Aus dem Schatten der EU-Verhandlungen
Ein Gespräch über die politischen Entwicklungen zur neuen Gentechnik
Seit Mai läuft auf EU-Ebene ein Trilog-Verfahren, um die Regulierung für Pflanzen aus neuer Gentechnik zu verändern. Der EU-Abgeordnete Martin Häusling berichtet über die Verhandlungen, die von großer Bedeutung für die zukünftige Landwirtschaft und Ernährung in der EU sind.

Martin Häusiling auf einem Markt in Brüssel. Foto: © Annette Schultetus
Sehr geehrter Herr Häusling, die EU-Institutionen verhandeln über ein neues Gesetz für Pflanzen aus neuer Gentechnik (NGT). Es geht dabei um Pflanzen, deren Genom mittels CRISPR-Cas und anderen Techniken zielgerichtet verändert wurde. Im Kern der Debatte steht nun die Definition von Gentechnik. Was steckt dahinter?
Die EU-Kommission hat im Sommer 2024 einen Vorschlag für ein „Sonderrecht“ vorgelegt, mit dem gentechnisch veränderte Pflanzen, die bestimmten Kriterien entsprechen, von der bisher geltenden EU-Gentechnikgesetzgebung ausgenommen werden sollen. Diese Kriterien beziehen sich auf die Anzahl und Art der genetischen Veränderungen. Es steht außer Frage, dass diese Pflanzen – von der EU-Kommission als NGT 1 (new genomic techniques category I) bezeichnet – gentechnisch verändert worden sind. Mit dem Sonderrecht stellt die Kommission diese NGT-Pflanzen aber auf eine Stufe mit Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung. Durch ihren Sonderstatus sollen diese NGT-Pflanzen ein stark beschleunigtes Verfahren bis zur Markteinführung durchlaufen dürfen, wobei Umwelt- und Risikoprüfung entfallen.
Seit 2009 sitzen Sie für Bündnis 90/Die Grünen im EU-Parlament. Welche Rolle nehmen Sie in den laufenden Verhandlungen ein?
Ich bin Mitglied im EU-Agrarausschuss sowie im EU-Umwelt- und Gesundheitsausschuss. Bei den Verhandlungen zur neuen Gentechnik ist der Umweltausschuss federführend. Ich bin von der Grünen Fraktion ausgewählt worden, um die Verhandlungen in ihrem Namen zu führen. Ich bin also ein sogenannter Schattenberichterstatter im Trilog.
Schattenberichterstatter? Das klingt aufregend. Was genau ist das?
Das ist ein*e Abgeordnete*r des Europäischen Parlaments, der/die im Fachausschuss des Parlaments arbeitet, in dem der Gesetzestext federführend behandelt wird. Aufgrund meiner langjährigen Arbeit im Bereich Gentechnik und meiner entsprechenden Expertise bin ich das für die Grüne Fraktion. Auch die anderen Fraktionen stellen eine*n Schattenberichterstatter*in. Diese arbeiten dann mit dem/der sogenannten Berichterstatter*in – in diesem Fall die konservative Schwedin Jessica Polfjärd – die Parlamentsposition aus.
Nehmen Sie mich einmal virtuell mit zu einem Treffen. Wohin gehen wir und wen treffen wir da?
Ziel des Trilogs ist eine Einigung des Europäischen Parlaments, des Rates der EU und der EU-Kommission über einen Gesetzesentwurf. Im Rahmen des Trilog-Verfahrens gibt es eine Vielzahl von Treffen. Ich nenne nur die drei wichtigsten.
Die Trilog-Treffen sind die höchstrangigen politischen Treffen, auf denen die finalen Entscheidungen fallen. Daran nehmen von Parlamentsseite die Abgeordneten des Umweltausschusses teil, wobei der Berichterstatterin und dem Verhandlungsführer des Parlaments besondere Rollen zukommen. Aufseiten des Rates war beim ersten Trilog der polnische Botschafter anwesend, aufseiten der Kommission der zuständige Gesundheitskommissar.
Bei den sogenannten Schattenberichterstatter-Treffen kommt das gesamte Verhandlungsteam des EU-Parlaments zusammen. Die Abgeordneten präsentieren ihre Schwerpunkte und diskutieren darüber.
Die technischen Treffen dienen der Vorbereitung der Trilog-Treffen und finden ohne Abgeordnete statt. Für die Grünen nehmen dort die Beraterinnen der Fraktion sowie meine Referentin für den Umweltausschuss teil. Ähnlich sieht es bei den anderen Fraktionen aus. Außerdem gehören zum Team des Europäischen Parlaments zwei Mitarbeiterinnen vom Sekretariat des Umweltausschusses und eine Juristin. Rat und Kommission sind ebenfalls mit ihren Verhandlungsteams vertreten.
Welche Punkte sind in den aktuellen Verhandlungen besonders umstritten?
Für mich sind die wichtigsten Verhandlungspunkte die Risikobewertung und Umweltprüfung von NGT-Pflanzen, die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit ihrer Bestandsteile sowie die Problematik der Patentierung.
Fangen wir mit der Risikobewertung und Umweltprüfung an. Was ist Ihr Standpunkt zu diesen Punkten? Wofür setzen Sie sich ein?
Aus unserer Sicht müssen Pflanzen, die mit neuer Gentechnik wie CRISPR-Cas erzeugt wurden, unbedingt eine Risiko- und Sicherheitsprüfung durchlaufen, bevor sie in den Anbau, die Verarbeitung und den Verzehr kommen dürfen – auch wenn diese Verfahren möglicherweise langwierig sind und Geld kosten. Das Vorsorgeprinzip erfordert es schlicht, denn wie sich diese Pflanzen in der freien Natur – also außerhalb der kontrollierten Laborbedingungen – verhalten, ist völlig unerforscht.
Die Befürwortenden der Gentechnik-Deregulierung sehen das diametral anders. Sie setzen die Erzeugnisse der neuen Gentechnik, die in die NGT1-Kategorie fallen, mit Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung gleich. Dabei geht es nicht nur um einige Ausnahmen, sondern um 94 Prozent der NGT-Pflanzen, die gerade entwickelt werden. Besonders besorgniserregend ist, dass der Gesetzesvorschlag nicht nur für landwirtschaftliche Nutzpflanzen gelten soll, sondern auch für Wildpflanzen. Die Befürwortenden unterstellen, dass diese Pflanzen das gleiche Risikopotenzial haben wie konventionell gezüchtete Pflanzen. Auf Basis dieser Annahme sehen sie sich berechtigt, die Risikobewertung und Umweltprüfungen für solche NGT-Pflanzen wegfallen zu lassen. Gerade deutet alles darauf hin, dass der Vorschlag durchgeht, was aus unserer Sicht schlicht fahrlässig ist.
Wie sieht es bei der Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von NGT-Produkten aus?
Ich setze mich dafür ein, dass Erzeugnisse, die mit neuer Gentechnik hergestellt wurden, auch entsprechend gekennzeichnet werden. Die meisten Menschen wollen wissen, ob ihr Essen gentechnisch veränderte Bestandteile enthält oder eben nicht. Die Kennzeichnung ist die Grundlage, um eine informierte Kauf- und Konsumentscheidung treffen zu können.
Der Vorschlag der EU-Kommission möchte die Kennzeichnung der gentechnischen Veränderung aber lediglich auf das Saatgut beschränken. Die Saatgutausweisung ist ein wichtiger Schritt. Er ermöglicht es landwirtschaftlichen Betrieben, die gentechnikfrei wirtschaften wollen, eben dieses Saatgut einzusetzen. Es ist aber nur ein erster Schritt. Auch lebensmittelverarbeitende Unternehmen und Verbraucher*innen sollten erfahren können, in welchen pflanzlichen Inhaltsstoffen die neue Gentechnik eingesetzt wurde. Zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit erwarte ich noch heiße Diskussionen auf politischer Ebene.
Warum ist das umstritten?
Die Befürwortenden der Deregulierung behaupten, dass die Kennzeichnung bis aufs Endprodukt die Gentechnik-Erzeugnisse diskriminieren und möglicherweise Menschen abschrecken würde. Doch es geht hier ja nicht um einen Warnhinweis, sondern lediglich um eine neutrale Kennzeichnung in der Inhaltsstoffliste. Mithilfe dieser Kennzeichnung ließe sich die gentechnikfreie Verarbeitungs- und Warenkette gut nachvollziehen und dieser Wirtschaftssektor würde geschützt. Die Kennzeichnung ermöglicht auch Rückverfolgbarkeit von gentechnisch veränderten Pflanzen und diese ist aus meiner Sicht eine notwendige Vorsorgemaßnahme: Sollte es zu Problemen kommen, kann eine betroffene Charge bzw. Pflanze identifiziert werden und das Problem dann – hoffentlich – an der Wurzel beseitigt werden.
Der letzte Punkt, den Sie nannten, waren Patente. Worum geht es hier genau?
Die Patentfrage ist sehr bedeutend für die Zukunft unserer Landwirtschaft. Sollten gentechnisch veränderte Pflanzen patentierbar sein, ist davon auszugehen, dass große Biotechunternehmen sich mittels Patenten und Lizenzgebühren den Markt sichern. Für landwirtschaftliche Nutzpflanzen hätte das zur Folge, dass Zuchtbetriebe nicht – wie bisher üblich – mit dem von ihnen eingesetzten Saatgut weiterzüchten könnten, sondern für die Nutzung des Saatgutes teure Lizenzgebühren zahlen müssten. Das bedeutet einen großen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand für die Betriebe und erfordert viel Wissen über Patente. Deswegen ist davon auszugehen, dass die Patente zu einer weiteren Monopolisierung des Saatgutsektors führen werden, mit einer Verarmung unseres Sortenreichtums und lokal angepasster Sorten.
Über Patente wurde im Trilog bislang nicht diskutiert, eine Einigung der unterschiedlichen Positionen erscheint aktuell nicht möglich. Die EU-Kommission hat die Patentfrage in ihrem Gesetzesvorschlag weitestgehend ausgeklammert und möchte sich erst nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes mit der Thematik beschäftigen. Dem EU-Parlament genügt das nicht. Es fordert, dass NGTs nicht patentiert werden dürfen. Doch auch wenn die Forderung richtig ist, bleibt sie rechtlich nicht umsetzbar. Denn das Europäische Patentabkommen ist nicht allein EU-Angelegenheit. Es betrifft 39 Staaten, darunter auch Staaten außerhalb der EU. Daher steht in den Sternen, ob es sich wunschgemäß ändern ließe.
Es gibt anscheinend noch einiges zu klären, bevor es zu einer Einigung kommt. Was sind denn die nächsten Schritte im Trilog?
Der Zeitplan bis zum Ende der polnischen Ratspräsidentschaft am 30. Juni steht fest, eventuell werden einige Termine angepasst. Bis zum nächsten Schattenberichterstatter-Treffen am 26. Juni gibt es zahlreiche technische Treffen. Und für den 30. ist ein Trilog anberaumt. Falls dort alle offenen Punkte zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission geklärt werden können, gibt es ein Trilog-Ergebnis. Aktuell sieht es eher nicht danach aus, dass es noch während der polnischen Ratspräsidentschaft zu einer Einigung kommen wird. Ab dem 1. Juli würden die Verhandlungen unter dänischer Führung weitergehen.
Was passiert nach einer Einigung im Trilog-Verfahren?
Nach der „politischen Einigung“ findet auf technischer Ebene zumeist noch ein letztes Treffen statt, um Feinheiten zu klären. Anschließend wird der konsolidierte Text vom Umweltausschuss des EU-Parlaments abgestimmt. Passiert er diese Ebene, kommt es zur finalen Abstimmung im Parlament. Der Rat stimmt ebenfalls über die konsolidierte Fassung ab. Nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union wird das Gesetz rechtskräftig.
Es sind also noch etliche Schritte bis die neue Verordnung fertig ist. Aus Grüner Sicht wäre es am allerbesten, wenn die Arbeit an dieser Verordnung eingestellt würde – unsere aktuelle EU-Gentechnikgesetzgebung ist besser für Umwelt, Verbraucherschutz und die gentechnikfreie Landwirtschaft als der aktuell diskutierte Vorschlag.
Da auf Ebene des EU-Parlaments die politischen Mehrheiten leider für eine Deregulierung der neuen Gentechnik sprechen, kann ich nur appellieren, dass in den EU-Mitgliedsstaaten die Stimmen für eine strenge EU-Gentechnikgesetzgebung lauter werden, die auf dem Vorsorgeprinzip beruht und dies nicht als Nachteil gegenüber Ländern mit laxerer Handhabung sehen, sondern als positives Alleinstellungsmerkmal.
Das Interview führte Judith Düesberg.
Martin Häusling ist gelernter Agrartechniker und langjähriger Landwirt, der seit vielen Jahren in Deutschland und der EU für die Partei Bündnis 90/Die Grünen aktiv ist.