Kennzeichnung fordern, Wahlfreiheit sichern

Gemeinsames Positionspapier und Gegendarstellung zur Position von Copa-Cogeca

Zusammen mit Vertreter*innen des Agrar- und Lebensmittelsektor fordern wir eine verpflichtende Kennzeichnung für Pflanzen aus Neuen Genomischen Verfahren (NGV). Entgegen der Darstellung von Copa-Cogeca und anderen landwirtschaftlichen Organisationen betrachten wir die Kennzeichnung als Voraussetzung für Transparenz, Verantwortung und Wahlfreiheit.

Hände mit Saatgut

Eine Koexistenz von Gentechnik-Anbau und gentechnikfreier Saatgutarbeit bzw. Landwirtschaft ist nicht möglich. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com (3717095)

GEMEINSAMES  POSITIONSPAPIER
Wahlfreiheit lässt sich nur durch Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von neuen GVOs sichern

Gegendarstellung zur Position von Copa-Cogeca und 26 anderen GVO- befürwortenden Organisationen bezüglich der Deregulierung von Pflanzen, die durch neue Neuen Genomischen Verfahren (NGV) gewonnen wurden. (Die Stellungnahme als PDF)

Als Vertreter*innen des Agrar- und Lebensmittelsektors(1) appellieren wir an die politischen Entscheidungsträger der EU, die Wahlfreiheit sowie die Rechte von Verbraucher*innen, konventionell und ökologisch wirtschaftenden Landwirt*innen, Züchter*innen und Akteuren entlang der gesamten Lieferkette zu schützen. Dazu gehört insbesondere die verpflichtende Kennzeichnung von mit Neuen Genomischen Verfahren (NGV) erzeugten GVO (gentechnisch veränderte Organismen) sowie deren vollständige Rückverfolgbarkeit innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette.

Die Verwendung von neuen GVO in der Landwirtschaft erfordert einen strengen, wissenschaftlich fundierten Rechtsrahmen zum Schutz der Rechte der Verbraucher*innen und der NGV-freien konventionellen und ökologischen Lebensmittelsysteme.

Führende wissenschaftliche Institutionen, Verbraucherorganisationen sowie Vertreter*innen der Landwirtschaft und des Umweltschutzes betonen, dass die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von neuen gv-Pflanzen und Produkten keine optionalen Maßnahmen, sondern grundlegende Voraussetzungen dafür sind, Transparenz, Verantwortung und Wahlfreiheit für Verbraucher*innen, Landwirt*innen und den Lebensmittelsektor entlang der gesamten Lieferkette zu gewährleisten. Pflanzen, die mit NGV erzeugt wurden, sind gentechnisch veränderte Organismen und sollten entsprechend reguliert werden.

1.    Wahlfreiheit und das Recht auf Information

Sind eine verpflichtende Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit nicht gewährleistet, bleibt Verbrauchenden das Recht auf eine fundierte Kaufentscheidung verwehrt. Ohne zu wissen, ob ein Produkt gentechnisch veränderte Bestandteile enthält oder aus solchen hergestellt wurde, wird die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher*innen erheblich eingeschränkt.

Dies widerspricht den etablierten Grundsätzen für Transparenz im Lebensmittelsystem und gefährdet das Vertrauen der Öffentlichkeit. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) stellt klar, dass der Schutz der Verbraucherrechte und das Recht auf Information zentrale Prinzipien sind. Darüber hinaus ist die Rückverfolgbarkeit nach dem EU-Lebensmittelrecht eine grundlegende und rechtlich verbindliche Anforderung.

2.    Gefahr der Saatgutverunreinigung und Bedrohung für den europäischen Bio- und konventionellen GVO-freien Sektor

Um die Wertschöpfungsketten des ökologischen und konventionellen gentechnikfreien Sektors frei von Pflanzen aus NGV zu halten, muss die Lebensmittelproduktion wirksam vor Verunreinigungen geschützt werden.
Das bestehende EU-Gentechnikrecht setzt einen Mindeststandard für den Umgang mit Pflanzen aus NGV: Durch Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung war es in der EU bislang möglich, gentechnikfreie Lebensmittel zu schützen – denn eine strikte Trennung von GVO und GVO-freien Produkten wurde während Anbau, Ernte, Verarbeitung und Lagerung konsequent umgesetzt.

Wie mehr als zweihundert Organisationen bereits gewarnt haben, wird es ohne eine verpflichtende Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit im Anbau äußerst schwierig sein, eine Verunreinigung von gentechnikfreiem und ökologischem Saatgut mit NGV- Pflanzen zu verhindern – etwa durch unregulierte Saatgutverbreitung, Kreuzbestäubung oder unbeabsichtigte Verunreinigungen in Maschinen oder Lagereinrichtungen.

Die Zukunft des ökologischen und konventionellen gentechnikfreien Landbaus sowie der entsprechenden Lebensmittelwirtschaft steht auf dem Spiel. Gentechnikfreies Saatgut bildet die grundlegende Voraussetzung für eine gentechnikfreie Landwirtschaft. Kommt es erst einmal zu einer Verunreinigung, ist der ursprüngliche GVO-freie Status nur schwer – wenn überhaupt – wiederherzustellen. Selbst kleinflächige Freisetzungen von NGV-Pflanzen können zu irreversiblen Kontaminationen führen – mit langfristigen Folgen für die Biodiversität und die gentechnikfreie Landwirtschaft.

Wird Saatgut aus konventioneller oder ökologischer Produktion mit Gentechnik verunreinigt, können daraus rechtliche und wirtschaftliche Nachteile entstehen – etwa der Verlust von Zertifizierungen, der eingeschränkte Zugang zu bestimmten Märkten oder Haftungskonflikte mit Entwicklern von NGV-Pflanzen. Solche Risiken lassen sich nur durch eine verlässliche, verpflichtende Rückverfolgbarkeit sowie durch die Pflicht zur Veröffentlichung von Nachweismethoden wirksam begrenzen.

3.    Nachweis und Rückverfolgbarkeit: Fachlich umsetzbar und ökonomisch notwendig

Behauptungen, wonach Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung zu ungerechtfertigten wirtschaftlichen Belastungen oder Störungen des Handels führen würden, vernachlässigen sowohl die technischen Möglichkeiten bestehender Nachweismethoden als auch die langfristigen wirtschaftlichen Folgen eines unregulierten Einsatzes von NGV-Pflanzen.

Die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist in der EU seit langem gängige Praxis und basiert wesentlich auf einer funktionierenden Rückverfolgbarkeit. Wissenschaftliche Einrichtungen wie die französische ANSES betonen, dass viele durch NGV erzeugte gentechnische Veränderungen mit bereits vorhandenen molekularen Methoden nachweisbar sind.

Für eine verlässliche Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung sollten Entwickler und Hersteller von NGV-Pflanzen weiterhin verpflichtet werden, geeignete Nachweisverfahren für die jeweils eingesetzten gentechnischen Veränderungen zu veröffentlichen – einschließlich Referenzmaterial vorzulegen. Rückverfolgbarkeit schafft Transparenz und fördert Vertrauen: Sie ermöglicht eine gezielte Überwachung, um bei negativen Auswirkungen oder Kontaminationsfällen schnell die Ursache zu ermitteln – auch im Zusammenhang mit handelsbezogenen Konflikten.

Ohne Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit würde die Verantwortung in unzumutbarer Weise auf die Lebensmittelwirtschaft abgewälzt. Im Falle von Verunreinigungen oder Schäden sollte die Beweislast selbstverständlich bei jenen liegen, die die betreffenden Produkte auf den Markt bringen – also bei den Entwicklern und Herstellern von NGV- Pflanzen.


4.    Informierte Entscheidungen hängen davon ab, ob Verbraucher*innen einfachen Zugang zu Informationen haben

Die Herstellung von Transparenz und die Bereitstellung umfassender Verbraucherinformationen kann nur gewährleistet werden, wenn die Informationsquellen keine Interessenkonflikte haben . Die wissenschaftliche Gemeinschaft hat eindeutig erklärt, dass NGV-Pflanzen potenzielle Risiken für die menschliche Gesundheit und die Natur bergen können. Verbraucher*innen sollten daher darüber informiert werden, dass NGV-Pflanzen gesundheitliche Auswirkungen beispielsweise in Form von Toxinen und Allergenen haben könnten. Aus diesem Grund fordern Wissenschaftler*innen und zivilgesellschaftliche Gruppen, dass NGV-Pflanzen nicht von einer Risikobewertung und einem Monitoring ausgenommen werden. Auch der Europäische Gerichtshof entschied 2018, dass NGV-Pflanzen nicht von diesen Vorschriften befreit werden sollten.

Fazit
Der Verzicht auf die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von mit NGV hergestellten Pflanzen untergräbt nicht nur die Grundrechte von 450 Millionen EU-Bürger*innen, sondern auch die Integrität einer ökologischen und konventionellen GVO-freien Landwirtschaft. Ohne rechtlich verbindliche Vorgaben zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit gefährdet die Verbreitung von NGV-Pflanzen eine gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion – vom Saatgut bis zum Endprodukt.

Ein angemessener regulatorischer Rahmen ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass mit NGV-Pflanzen so umgegangen wird, dass demokratische Rechte, Freiheiten und das öffentliche Interesse gewahrt bleiben. Diese Grundprinzipien können ohne Transparenz, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit nicht aufrechterhalten werden.


Hinweis

Wir möchten darauf hinweisen, dass sich diese Stellungnahme auf das Thema Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung konzentriert. Informationen zu weiteren offenen und ebenso wichtigen Aspekten – wie Koexistenz, Risikobewertung, Monitoring, Opt- out-Regelungen, Haftung, Patente, Nachweismethoden sowie zum Geltungsbereich des Vorschlags (einschließlich Wildpflanzen) – finden Sie über die untenstehenden Links in der Stellungsnahme als PDF.

Fußnoten:
(1) einschließlich ökologische Saatgutzüchtende, Landwirt*innen, Akteure der Lieferkette, Verbraucher- und Umweltorganisationen.

Die Stellungnahme als PDF

Unterzeichnungen

EU und internationale Organisationen:

Biodynamic Federation Demeter International Corporate Europe Observatory
European Consortium for Organic Plant Breeding (ECO-PB) Foodwatch
Friends of the Earth Europe (FoEE) Greenpeace
IFOAM Organics Europe Save our Seeds

Nationale Organisationen:

Aegilops Network for biodiversity and ecology in agriculture 
AGROLINK Association Bulgaria
AÖL e.V.
Apfel:gut e.V.
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) 
Asociácia vcelárov Slovenska
Association Forum of Organic Agriculture Poland 
Beyond GM
Bioland e.V.
BIOSELENA Foundation for Organic Agriculture Bulgaria 
Bio-Verband Erde & Saat
Bulgarian Organic Products Organization
Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) e.V. 
Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) e.V.
Dachverband ökologische Pflanzenzüchtung in Deutschland e.V. 
Demeter e.V.
Dreschflegel e.V.
Fondazione Seminare il Futuro 
Foreningen for Biodynamisk Jordbrug 
Forschung & Züchtung Dottenfelderhof
Foundation for Environment and Agriculture Bulgaria 
Friends of the Earth Hungary
Gen-ethisches Netzwerk e.V. 
GM Freeze
GMWatch
gzpk (Getreidezüchtung Peter Kunz)
Initiative for GE-free seeds and breeding (IG Saatgut)
Irish Organic Association
Keyserlingk-Institut 
La Fourche
NOAH Friends of the Earth Denmark
OGM dangers
Organic Services 
POLLINIS
Sativa Rheinau AG 
SITO Seeds 
Stichting Zaadgoed
Synabio
Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg asbl. Voedsel Anders

Literaturverzeichnis (siehe PDF)

21. Mai 2025

Judith Düesberg ist Ökologin und Mitarbeiterin des GeN.

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