Mehr Gift!
Dokumentation
In den USA werden gentechnisch veränderte Pflanzen seit 1996 kommerziell angebaut. Der US-amerikanische Agronom Charles Benbrook hat im November den Bericht „Der Einfluss von gentechnisch veränderten Pflanzen auf den Pestizid-Verbrauch - die ersten dreizehn Jahre” veröffentlicht. Der Bericht macht deutlich, dass der Einsatz dieser Pflanzen den Pestizid-Verbrauch gewaltig gesteigert und die Problematik resistenter Unkräuter verschärft hat.
In einer Geschichte, die das Entstehen von Glyphosat- beziehungsweise Roundup-resistenten Unkräutern zum Thema hat, wurde neulich ein Bauer aus North Carolina zitiert: „Roundup ist das größte Ding in der Landwirtschaft, das ich in meinem ganzen Leben erlebt habe.” Ein pensionierter Forscher, der sich mit Unkräutern beschäftigt hat, räumt in derselben Geschichte ein: „Im Nachhinein wird klar, dass wir Mist gebaut haben. Man kann sich nicht ständig nur auf ein einziges Mittel verlassen.” Aber genau dies haben Bauern getan und dadurch dem Herbizid Glyphosat und gentechnisch verändertem [gv] Mais, gv-Soja und gv-Baumwolle zur erstaunlichsten und profitabelsten Erfolgsgeschichte in der Geschichte der Pestizid- und Saatgutindustrie verholfen. [...] Gv-Saatgut wurde 1996 in den Vereinigten Staaten für den kommerziellen Anbau zugelassen und dominiert heute die Produktion von Mais, Soja und Baumwolle. Gv-Pflanzen enthalten eine oder beide der folgenden gentechnisch übertragenen Eigenschaften: - Herbizid-tolerante [HT] Pflanzen sind gentechnisch so verändert, dass sie während der Wachstumsphase die direkte Anwendung von einem oder mehreren Herbiziden überleben - Chemikalien, die die Pflanze normalerweise abtöten oder schwer schädigen würden. - Bt-Pflanzen wurden dahingehend verändert, dass sie in ihren Zellen Toxine bilden, die von dem bodenlebenden Bakterium Bacillus thuringiensis [Bt] stammen. Diese Toxine sind tödlich für bestimmte landwirtschaftliche Schadinsekten. [...]
Die ersten 13 Jahre
Gv-Pflanzen haben den Verbrauch von Pestiziden in den ersten 13 Jahren ihres kommerziellen Anbaus insgesamt um 144,2 Millionen Kilogramm gesteigert, wenn man von der Menge von Pestiziden ausgeht, die ohne den Einsatz von Ht- und Bt-Saatgut wahrscheinlich verbraucht worden wäre. Dieser Zuwachs um 144,2 Millionen Kilogramm bedeutet eine durchschnittliche Zunahme von 0,3 Kilogramm aktivem Pestizid-Wirkstoff pro Hektar, auf dem in den letzten 13 Jahren gv-Pflanzen angebaut wurden. Bt-Mais und Bt-Baumwolle haben in den letzten 13 Jahren zu einer anhaltenden Reduzierung des Insektizidverbrauchs von insgesamt 29,1 Millionen Kilogramm geführt. Bt-Mais reduzierte den Verbrauch von Insektiziden um 14,7 Millionen Kilogramm. Dies entspricht etwa 0,12 Kilogramm pro Hektar. Bt-Baumwolle hat den Einsatz von Insektiziden um 14,3 Millionen Kilogramm oder 0,48 Kilogramm pro bepflanztem Hektar reduziert [siehe Kasten]. HT-Pflanzen haben den Herbizideinsatz in den letzten 13 Jahren um insgesamt 173,3 Millionen Kilogramm gesteigert [...]. HT-Sojabohnen sind für 92 Prozent des Gesamtanstiegs im Herbizidverbrauch aller drei Herbizid-toleranten Pflanzen verantwortlich. [...]
Resistente Unkräuter
Die weitverbreitete Anwendung von Glyphosat-resistenten RoundupReady [RR] -Sojabohnen, von RR-Mais und RR-Baumwolle hat den Einsatz von Glyphosat-basierten Herbiziden erheblich gesteigert. Das übermäßige Vertrauen auf Glyphosat hat eine wahre Epidemie von Glyphosat-resistenten Unkräutern hervorgebracht, so wie der übermäßige Gebrauch von Antibiotika auch die Ausbreitung von Antibiotika-resistenten Bakterien auslösen kann. Glyphosat-resistente [GR] Unkräuter waren vor der Einführung von RR-Pflanzen im Jahre 1996 so gut wie unbekannt. Heute gibt es mindestens neun GR-Unkräuter, die sich auf vielen Millionen Hektar des US-amerikanischen Ackerlandes ausgebreitet haben. [...] Wenn ihre Äcker mit gentechnisch veränderten und gegen ein Herbizid toleranten Nutzpflanzen bestellt sind, haben Bauern im Allgemeinen fünf verschiedene Möglichkeiten, auf Unkräuter zu reagieren, die gegen dieses Herbizid resistent sind: • zusätzliche Herbizid-Wirkstoffe verwenden, • die Menge der eingesetzten Herbizide steigern, • Herbizide, die vorher nur einmalig ausgebracht wurden, mehrfach anzuwenden • mit dem vermehrten Einsatz von Bodenbearbeitung zur Unkrautbekämpfung oder • mit dem Jäten von Hand.
In dem Zeitraum, der in diesem Bericht untersucht wurde, kamen fast ausschließlich die ersten drei der fünf oben genannten Maßnahmen zur Anwendung. Jede dieser drei Maßnahmen steigert die Menge der Herbizide, die auf Flächen mit HT-Pflanzen ausgebracht wird. 2005 wurde das Auftreten erster resistenter Populationen von Glyphosat-resistentem Pigweed (Weißer Gänsefuß, Amaranthus palmeri) bestätigt. Ab diesem Zeitpunkt haben diese sich im Süden der USA in dramatischem Ausmaß verbreitet und sind inzwischen zu einer echten Bedrohung für die US-amerikanische Baumwollproduktion geworden. Mancherorts ist die Ausbreitung schon so weit fortgeschritten, dass Baumwollfarmer gezwungen waren, ihre Felder aufzugeben oder die Unkräuter - wie in vorindustriellen Zeiten üblich - von Hand zu entfernen. [...] Kanadische Grießwurzel, Dreilappige Ambrosie, Fuchsschwanz und sechs andere Unkräuter tragen nicht nur zu einer beträchtlichen Zunahme des Glyphosat-Verbrauchs bei, sondern führen auch zum verstärkten Einsatz von giftigeren Herbiziden. Dies sind zum Beispiel Paraquat und 2,4-D; Letzteres war ein Bestandteil des im Vietnamkrieg eingesetzten Agent Orange.
Konsequenzen für Umwelt und Gesundheit
In absehbarer Zukunft ist es nicht möglich, den Einsatz älterer, risikoreicherer Herbizide zur Bekämpfung resistenter Unkräuter auf Feldern mit HT-Pflanzen zu verhindern. So wird die Unkrautbekämpfung auf über 40 Millionen Hektar US-amerikanischen Ackerlandes merkliche Konsequenzen für die Umwelt und die öffentliche Gesundheit haben [...], wie zum Beispiel ein erhöhtes Risiko von Geburtsfehlern und andere Probleme im Bereich der Fortpflanzung. Aquatische Ökosysteme werden stärker als bisher in Mitleidenschaft gezogen werden. Pflanzen - in der Natur und auf den Feldern -, die in der unmittelbaren Umgebung der eingesetzten Herbizide wachsen, werden in weitaus stärkerem Maße als bisher durch den Herbizideinsatz geschädigt. [...]
Zu wenig konventionelles Saatgut
2010 werden in den USA auf Mais-, Soja- und Baumwollfeldern zum größten Teil gv-Saaten ausgesät werden. Dies ist keineswegs eine gewagte Vorhersage, denn das Angebot an nicht gentechnisch verändertem Saatgut ist inzwischen so knapp, dass die meisten Bauern in den nächsten Jahren gv-Saaten erwerben werden müssen - ob sie wollen oder nicht.
Wendepunkt für RR-Pflanzen
Das Erntejahr 2009 markiert vermutlich in verschiedener Hinsicht einen Wendepunkt in der Nutzung von gentechnisch veränderten RoundupReady-Pflanzen. Im Vergleich zum vorangegangenen Jahr wurde eine um ein Prozent kleinere Fläche mit HT-Sojabohnen bepflanzt. Im Jahr 2010 wird sich diese Fläche wahrscheinlich noch um einige Prozentpunkte verringern. In einigen US-Bundesstaaten ist die Nachfrage der Bauern nach konventionellen Sojabohnen inzwischen größer als das Angebot, und Universitäten und regionale Saatgutunternehmen versuchen gemeinsam, diese Lücke zu schließen. Es gibt viele Gründe, weshalb die Bauern sich vom RR-System abwenden: die Kosten und Risiken, die beim Umgang mit Glyphosat-resistenten Unkräutern entstehen, die stark ansteigenden Kosten für RR-Saatgut, die Höchstpreise, die für nicht gentechnisch veränderte Sojabohnen geboten werden, die entgegen allen Versprechungen und Erwartungen gering ausgefallenen Ernteerträge der RR2-Soja 1 im Jahr 2009 sowie die Möglichkeit für Bauern, konventionelles Saatgut aufzubewahren und wieder auszusäen (eine traditionelle Praxis, die mit dem Kauf von HT/RR-Saatgut rechtswidrig wird). [...]
„Dem eenen sin Uhl is dem annern sin Nachtigall”‟
Während Mais-, Soja- und Baumwollfarmer die Ausbreitung resistenter Unkräuter wie einen stetig voranschreitenden Prozess erfahren, der sie an den Rand ihrer Existenz bringt, entdeckt die Saatgut- und Pestizidindustrie aufgrund der Zunahme resistenter Unkräuter neue Marktchancen und Profitpotentiale. Ein großer Teil der Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen fließt in die Entwicklung von Pflanzen, die entweder die Anwendung höherer Dosen von Glyphosat oder den Einsatz zusätzlicher Herbizide tolerieren können - oder beides zugleich. Kurz gesagt, die Antwort der Industrie ist: mehr von demselben. Eines der größten Biotech-Unternehmen hat ein Patent auf HT-Pflanzen beantragt und auch erhalten, die mit einem Herbizidcocktail bespritzt werden können, der sich aus sieben oder mehr chemischen Herbizidfamilien zusammensetzt (zwei Herbizide aus einer „family of chemistry“ wirken auf dieselbe Art und Weise). [...]
Taktiken erweitern
Anstatt einfach nur mehr zu spritzen, müssen Bauern die Taktiken ihrer Unkrautmanagementsysteme erweitern, indem sie beispielsweise die Fruchtfolge ändern, gewissenhaft den Empfehlungen zum Management von Herbizidresistenzen folgen oder den Boden intensiver bearbeiten, um Herbizid-tolerante Unkräuter ausreichend tief unterzupflügen und so deren Auskeimen zu verhindern.
Resistenzmanagement ist unabdingbar
Es ist wichtig und auch möglich, die Effizienz von Bt-Pflanzen aufrechtzuerhalten. Das Auftreten der ersten Bt-resistenten Populationen eines bedeutenden Baumwollschädlings auf einzelnen Flächen im Jahr 2003 ist beunruhigend, macht aber auch deutlich, wie wichtig die vorhandenen Pläne zum Resistenzmanagement sind. Denn diese könnten eine Ausbreitung der resistenten Populationen, die in Mississippi und Arkansas gefunden wurden, verhindern. Die Industrie hat vor kurzem vorgeschlagen, sich von den Methoden des Bt-Resistenzmanagements zu verabschieden - und das EPA [die Bundesumweltbehörde der USA] hat diesem Ansinnen zugestimmt. Durch ein solches Vorgehen wird die zukünftige Effizienz von Bt-Pflanzen und Bt-Insektiziden aufs Spiel gesetzt. Der Gesamtverbrauch von Pestiziden bei gv-Mais, gv-Sojabohnen und gv-Baumwolle wird zweifellos weiter zunehmen. Auch wenn die neuen, mehrere giftige Wirkstoffe enthaltenden Versionen von Bt-Mais und Bt-Baumwolle sich darin als effektiver erweisen sollten, die Belastung durch Insekten und Fraßschäden zu verringern, wird die Reduzierung des Pestizidverbrauchs wieder ausgeglichen durch die ständige Zunahme des Herbizidverbrauchs bei Herbizid-toleranten Pflanzen. Vordringlichstes Ziel für Bauern, Wissenschaftler und Saatgutindustrie ist es nun, Unkrautmanagementsysteme zu entwickeln, die in der Lage sind, resistenten Unkräutern Herr zu werden, und sicherzustellen, dass bei den Anstrengungen zur Erhaltung der Effizienz von Bt-Toxinen keine Zugeständnisse gemacht werden. Zudem muss das Angebot und die Qualität von konventionellem Mais-, Soja- und Baumwollsaatgut gesteigert werden. Letzteres wird sich wohl als das wesentlichste Element erweisen, da die Produktivität unseres landwirtschaftlichen Systems und die Qualität unserer Lebensmittelversorgung beim Saatgut beginnt - und vom Saatgut abhängt.
- 1RR2-Soja (Kürzel MON89788) ist eine Weiterentwicklung der weltweit am häufigsten angebauten gentechnisch veränderten Pflanze, der herbizidtoleranten RoundupReady-Soja. Beide Sorten tolerieren Herbizide auf der Basis des Wirkstoffs Glyphosat, wie zum Beispiel das von dem US-Gentechnikkonzern Monsanto vertriebene Roundup.