Schwangerschaft ohne Körper?
Über die Vision künstlicher Uteri
Die Idee, Reproduktion ganz aus dem menschlichen Körper auszulagern ist nicht neu. Heutzutage scheint die Umsetzung dieser Fantasie greifbar nah – aber stehen wir wirklich kurz davor, menschliche Embryonen bis zur Geburt in einer künstlichen Umgebung heranreifen zu lassen? Und welche ethischen Fragen wirft das auf?
Nur Prognosen und Wahrscheinlichkeiten – Computermodelle haben auch bei der Entwicklung künstlicher Uteri ihre Grenzen. Foto: Hologram Stock photos by Vecteezy
Im Januar kam mit „Baby to go“ (englischer Originaltitel „The Pod Generation“) ein Film in die deutschen Kinos, dessen zentraler Topos die Zukunft der Reproduktion ist. In dem Science-Fiction-Film entwirft die französisch-amerikanische Regisseurin Sophie Barthes eine Welt, in der Künstliche Intelligenz (KI) alle Lebensbereiche durchdrungen hat: Sie regelt den Haushalt und die Terminplanung der Protagonist*innen, der 3-D-Drucker generiert den Frühstückstoast, frische Luft ist ein konsumierbares und bepreistes Gut, das aus Inhalatoren kommt und selbst die Psychotherapie wird von einer KI per Bildschirmschalte abgehalten. In diesem Universum leben die Hauptprotagonist*innen Rachel und Alvy, ein modernes heterosexuelles Paar, das als sehr gegensätzlich konstruiert ist: Rachel ist eine Karrierefrau, die für ein großes Tech-Unternehmen arbeitet und alle technischen Lösungen für Alltagsprobleme ohne großes Hinterfragen annimmt, während ihr Partner Alvy – als Botaniker in einer Welt mit Baum-Hologrammen und KI-generierten Naturerlebnissen beruflich eher erfolglos – die Technologiefixierung größtenteils ablehnt und sich in seinen kleinen Balkongarten flüchtet.
Alvy und Rachel wünschen sich ein Kind. Doch während Alvy dieses auf „klassischem“ Wege bekommen möchte, macht Rachel einen Termin im „Womb Center“, der futuristischen Version einer Kinderwunschklinik. Hier wird nicht nur In-vitro-Fertilisation durchgeführt, sondern die ganze Schwangerschaft aus dem menschlichen Körper ausgelagert. Der Embryo wird in ein Hightech-Plastikei eingesetzt und reift dort heran. Über kleine Kapseln können Vitamine und Nährstoffe zugegeben werden und durch ein Sichtfenster kann zwischendurch ein Blick auf den Fötus geworfen werden. Rachels Arbeitgeber bezuschusst das teure Unterfangen großzügig, fällt doch Rachel so nicht durch eine Schwangerschaft als Arbeitskraft aus. Alvy, der sich anfangs wenig begeistert zeigt, lässt sich schließlich auf diesen Weg ein. Das Paar kann das Ei mit nach Hause nehmen, um den Bauch schnallen oder ganz modisch als Rucksack tragen. Es muss nur regelmäßig an die Ladestation angeschlossen werden.
Der Film widmet sich der Beziehung des Paares, ihren jeweiligen Bindungsgefühlen und -schwierigkeiten zu dem Fötus im Ei. Er wirft auch die Frage auf, wer eigentlich welche Rechte beispielsweise zur Bestimmung des „Geburtstermins“ hat, wenn das Ei einer Firma gehört, der Fötus aber den werdenden Eltern. Mitten in den Bildern einer sauberen Stadt, reicher Menschen, hellen Sonnenscheins und pastellfarbenen Sonnenuntergängen ist es für Zuschauer*innen teils schwer zu erkennen, ob wir uns eigentlich in einem utopischen oder einem dystopischen Szenario befinden und was hier als Kipppunkt intendiert ist: Ist schon das Interesse des Arbeitgebers an dieser Form der Reproduktion eine dystopische Komponente oder wird es erst dann problematisch, wenn das „Womb Center“ das Ei frühzeitig zurück will, um die Nachfrage abzudecken und es schneller für die nächste Schwangerschaft einsetzen zu können?
Greifbare Realität?
Laut Filmemacherin Barthels steht uns eine Zukunft mit externalisierter Reproduktion quasi unmittelbar bevor, so sagte sie dem Deutschlandfunk im Interview: „Ja, es passiert, ich garantiere Ihnen, dass diese Technologie bald Realität wird. Ich hatte einen Anruf von einem Tech-Unternehmer, der aktuell gerade an einem künstlichen Uterus tüftelt. Er hat den Film gesehen, geliebt und hat mir dezidierte Fragen zum Design gestellt.“1
Die Idee, die Schwangerschaft gänzlich aus dem menschlichen Körper auszulagern, ist keine neue. Seit der Erfindung des Brutkastens in den 1880er Jahren finden sich vermehrt Überlegungen zu künstlichen Uteri – sowohl in der Medizin als auch in der Literatur. Auch feministische Theoretiker*innen haben sich immer wieder mit diesem Gedankenspiel befasst. Schon 1970 proklamierte die marxistisch-feministische Autorin Shulamith Firestone in ihrem Werk „The Dialectic of Sex: The Case for Feminist Revolution“, dass die Unterdrückung der Frau in ihrer Rolle der Reproduktion und ihrer Verwundbarkeit während der Schwangerschaft liege und eine wirkliche Befreiung letztendlich nur möglich sei, wenn Reproduktion mithilfe künstlicher Uteri stattfinden würde.2
Aber wie nah sind wir tatsächlich an der Möglichkeit, die Schwangerschaft gänzlich aus dem menschlichen Körper zu verbannen? Stehen Tech-Start-ups schon bereit, um zahlenden Kund*innen künstliche Uteri anzubieten? Im September 2023 hat die Food and Drug Administration (FDA), also die US-Behörde, die etwa für die Prüfung der Zulassung von Medikamenten oder die Freigabe klinischer Studien verantwortlich ist, erstmalig über mögliche klinische Tests von künstlichen Uteri an menschlichen Föten beraten. Vorausgegangen waren Versuche an Tieren, u. a. an Lämmern.
Die künstlichen Uteri, um die es in dieser Debatte geht, haben allerdings wenig mit den sehr ästhetischen und handlichen Plastikeiern aus Sophie Barthes Film gemein – und sie sind nicht dafür konzipiert, die Schwangerschaft gänzlich aus dem menschlichen Körper auszulagern. Stattdessen sollen mithilfe einer Uterus-ähnlichen Umgebung die Überlebenschancen extrem Frühgeborener gesteigert werden. Der Transfer soll vor allem eine weitere Heranreifung von Herz und Lungen ermöglichen, bevor den Frühchen mit herkömmlichen Methoden geholfen werden kann. Obwohl es bereits gelungen ist, Neugeborene ab der 21. Woche mit Inkubatoren am Leben zu erhalten, sind dies eher Einzelfälle. Die Überlebensrate liegt in der 22. bis 23. Schwangerschaftswoche bei weniger als einem Prozent. Bei der Hälfte der überlebenden Frühgeburten in der 26. Schwangerschaftswoche bleiben Langzeitfolgen bestehen, am häufigsten sind dabei unterentwickelte Lungen und Atemwegsprobleme, Sauerstoffmangel sowie Schwierigkeiten beim Saugen und Schlucken. All diesen Problemen kann zwar mit Mitteln der neonatalen Versorgung begegnet werden, die bereits heute zur Verfügung stehen, – aber auch diese bergen teils hohe Komplikationsrisiken.3 Künstliche Uteri sollen nun, wenn es nach den Forschenden geht, diese Lücke füllen.
Fast alle der Prototypen, an denen momentan geforscht wird, ähneln eher einem großen Plastikbeutel, der mit mehreren Schläuchen verbunden und mit einer Flüssigkeit gefüllt ist, die in ihrer Zusammensetzung dem Fruchtwasser nachempfunden ist.
Unterschiedliche Forschungsansätze
Das am weitesten fortgeschrittene Projekt ist am Center for Fetal Research des Children's Hospital of Philadelphia in den USA angesiedelt. Die von dem Forschungsteam um Direktor Alan Flake entwickelte Technologie nennt sich EXTrauterine Environment for Newborn Development oder kurz EXTEND. Erfolgreich getestet wurde EXTEND bisher an Lämmern. Die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen erfolgt über eine Kopplung der Nabelschnur an das Gerät. 2017 gelang es erstmals, ein Lamm in diesem Behältnis für 28 Tage am Leben zu erhalten.4
Ein australisch-japanisches Forschungsprojekt verfolgt einen ähnlichen Ansatz: EVE (Ex-Vivo Uterine Environment) ist ähnlich aufgebaut wie EXTEND und wird ebenfalls an Lämmern getestet. Zu Beginn machten die transferierten Föten hier in der Mehrzahl keine nennenswerten Fortschritte beim Lungenwachstum, die Überlebensrate war schlecht.5 Inzwischen wurde die Technologie verfeinert, allerdings liegt die Verbleibdauer in der künstlichen Umgebung noch immer bei nur einer Woche.
Die Forschung mit Schafföten hat allerdings einige Limitationen. Da wäre zum einen ihre schiere Größe, die die eines menschlichen Fötus in einer vergleichbaren Schwangerschaftsphase deutlich übersteigt. Die Größe hat aber Auswirkungen auf die Dicke der Blutgefäße und den Blutdruck und somit auch auf mögliche Komplikationen bei Nahrungszufuhr und Beatmung. Außerdem verfügt die Nabelschnur von Schafen über zwei Arterien, die menschliche hingegen nur über eine.6
Ein kanadisches Team hingegen arbeitet mit Schweinen. Hier gibt es stärkere Parallelen zu den Schwangerschaftsphasen beim Menschen, was etwa Gehirnentwicklung und Beschaffenheit der Nabelschnur angeht.7 Allerdings zeigen sich noch deutliche Probleme: Vor allem der Anschluss an die Nabelschnur birgt Komplikationen, es kam zu Blutgerinnseln und Herzproblemen. Länger als eine Woche konnten die Schweineföten bisher nicht am Leben gehalten werden.8
Das europäische Perinatal Life Support Project9 hingegen geht einen ganz anderen Weg: Dort wird mit einer Art Fötus-Dummy an künstlichen Uteri geforscht, der durch eine datengestützte Computersimulation möglichst realistisch auf die Umgebung reagieren soll.
Noch weit entfernt vom Durchbruch
Forschungsteams konnten in den letzten Jahren viele Fortschritte in der Erprobung von künstlichen Uteri bei Tieren verzeichnen, allerdings sind die Erfolge nicht ganz so eindeutig, wie es zunächst scheinen mag. Die Technologie sei „robust und stabil“ resümierte Alan Flake, der Leiter des Forschungsprojekts am Children's Hospital of Philadelphia. Sie hätten EXTEND an über 300 Lämmern getestet, ohne größere Komplikationen.10 Die Tests mit Schweinen aus Kanada zeigen aber deutlich das Komplikationsrisiko. Das von der FDA eingesetzte Expert*innenkomitee schlug im Herbst 2023 mehrere Kriterien vor, die erst erfüllt sein müssten, um Studien mit menschlichen Föten zuzulassen, dazu gehören weitere Studien mit einer noch festzulegenden, am meisten geeigneten Tierart ebenso wie eine Debatte darüber, was diese Verschiebung bei der Viabilität, also der Überlebensfähigkeit außerhalb des Uterus, auch für angrenzende ethische Fragen bedeutet.11
Die Expert*innenempfehlungen sind für die FDA nicht bindend – dennoch dürfte der Korridor sehr eng definiert sein, in dem etwaige Studien mit menschlichen Föten zugelassen werden könnten. Auch in den USA unterliegen Studien am Menschen strengeren Richtlinien, insbesondere an Kindern. Für jeden Einzelfall müsste erwiesen sein, dass der Transfer in einen künstlichen Uterus bessere Chancen und geringere Risiken birgt als klassische Behandlungsmethoden der Neonatologie – und die Eltern müssten diese Abwägungen verstehen und einwilligen.
Doch auch abseits von Erfolgsaussichten und Risiken stellen sich eine ganze Reihe von ethischen Fragen. Was zum Beispiel würde es bedeuten, wenn die Lebensfähigkeit außerhalb des Uterus durch technische Entwicklungen wie diese deutlich früher als bisher beginnt? In Zeiten, wo Abtreibungsgegner*innen versuchen, Föten rechtlich als Personen zu definieren und Schwangerschaftsabbrüche so zum Tötungsdelikt umzudeuten12 , sind daran unter Umständen ernsthafte Konsequenzen geknüpft. Was würde es etwa bedeuten, wenn werdende Eltern den Transfer in einen künstlichen Uterus verweigern?13
Noch werden künstliche Uteri nicht bei menschlichen Föten eingesetzt – und momentan sind wir technisch noch weit davon entfernt, diese Technologie auf die Frühphase der Schwangerschaft anzuwenden. Dennoch handelt es sich um eine Entwicklung, die kritisch verfolgt werden muss – wegen ihrer Verknüpfung mit Fragen der reproduktiven Selbstbestimmung, aber auch hinsichtlich der Kommerzialisierung einer solchen Technologie, sollte sie irgendwann auf die gesamte Schwangerschaft ausgeweitet werden können. Denn wahrscheinlich wäre das nicht die Erfüllung von Firestones Traum einer Befreiung von der Reproduktion, sondern nur ein Angebot für einige wenige zahlungskräftige Kund*innen – bei gleichzeitigem Druck, nicht durch eine „natürliche“ Schwangerschaft als Arbeitskraft auszufallen.
- 1Deutschlandfunk (11.01.2024): Baby to Go – Sophie Barthes über ihren dystopischen Reproduktionsfilm. Online: www.kurzlinks.de/gid270-lk.
- 2Hughes, J. (2021): Artificial Womb: A Short History. In: Orbis Idearum, Ausgabe 2/2021, S.13-23.
- 3Romanis, E. C. (2018): Artificial womb technology and the frontiers of human reproduction: conceptual differences and potential implications. In: Med Ethics 2018/44, S.751-755, www.doi.org/10.1136/medethics-2018-104910.
- 4Willyard, C. (29.09.2023): Everything you need to know about artificial wombs. In: MIT Technology Review, online: www.kurzlinks.de/gid270-ll.
- 5Miura, Y. et al. (2015): Ex-Vivo Uterine Environment (EVE) Therapy Induced Limited Fetal Inflammation in a Premature Lamb Model. In: Plos One, www.doi.org/ 10.1371/journal.pone.0140701.
- 6Charest-Pekeski, A. J. et al. (2021): Achieving sustained extrauterine life: Challenges of an artificial placenta in fetal pigs as a model of the preterm human fetus. In: Physiological Reports 2021/9, www.doi.org/10.14814/phy2.14742.
- 7Charest-Pekeski, A. J. et al. (2022): Impact of the Addition of a Centrifugal Pump in a Preterm Miniature Pig Model of the Artificial Placenta. In: Frontiers Physiology 2022/13, www.doi.org/10.3389/fphys.2022.925772.
- 8Stein, R. (2024): An artificial womb could build a bridge to health for premature babies. NPR, online: www.kurzlinks.de/gid270-lm.
- 9Perinatal Life Support Project. Online: www.kurzlinks.de/gid270-ln.
- 10Christensen, J. (19.09.2023): FDA advisers discuss future of ‘artificial womb’ for human infants. Online: www.cnn.com.
- 11FDA Briefing Document (19.09.2023). Online: www.kurzlinks.de/gid270-lo.
- 12Siehe Interview mit Risa Cromer in diesem Heft: https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/reprotechnologien/tiefgekuehlte-waisen-suchen-ein-zuhause
- 13Ravitsky, V./King, L. (2024): It Is Too Soon for Clinical Trials on Artificial Wombs. In: Scientific American. Online: www.kurzlinks.de/gid270-lp. [Letzter Zugriff Onlinequellen: 24.07.2024]
Jonte Lindemann ist Mitarbeiter*in des GeN und Redakteur*in des GiD.
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