Reizstoff „Forschung”

Gift in der Debatte um die Agro-Gentechnik

Der Naturschutzbund (NABU) hat im Dezember des vergangenen Jahres unter dem Titel „Untersuchungen zum Eintrag und zu Risiken von Bt-Mais in Gewässerökosysteme” zu einer Veranstaltung über die Forschung an gentechnisch veränderten Pflanzen eingeladen. Vergiftet sind Organismen und Debatte.

Die Veranstaltung beim NABU behandelte zusammengefasst Gift und Genmais, jedoch in zweierlei Art und Weise: im buchstäblichen, wie im methaphorischen Sinne. Die US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen Emma Rosi-Marshall und Jennifer Tank haben über das Gift geforscht, das in gentechnisch veränderten (gv) so genannten Bt-Maispflanzen produziert wird.1 Ihre Geschichte fügt aber dem endlosen Kampf um die wissenschaftliche Wahrheit auch ein sehr unrühmliches Kapitel hinzu und zeigt somit auch, wieviel Gift in der Debatte um die Agro-Gentechnik ist. Emma Rosi-Marshall und Jennifer Tank haben sich zu Anfang ihrer Forschung gefragt, was mit dem gentechnisch veränderten Pflanzenmaterial und dem darin enthaltenen Gift passiert, das nach der Ernte auf den Äckern zurückbleibt, speziell wenn die Reste der Maispflanzen in Entwässerungsgräben geraten. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen wurden in einem der wichtigsten Wissenschaftsjournale der Welt, den Proceedings of the National Academy of Science of the USA (PNAS) publiziert. Sie haben herausgefunden, dass in Süßwasser gelöstes Bt-Gift imstande ist, die Larven von Köcherfliegen zu schädigen. 2008 schrieben sie in PNAS: „Laboratory feeding trials showed that consumption of Bt corn byproducts reduced growth and increased mortality of nontarget stream insects. Stream insects are important prey for aquatic and riparian predators, and wide­spread planting of Bt crops has unexpected ecosystem-scale consequences.”2 Ihre Erkenntnisse begründeten sich also im Wesentlichen aus Laboruntersuchungen. Nichtsdestotrotz war es ihre im Oktober 2007 in PNAS erschienene Publikation zu diesem Thema, die Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner im April 2009 - neben anderen wissenschaftlichen Untersuchungen - anführte, um das Verbot von MON810-Verbot zu begründen.3 Rosi-Marshall und Tank gerieten mit ihrer PNAS-Publikation in ein „Schlachtfeld” (siehe Kasten). Im Wissenschaftsmagazin Nature verglich jedenfalls Emily Waltz die Situation der beiden Wissenschaftlerinnen, die sich massiver Kritik ausgesetzt sahen, mit einem „battlefield“. Speziell scheinen „Veröffentlichungen, die den Verdacht nahelegen, gentechnisch veränderte Pflanzen könnten die Umwelt schädigen, einen Sturm von Beschimpfungen anderer Wissenschaftler” hervorzurufen.4 Rosi-Marshall kommentierte die Kritik der Kollegen mit den Worten: „The response we got - it went through the jugular.” - Auf gut Deutsch: „Die Reaktionen auf unseren Artikel - das hat uns bis ins Mark getroffen”.

Wenig Daten

In einem aktuellen Forschungsvorhaben prüfen die beiden Forscherinnen nun, ob sich ihre Laborergebnisse auch im Freiland bestätigen lassen. Dafür untersuchen Rosi-Marshall und Tank die Entwässerungsgräben in intensiv mit Mais bewirtschafteten Regionen; denn in den Entwässerungsgräben sammeln sich nach der Ernte der Maiskolben nach und nach die Reste der Maispflanzen. Rosi-Marshall und Tank konnten das Bt-Toxin in praktisch allen Fließgewässern des Untersuchungsgebietes feststellen; ihnen gelang es allerdings bislang nicht, ihre Laborergebnisse im Freiland zu bestätigen und einen schädigenden Effekt des Bt-Toxin auf die Larven der Köcherfliegen nachzuweisen. Eine Erklärung, warum sie keinen Effekt des Bt-Toxins nachweisen konnten, ist, dass die Fließgewässer in der durch die intensive Landwirtschaft geprägten Gegend sehr stark durch Pestizid- und Nährstoffeintrag belastet und deshalb relativ artenarm sind. Daraus ergeben sich Rahmenbedingungen, die die Effekte, die durch das Bt-Gift möglicherweise hinzukommen, überlagern könnten. Weitere Forschungen sind deshalb notwendig. Die US-Wissenschaftlerinnen konnten auf der Tagung in Berlin nur erste Ergebnisse ihrer neuen Untersuchungen präsentieren, da die Veröffentlichung der Ergebnisse in einer Fachzeitschrift noch aussteht.

Reizstoff für die Debatte

Der NABU-Workshop hat deutlich gezeigt, dass die Forschung von Rosi-Marshall und Tank auch für die Diskussion hierzulande einigen Konfliktstoff bereit hält und schwelende Meinungsverschiedenheiten hervortreten lässt: Welche Schlüsse sollen gezogen werden, wenn sich im Labor durch gv-Mais verursachte negative Effekte nachweisen, aber im Freiland (noch) nicht bestätigen lassen? NABU-Gentechnikexpertin Steffi Ober tritt in einem solchen Fall für ein Verbot ein. Wenn im Labor negative Effekte durch das Gift der Bt-Pflanzen auf die Larven der Köcherfliegen nachgewiesen und der Nachweis erbracht worden ist, dass sich das Gift in den Gewässern anreichert, dann sollte man in Anwendung des Vorsorgeprinzips den Anbau des gv-Mais verbieten. Demgegenüber steht die Position, dass ein Verbot erst gerechtfertigt ist, wenn der Nachweis erbracht ist, dass der gv-Mais einen nachweisbaren Schaden verursacht. Um zu verdeutlichen, dass auch geschützte Tierarten mit dem Gift des Mais in Berührung kommen, hat der NABU in den vergangenen Jahren bereits Untersuchungen durchgeführt. Dabei hat sich herausgestellt, dass sowohl der Wind als auch pollensammelnde Insekten den Pollen des Mais wegtragen, so dass er in einem Schutzgebiet nachgewiesen werden konnte. Aus diesem Grund hat die Untere Naturschutz­behörde des Landkreises Märkisch-Oderland (Brandenburg) den Anbau von gentechnisch verändertem insektengiftigen Mais in bestimmten Euro­päischen Schutzgebieten (FFH-Gebiet) verboten. Die Landesregierung hat später ergänzend einen Mindestabstand von 800 Metern zu einer Schutzgebietsgrenze festgesetzt. Dieser Abstand gilt für den Fall, dass insektengiftiger gv-Mais in der Nähe eines Schutzgebietes angebaut werden soll. Produziert der Mais ein Gift, das Organismen schädigen kann, die in dem Gebiet geschützt werden sollen, muss der Abstand zwischen Schutzgebietsgrenze und dem Feld mit dem gv-Mais eingehalten werden.5

Vorsorge bleibt auf der Strecke

Wenn der gv-Pollen auf den Blättern anderer Pflanzen ablagert, dann meist nicht in gleichmäßiger Art und Weise. In bestimmten Bereichen der Blätter - zum Beispiel entlang der Mittelachse - sammelt sich mehr Pollen als an anderen Stelle. Genau diese Bereiche werden aber von den Larven der Schmetterlinge nicht beziehungsweise nicht so gerne gefressen. Verfechter, die gegen die Position des NABU argumentieren, pochen auf solche Differenzierungen. Stefan Rauschen von der RWTH Aachen etwa gehört einer Gruppe von Biosicherheitsforschern an, deren Konzept von Risikoforschung nach der folgenden Prämisse funktioniert: Ein Verbot ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein Schaden nachgewiesen werden kann. Auf der Veranstaltung des NABU vertrat Rauschen entsprechend die Ansicht, das es für ein Verbot von gentechnisch verändertem Mais nicht ausreicht, das Gift auf Futter von geschützten Arten nachzuweisen. Er forderte, es müsse nachgewiesen werden, dass durch den Anbau von gentechnisch verändertem Mais ein Schaden an Nichtzielorganismen oder geschütz­ten Organismen entsteht. Als Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner den gv-Mais MON810 im letzten Jahr verboten hat, hat sich Rauschen mit einem offenen Brief an die CSU-Politikerin gewandt, um zu verdeutlichen, dass es für diesen Schritt keine wissenschaftliche Begründung gibt. Auch in verschiedenen Fachzeitschriften war er mit Kommentaren zum deutschen MON810-Verbot vertreten. Allerdings lässt er letztendlich offen, was zum Beispiel im konkreten Fall gemacht werden soll, wenn jahrelang nicht auf Effekte auf Organismen in aquatischen Systemen geachtet worden ist und somit entsprechendes Datenmaterial fehlt. Rauschen plädiert im Zweifel gegen ein Verbot von MON810 und nimmt damit eine Position ein, in der für das Vorsorgeprinzip kein Platz ist. Damit befindet er sich in bester Gesellschaft: Auch die meisten WissenschaftlerInnen im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), der federfühenden Behörde in Deutschland bei der Bewertung von gentechnisch veränderten Organismen, vertreten seine Linie. So erklärt sich, dass von dieser Seite der Agro-Gentechnik praktisch keine ernsthaften Grenzen gesetzt werden. Seit Jahren stehen die Positonen unvereinbar gegenüber. Man kann allerdings den Eindruck bekommen, dass sich Rauschen mit seiner Argumentation auf einem schmalen Grat bewegt. Als bei der Veranstaltung des NABU die Diskussion auf die wissenschaftliche Aus­einander­setzung über die Publikation von Rosi-Marshall und Tank zu sprechen kam, hielt er sich bescheiden zurück - er gibt sich Mühe, die reine, wissenschaftliche Lehre zu vertreten. Mit den Rahmenbedingungen derselben beschäftigt er sich nicht. Wäre er der Wissenschaft tatsächlich ergebnis­offen verpflichtet, müsste er sich auch hier stärker einbringen.

  • 1Bt-Mais produziert ein so genanntes Bt-Toxin, das ursprünglich aus dem bodenlebenden Bakterium Bacillus thuringiensis stammt. In die gentechnisch veränderten Maispflanzen wurde die - im Labor nochmals veränderte - Gensequenz für das insektengiftige Protein übertragen. E.J. Rosi-Marshall, J.L. Tank, T.V. Royer, M.R. Whiles, M. Evans-White, C. Chambers, N.A. Griffiths, J. Pokelsek, M.L. Stephen (2007): Toxins in transgenic crop by-products may affect headwater stream ecosystems. Proceedings of the National Academy of Sciences, Band 104, Seiten 16.204 bis 16.208.
  • 2Fütterungsversuche im Labor haben gezeigt, dass der Verzehr von Bt-Mais-Anteilen im Futter das Wachstum wasserlebender Nichtzielorganismen reduzieren und deren Sterblichkeit erhöhen kann. Diese sind wichtige Beute für Räuber, die im Gewässer oder an dessen Ufer leben, und der weit verbreitete Anbau von Bt-Pflanzen hat unerwartete Effekte auf der Ebene der Ökosysteme.
  • 3Siehe zum Beispiel: Christof Potthof (2009): „Aigner vs. Schavan”. In: Gen-ethischer Informationsdienst (GID), 193, Juni 2009. Im Netz unter: www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/193.
  • 4E. Waltz (2009): „Battlefield”, Nature, Band 461, Seiten 27-32; darin: „Papers suggesting that biotech crops might harm the environment attract a hail of abuse from other scientists”. Siehe dazu auch den Beitrag „Test Biotech” von Testbiotech im Gen-ethischen Informationsdienst (GID) 196, Oktober 2009.
  • 5Siehe zum Beispiel das Interview mit Frieder Hoffmann im Gen-ethischen Informationsdienst (GID) 192, Februar 2009. Im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/192.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
198
vom Februar 2010
Seite 13 - 15

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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Angelika Hilbeck von der ETH in Zürich hat bei der nebenstehend beschriebenen Veranstaltung den Vortrag „Schlachtfeld - die Freiheit der Wissenschaft steht auf dem Spiel” gehalten.

GID: Frau Hilbeck, Sie stellen die These auf, dass die Freiheit der Wissenschaft auf dem Spiel steht. Warum?

„Dies ist a) keine These, sondern inzwischen eine Tatsache und b) stelle nicht nur ich sie auf, sondern ganz viele Leute. Dies ist einer der Gründe für die Formierung der Europäischen Wissenschaftsorganisation European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility - ENSSER.(1) Gerade aus den USA, wo den Firmen die größte Freiheit zugestanden wird, mit Hilfe ihrer enormen finanziellen Ressourcen die öffentliche Forschung für ihre Interessen zu verwenden, mehren sich jetzt die Stimmen aus der Wissenschaft, dass die Kontrolle jetzt ein unakzeptables Ausmaß erreicht hat. Das bringt nun sogar Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ganz sicher nicht im Verdacht stehen, irgendwelchen kritischen Kreisen nahezustehen, in solch ethische Bedrängnis, dass sie beginnen sich zu wehren. Sie machen diese Missstände öffentlich. Allerdings - und dies ist für mich das wirklich Schockierende an der Geschichte - wagen sie dies aus Angst vor Repressalien und Kürzungen der Forschungsgelder nur anonym zu tun. Da sich der Staat weitgehend aus der Finanzierung der landwirtschaftlichen Forschung zurückgezogen hat, sind US-Forscher in diesem Bereich fast ausschließlich auf Firmengelder angewiesen. Wenn Angst und Geheimniskrämerei unter Forschern öffentlicher Einrichtungen grassiert, dann sind das Anzeichen eines beginnenden Totalitarismus und damit eine direkte Bedrohung der Demokratie. Die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, für die eine öffentliche Forschung ja eigentlich da sein sollte, ist so nicht mehr gewährleistet. Damit werden Grenzen überschritten, denen sich jede Bürgerin, jeder Bürger - egal wie sie oder er es mit der Technologie hält - entschieden entgegenstellen muss. Es ist im 21. Jahrhundert vollkommen inakzeptabel, dass globale Konzerne mittels ihrer finanziellen Macht Forschung kontrollieren und Forschungsergebnisse unterdrücken - wie in einem Artikel in Nature Biotechnologie von Emily Waltz belegt wurde.(2) Unabhängige Forscher, die ihre Produkte einer unabhängigen Prüfung unterziehen, werden bedroht und Rufmordkampagnen werden orchestriert und finanziert. Das darf man sich nicht gefallen lassen - es bleibt schlicht gar keine andere Wahl. Im Übrigen tun sie das ja nun wahrlich nicht nur mit Forschern - das ist uns allen klar. Die Landwirte insbesondere in den USA sind schon lange im Knebel der Firmen. Aber wir WissenschaftlerInnen können eben nur erstmal anfangen, vor unserer Haustür aufzuräumen.

GID: Wie kommt es Ihrer Meinung nach zu dieser Art von Kritik, mit der sich Emma Rosi-Marshall und Jennifer Tanks - aber auch schon andere vor ihnen - konfrontiert sahen?

Die Schlammschlacht der Rosi-Marshall und Tanks ausgesetzt waren - wie sie ja von Emily Waltz im ersten ihrer beiden Artikel zum Thema beschrieben wurde (3) - ist nun wahrlich nichts Neues mehr. Alle unabhängigen Wissenschaftler, ich selbst eingeschlossen, die jemals Forschungsergebnisse publiziert haben, die den Industrie-Interessen nicht in den Kram passten, wurden dieser Behandlung ausgesetzt. Das Prinzip „Shoot the messenger to kill the message” ist so alt wie die Menschheit.
(Das Gespräch führte Christof Potthof)
Fußnoten: (1) www.ensser.org (2) Emily Waltz: „Under wraps‟. Nature Biotechnology, Oktober 2009. (3) Emily Waltz: „Battlefield‟. Nature, September 2009.