Kontext von Debatten rund um §218 stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Insgesamt ist aber eine politische Auseinandersetzung oder gar Gesetzesinitiative zu beiden Verfahren bislang ausgeblieben. Ähnlich gelagert schien bisher auch die Situation rund um §218: Bislang gab es keine Vorstöße, die erkennen ließen, dass in dieser Legislatur noch eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen angestrebt wird.
In den letzten Wochen ist jedoch Bewegung in die Debatte gekommen: Der Deutsche Frauenrat als größter Frauenverband in Deutschland hat sich auf seiner jährlichen Mitgliederversammlung im Juni 2024 in einem historischen Beschluss dafür eingesetzt, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland entkriminalisiert werden sollen. Darüber hinaus hat die SPD in einem Fraktionsbeschluss im Juni bekräftigt, dass Schwangerschaftsabbrüche als Ausdruck von reproduktiver Selbstbestimmung in Deutschland nicht weiterhin im Strafgesetzbuch geregelt sein dürfen.8 Auch die liberalen Frauen haben die FDP-Parteispitze Ende Juni dazu aufgefordert, den Empfehlungen der Kommission durch einen Gesetzesentwurf zur Entkriminalisierung noch in dieser Legislatur Rechnung zu tragen. Die Parteichefin der Grünen, Ricarda Lang, kündigte nach Wochen des Wartens auf eine Reaktion ihrer Partei zumindest an, dass die Grünen weiterhin an der Forderung der Entkriminalisierung festhielten.9 Allerdings müssen all diesen Worten jetzt endlich Taten folgen, damit die Gesetzesänderung noch in dieser Legislatur möglich ist. Politische Entscheidungsträger*innen werden dabei von einer großen und kritischen feministischen Zivilgesellschaft genau beobachtet – und auch in die Verantwortung genommen werden.
- 1Herb, I. (01.09.2023): Wenn Wall Street & Co. bei der Schwangerschaft mitreden. Online: www.kurzlinks.de/gid270-lq.
- 2Binışık, D. (2023): Legaler Zugriff auf Eizellen als fauler Kompromiss? In: GID Magazin, 40 Jg., Nr.266, S.10, online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4582.
- 3Lindemann, J. (19.04.2024): Bis hierhin… und wie weiter? Online: www.kurzlinks.de/gid270-lr.
- 4BMFSFJ (2024): Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, S.561, online: www.kurzlinks.de/gid270-ls.
- 5BMFSFJ (2024): Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, S.602-603, online: www.kurzlinks.de/gid270-ls.
- 6Herb, I./Nolte, A. (29.05.2024): „Wish for a Baby“ – der Markt der unendlichen Möglichkeiten. Online: www.kurzlinks.de/gid270-lt.
- 7Deutsches Ärzteblatt (25.06.2024): SPD-Fraktion fasst Beschluss zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Online: www.aerzteblatt.de
- 8Das Papier liegt der Autorin vor, ist bisher aber noch unveröffentlicht.
- 9Seitler, P. (27.06.2024): Ricarda Lang fordert „dringend“ Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Online: www.kurzlinks.de/gid270-lu. [Letzter Zugriff Onlinequellen: 24.07.2024]
Amina Nolte ist Fachreferentin für Reproduktive Gerechtigkeit beim Gunda-Werner-Institut (www.gwi-boell.de).