Einseitige Berichterstattung
Kritik am Panorama-Beitrag der ARD „Angst vor Gentechnik: berechtigt oder Hysterie“.
In einem Brief an das ARD Panorama-Team zeigt sich ein Zuschauer enttäuscht von der holzschnittartigen Einseitigkeit und der unkritischen Übernahme von Narrativen der Saatgutindustrie.

Foto: Pixabay
Sehr geehrte Damen und Herren vom Panorama-Team,
ich schreibe Ihnen diese E-Mail in Reaktion auf Ihren Beitrag „Angst vor Gentechnik: berechtigt oder Hysterie“ aus der Sendung vom 8. September 2022.
Über die holzschnittartige Einseitigkeit und die unkritische Übernahme von Narrativen der Saatgutindustrie bin ich in hohem Maße irritiert. Weil Ihr Beitrag journalistischen Qualitätsstandards in meinen Augen in
keiner Weise genügt, bitte ich Sie hiermit um eine Gegendarstellung in einer weiteren Sendung. Im Folgenden erkläre ich meine Kritik ausführlicher.
Bereits beim Einsprechen des Beitrages wird durch die Moderatorin Anja Reschke mit den Worten „Wie soll das weitergehen mit den Pflanzen in trockenen Sommern? Es gäbe eine Chance, von der die Pflanzenwissenschaft überzeugt ist“ ein Rahmen gesetzt, außerhalb dessen verengter Perspektive fortan nicht mehr operiert wird. Bereits bei Minute 2:18 setzt Produzentin Oda Lambrecht noch einmal nach und
erklärt vor dem Hintergrund von phytopathogenen Pilzen: „Das Gute: Hier könnte Gentechnik helfen.“
Beide greifen damit bereits zu Beginn der Sendung völlig unbefangen und ohne jegliche Beweise auf die Werbe-Narrative der Pestizid- und Saatgut-Industrie zurück. Diese behauptet bereits seit Beginn des
kommerziellen Anbaus gentechnisch manipulierter Pflanzen, Grüne Gentechnik trage zur Reduktion von Pestiziden und zu höheren Erträgen bei. In jüngerer Vergangenheit ist die Behauptung „Gentechnik ist die Antwort der Landwirtschaft auf den Klimawandel“ dazugekommen, die in meinen Augen einen trefflichen Titel für Ihren Beitrag darstellen würde. Die Realität in Gebieten, in denen großflächig auf transgene Pflanzen
zurückgegriffen wird, sieht leider ganz anders aus: Exzessiver Pestizideinsatz, Monopolisierung der Landwirtschaft mit all ihren sozialen Kollateralschäden, Abnahme der Artenvielfalt, quadratkilometergroße Riesen-Monokulturen. Belege für die Behauptungen „weniger Pestizide“, „Trockenheitsresistenz“ oder „höherer Ertrag“ werden in der ganzen Sendung nicht ein einziges Mal erbracht. Und das, obwohl der Anbau transgener Pflanzen in verschiedenen Teilen der Welt seit Jahren Realität ist – eine unabhängige Prüfung wäre also möglich.
Grundsätzlichere Fragen, wie: Wer hat in der Vergangenheit von der Anwendung der Gentechnik profitiert und wer nicht? oder: Welche sozio-ökonomischen Dynamiken hat sie verstärkt oder erzeugt? werden konsequenterweise im Folgenden nicht weiter berücksichtigt. Alternativen zur industriellen Intensiv-Landwirtschaft, etwa agrarökologische Ansätze scheinen für die Autor*innen keine Rolle zu spielen.
Die zuerst interviewte Person ist dann Malte Isermeyer. Für die Zuschauer*in bleibt er ein zufällig ausgewählter, unabhängiger Landwirt, der sich seinen zwei Vorrednerinnen anschließt und die Grüne Gentechnik ohne Umschweife als Lösung für die Probleme seiner Branche präsentiert. Tatsächlich handelt es sich bei ihm um ein Mitglied des Leitungsteams der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft), ein Lobby- und Koordinierungsverband der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft, der sich seit langer Zeit für die Verbreitung von Gentechnik in der Landwirtschaft stark macht und im Wesentlichen die Interessen der Branchenmonopole vertritt. Die Leitung der DLG liegt in den Händen von Agrargroßunternehmern. Zuletzt machte die Organisation übrigens Schlagzeilen, nachdem die NGO Animal Rights Watch aufgedeckt hatte, dass ein Schweinemastbetrieb des Vize Präsidenten der DLG, der gleichzeitig Teil des Vorstandes der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) ist, in seinen Ställen sterbende Tiere mit Mastdarmvorfällen, Nabelbrüchen und abgebissenen Schwänzen rumliegen hatte. Außerdem mit der Zertifizierung gepanschter Wurst.
Fast noch interessanter aber ist, dass Malte Isermeyer bis vor Kurzem auch Geschäftsführer der Agromais gewesen ist. Dabei handelt es sich um einen Saatgutkonzern, spezialisiert auf Mais für Biogas-Anlagen, der regelmäßig neue Maissorten zuzulassen versucht und ebenjenen Gentechnik-Regularien untersteht, denen sich seine Branche entgegenstellt.
Leider bleibt Herr Isermeyer der einzige interviewte Landwirt, sodass der Eindruck vermittelt wird, die Bäuer*innen unterlägen unsinnigen Regularien, die ihre Arbeit behindern und von ihnen selbst abgelehnt werden. Das Gegenteil ist der Fall. So stellt etwa die weltweit größte Vereinigung von Landarbeiter*innen und Kleinbäuer*innen Via Campesina im ersten Satz ihres Communiqués zu Deregulierungsversuchen der „neuen“ Grünen Gentechnik klar: „Grüne Gentechnik stellt eine Bedrohung für bäuerliche Landwirtschaft dar.“ Weitere Bäuer*innen-Organisationen wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Vertreter der deutschen Imker wie die Aurelia-Stiftung, Teile der Lebensmittelwirtschaft wie der BöLW oder die französische Bauerngewerkschaft Confédération paysanne schließen sich dieser Kritik an.
Die einzigen Wissenschaftler*innen, die in Ihrem Beitrag interviewt werden, sind Svenja Augustin, die viermal zu Wort kommt und die Sendung insgesamt dominiert sowie Prof. Axel Brakhage. Die Auswahl dieser beiden Persönlichkeiten ist ohne Hinweise auf ihre bisherige Arbeit und ihr Engagement außerhalb der universitären Forschung erneut irreführend und hochproblematisch. Während Svenja Augustin Teil des Vorstandes des sogenannten Ökoprogressiven Netzwerkes ist, einem (zumindest ideologisch) industrienahen Verein, der sich für die grundsätzliche Deregulierung von Risikotechnologien einsetzt und eine ungesunde Nähe zu neokolonialen Saatgut-Kampagnen im Globalen Süden aufweist, handelt es sich bei Prof. Brakhage um den ehemaligen Laborleiter der Abteilung Biotechnologie der BASF, einem der Gentechnik-Oligopolisten.
Die Message ist klar: Die Wissenschaft sei sich einig. Das ist falsch. Koryphäen der wissenschaftlichen Gentechnik-Kritik werden weder zitiert noch interviewt. Ich nenne Ihnen gerne einige Namen: Christine von Weizsäcker (Biologin), Angelika Hilbeck (Agrar-Ökologin ETH Zürich), Felix zu Löwenstein (Agrarwissenschaftler und Landwirt), Gilles-Éric Séralin (Molekularbiologe, Universität Caen). Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, diese Recherche zu betreiben und andere Meinungen abzubilden.
Dass pro forma einige Passant*innen als kritische Gegenstimmen zu Wort kommen, deren laienhaften Aussagen natürlich nicht mit denen der interviewten Biolog*innen mithalten können, und Sie abschließend noch die Agrar-Expertin des BUND mit polemischen Fragen zu der Aussagekraft eines Symbolbildes vorführen, macht den Beitrag keinen Deut ausgewogener. Vielmehr wird hier ein weiteres Mal die Voreingenommenheit der Produzent*innen deutlich und das von Anfang an bemühte Bild unterstützt: Irrationale Ängste gegen Wissenschaft und Landwirtschaft.
Ich weiß aus vergangenen Sendungen: Das können Sie besser. Ich unterstreiche hiermit noch einmal meine Bitte um einen Anschlussbeitrag.
Mit freundlichen Grüßen
Paul S.
Antwort von Oda Lambrecht aus der Panorama Redaktion vom 28.09.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Zuschrift und die ausführliche Kritik. Bitte entschuldigen Sie die späte persönliche Antwort. Ich bin heute nach mehreren Wochen wieder den ersten Tag im Büro.
Sie schreiben, wir hätten einseitig berichtet und hätten unkritisch Narrative der Saatgutindustrie übernommen. Das überrascht mich, denn Vertreter:innen der Industrie kamen in unserem Beitrag nicht vor. Stattdessen haben wir die Positionen von Umweltschutzverbänden und grünen Agrarpolitiker:innen dargestellt sowie über die Einschätzung renommierter Wissenschaftsorganisationen wie der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG berichtet.
In ihrer gemeinsamen Stellungnahme heißt es: "Anders als konventionelle Züchtungsverfahren ermöglichen Genomeditierungsverfahren zielgerichtete, kosten- und zeitsparende Veränderungen (Mutationen) des Genoms von Nutzpflanzen, die sich oftmals nicht von natürlich auftretenden Mutationen unterscheiden lassen." Weiter schreiben die Wissenschaftsorganisationen: "Inzwischen sind weltweit über 100 (potentiell) marktfähige genomeditierte Nutzpflanzen bekannt, die durch gezielte Punktmutationen oder Deletionen weniger Basenpaare erzeugt wurden und die Vorteile für die Ernährung sowie für eine produktive, pestizidarme und ressourcenschonende Landwirtschaft aufweisen."
Andere renommierte Institute wie etwa das Julius-Kühn-Institut - Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen - teilen diese grundsätzlichen Einschätzungen.
Ihre Anmerkung, dass wir nicht über wirtschaftspolitische Fragen berichtet haben, ist richtig. Wer mit welchem Saatgut wie Geld verdienen kann, ist sicher eine relevante Frage. Hier so zu steuern, dass Unternehmen im Interesse der Gesellschaft arbeiten, ist sicher eine große Herausforderung der Politik. Um diesen Aspekt ging es uns im aktuellen Film allerdings nicht. Das Thema wäre aber sicher auch eine Recherche wert.
Sie unterstellen mir weiter, dass ich mich nicht für Alternativen zur Intensivlandwirtschaft interessiere. Das Gegenteil ist der Fall. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren damit, wie Landwirtschaft nachhaltiger gestaltet werden könnte. Nun hat aber aus meiner Sicht die landwirtschaftliche Praxis erst einmal nichts mit der ausgewählten Zuchtmethode für Nutzpflanzen zu tun. Es gibt ja auch Expert:innen, die der Ansicht sind, dass auch der ökologische Anbau von neuen gentechnischen Zuchtverfahren profitieren könnte.
Außerdem kritisieren Sie die Auswahl unserer Protagonist:innen. Auch darauf möchte ich Ihnen gern antworten.
Herr Isermeyer ist ein Ackerbauer und steht für mich für die Landwirt:innen, die in neuen gentechnischen Zuchtverfahren eine Chance sehen. Auch der Deutsche Bauernverband als großer Berufsverband in Deutschland sieht das so.
Wir haben im Beitrag aber auch erwähnt, dass dagegen unter anderem ökologisch wirtschaftende Landwirt:innen Gentechnik kritisch sehen.
Herr Prof. Brakhage spricht im Film als Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und erklärt in dieser Funktion die Einschätzung von DFG und Nationaler Akademie der Wissenschaften. Ich habe für die Recherche mit vielen weiteren renommierten Pflanzenforscher:innen gesprochen. Aber im Gegensatz zu einzelnen Wissenschaftler:innen sprechen die genannten Wissenschaftsorganisationen für sehr viele Forscher:innen und Institute.
Frau Augustin habe ich als Nachwuchswissenschaftlerin ausgewählt, weil es ja auch um die Zukunft der Forschung in Deutschland und in der EU geht. Sie arbeitet für ihre Doktorarbeit an einem sogenannten Exzellencluster für Pflanzenwissenschaften, was sie aus meiner Sicht als besonders qualifiziert ausweist. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, unterstellen Sie Frau Augustin eine Nähe zu "neokolonialen Saatgut-Kampagnen". Das ist ein sehr harter Vorwurf. Deshalb möchte ich Sie bitten, uns zu schreiben, was Sie damit genau meinen, und welche Belege Ihnen hierzu vorliegen.
Nochmals vielen Dank für Ihre Mail.
Beste Grüße Oda Lambrecht
Paul S.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen ungekürzten Zuschauer*in-Brief an das ADR Panorama-Team. Der Brief gibt nicht unbedingt die Meinung des GeN und der Redaktion des GiD wieder. Die Antwort von Oda Lambrecht aus der Panorama Redaktion auf den Brief, finden Sie unter dem Brief auf dieser Seite.
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