Anhörung zum NIPT

Mehrheit der Expert*innen befürwortet Monitoring

Der Gesundheitsausschuss hat am 9. Oktober 16 Expert*innen zur Notwendigkeit eines Monitorings der Folgen der Kassenzulassung des nicht invasiven Pränataltests (NIPT) befragt. Diskrepanzen gab es zwischen Pränataldiagnostiker*innen auf der einen und (Eltern-)Selbstvertretungen und Beratungsstellen auf der anderen Seite.

Marion Baldus und Josef Hecken auf ihren Sitzplätzen im Gesundheitsausschuss. Baldus redet und gestikuliert dabei.

Marion Baldus erläutert, warum der NIPT von vielen als Regelversorgung wahrgenommen wird.

Bereits im Juni 2023 hatte der Bundesrat eine Entschließung gefasst, die die Bundesregierung dazu auffordert, flankierende Maßnahmen für nicht-invasive Pränataltests (NIPT) einzuführen, darunter ein Monitoring zur Umsetzung und den Folgen der Bluttests sowie die Einrichtung eines Expert*innengremiums, dieses soll „die rechtlichen, ethischen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Kassenzulassung des NIPT prüfen und die Bundesregierung fachlich hinsichtlich der Schaffung einer sachgerechten, ethisch verantwortlichen und rechtssicheren Grundlage für das Angebot und den Zugang zu vorgeburtlichen genetischen Tests ohne therapeutische Handlungsoptionen beraten“.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte bereits 2019 entschieden, dass der Bluttest auf Trisomie 13, 18 und 21 Kassenleistung werden soll, die Umsetzung erfolgte im Juli 2022. Damit wird nun ein Test übernommen, aus dem sich keinerlei therapeutische Optionen ergeben – er ist rein selektiv, die einzige Handlungsmöglichkeit für Schwangere besteht in der Entscheidung für oder gegen einen Abbruch. Behindertenrechtsorganisationen und Elternverbände warnten vor der normativen Wirkung solcher Tests, sie vermittelten den Schwangeren, die Geburt eines behinderten Kindes sei gesellschaftlich unerwünscht und vermeidungswürdig. Die Kostenübernahme suggeriere ihnen, dass der Test Teil der Regelversorgung sei und in Anspruch genommen werden sollte. Bereits vor der Überarbeitung der Mutterschaftsrichtlinie hatte der G-BA darauf hingewiesen, dass er lediglich eine medizinisch-technische Prüfung vornehme, zur Abwägung gesellschaftlicher Auswirkungen aber ein anderes Verfahren notwendig sei. Der NIPT ist als Methode theoretisch auf eine Vielzahl genetischer Abweichungen anwendbar, die Frage nach dem gesellschaftlichen Umgang mit diesen Möglichkeiten drängend.

Zuspruch aus vielen Richtungen


Ein interfraktioneller Antrag von 121 Abgeordneten von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und der Gruppe Die Linke mit dem Titel „Kassenzulassung des nichtinvasiven Pränataltests – Monitoring der Konsequenzen und Einrichtung eines Gremiums“ wurde im April in einer ersten Lesung an den Gesundheitsausschuss überwiesen. Nun hat sich dieser in einer öffentlichen Anhörung mit diesen Fragen befasst. Geladen waren 16 Expert*innen, aus der Medizin, Sozialwissenschaften, dem G-BA, Selbstvertretung behinderter damals in der Zugänglichkeit der Tests, er sollte dadurch nicht zu einem regelhaft angewandten Screening werden. Ihrer Meinung nach widerspricht die tatsächliche Anwendung dieser Intention, die Mutterschaftsrichtlinien, die die Indikation für den Test recht schwammig formulieren, müssten nachgeschärft werden. Auch Erziehungswissenschaftlerin Marion Baldus verwies auf die Häufigkeit der Tests: „Je mehr ein Test zur Routine wird, desto schwieriger wird es, sich aus der Routine selbstbestimmt auszuklinken“. [1] Erste Abrechnungsdaten der Krankenkassen zeigen, dass der Test deutlich häufiger in Anspruch genommen wird, als beabsichtigt. Die durchschnittliche Nutzungsfrequenz lag im relevanten Zeitraum seit Kassenzulassung bei 77% der Schwangeren, was darauf hindeutet, dass sie den Test als Teil der Regelversorgung begreifen. Silke Koppermann, Gynäkologin i.R. und Sprecherin des Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik, betonte, dass es derzeit keine Daten zur Qualität der Aufklärung und Beratung zum NIPT gebe. Deutliche Worte fand auch der G-BA Vorsitzende Josef Hecken: der Bundestag habe sich zu ethischen Fragen um den NIPT trotz mehrmaliger Aufforderung nicht verhalten, der G-BA sei gezwungen gewesen, eine medizinisch-technische Bewertung vorzunehmen. Beim Gedanken an die Ausweitungsmöglichkeiten des NIPT werde im „Angst und bange“, der Gesetzgeber sei in der Pflicht, den Umgang mit Pränataltest zu regeln. Arne Frankenstein, Behindertenbeauftragter des Landes Bremen, sprach gar von einem gesetzgeberischen Unterlassen, das in einer Kassenzulassung ohne Regelungskonzept bestehe. Die Testpraxis zementiere das medizinische Bild von Behinderung, was der von Deutschland ratifizierten Behindertenrechtskonvention zuwiderlaufe.


Pränataldiagnostik offenbart problematisches Bild von Behinderung


Dieses defizitorientierte Bild von Behinderung zeigte sich auch in den Wortbeiträgen mancher Geladener. So bezeichnete Pränataldiagnostiker Henrich von der Berliner Charité Trisomie 21 mehrfach als Krankheit. Gesellschaftlichen Druck zur Inanspruchnahme eines NIPT wollte er nicht sehen. Insgesamt zeigten sich vor allem jene Berufsgruppen skeptisch gegenüber einem Monitoring, die selbst Pränataldiagnostik anbieten. Dabei zeigte auch der sehr nüchterne Wortbeitrag von Anke Rißmann, ärztliche Leiterin des Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt, dass verlässliche Zahlen zu den Auswirkungen des NIPT fehlen, es gebe einen Anstieg bei den Abbrüchen, aber: „Wir können mit unseren Daten nicht sagen, woran der liegt“.


Monitoring könnte bald beschlossen werden


Die Anhörung hat klar gezeigt: es gibt gute Gründe für ein Monitoring und allgemein auch in weiten Teilen Übereinstimmung, dass die medizinisch-technische Prüfung durch den G-BA für die Bewertung von Pränataltests nicht ausreicht. Die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern haben dieser Forderung am 16. Oktober mit einem gemeinsamen Positionspapier Nachdruck verliehen. Der Bundestag stimmt am 08. November über den interfraktionellen Antrag ab. Mit dem Monitoring könnten dann endlich auch verlässliche Daten zu den Auswirkungen des NIPT auf das gesellschaftliche Bild von Behinderung erhoben werden – und unter Umständen auch Forderungen für eine Rücknahme der Kassenzulassung untermauert werden. Denn auch diese ist nicht in Stein gemeißelt.

[1] Sofern nicht anders angegeben stammen die Zitate aus dem Videomitschnitt der Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.10.24, www.bundestag.de
 

28. Oktober 2024

Jonte Lindemann ist Mitarbeiter*in des GeN und Redakteur*in des GiD.

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