„Biogeografische Herkunftsanalyse“ – Achtung Diskriminierungsgefahr
Keine Ausweitung polizeilicher DNA-Analysen!
Erneut wird in Deutschland die Legalisierung der sog. Biogeografischen Herkunftsanalyse bei Polizeiermittlungen gefordert. Das Gen-ethische Netzwerk und neun Organisationen protestieren dagegen, denn diese Methode birgt eine große Gefahr für rassistisch diskriminierte Minderheiten. Der Nutzen der Analyse ist dagegen gering – im Gegenteil riskiert sie, Ermittlungen fehlzuleiten.

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Ein Beschluss der 222. Innenministerkonferenz (IMK) Anfang Dezember in Rheinsberg spricht sich für die Legalisierung der sogenannten Biogeografischen Herkunftsanalyse (BGA) aus. Damit ist eine genetische Analyse von Tatortspuren gemeint, die Aussagen über die Herkunft der Vorfahren einer unbekannten Person ermöglichen soll.
Zuletzt wurde 2019 im Zuge einer Strafrechtsreform darüber diskutiert, die umstrittene Analyse bei polizeilichen Ermittlungen zu erlauben. Damals hatten Wissenschaftler*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen wie das Gen-ethische Netzwerk vor genetischem Racial Profiling und Pauschalverdächtigung von Minderheiten gewarnt. Es sind mehrere Fälle bekannt – auch in Deutschland – bei denen BGA-Ergebnisse polizeiliche Ermittlungen durch rassistische Vorannahmen fehlgeleitet haben. Umgekehrt gibt es weltweit nur wenige Kriminalfälle, bei denen BGA tatsächlich dazu beitrugen, Fälle zu lösen. Das ist vermutlich auch den Mitarbeitenden der Innenministerkonferenz bekannt, denn auch im Protokoll der IMK wird nur vage formuliert, dass „BGA einen spürbaren Mehrwert für die Ermittlungen darstellen könnte“ (Betonung eingefügt).
Gefahr des Racial Profiling
Während „erweiterte DNA-Analysen“ auf Augen-, Haar und Hautfarbe von unbekannten Personen 2019 trotz vielfältigem Protest erlaubt wurden, hatte die Bundesregierung „als bewusste Entscheidung“ BGA nicht aufgenommen. Laut der damaligen Justizministerin Christine Lambrecht können durch die Analyse einer vermeintlichen kontinentalen Herkunft „größere Gruppen an den Pranger gestellt werden“. An diesem Risiko hat sich in den letzten sechs Jahren nichts geändert. Eher im Gegenteil – durch aktuelle extrem rechte Narrative, in denen Migration und Kriminalität verknüpft werden, ist die Gefahr groß, dass die Kommunikation von BGA-Ergebnissen zu rassistischer Hetze und der Stigmatisierung ganzer Communitys führen würde, statt Fälle zu lösen. Die Debatte über die Legalisierung der BGA begann in Deutschland 2016 – mit einem rechten Flugblatt, worin fälschlicherweise behaupte wurde, „nichts ist so leicht durch DNA zu ermitteln, wie die Rasse“ („Menschenrasse“ gibt es biologisch nicht, ihr Konzept ist ein Ergebnis von Rassismus).
Wenn es darum geht, den Kreis von Verdächtigen einzugrenzen, ist eine BGA nur hilfreich, wenn sie auf ein seltenes Merkmal hindeutet. Bei dem Ergebnis „europäisch“ ist in Deutschland der Personenkreis in der Regel zu groß, um nützlich zu sein. So zum Beispiel bei einer Serie von sexuellen Nötigungsversuchen in Bayern zwischen 2000 und 2014, über die unter anderem mit der Täterbezeichnung „Allgäuer Triebtäter“ berichtet wurde. Angewendet wurde die BGA in den Fällen unter Berufung auf eine Ausnahmeregelung. Dies brachte die Ermittlungen jedoch nicht weiter. Gleichzeitig ist das Merkmal kontinentaler Herkunft ein sehr vages Merkmal: Ganze Communities würden damit unter Pauschalverdacht gestellt. Bei einer Kommunikation an die Presse könnte dies erst recht rassistische Hetze nach sich ziehen.
Gefahr der Fehlleitung von Ermittlungen
Wie nützlich ist BGA wirklich für Ermittlungen? Dazu ist bisher keine systematische wissenschaftliche Auswertung veröffentlicht worden, nur medial bekannte Einzelfälle. Seit der Einführung der Methode in der Schweiz im August 2023 wurden bislang gerade mal drei Aufträge für BGA erteilt. Ermittlungsfortschritte sind von der Polizei bisher nicht berichtet worden.
Immer wieder wird von Befürworter*innen auf dieselben Fälle hingewiesen, bei denen eine BGA vermeintlich bei der Aufklärung helfen würde: z. B. bei der Vergewaltigung einer Frau in Emmen, ein Fall, der in der Schweiz nach einer rechtspopulistischen Debatte die Legalisierung von BGA nach sich zog. Doch der Fall eignet sich denkbar schlecht als Präzedenzfall, denn keine DNA-Analyse könnte mehr Hinweise geben als die Angaben, die die geschädigte Frau bereits selber geben konnte. Oder der Fall, der in den Niederlanden dazu führte, dass BGA legalisiert wurde. Marianne V. wurde vergewaltigt und ermordet, und eine BGA konnte die Anwohner eines Asylbewerberheims in der Nähe entlasten – so lautet die Erfolgsgeschichte. Tatsächlich wurde der Täter jedoch erst viel später und nicht aufgrund der BGA gefasst. Und das Erfolgsnarrativ stellt nicht in Frage, warum die Asylbewerber überhaupt unter Verdacht standen oder was passiert wäre, wenn die BGA nicht auf eine „europäische“ Herkunft hingedeutet hätte.
Letztendlich bleibt auch unklar, wie genau BGA in Ermittlungen sinnvoll angewendet werden kann. Es ist kein äußerlich sichtbares Merkmal. Obwohl es durchschnittlich eine Korrelation zwischen der geografischen Abstammung der Vorfahren eines Menschen und dessen Haut- und Haarfarbe gibt – in vielen Fällen gibt es keinen Zusammenhang.
Durch die Werbung von Internet-Gentest-Unternehmen hat sich die Vorstellung verbreitet, man könne die Herkunft einer Person prozentgenau feststellen. So einfach ist es wissenschaftlich jedoch nicht. Höchstes die kontinentale Herkunft der Vorfahren einer Person ist bestimmbar – aber auch nicht bei allen Menschen. Das Ergebnis einer BGA ist auch keine Information, die den deutschen Meldebehörden bekannt ist. Denn sie ist nicht das gleiche wie Geburtsort oder Nationalität.
Im Falle des „Phantom von Heilbronn“ wurde das BGA-Ergebnis „osteuropäisch“ als Romnja gedeutet und es begann eine rassistische Fokussierung der Ermittlung, bei denen Hunderte Frauen ihre DNA abgeben mussten, statt die DNA-Analyse in Frage zu stellen. Die DNA-Spur der gesuchten unbekannten weiblichen Person stellte sich später als Verunreinigung heraus.
Gefahr für den Datenschutz
Die Legalisierung von erweiterten DNA-Analysen – also Auswertungen von genetischen Merkmalen abseits der „nicht-kodierenden“ d. h. nicht für Zellbestandteile kodierende DNA-Abschnitte – 2019 war ein riesiger Einschnitt in den genetischen Datenschutz aller Bürger*innen. Ganz klar ist die wissenschaftliche Abgrenzung zwischen kodierend und nicht-kodierend nicht. Auch nicht-kodierende Erbgutabschnitte können mit persönlichkeitsrelevanten Merkmalen korrelieren. Doch die Marker, die für die Analyse von Haut-, Haar- und Augenfarbe und nun ggf. BGA analysiert werden, enthalten nochmal wesentlich sensiblere Informationen, wie eine Studie zeigt.
Das Wissen über Zusammenhänge von Genvarianten und allen möglichen Eigenschaften bezüglich Krankheiten, Persönlichkeit und Verhalten (auch wenn die Aussagekraft wissenschaftlich z.T. umstritten ist) wächst exponentiell. DNA lässt sich nicht ändern oder verschlüsseln und wir teilen unsere DNA mit allen biologischen Verwandten. DNA-Spuren vom Tatort müssen nicht mit der Tat in Zusammenhang stehen. Wenn die Polizei diese Auswertungen machen darf, wird hier also der Datenschutz aller Bürger*innen eingeschränkt, nicht „nur“ von Tatverdächtigen. Wir protestieren daher gegen eine erneute empfindliche Ausweitung der polizeilichen Analysekompetenzen!
Ausweitungsgefahr
Wir sehen eine große Gefahr der Ausweitung auf weitere Merkmale, wie zum Beispiel genbasierte Prognosen über die Gesundheits- oder Verhaltensmerkmale, wenn der datenschutzrechtliche Dammbruch einmal erfolgt ist. Die DNA-Datenbank des BKA wurde 1998 eingeführt, um schwere Straftaten aufzuklären, aber heute wird sie zum allergrößten Teil zur Aufklärung von Bagatelldelikten wie Diebstahl verwendet.
Sicherheit für wen?
Bisher haben BGA also keine besonders große Erfolgsgeschichte in der Geschichte der Forensik vorzuweisen. Die Behauptung, sie könne „im besten Fall verhindern, dass polizeiliche Ermittlungen in eine falsche Richtung gelenkt werden“, ist unbewiesen. Es gibt sogar Fälle, die das Gegenteil zeigen. Im Gegenzug warnen wir als Wissenschaftler*innen, Datenschutz-Expert*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen vor den negativen Effekten, die Ermittlungen aufgrund von BGA für rassistisch diskriminierte Minderheiten haben kann. Für diese Menschen können die politischen Sicherheitsversprechen hinter der Legalisierung von kontroversen DNA-Technologien nicht eingelöst werden. Im Gegenteil, es sind Racial-Profiling-Effekte zu erwarten, die deren Sicherheit bedrohen.
Unterstützende Organisationen:
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Ihr Seid Keine Sicherheit - ISKS
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV e.V.)
Gen-ethisches Netzwerk e.V.
Kontakt
Dr. Isabelle Bartram, Gen-ethisches Netzwerk e. V. (GeN)
Tel.: 030/ 685 70 73 / Mobil: 0176 552 390 12
E-Mail: isabelle.bartram@gen-ethisches-netzwerk.de