Gentechnik bald auf dem Teller?

Die EU plant eine Deregulierung der Neuen Gentechnik

Am 5. Juli wurde ein Gesetzesvorschlag von der Europäischen Kommission zur Anpassung des Umgangs mit Pflanzen, die durch neue Gentechnik (NGT) entwickelt wurden, bekannt gegeben. Kritiker*innen sehen darin eine lang befürchtete Deregulierung – mit allen Konsequenzen.

Ausschnitt der EU-Flagge

Bild: gemeinfrei auf pixabay.com

NGT, auch als Genome Editing bezeichnet, ist ein Überbegriff für eine Vielzahl biotechnologischer Methoden wie z.B. CRISPR oder Talen, die das Erbgut eines Organismus verändern können und seit der Verabschiedung der bestehenden GVO-Gesetzgebung 2001 entwickelt wurden. NGT-Pflanzen und -Produkte fallen aktuell unter ebendiese Gesetzgebung, was zufolge dem Wortlaut der Kommission „das Potenzial zur Bewältigung aktueller Herausforderungen im Agrar- und Ernährungssystem“ dieser Technologie hemmt. Der neue Gesetzesentwurf sieht vor, dass Pflanzen die mit bestimmten Methoden gentechnisch verändert wurden nicht mehr als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) gelten, sodass die geltenden strengen Regelungen nicht mehr greifen. Während Wissenschaftsinstitutionen wie das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) die Aufweichung des bestehenden Gentechnikrechts begrüßen, kritisieren Umweltorganisationen wie der BUND, dass der Entwurf nicht ausreichend auf die Bedenken von Landwirt*innen, Züchter*innen und Verbraucher*innen eingeht. Weiterhin wird auf alte Versprechen von Nachhaltigkeit und Ertragssteigerungen beharrt, die sich bereits bei der alten Gentechnik nicht bewährt haben.

Umstrittene Definition von Präzision

Die drastischen Vorkehrungen die zur Deregulierung von NGT beitragen sollen, kamen nicht überraschend. Eine inoffizielle Veröffentlichung des Entwurfs kündigte schon vor wenigen Wochen die technologieoffene Haltung der Kommission an. Am deutlichsten sind NGT-Pflanzen und -Produkte betroffen, deren eigene DNA durch gentechnische Eingriffe verändert wurde, ohne dabei Fremd-DNA einzuführen, und die „natürlich vorkommen oder durch konventionelle Züchtung erzeugt werden könnten“. Diese Pflanzen müssten nicht mehr als Gentechnik reguliert werden – das heißt sie könnten ohne Risikoprüfung angebaut und ohne entsprechende Kennzeichnung auf dem Markt landen. Unter diese Kategorie dürften nur Pflanzen fallen, an denen nicht mehr als 20 genetische Veränderungen im Erbgut unternommen wurden. NGT könnte eingesetzt werden, um Nukleotide (die Grundbausteine der DNA) einzufügen, auszutauschen sowie um eine beliebige Anzahl davon zu entfernen. „Es gibt keine belastbaren wissenschaftlichen Belege oder Begründungen für eine willkürliche Grenze von 20 Nukleotiden“, so Dr. Angelika Hilbeck, Wissenschaftlerin am Institut für Integrative Biologie, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ). „Der Kontext ist entscheidend dafür, welche genbeeinflussten Veränderungen zu welchen Konsequenzen führen,“ erklärt die Agrarökologin. Diese Klassifizierung würde eine unvorhersehbare Bandbreite an NGT-Pflanzen ergeben, die von gezüchteten Pflanzen substantiell verschieden sind und trotzdem den gleichen Regularien unterliegen sollen.

Der Hintergrund dieses Vorschlags basiert auf der Annahme, dass NGT mit höherer Präzision Veränderungen im Erbgut erzielt als konventionelle Züchtungen, die auf Methoden der zufälligen Mutagenese zurückgreifen. Dadurch soll eine geringere Anzahl an unerwünschten genetischen Modifikationen entstehen. Prinzipiell stimmt der Gedanke – ist aber nicht bis zum Ende gedacht, denn „[a]uch geringfügige genetische Veränderungen können große Auswirkungen haben“, erläutert Dr. Margret Engelhard vom Bundesamt für Naturschutz. „Darüber hinaus sind mögliche Risiken zukünftiger Produkte und Pflanzeneigenschaften heute noch nicht absehbar und werden auch bei den heute verfügbaren Pflanzen erst im Anbau umfassend sichtbar werden“, so Engelhard. Die hohe Zielgenauigkeit ermöglicht es NGT, geschützte Bereiche im Genom zu verändern, die durch natürliche oder chemische Mutagenese nicht erreichbar wären. Sogenannte Off-target-Effekte in diesen Bereichen könnten weitreichendere Folgen für die Funktionalität des Organismus haben – und bei Auskreuzungen von Nutzpflanzen mit Wildpflanzen eben auch für diese. Abgesehen davon führt NGT meist zu DNA-Doppelstrangbrüchen anstelle von einzelnen Punktmutationen, wie sie in der konventionellen Züchtung hervorgerufen werden. Bei einer fehlerhaften Reparatur können in einzelnen Fällen die losen Enden der DNA nicht wieder zusammengefügt oder mit anderen Abschnitten verbunden werden. Dieser als Chromothripsis bezeichnete Effekt wurde vor kurzem zum ersten Mal in CRISPR-Experimenten mit Pflanzengenomen von Wissenschaftler*innen der Cornell Universität in den USA und dem Weizmann Institute of Science aus Israel in einer bislang nur als Preprint veröffentlichten Studie beschrieben. Solche Beispiele zeigen, dass die kurze Zeitspanne von knapp zehn Jahren, in denen CRISPR in der Anwendung ist, nicht ausreichen, um es von einer Risikoabschätzung zu befreien.

Mängel in der Folgenabschätzung

Die Fahrlässigkeit mit der die EU-Kommission die Risiken dieser Technologie herunterspielt kommt für Kritiker*innen nicht überraschend. Schon vor einem Jahr wurde im Auftrag vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) eine EU-Studie unter die Lupe genommen, die als Grundlage für den Gesetzesentwurf dient. Das Urteil des Positionspapiers war deutlich: „Obwohl das Dokument den Anspruch erhebt, eine ‚Studie‘ zu sein, handelt es sich dabei lediglich um eine Zusammenfassung willkürlich ausgewählter Materialien und eine intransparente Stakeholder-Befragung.“ Hervorgehoben wurde, dass das Vorsorgeprinzip, ein Kernaspekt der europäischen Umwelt- und Gesundheitspolitik, untergraben wird. Das Prinzip sieht vor, dass potentielle Schäden für die menschliche Gesundheit bzw. die Umwelt im Voraus weitestgehend vermieden werden. Besteht nicht ausreichend wissenschaftliche Evidenz für die Harmlosigkeit einer Risikotechnologie, darf sie nicht eingesetzt werden, bis eine bessere Datenlage existiert. Laut Gutachten ist dies bei NGT der Fall.

Die EU-Kommission ignorierte auch Bedenken aus dem eigenen Lager. So stellte der Ausschuss für Regulierungskontrolle der EU-Kommission fest, die Folgeabschätzung des Gesetzesentwurf „weis[e] erhebliche Mängel auf“. Diese Mängel bezogen sich unter anderem auf eine unzureichende Evaluation der Konsequenzen für die ökologische- und gentechnikfreie Lebensmittelbranche. Der Gesetzesentwurf sieht nämlich vor, dass die Rückverfolgbarkeit von NGT-Pflanzen nicht mehr gewährleistet sein muss. Das heißt, dass es nicht mehr zwingend möglich sein wird, nachzuweisen, mit welchem Verfahren eine gentechnisch veränderte Saat bzw. Pflanze hergestellt wurde. Lediglich das Saatgut soll als NGT-Produkt gekennzeichnet werden, um so eine Vermischung der Samen zu vermeiden. Zwar könnten Landwirt*innen ausschließlich gentechnikfreies Saatgut verwenden, aber die Trennung in der weiteren Produktionskette von Lebensmittel wäre nur mit einem sehr hohen Kostenaufwand möglich. Abgesehen davon wird die Übertragung von Pollen zwischen Feldern durch den Wind oder Bestäubern zu unvermeidbarer Vermischung führen. Aktuell übernehmen Einzelhandelsunternehmen hohe Kosten zum Nachweis von Pestizidrückständen auf Bioprodukten. Ein ähnliches Szenario könnte sich mit gentechnikfreien Produkten ergeben, mit Mehrkosten für Unternehmen oder Verbraucher*innen. In der Frage von Maßnahmen für eine Koexistenz zwischen NGT- und gentechnikfreien- Pflanzen, wird in dem Gesetzesentwurf lediglich auf die Verantwortung der Mitgliedstaaten verwiesen.  

Konzentrierung des Saatgutmarktes

Im Fall, dass der Entwurf Realität wird, würde dies auch Einschränkungen für die konventionelle Landwirtschaft bedeuten. Ein von Saatgutzüchter*innen, Bäuer*innen und Umweltschutzorganisationen unterzeichneter Brief an Europas Agrarminister*innen warnt vor einer „Flut patentierten Saatguts auf de[m] EU-Markt“. Aktuell sind Pflanzensorten und Verfahren der konventionellen Züchtung nicht patentierbar, um zu gewährleisten, dass Saatgut frei kreuzbar und vermehrbar ist. Doch gemäß der bestehenden europäischen Gesetzgebung sind Erfindungen, die sich auf biologisches Material beziehen, grundsätzlich patentierbar. Demnach sind Produkte der neuen gentechnischen Verfahren auch als Intellektuelles Eigentum zu bewerten. Die Datenbank des Europäischen Patentamts Espacenet listet aktuell rund 700 Patentanmeldungen allein für „Crispr-Cas9 und Pflanzen“. Die Patentanmeldungen beziehen sich sowohl auf die genetische Information, zum Beispiel auf eine bestimmte Gensequenz, als auch auf das für deren Herstellung angewendete technologische Verfahren, beispielweise CRISPR-Cas9. Da keine Rückverfolgbarkeit der Herstellungsmethode gewährleistet wird, droht, dass alle Pflanzenarten, die eine patentierte DNA-Sequenz aufweisen unter den Geltungsbereich des entsprechenden Patents fallen, also auch Pflanzen die aus der konventionellen Züchtung stammen. Landwirt*innen und Pflanzenzüchter*innen müssten bei der Vermehrung ihres Saatguts Patentverletzungen befürchten. Das möchte auch Landwirtschafsminister Cem Özedmir nicht: „Das Vorhaben darf nicht zur Einführung von Biopatenten durch die Hintertür führen. Das ginge zulasten unserer mittelständischen Zuchtunternehmen.“ Denn als Folge müssten Landwirt*innen und Züchter*innen Lizenzvereinbarungen zu Gunsten großer Saatgutproduzenten abschließen, die mehr Kontrolle über den Saatgutmarkt erlangen würden. Bisher beherrschen vier Unternehmen 60 Prozent des kommerziellen Saatgutmarktes: Bayer-Monsanto, Corteva, ChemChina-Syngenta und Limagrain. Allerdings werden über Dreiviertel des weltweit gewonnenen Saatguts nach wie vor durch den Nachbau und durch Tauschgeschäfte zwischen Bäuer*innen erworben. Wenn das europäische Gentechnikrecht aufgeweicht wird, droht eine weitere Konzentrierung des Saatgutmarkts auf wenige Akteure. Die Diversität des Saatguts würde sinken und neue Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Landwirt*innen und Saatgutproduzent*innen würden entstehen – keine gute Aussicht für die Landwirtschaft.

Pestizidförderung statt Klimaschutz

Als Kernargument für die Deregulierung von NGT wirbt die EU-Kommission mit Nachhaltigkeitsversprechen für die Landwirtschaft. Präzisere und schnellere Verfahren, um Modifikationen im Genom zu erzielen, sollen die Entwicklung von klimaangepassten Pflanzen fördern. So twitterte auch der Bayer-Korrespondent für Nachhaltigkeit Matthias Berninger: „Eine Blockade der @EU_Commission […] würde es nun wirklich erschweren, die Landwirtschaft Europas an den Klimawandel anzupassen“ und bezog sich dabei auf die Patentierung von NGT. Bayer ist nach Corteva, das Unternehmen mit den meisten CRISPR-Patenten. Als Saatguthersteller und Patentinhaber, werden diese Unternehmen maßgeblich daran beteiligt sein, welche Merkmale zukünftig in gentechnisch veränderten Pflanzen vorkommen werden. Da diese Konzerne auch Profite durch die Vermarktung von Agrarchemikalien erzielen, ist vorauszusehen, dass sie die Entwicklung von Herbizid- und Insektizidtoleranten Pflanzen fördern werden. In Ländern wie den USA oder Brasilien, wo GVO fester Bestandteil der Landwirtschaft sind, hat das Geschäftsmodell dieser Agrarunternehmen entscheidend zu einer intensiveren Pestizidanwendung beigetragen – mit verehrenden Auswirkungen für Mensch und Umwelt. Das Versprechen, dass Gentechnik zu einer nachhaltigen Landwirtschaft führen wird, lässt dort weiterhin auf sich warten.

In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob der Entwurf eine Mehrheit im Ministerrat findet. Nicht nur Cem Özdemir, auch Landwirtschaftsminister*innen aus Österreich, Zypern, Ungarn, Luxemburg, der Slowakei, Belgien und Slowenien haben sich skeptisch gezeigt. Schweden, Dänemark und Spanien dagegen begrüßen den Vorschlag. Abgesehen davon benötigt das Konzept die Zustimmung des EU-Parlaments. Dort lehnen Grüne und Sozialdemokrat*innen die Aufweichung des Gentechnikrechts ab, während Konservative sich dafür aussprechen. Frans Timmermann, EU-Vizepräsident, hofft auf einen übergreifenden Deal. Gentechnik-Befürworter*innen sollen einem Gesetzesentwurf zur Reduzierung von Pestiziden zustimmen und dafür Ja-Stimmen von Gentechnik-Skeptiker*innen für den NGT-Entwurf bekommen. Die alte Debatte um die neue Gentechnik ist damit in Brüssel eröffnet und wird sich aller Ansichten nach nicht in den kommenden Wochen schlichten.

 

24. Juli 2023

Pascal Segura Kliesow ist Molekularbiologe und Referent für Landwirtschaft und Lebensmittel beim Gen-ethischen Netzwerk.

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